Beuckers, Klaus Gereon, Das Kölner Kaiserinnen-Evangeliar W 312. Ein ottonisches Prachtevangeliar aus St. Gereon im Historischen Archiv der Stadt Köln (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters - Bd. 11), Wien/Köln 2024

232 Seiten, inklusive zahlreiche farbige Abbildungen, gebunden/E-Book, ISBN: 978-3-412-53099-0, 49 Euro.

Lea Raith (Bonn)

Die Köl­ner Buch­ma­le­rei des 10. und 11. Jahr­hun­derts ge­hört zu den be­deu­tends­ten Zeug­nis­sen mit­tel­al­ter­li­cher Ma­le­rei über­haupt. Pe­ter Bloch und Her­mann Schnitz­ler ha­ben 1967 und 1970 in zwei Bän­den die er­hal­te­nen Ob­jek­te die­ser Buch­ma­l­erei­grup­pe um­fas­send auf­ge­ar­bei­tet und sys­te­ma­ti­siert und doch blie­ben zahl­rei­che Fra­gen un­ge­löst, die in den fol­gen­den Jah­ren die kunst­his­to­ri­sche For­schung be­schäf­ti­gen soll­ten. Be­son­ders her­vor­ge­tan hat sich hier­bei Klaus Ge­re­on Beu­ckers, der im Rah­men ei­nes For­schungs­pro­jekts zu den Köl­ner Hand­schrif­ten des 10./11. Jahr­hun­derts be­reits meh­re­re Mo­no­gra­phi­en, Auf­sät­ze und Sam­mel­bän­de zu die­sem The­ma vor­ge­legt hat. Mit der Hand­schrift Wall­raf 312 im Be­stand 7010 des His­to­ri­schen Ar­chivs der Stadt Köln hat Beu­ckers in Zu­sam­men­ar­beit mit Ur­su­la Prinz, Do­ris Ol­trog­ge, Bea­te Braun-Niehr und Ro­bert Fuchs nun ei­ne der be­mer­kens­wer­tes­ten Hand­schrif­ten auf­ge­ar­bei­tet.

Das Evan­ge­li­ar W 312, auch be­kannt un­ter dem Na­men „Kai­se­rin­nen-Evan­ge­li­ar“, wur­de 991 an­läss­lich der Be­stat­tung Kai­se­rin Theo­pha­nus im Be­ne­dik­ti­ner­klos­ter St. Pan­ta­le­on an­ge­fer­tigt. Es wird der so­ge­nann­ten „Ma­le­ri­schen Grup­pe“ (Bloch/Schnitz­ler) der Köl­ner Buch­ma­le­rei zu­ge­rech­net, die nach ak­tu­el­lem For­schungs­stand in die 980er und 990er Jah­re zu da­tie­ren ist.

Beu­ckers be­schreibt zu­nächst die Hand­schrift in gro­ßem De­tail­reich­tum und ord­net sie schlie­ß­lich in die Köl­ner Buch­ma­le­rei des 10. Jahr­hun­derts so­wie in die zeit­ge­nös­si­sche Buch­ma­le­rei an­de­rer Skrip­to­ri­en ein. Er macht auf das un­ge­wöhn­lich gro­ße For­mat des Ko­dex (32,8 x 24,2 cm) auf­merk­sam, be­tont aber, dass die An­ord­nung der Tex­te und Zier­sei­ten so­wie cha­rak­te­ris­ti­sche Merk­ma­le der Bild­ge­stal­tung den üb­ri­gen Hand­schrif­ten der Köl­ner „Ma­le­ri­schen Grup­pe“ wei­test­ge­hend ent­spre­chen. Ge­ra­de das Aus­stat­tungs­ni­veau der Zier­sei­ten, ins­be­son­de­re der Rah­me­n­or­na­men­tik, ver­deut­li­che aber den ho­hen An­spruch des Ko­dex, was ihn zu ei­ner mo­nu­men­ta­li­sie­ren­den und zier­ver­dich­te­ten Wei­ter­ent­wick­lung der „Ma­le­ri­schen Grup­pe“ ma­che, an de­ren En­de er ste­he.

In­halt­lich ent­hält das Evan­ge­li­ar al­le Evan­ge­li­en­vor­re­den, die vier Evan­ge­li­en mit Pro­lo­gen und Ca­pi­tu­la so­wie ein ab­schlie­ßen­des Ca­pi­tu­la­re Evan­ge­lio­rum, wo­bei ver­ein­zelt In­itia­len, Ex­pli­cits und Vor­re­den feh­len oder platz­be­dingt ge­kürzt wur­den. Auf­grund die­ser und wei­te­rer Be­fun­de, die auf Im­pro­vi­sa­ti­on und Ar­beits­tei­lung hin­deu­ten, hält es Beu­ckers für wahr­schein­lich, dass die Hand­schrift un­ter Zeit­druck her­ge­stellt und be­reits vor ih­rer ei­gent­li­chen Voll­endung ein­ge­setzt wur­de. Dies deu­te auf den en­gen Zeit­raum zwi­schen Tod und Be­stat­tung Theo­pha­nus hin. Er schlie­ßt mit ei­ner Be­schrei­bung und Ein­ord­nung der na­men­ge­ben­den Kai­se­rin­nen­sei­te (fol. 22r) an, die zu­gleich der Be­ginn des Mat­thä­us-Evan­ge­li­ums ist: LI­BER GE(ne­ra­tio­nis). Auf dem auf­wän­dig ge­stal­te­ten Rah­men sind vier Me­dail­lons an­ge­ord­net, die das kreuz­nim­bier­te Lamm Got­tes (oben) und ei­ne männ­li­che so­wie zwei weib­li­che Per­so­nen zei­gen, die mit Ot­to III. (rechts), sei­ner ge­ra­de ver­stor­be­nen Mut­ter Theo­pha­nu (un­ten) so­wie de­ren Schwie­ger­mut­ter Adel­heid (links), die an ih­rer Stel­le die Re­gent­schaft für den min­der­jäh­ri­gen Kö­nig über­nom­men hat­te, iden­ti­fi­ziert wer­den.

Beu­ckers hält es für wahr­schein­lich, dass das Evan­ge­li­ar kei­ne Auf­trags­ar­beit der kai­ser­li­chen Fa­mi­lie war, son­dern vom Kon­vent St. Pan­ta­le­on un­ter sei­nem Grün­dungs­abt Chris­ti­an (amt. 964/965-1001) an­läss­lich der dor­ti­gen Be­stat­tung der Kai­se­rin für die fei­er­li­che Lit­ur­gie an­ge­fer­tigt wur­de. Zu­gleich sieht der Au­tor in der Hand­schrift W 312 ei­nen Aus­druck der be­ton­ten Herr­scher­nä­he des Klos­ters, das durch den Tod Theo­pha­nus sei­ner gro­ßen För­de­rin be­raubt war und sich ei­ne Fort­set­zung der Un­ter­stüt­zung durch Ot­to und Adel­heid er­hofft ha­be. Beu­ckers bi­lan­ziert, dass das Evan­ge­li­ar ein his­to­risch und kunst­his­to­risch her­aus­ra­gen­des Zeug­nis für die ot­to­ni­sche Zeit in Köln und die Blü­te St. Pan­ta­le­ons sei. Er wen­det sich zu­gleich end­gül­tig ge­gen die äl­te­re For­schung, die das Evan­ge­li­ar stets im St. Ge­re­on­stift ver­or­tet hat­te.

Die Un­ter­su­chung des Evan­ge­li­ars ab­run­dend geht zu­nächst Bea­te Braun-Niehr auf das Ca­pi­tu­la­re evan­ge­lio­rum, das sich am En­de des Ko­dex be­fin­det (fol. 197r-220v), ein. Das Ver­zeich­nis führt al­le Sonn- und ho­hen Fei­er­ta­ge und die re­le­van­ten Hei­li­gen­fes­te so­wie die je­weils vor­zu­tra­gen­den Pe­ri­ko­pen auf. Zahl­rei­che Kor­rek­tu­ren, Satz­zei­chen und wei­te­re Hin­wei­se für das rich­ti­ge Vor­tra­gen be­le­gen den re­gen Ein­satz des Evan­ge­li­ars im Got­tes­dienst. Die Aus­wahl und An­ord­nung der Hei­li­gen­fes­te ist in der For­schung in ver­schie­de­ne Grup­pen ein­ge­teilt wor­den. Auf­fäl­li­ger­wei­se kön­ne man W 312 kei­ner die­ser Grup­pen si­cher zu­ord­nen, bzw. las­se sich hier ei­ne an die lit­ur­gi­schen Be­dürf­nis­se St. Pan­ta­le­ons an­ge­pass­te Ver­si­on ei­ner äl­te­ren Lis­te fas­sen. 

Ab­schlie­ßend lie­fern Do­ris Ol­trog­ge und Ro­bert Fuchs ei­ni­ge Be­ob­ach­tun­gen zu den Farb­mit­teln und der Mal­tech­nik des Evan­ge­li­ars; hier­zu ver­ar­bei­ten sie die Er­kennt­nis­se ei­ner kunst­tech­no­lo­gi­schen Un­ter­su­chung, die sie nach dem Ein­sturz des His­to­ri­schen Ar­chivs der Stadt Köln zwecks Fest­stel­lung even­tu­el­ler Schä­den an der Hand­schrift vor­ge­nom­men hat­ten. Bis auf ei­ne par­ti­el­le Ver­schwär­zung von Men­ni­ge­schrift lie­ßen sich er­freu­li­cher­wei­se kei­ne Schä­den fest­stel­len. Ol­trog­ge und Fuchs be­schrei­ben zu­nächst die Schreib- und Farb­mit­tel, so­wie die Me­tal­le in ih­rer Zu­sam­men­set­zung. An­schlie­ßend ge­hen sie auf Ent­wurf und Aus­füh­rung so­wie Mal­tech­nik ein. Sie he­ben her­vor, wie durch Mal­tech­nik spe­zi­fi­sche Ma­te­ria­li­tä­ten evo­ziert wer­den. Dies­be­züg­lich ein­zig­ar­tig in der Köl­ner Buch­ma­le­rei des 10. Jahr­hun­derts sei die Evo­ka­ti­on von Por­phyr.

Her­vor­zu­he­ben ist der An­hang, der al­le Sei­ten des Kai­se­rin­nen-Evan­ge­li­ars, die Bil­der, Zier­in­itia­len und Zier­s­chrif­ten ent­hält, und als hoch­auf­lö­sen­des Fak­si­mi­le prä­sen­tiert. Der Le­ser ver­misst ein­zig ein Ver­zeich­nis der zum Ver­gleich her­an­ge­zo­ge­nen Hand­schrif­ten bzw. de­ren Ab­bil­dun­gen. Ins­ge­samt bie­tet der Band ei­ne aus­führ­li­che und aus­ge­wo­ge­ne Un­ter­su­chung des Kai­se­rin­nen-Evan­ge­li­ars und ist da­mit ein wür­di­ger Ab­schluss für die Rei­he an Ein­zel­un­ter­su­chun­gen, die in den ver­gan­ge­nen zwölf Jah­ren zur Köl­ner Buch­kunst er­schie­nen sind.

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Raith, Lea, Beuckers, Klaus Gereon, Das Kölner Kaiserinnen-Evangeliar W 312. Ein ottonisches Prachtevangeliar aus St. Gereon im Historischen Archiv der Stadt Köln (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters - Bd. 11), Wien/Köln 2024, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/beuckers-klaus-gereon-das-koelner-kaiserinnen-evangeliar-w-312.-ein-ottonisches-prachtevangeliar-aus-st.-gereon-im-historischen-archiv-der-stadt-koeln-forschungen-zu-kunst-geschichte-und-literatur-des-mittelalters---bd.-11-wienkoeln-2024/DE-2086/lido/66cee37f0d4f30.13330377 (abgerufen am 06.10.2024)

Buchcover Das Kölner Kaiserinnen-Evangeliar W 312. Ein ottonisches Prachtevangeliar im Historischen Archiv der Stadt Köln.