Frank, Thomas/Matheus, Michael/Reichert, Sabine (Hg.), Wege zum Heil. Pilger und Heilige Orte an Mosel und Rhein (Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz 67), Stuttgart 2009

320 S., ISBN 978-3515091657, 46 Euro

Alois Döring (Bonn)

Pil­gern ist „in". Man den­ke nur an das Ja­ko­bus-Lau­fen, das ei­ne mas­sen­tou­ris­ti­sche Di­men­si­on er­fährt. Aber gilt das nur für un­se­re heu­ti­ge Zeit? Wa­ren nicht Pil­ger- be­zie­hungs­wei­se Wall­fahr­ten im aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter und der Frü­hen Neu­zeit eben­so ein kom­ple­xes Mas­sen­phä­no­men als „re­li­giö­ses Frei­zeit­ver­gnü­gen" (Pe­ter Her­sche, Mu­ße und Ver­schwen­dung. Eu­ro­päi­sche Ge­sell­schaft und Kul­tur im Ba­rock­zeit­al­ter, 2 Bän­de, Frei­burg 2006, hier Band 2, S. 794)? Wäh­rend die ge­nu­in volks­kund­li­che, einst an den Uni­ver­si­tä­ten Bonn, Müns­ter oder Würz­burg blü­hen­de Wall­fahrts­for­schung weit­ge­hend brach­liegt, wid­men ­sich His­to­ri­ker al­ler Cou­leur ge­schicht­li­chen Fa­cet­ten des kom­ple­xen kul­ti­schen Ge­sche­hens auf dem We­ge nach und an Hei­li­gen Or­ten, das wir in ei­nem all­ge­mei­nen Sin­ne Wall­fahrts­we­sen nen­nen.

Der Band „We­ge zum Heil" stellt den in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Er­trag ei­ner Ta­gung an der Uni­ver­si­tät Mainz dar und glie­dert sich in die Ru­bri­ken „Wall­fahrts­zie­le, hei­li­ge Or­te und Kult­zen­tren im Gro­ß­raum von Mo­sel und Rhein", „Pil­ger­we­ge" und „Rhei­ni­sche Fern­pil­ger und ita­lie­ni­sche Ver­gleichs­fäl­le".

Bern­hard Schnei­der be­han­delt in sei­nem Bei­trag „Wall­fahr­ten und Wall­fahrts-Pro­zes­sio­nen im früh­neu­zeit­li­chen Erz­bis­tum Trier" aus­führ­lich die Nor­mie­rungs­ver­su­che nach­tri­den­ti­ni­scher Re­form und ka­tho­li­scher Auf­klä­rung. Er zeich­net das Pro­fil der trie­ri­schen Wall­fahrts­land­schaft nach, wo­zu ein sys­te­ma­ti­scher Ka­ta­log al­ler er­fass­ba­ren Kul­tor­te so­wie Ver­brei­tungs­kar­ten der St.-Mat­thi­as-Bru­der­schaf­ten und der Ma­ri­en­bru­der­schaft Auw/Kyll die­nen. Ähn­li­che Do­ku­men­ta­tio­nen wünscht man sich auch für an­de­re Diö­ze­sen.

Wolf­gang Schmid er­läu­tert in „Bild­pu­bli­zis­tik und ka­tho­li­sche Re­form. Die Trie­rer Hei­lig-Rock-Wall­fahrt von 1655 als Me­di­en­er­eig­nis" die wohl­durch­dach­ten Bild-Text-Kom­po­si­tio­nen früh­neu­zeit­li­cher Heilt­ums­dru­cke und zeigt auf, wie sol­che Pu­bli­ka­tio­nen die Vor­stel­lun­gen der Gläu­bi­gen vom Wall­fahrts­ort we­sent­lich präg­ten.

Das Me­di­um Pil­ger­zei­chen wird von den kom­pe­tens­ten For­schern zu die­sem The­ma in Deutsch­land, Hart­mut Küh­ne und Jörg Poett­gen, ge­wür­digt („Mit­tel­al­ter­li­che Pil­ger­zei­chen aus der Diö­ze­se Trier: Kurz­ka­ta­log und Be­fun­de"). Die Au­to­ren deu­ten Iko­no­gra­phie und Funk­ti­on die­ser mas­sen­haft über­lie­fer­ten De­vo­tio­na­li­en und lie­fern ei­nen Pil­ger­zei­chen­ka­ta­log für das 15. und 16. Jahr­hun­dert.

Das The­ma Kult­ent­wick­lung ex­em­pli­fi­ziert Tho­mas Wetz­stein in sei­ner de­tail­rei­chen, auf ei­ner güns­ti­gen Quel­len­la­ge ba­sie­ren­den Un­ter­su­chung über Wer­ner von Ober­we­sel („’Ad in­for­ma­tio­nem apos­to­li­cae se­dis’. Die Ver­eh­rung des Wer­ner von Ober­we­sel und die Kult­un­ter­su­chung von 1426").

Sa­bi­ne Rei­chert kommt in ih­rem Bei­trag „Mi­ra­cu­la Sanc­ti Lud­ge­ri. Ei­ne Neu­be­wer­tung der hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Lud­ge­rus­ver­eh­rung im Bis­tum Müns­ter" zu dem Er­geb­nis, dass dem Hei­li­gen im hoch­mit­tel­al­ter­li­chen Müns­ter vor al­lem po­li­ti­sche Be­deu­tung für die bi­schöf­li­che Ter­ri­to­ri­al­herr­schaft und die Stadt­wer­dung Müns­ters zu­kam. Das Zen­trum der Lud­ger­ver­eh­rung hin­ge­gen war seit dem Früh­mit­tel­al­ter die Be­gräb­nis­stät­te in Wer­den (heu­te Stadt Es­sen), was bis heu­te gilt.

Die Mar­bur­ger Eli­sa­beth­kir­che er­fährt durch Mat­thi­as Mül­ler („Si­mi­li­tu­do Ma­riae. Die bild­haf­te Aus­ge­stal­tung der Mar­bur­ger Eli­sa­beth­kir­che zum lo­cus sanc­tus der Ma­ri­en- und Eli­sa­beth­ver­eh­rung") ei­ne kunst­his­to­ri­sche Neu­be­wer­tung. Der Au­tor legt den Leit­ge­dan­ken, der die Ge­stal­tung die­ser Deut­schor­dens­kir­che ge­prägt hat, näm­lich die In­te­gra­ti­on des Eli­sa­beth­kul­tes in den Kult der Got­tes­mut­ter, auf dem die re­li­giö­se Iden­ti­tät des Deut­schen Or­dens be­ruh­te, neu aus.

Pil­ger­ver­kehr und Hos­pi­ze be­han­delt Mi­chel Pau­ly, spät­mit­tel­al­ter­li­chem Pil­ger­ver­kehr am und auf dem Ober­rhein geht Pe­ter Rück­ert nach. Nord­ita­lie­ni­sche Pil­ger­hos­pi­ze im 12. und 13. Jahr­hun­dert un­ter­sucht Ma­ria Pia Al­ber­zo­ni.

Grit­je Hart­mann lässt zwei ge­lehr­te Kle­ri­ker des spä­ten 15. Jahr­hun­derts mit ih­ren Rei­se­be­rich­ten zu Wort kom­men: die Je­ru­salem­pil­ger Wil­helm Tze­wers und Pie­tro Ca­so­la, die - wie üb­lich - zu Schiff nach Jaf­fa fuh­ren. Als ei­ge­ne li­te­ra­ri­sche Quel­len­gat­tung lie­gen aus dem spä­ten Mit­tel­al­ter zahl­rei­che Be­rich­te von Je­ru­salem­pil­gern vor, die nicht nur die be­schwer­li­che und lang­wie­ri­ge Schiffs­rei­se schil­dern, son­dern vor al­lem die Hei­li­gen Stät­ten be­schrei­ben und die - ent­täusch­ten oder er­füll­ten Er­war­tun­gen - an de­ren Er­le­ben re­flek­tie­ren.

Ab­schlie­ßend han­delt Ma­rio Mar­roc­chi über „Pil­ger, hei­li­ge Or­te und Pil­ger­we­ge in der mit­tel­al­ter­li­chen Tos­ka­na. Mit be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung des Mon­te Ami­ata", ei­nes Ge­biets der süd­li­chen Tos­ka­na. Hier hat das Klos­ter San Sal­va­to­re im Mit­tel­al­ter ei­ne do­mi­nie­ren­de Rol­le als Durch­gangs­sta­ti­on und Be­her­ber­gungs­zen­trum für Rom­pil­ger ge­spielt.

Zitationshinweis

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Döring, Alois, Frank, Thomas/Matheus, Michael/Reichert, Sabine (Hg.), Wege zum Heil. Pilger und Heilige Orte an Mosel und Rhein (Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz 67), Stuttgart 2009, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/frank-thomasmatheus-michaelreichert-sabine-hg.-wege-zum-heil.-pilger-und-heilige-orte-an-mosel-und-rhein-veroeffentlichungen-des-instituts-fuer-geschichtliche-landeskunde-an-der-universitaet-mainz-67-stuttgart-2009/DE-2086/lido/57d15e737128b3.15893384 (abgerufen am 28.03.2024)