Pilgern ist „in". Man denke nur an das Jakobus-Laufen, das eine massentouristische Dimension erfährt. Aber gilt das nur für unsere heutige Zeit? Waren nicht Pilger- beziehungsweise Wallfahrten im ausgehenden Mittelalter und der Frühen Neuzeit ebenso ein komplexes Massenphänomen als „religiöses Freizeitvergnügen" (Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bände, Freiburg 2006, hier Band 2, S. 794)? Während die genuin volkskundliche, einst an den Universitäten Bonn, Münster oder Würzburg blühende Wallfahrtsforschung weitgehend brachliegt, widmen sich Historiker aller Couleur geschichtlichen Facetten des komplexen kultischen Geschehens auf dem Wege nach und an Heiligen Orten, das wir in einem allgemeinen Sinne Wallfahrtswesen nennen.
Der Band „Wege zum Heil" stellt den interdisziplinären Ertrag einer Tagung an der Universität Mainz dar und gliedert sich in die Rubriken „Wallfahrtsziele, heilige Orte und Kultzentren im Großraum von Mosel und Rhein", „Pilgerwege" und „Rheinische Fernpilger und italienische Vergleichsfälle".
Bernhard Schneider behandelt in seinem Beitrag „Wallfahrten und Wallfahrts-Prozessionen im frühneuzeitlichen Erzbistum Trier" ausführlich die Normierungsversuche nachtridentinischer Reform und katholischer Aufklärung. Er zeichnet das Profil der trierischen Wallfahrtslandschaft nach, wozu ein systematischer Katalog aller erfassbaren Kultorte sowie Verbreitungskarten der St.-Matthias-Bruderschaften und der Marienbruderschaft Auw/Kyll dienen. Ähnliche Dokumentationen wünscht man sich auch für andere Diözesen.
Wolfgang Schmid erläutert in „Bildpublizistik und katholische Reform. Die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt von 1655 als Medienereignis" die wohldurchdachten Bild-Text-Kompositionen frühneuzeitlicher Heiltumsdrucke und zeigt auf, wie solche Publikationen die Vorstellungen der Gläubigen vom Wallfahrtsort wesentlich prägten.
Das Medium Pilgerzeichen wird von den kompetensten Forschern zu diesem Thema in Deutschland, Hartmut Kühne und Jörg Poettgen, gewürdigt („Mittelalterliche Pilgerzeichen aus der Diözese Trier: Kurzkatalog und Befunde"). Die Autoren deuten Ikonographie und Funktion dieser massenhaft überlieferten Devotionalien und liefern einen Pilgerzeichenkatalog für das 15. und 16. Jahrhundert.
Das Thema Kultentwicklung exemplifiziert Thomas Wetzstein in seiner detailreichen, auf einer günstigen Quellenlage basierenden Untersuchung über Werner von Oberwesel („’Ad informationem apostolicae sedis’. Die Verehrung des Werner von Oberwesel und die Kultuntersuchung von 1426").
Sabine Reichert kommt in ihrem Beitrag „Miracula Sancti Ludgeri. Eine Neubewertung der hochmittelalterlichen Ludgerusverehrung im Bistum Münster" zu dem Ergebnis, dass dem Heiligen im hochmittelalterlichen Münster vor allem politische Bedeutung für die bischöfliche Territorialherrschaft und die Stadtwerdung Münsters zukam. Das Zentrum der Ludgerverehrung hingegen war seit dem Frühmittelalter die Begräbnisstätte in Werden (heute Stadt Essen), was bis heute gilt.
Die Marburger Elisabethkirche erfährt durch Matthias Müller („Similitudo Mariae. Die bildhafte Ausgestaltung der Marburger Elisabethkirche zum locus sanctus der Marien- und Elisabethverehrung") eine kunsthistorische Neubewertung. Der Autor legt den Leitgedanken, der die Gestaltung dieser Deutschordenskirche geprägt hat, nämlich die Integration des Elisabethkultes in den Kult der Gottesmutter, auf dem die religiöse Identität des Deutschen Ordens beruhte, neu aus.
Pilgerverkehr und Hospize behandelt Michel Pauly, spätmittelalterlichem Pilgerverkehr am und auf dem Oberrhein geht Peter Rückert nach. Norditalienische Pilgerhospize im 12. und 13. Jahrhundert untersucht Maria Pia Alberzoni.
Gritje Hartmann lässt zwei gelehrte Kleriker des späten 15. Jahrhunderts mit ihren Reiseberichten zu Wort kommen: die Jerusalempilger Wilhelm Tzewers und Pietro Casola, die - wie üblich - zu Schiff nach Jaffa fuhren. Als eigene literarische Quellengattung liegen aus dem späten Mittelalter zahlreiche Berichte von Jerusalempilgern vor, die nicht nur die beschwerliche und langwierige Schiffsreise schildern, sondern vor allem die Heiligen Stätten beschreiben und die - enttäuschten oder erfüllten Erwartungen - an deren Erleben reflektieren.
Abschließend handelt Mario Marrocchi über „Pilger, heilige Orte und Pilgerwege in der mittelalterlichen Toskana. Mit besonderer Berücksichtigung des Monte Amiata", eines Gebiets der südlichen Toskana. Hier hat das Kloster San Salvatore im Mittelalter eine dominierende Rolle als Durchgangsstation und Beherbergungszentrum für Rompilger gespielt.
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Döring, Alois, Frank, Thomas/Matheus, Michael/Reichert, Sabine (Hg.), Wege zum Heil. Pilger und Heilige Orte an Mosel und Rhein (Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz 67), Stuttgart 2009, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/frank-thomasmatheus-michaelreichert-sabine-hg.-wege-zum-heil.-pilger-und-heilige-orte-an-mosel-und-rhein-veroeffentlichungen-des-instituts-fuer-geschichtliche-landeskunde-an-der-universitaet-mainz-67-stuttgart-2009/DE-2086/lido/57d15e737128b3.15893384 (abgerufen am 21.01.2025)