Epochen
„Kulturpolitik ist älter als der Begriff“, hielt Karl Ditt in seiner großen Studie über die kulturellen Aktivitäten des Provinzialverbandes Westfalen zwischen Weimar und Hitler fest.[1] Und in der Tat ist der heute so geläufige wie selbstverständliche Begriff der „Kulturpolitik“ ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommender Terminus der modernen Politik- und Verwaltungssprache, der seinen wirklichen Durchbruch erst in der Weimarer Republik erzielte. Gleichsam werden die Provinzialverbände – höhere Kommunalbehörden, welche der preußische Staat seit den 1870/80er Jahren in seinen Provinzen gegründet hatte – in der Betrachtung Preußens als „Kulturstaat“ meist sträflich vernachlässigt, obwohl sie nach dem Umbruch zur Republik neben Integrationsfunktionen auch zunehmend kulturelle Aufgaben wie die Förderung von Kunst und Wissenschaft ausfüllten. So fehlt für die kulturellen Aktivitäten des Rheinischen Provinzialverbandes, dessen Aufgaben nach 1945 im Wesentlichen vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) übernommen wurden, nach wie vor eine mit Ditts Studie vergleichbare Darstellung.
Keinen Ersatz für eine solche, aber eine gewichtige Etappe auf dem Weg zu dieser Darstellung bildet der in den Beiheften der Bonner Jahrbücher erschienene Sammelband „Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945“, der die Erträge der gleichnamigen Tagung im LVR-LandesMuseum Bonn vom Juni 2018 nun zugänglich macht. In siebzehn Beiträgen widmet sich der Band der gesamten Bandbreite der Kulturpolitik, wie sie der rheinische Provinzialverband spätestens mit dem Umbruch zur Weimarer Demokratie und auch noch im Dritten Reich unter entsprechender Verschiebung der politisch-ideologischen Vorzeichen entwickelte. Dabei knüpft er nicht nur an die Forschungsanstrengungen des LVR zu seiner Vergangenheit und der Geschichte seiner Vorgängerinstitution an, sondern nimmt auch jüngere Impulse aus der Provenienzforschung und aktuellen Arbeiten zum Kulturschutz im Zweiten Weltkrieg auf – zwei zuletzt in der breiteren Öffentlichkeit viel diskutierte Themen. Damit weitet er den bisher üblichen Rahmen der historischen Betrachtung auf weitere Gebiete von Kulturpolitik aus, zu denen momentan intensiv geforscht wird und die spannende Ergenisse erwarten lassen.
Karl Ditt selbst macht mit seinem Aufsatz über die kulturellen Aktivitäten der preußischen Provinzialverbände den Einstieg und wirft ein Licht auf die neoromantischen Ursprünge regionalisierter Kulturpolitik, welche anfangs „die deutsche Kultur als ein Mosaik […] regionaler Stammeskulturen“ (S. 3) betrachtete und schließlich seit den Zwanziger Jahren im Kielwasser von „Volkstums-“ und neuerer Landesgeschichte auf das politisch instrumentalisierbare Konzept von „Kulturräumen“ zurückgriff. Viele Prozesse belegt Ditt naheliegenderweise mit westfälischen Beispielen, was auf der anderen Seite aber auch das Forschungsdefizit – nicht nur zum rheinischen Provinzialverband allein – verdeutlicht. Wolfgang Franz Werner streicht in seinem Überblick zur Kulturpolitik des rheinischen Verbandes den Instumentalcharakter von Kultur zwischen Demokratie und Diktatur heraus, der sich im Laufe der Zeit von einem „Mittel politischer Verteidigung“ (S. 13) in der Konsolidierungsphase der Republik zu einem „Mittel der politischen Revision“ (S.15) sowie der kulturpolitischen Expansion des Verbandes im Dritten Reich wandelte. Diese Expansion konstantiert Helmut Rönz auch im Verhältnis des Verbandes zur Universität Bonn, deren Vor- und Frühgeschichte genauso wie ihre Volkskunde als junge und ideologisch einsetzbare Disziplinen in besonderer Gunst der nationalsozialistischen Kultur- und Wissenschaftsförderer bei der Provinzialverwaltung standen. Die kulturpolitische Expansion des Verbandes machte jedoch an Provinz- und Staatsgrenzen nicht halt, wie Thomas Müller anhand der verdeckten Außenpolitik des Verbandes in seinen weslichen Nachbarstaaten oder Kim Bures-Kremser, Susanne Haendschke und weitere Autoren in Form des wohl organisierten Kunst- und Antiquitätenraubs veranschaulichen können. So erwarb allein das Wallraf-Richarz-Museum in den Jahren der NS-Diktatur 273 Gemälde, mit Hilfe von Kunsthändlern wie dem bekannt gewordenen Hildebrand Gurlitt auch aus dem besetzten Westen. Dort war es vor allem der Provinzialkonservator der Rheinprovinz, Franziskus Graf Wolff Metternich, der den militärischen Kunstschutz als auch die Ausfuhrkontrolle in Frankreich organisierte und dem Esther Heyer ein nahes Porträt seiner Person und Tätigkeit widmet.
Der hochwertige und dennoch erschwinglich gehaltene Band vertieft das bisherige Wissen über die Kulturpolitik des Rheinischen Provinzialverbandes um zahlreiche Aspekte nachhaltig und es wird schwierig sein, bei seinem Thema an ihm vorbeizukommen. Auf einigen Themenfeldern, deren Grenzen und Ausmaße immer noch schwer zu eruieren sind, wird allerdings auch größerer und systematischerer Forschungsbedarf deutlich. Für eine noch zu schreibende Gesamtdarstellung der Kulturpolitik des Verbandes wird der Band jedenfalls eine unentbehrliche Stütze sein.
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Schulz, René, Kulturpolitik der Rheinischen Provinzialverwaltung 1920 bis 1945. Tagung am 18. und 19. Juni 2018 im LVR-LandesMuseum Bonn in Kooperation mit dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte (Beihefte der Bonner Jahrbücher, Band 59), Darmstadt 2019, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/kulturpolitik-der-rheinischen-provinzialverwaltung-1920-bis-1945.-tagung-am-18.-und-19.-juni-2018-im-lvr-landesmuseum-bonn-in-kooperation-mit-dem-lvr-institut-fuer-landeskunde-und-regionalgeschichte-beihefte-der-bonner-jahrbuecher-band-59-darmstadt-2019/DE-2086/lido/5dce6e1ded8359.24219615 (abgerufen am 12.12.2024)