Wolfgang Georg Friedrich Staudte

Regisseur (1906-1984)

René Franken (Dorsten)

Wolfgang Staudte, Porträtfoto.

Wolf­gang Staud­te zählt zu den be­deu­ten­den deut­schen Film­re­gis­seu­ren nach 1945. In sei­nen Fil­men the­ma­ti­sier­te er ge­sell­schaft­li­che Zu­stän­de im Wil­hel­mi­ni­schen Zeit­al­ter, in der Epo­che des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und im Nach­kriegs­deutsch­land, kri­ti­sier­te Ob­rig­keits­hö­rig­keit und Mit­läu­fer­tum, aber auch das Ver­drän­gen von Schuld nach 1945.

Wolf­gang Staud­te wur­de am 9.10.1906 in Saar­brü­cken als Sohn des Schau­spie­ler­paars Fritz Staud­te (1883-1958) und Mat­hil­de Fir­m­ans (1886-1921) ge­bo­ren. Er be­gann 1923 nach sei­nem Schul­ab­schluss der Mitt­le­ren Rei­fe ei­ne Leh­re als Au­to­schlos­ser, ar­bei­te­te bei den Han­sa-Lloyd-Wer­ken in Va­rel und stu­dier­te zwei Se­mes­ter an der In­ge­nieur-Aka­de­mie in Ol­den­burg. Über Kom­par­sen­rol­len an ver­schie­de­nen Ber­li­ner Thea­tern wech­sel­te er 1926 mit ei­nem ers­ten En­ga­ge­ment an der Ber­li­ner Volks­büh­ne haupt­be­ruf­lich in die Schau­spie­le­rei. Dar­über hin­aus kam Staud­te auch mit dem Film­ge­schäft in Be­rüh­rung und mach­te sich als Syn­chron­spre­cher und Ne­ben­dar­stel­ler ei­nen Na­men. Her­vor­zu­he­ben ist sein Mit­wir­ken bei der Syn­chro­ni­sa­ti­on der US-ame­ri­ka­ni­schen Ver­fil­mung des Bu­ches „Im Wes­ten nichts Neu­es" von Erich Ma­ria Re­mar­que (1898-1970) als Stim­me des Sol­da­ten Franz Kem­me­rich.

Nach der Macht­über­nah­me durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wur­de Staud­te im Jahr 1933 sei­ne Büh­nen­schau­pie­ler­er­laub­nis we­gen Mit­wir­kung an re­gime­kri­ti­schen Stü­cken ent­zo­gen. Je­doch ver­stand er es, sich der neu­en po­li­ti­schen Si­tua­ti­on fle­xi­bel an­zu­pas­sen und sich zu­nächst mit Ge­le­gen­heits­ar­bei­ten und als Rund­funk­spre­cher im Kin­der- und Wer­be­pro­gramm über Was­ser zu hal­ten – ein Um­bruch, der sich für sein wei­te­res Le­ben als prä­gend er­wei­sen soll­te. Staud­te ent­wi­ckel­te in den viel­fä­ti­gen Tä­tig­kei­ten für Film, Rund­funk und Wer­bung ent­schei­den­de Grund­la­gen für sei­ne spä­te­re Kar­rie­re als Re­gis­seur.

An­ge­spro­chen auf die zahl­rei­chen pro­pa­gan­dis­ti­schen Fil­me des NS-Re­gimes, in de­nen er zwi­schen 1934 und 1940 als Kom­par­se oder in Ne­ben­rol­len auf­trat (un­ter an­de­rem in dem an­ti­se­mi­ti­schen Film „Jud Süß" von 1940), er­wi­der­te Staud­te spä­ter, dass er sich den po­li­ti­schen Ge­ge­ben­hei­ten nach sei­nem Auf­tritts­ver­bot hät­te an­pas­sen müs­sen, um die an­ge­streb­te Kar­rie­re als Re­gis­seur ver­wirk­li­chen zu kön­nen.

Zu­nächst wa­ren es sei­ne meist ori­gi­nell und wit­zig in­sze­nier­ten Wer­be- und Kurz­fil­me, mit de­nen Staud­te in der Film­bran­che auf sich auf­merk­sam mach­te. Die­se Fä­hig­kei­ten wuss­te sich auch das NS-Re­gime für pro­pa­gan­dis­ti­sche Zwe­cke nutz­bar zu ma­chen: Bei Aus­bruch des Zwei­ten Welt­krie­ges wur­de er da­her als un­ab­kömm­lich für die Kriegs­ver­wen­dung ein­ge­stuft. Der Ein­zug zur Wehr­macht blieb ihm er­spart. Mit zwei Pro­be­fil­men für die halb­staat­li­che „To­bis Film­kunst GmbH" 1941/ 1942 konn­te er sich als ta­len­tier­ter Nach­wuchs­re­gis­seur pro­fi­lie­ren und de­bü­tier­te 1942/ 1943 mit sei­nem abend­fül­len­den Spiel­film „Akro­bat Schö-ö-ön".Die­se Ge­schich­te mit dem be­kann­ten Ar­tis­ten Char­lie Ri­vel (1896-1983) in der Ti­tel­rol­le war wie sein zwei­ter Film „Ich hab von dir ge­träumt" (1943/ 1944) völ­lig un­po­li­tisch. Mit sei­nem nächs­ten Film „Der Mann, dem man den Na­men stahl" fiel Staud­te je­doch in Un­gna­de bei den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­bern. Sei­ne un­ver­hoh­le­ne Kri­tik am Be­hör­den­ap­pa­rat und dem spie­ßi­gen Klein­bür­ger­tum han­del­te ihm ein Ver­bot des Films und den Ver­lust der Un­ab­kömm­lich­keits­stel­lung ein. Erst auf In­ter­ven­ti­on des In­ten­dan­ten des Ber­li­ner Schil­ler-Thea­ters, Hein­rich Ge­or­ge (1893-1946), der auf die Be­tei­li­gung Staud­tes als Re­gis­seur bei sei­nem Film „Frau über Bord" be­stand, konn­te die Ab­kom­man­die­rung an die Front En­de 1944 ver­hin­dert wer­den.

 

Nach Kriegs­en­de un­ter­nahm Staud­te den Ver­such ei­nes Neu­an­fangs als Re­gis­seur. In den West­zo­nen konn­te er je­doch sein Dreh­buch „Der Mann, den ich tö­ten wer­de" nicht rea­li­sie­ren. Da­ge­gen be­kam er 1946 in der so­wje­ti­schen Be­sat­zungs­zo­ne die Ge­le­gen­heit, die­sen Film un­ter dem Na­men „Die Mör­der sind un­ter uns" als ers­ten deut­schen Nach­kriegs­film bei der von ihm im Mai 1946 mit­be­grün­de­ten „Deut­schen Film AG" (DE­FA) zu dre­hen. Von ei­ge­nen Er­leb­nis­sen der letz­ten Kriegs­ta­ge be­ein­flusst, be­grün­de­te Staud­te mit „Die Mör­der sind un­ter uns" das Gen­re des „Trüm­mer­films".

In der 1949 ge­grün­de­ten DDR ge­noss Staud­te ho­he An­er­ken­nung. Den­noch sah er sich durch die ver­schärf­ten Zen­sur­auf­la­gen in sei­nem künst­le­ri­schen Wir­ken zu­neh­mend ein­ge­schränkt. Er such­te den Kon­takt zu west­deut­schen Film­pro­duk­ti­ons­fir­men und dreh­te 1949 mit „Schick­sal aus zwei­ter Hand" ei­nen ers­ten Film für die Ham­bur­ger Re­al­film. 1951 ge­lang ihm mit der fil­mi­schen Um­set­zung des Ro­mans „Der Un­ter­tan" von Hein­rich Mann (1871-1950) ei­ne sei­ner her­aus­ra­gen­den Ar­bei­ten. Die Ge­schich­te über den ge­sell­schaft­li­chen Auf­stieg ei­nes ge­wis­sen­lo­sen Kar­rie­ris­ten im deut­schen Kai­ser­reich be­grün­de­te Staud­tes Ruf als kom­pro­miss­lo­sen Mo­ra­lis­ten; gleich­zei­tig zählt der Film zu den be­deu­tends­ten Pro­duk­tio­nen in der Ge­schich­te der DE­FA. In der Bun­des­re­pu­blik zu­nächst mit ei­nem Auf­füh­rungs­ver­bot be­legt, wur­de „Der Un­ter­tan" erst 1957 frei­ge­ge­ben, al­ler­dings in ei­ner um elf Mi­nu­ten ge­kürz­ten Fas­sung. Erst 1971 durf­te der Film auch in der Bun­des­re­pu­blik un­ge­kürzt ge­zeigt wer­den. Trotz die­ser Hin­der­nis­se er­wies er sich auch im Wes­ten Deutsch­lands als gro­ßer Pu­bli­kums­er­folg. Staud­te ern­te­te glän­zen­de Kri­ti­ken; tref­fend sprach ihm die Süd­deut­sche Zei­tung „die Ent­de­ckung des Spie­ßers als Mons­ter" zu.

Wäh­rend der Dreh­ar­bei­ten zu „Gift im Zoo" (1952) wur­de Staud­te vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um da­zu ge­drängt, sich zu ver­pflich­ten, künf­tig nicht mehr für die DE­FA zu ar­bei­ten. Die­ser Auf­for­de­rung kam er nicht nach. Statt­des­sen be­scher­te er der DE­FA 1953 ei­nen gro­ßen kom­mer­zi­el­len Er­folg mit dem Kin­der­film „Die Ge­schich­te vom klei­nen Muck", sei­ner ers­ten Farb­film­pro­duk­ti­on, die eben­falls stil­prä­gend wer­den soll­te.

Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Ber­tolt Brecht (1898-1956) und Staud­te ver­hin­der­ten im Jahr 1955 die Fer­tig­stel­lung der auf­wän­di­gen Ver­fil­mung von „Mut­ter Cou­ra­ge und ih­re Kin­der" bei der DE­FA. 1956 sie­del­te Staud­te end­gül­tig in den Wes­ten über. Mit sei­nen fol­gen­den Ki­no­pro­duk­tio­nen konn­te Staud­te zwar zu­nächst nicht an frü­he­re Er­fol­ge an­knüp­fen, grün­de­te aber 1958 mit sei­nen Re­gie­kol­le­gen Hel­mut Käut­ner und Ha­rald Braun (1901-1960) die „Freie Film­pro­duk­ti­on GmbH" (FFP). 1959 ge­lang ihm mit dem Film „Ro­sen für den Staats­an­walt" sein grö­ß­ter Er­folg im west­deut­schen Ki­no. Po­li­ti­sche Sa­ti­re und die Aus­ein­an­der­set­zung mit der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit Deutsch­lands, wie im Fall von „Kir­mes" (1960), be­stimm­ten Staud­tes künst­le­ri­sches Wir­ken auch in den 1960er Jah­ren. Ei­ne po­si­ti­ve Re­so­nanz des Pu­bli­kums blieb je­doch aus.

1962 dreh­te er mit „Re­bel­li­on" sei­ne ers­te Fern­seh­pro­duk­ti­on und en­ga­gier­te sich seit 1966 als Do­zent an der neu­ge­grün­de­ten Deut­schen Film- und Fern­seh­aka­de­mie Ber­lin (DFFB). Durch die theo­re­ti­sche Ar­beit in der Film­aka­de­mie und die an­hal­ten­den Miss­er­fol­ge sei­ner letz­ten Ki­no­fil­me des­il­lu­sio­niert, be­schloss er, in sei­nen Fil­men kei­ne po­li­ti­schen The­men mehr auf­zu­grei­fen.

Sei­ner rast­lo­sen Ar­beit tat dies je­doch kei­nen Ab­bruch, viel­mehr er­wies er sich in den 1970er Jah­ren als ei­ner der pro­duk­tivs­ten Fern­seh­re­gis­seu­re sei­ner Zeit.1971 schrieb er mit dem Aben­teu­er­mehr­tei­ler „Der See­wolf" Fern­seh­ge­schich­te. Ne­ben zahl­rei­chen „Tat­ort"-Pro­duk­tio­nen ge­hö­ren die Se­ri­en „Lock­ruf des Gol­des" (1975), „MS-Fran­zis­ka" (1978) mit Paul Dah­l­ke (1904-1984) so­wie „Der ei­ser­ne Gus­tav" (1979) mit Gus­tav Knuth (1901-1987) zu sei­nen wich­tigs­ten Re­gie­ar­bei­ten die­ser Zeit.

Am 19.1.1984 starb Staud­te im da­ma­li­gen Ju­go­sla­wi­en bei Au­ßen­auf­nah­men zu dem Fern­seh­mehr­tei­ler „Der Ei­ser­ne Weg" an Herz­ver­sa­gen.

Literatur

Lu­din, Mal­te, Wolf­gang Staud­te, Rein­bek 1996.
Or­b­anz, Eva (Hg.), Wolf­gang Staud­te. Stif­tung Deut­sche Ki­ne­ma­thek, Ber­lin 1977.
Schenk, Ralf, „Die dunk­len" Fil­me von Wolf­gang Staud­te, in: Film-Dienst 21 (1996).
Schmid-Lehn­hard, An­dre­as/Schmid-Lehn­hard, Uschi, Cou­ra­ge und Ei­gen­sinn. Zum 100. Ge­burts­tag von Wolf­gang Staud­te, St. Ing­bert 2006.
Wit­te, Kars­ten, Ein deut­scher Traum vom Rea­lis­mus. Wolf­gang Staud­te wird 75 Jah­re, in: Die Zeit, 9.10.1981, S. 43-44.

Online

Wolf­gang Staud­te (Bio­gra­phi­sche In­for­ma­ti­on auf der Web­site film­por­tal.de, ei­nem Pro­jekt des Deut­schen Film­in­sti­tut – DIF e.V.). [On­line]
Walk, Ines, Staud­te, Wolf­gang (In­for­ma­ti­on auf der Web­site der „DE­FA Stif­tung"). [On­line]

Die Mörder sind unter uns. Plakat zum gleichnamigen Film von Wolfgang Staudte, 1946. (Haus der Geschichte, Bonn)

 
Zitationshinweis

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Franken, René, Wolfgang Georg Friedrich Staudte, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wolfgang-georg-friedrich-staudte/DE-2086/lido/57c9549c31db10.11467383 (abgerufen am 19.04.2024)