Klaus von Bismarck

WDR-Intendant, Präsident des Goethe-Instituts (1912-1997)

Birgit Bernard (Heidelberg)

Klaus von Bismarck, Porträtfoto. (© WDR im Bild/Dietmar Dünhöft, 1354648)

Klaus von Bis­marck war ge­lern­ter Land­wirt, Of­fi­zier, So­zi­al­amts­lei­ter, In­ten­dant des West­deut­schen Rund­funks, Vor­den­ker der „Neu­en Ost­po­li­ti­k“ und der Ver­stän­di­gung mit Ost­eu­ro­pa und Prä­si­dent des Goe­the-In­sti­tuts.

Klaus Hans Her­bert von Bis­marck ent­stamm­te dem ost­el­bisch-pro­tes­tan­ti­schen Land­adel. Am 6.3.1912 kam er auf dem zum Pfar­rort Jarch­lin (heu­te Jarch­li­no/Po­len) ge­hö­ren­den Gut Knie­phof (Ko­nar­ze­wo) in West­pom­mern zur Welt. Sei­ne El­tern wa­ren Gott­fried von Bis­marck (1881-1928) und Ger­trud Ko­ehn (ge­bo­ren 1890), die aus groß­bür­ger­li­chen Ber­li­ner Krei­sen in die Fa­mi­lie ein­ge­hei­ra­tet hat­te. Aus der Ehe gin­gen ne­ben dem „Stamm­hal­ter“ Klaus drei wei­te­re Söh­ne und zwei Töch­ter her­vor. Der Ur­gro­ßva­ter Bern­hard von Bis­marck (1810-1893) war ein Bru­der des Reichs­kanz­lers Fürst Ot­to von Bis­marck (1815-1898), der ei­nen Teil sei­ner Kind­heit auf Knie­phof ver­bracht hat­te. Bis­marcks Va­ter Gott­fried hat­te in Eng­land Mu­sik stu­diert, war an­glo­phil, in­ter­es­sier­te sich für Ar­chäo­lo­gie und war als Non­kon­for­mist laut Klaus von Bis­marck ei­ne „Fehl­far­be“ un­ter den ost­el­bi­schen Jun­kern.

 

Von 1925 bis 1931 be­such­te Klaus von Bis­marck das Hu­ma­nis­ti­sche Gym­na­si­um in Bad Do­beran. Wäh­rend die­ser Zeit lo­gier­te er bei sei­ner Gro­ß­mut­ter müt­ter­li­cher­seits, die sich wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges zu ei­ner glü­hen­den Pa­zi­fis­tin ent­wi­ckelt hat­te und in de­ren Bü­cher­schrank der jun­ge Bis­marck Li­te­ra­tur ent­deck­te, die, wie er mein­te, „nur schwer­lich in ei­nem hin­ter­pom­mer­schen Guts­haus zu fin­den ge­we­sen wä­re“, et­wa: Ber­tolt Brecht (1898-1956), Al­fred Dö­blin (1878-1857), Franz Kaf­ka (1883-1924), Erich Ma­ria Re­mar­que (1898-1970) oder Ro­sa Lu­xem­burg (1871-1919).

Nach dem Tod des Va­ters 1928 und dem Ab­itur im Jah­re 1931 be­gann Bis­marck ei­ne land­wirt­schaft­li­che Aus­bil­dung. Am 1.4.1934 trat er in das In­fan­te­rie-Re­gi­ment 4 in Kol­berg ein, zwei Jah­re spä­ter wur­de er zum Leut­nant der Re­ser­ve be­för­dert. Von der NS­DAP hielt Bis­marck sich fern, da ihm Adolf Hit­ler (1889-1945) nach ei­ge­nen Wor­ten wi­der­lich war. Im Früh­jahr 1939 quit­tier­te er den Dienst und ar­bei­te in ei­nem land­wirt­schaft­li­chen Mus­ter­be­trieb. Am 15.7.1939 hei­ra­te­te er Ruth-Ali­ce von We­de­mey­er (ge­bo­ren 1920). Aus der Ehe gin­gen acht Kin­der her­vor.

Von 1939 bis 1945 dien­te Bis­marck – ab­ge­se­hen von ei­ner Frei­stel­lung zur Ver­wal­tung des Fa­mi­li­en­be­sit­zes von Som­mer 1943 bis Herbst 1944 – als Of­fi­zier in der Wehr­macht, zu­letzt ab 1944 als Kom­man­deur des Gre­na­dier-Re­gi­ments 4; drei­mal wur­de er ver­wun­det und mit dem Ei­chen­laub zum Rit­ter­kreuz hoch­de­ko­riert. Per­sön­li­che und fa­mi­liä­re Kon­tak­te be­stan­den zu Ex­po­nen­ten des mi­li­tä­ri­schen Wi­der­stan­des wie Hen­ning von Tre­sckow (1901-1944), Fa­bi­an von Schla­b­ren­dorff (1907-1980) oder den Brü­dern Hans Bernd (1905-1944) und Wer­ner (1908-1944) von Ha­ef­ten be­zie­hungs­wei­se zur Be­ken­nen­den Kir­che: sei­ne Schwä­ge­rin Ma­ria von We­de­mey­er (1924-1977) war mit dem Theo­lo­gen Diet­rich Bon­hoef­fer (1906-1945) ver­lobt. Ob­wohl ihm ei­ne Mit­wir­kung am Wi­der­stand ge­gen das NS-Re­gime na­he­ge­legt wor­den sei, konn­te Bis­marck bis ins ho­he Al­ter kei­ne „schlüs­si­ge Er­klä­run­g“ für sei­ne ab­war­ten­de Hal­tung fin­den.

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1945 wur­de er per Schiff nach Schles­wig-Hol­stein eva­ku­iert und ge­riet dort in bri­ti­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Die Nach­richt von der Ka­pi­tu­la­ti­on nahm er nach ei­ge­nen Wor­ten mit Er­leich­te­rung auf. Schon früh ak­zep­tier­te er die Rea­li­tät des Ver­lus­tes der Ost­ge­bie­te und zog die ent­spre­chen­den Kon­se­quen­zen: auf dem Kir­chen­tag 1954 er­klär­te er sei­nen Ver­zicht auf Knie­phof. Im Jah­re 1961 ge­hör­te Bis­marck zu den Un­ter­zeich­nern des Tü­bin­ger Me­mo­ran­dums und fort­an zu den Ver­fech­tern der „Neu­en Ost­po­li­ti­k“ der Ära Wil­ly Brandt (1913-1992). Die Ver­söh­nung mit Ost­eu­ro­pa, ins­be­son­de­re mit Po­len, wur­de zu ei­nem Leit­the­ma sei­nes Wir­kens. Im De­zem­ber 1970 ge­hör­te Bis­marck der De­le­ga­ti­on an, die Bun­des­kanz­ler Wil­ly Brandt (Amts­zeit 1969-1974) zur Un­ter­zeich­nung des deutsch-pol­ni­schen Ver­tra­ges nach War­schau be­glei­te­te.

Glei­cher­ma­ßen prä­gend war sei­ne Wand­lung vom Kirch­gän­ger zum Chris­ten, sein En­ga­ge­ment beim Deut­schen Evan­ge­li­schen Kir­chen­tag (1949-1995), im Welt­kir­chen­rat (1961-1968) und sein de­zi­dier­ter Ein­satz für die Öku­me­ne und die Drit­te Welt.

Im Herbst 1945 wur­de Bis­marck Lei­ter des Ju­gend­am­tes des Land­krei­ses Her­ford, 1946 Lei­ter des Ju­gend­ho­fes in Vlo­tho und 1949 Lei­ter des So­zi­al­am­tes der Evan­ge­li­schen Kir­chen in Vil­ligst. Am 17.12.1960 wur­de der par­tei­lo­se Bis­marck vom Ver­wal­tungs­rat des WDR zum In­ten­dan­ten ge­wählt. Er üb­te das Amt über drei Amts­pe­ri­oden bis zum 30.2.1976 aus.

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Prä­gen­de Ent­wick­lun­gen der Ära Bis­marck im WDR war der Aus­bau der in­ner­be­trieb­li­chen Mit­be­stim­mung, die Zü­ge­lung der Be­gehr­lich­kei­ten po­li­ti­scher Par­tei­en nach Ein­fluss­nah­me auf das Pro­gramm und Stel­len­be­set­zun­gen, das hei­ßt die Wah­rung der Un­ab­hän­gig­keit des Sen­ders, und schlie­ß­lich die stür­mi­sche Ent­wick­lung des neu­en Me­di­ums, des Fern­se­hens. In der Ära Bis­marck ver­dop­pel­te sich die Zahl der fest­an­ge­stell­ten Mit­ar­bei­ter von 2.000 auf 4.000. Par­al­lel da­zu stieg der Raum­be­darf für Bü­ros, Fern­seh­stu­di­os und den Aus­stat­tungs­be­trieb mit Neu­bau­ten in der Köl­ner In­nen­stadt (Vier­schei­ben­haus, Film­haus) so­wie auf dem Pro­duk­ti­ons­ge­län­de in Köln-Bock­le­münd.

Auch beim WDR war Bis­marck um die Ver­bes­se­rung der Be­zie­hun­gen zu Ost­eu­ro­pa be­dacht. 1964 reis­te er zu Ver­hand­lun­gen über ei­nen Pro­gramm- und Kul­tur­aus­tausch mit dem pol­ni­schen Rund­funk nach War­schau und be­such­te das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Aus­schwitz. In Bis­marcks Amts­zeit fällt die Grün­dung der ARD-Bü­ros War­schau (1961).

Ak­ten mit „Um­strit­te­nen Sen­dun­gen“ aus Bis­marcks In­ten­danz fül­len gan­ze Re­gal­me­ter. Sie do­ku­men­tie­ren Be­schwer­den über Sen­dun­gen des „Rot­funks“ und die Ver­su­che zur Ein­fluss­nah­me sei­tens der po­li­ti­schen Par­tei­en oder von Lob­by­grup­pen, aber auch Bis­marcks de­zi­dier­tes Ein­tre­ten für die Frei­heit der Mei­nungs­äu­ße­rung und das li­be­ra­le Pro­fil des Sen­ders. Fern­seh­di­rek­tor Wer­ner Hö­fer brach­te dies in sei­ner Ab­schieds­re­de auf den Punkt, wenn er aus­führ­te: „Sie ha­ben – manch­mal ge­gen ih­ren Ge­schmack, nie ge­gen ihr Ge­wis­sen, schon gar nicht ge­gen ih­re Ver­ant­wor­tung – den Pro­gramm­ma­chern je­de Frei­heit ge­las­sen, die Ge­setz und Auf­trag ge­stat­ten, wenn nicht ver­lan­gen.“

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1977 wur­de Klaus von Bis­marck Prä­si­dent des Goe­the-In­sti­tuts in Mün­chen, ein Amt, das er bis 1989 be­klei­de­te. Auch hier stand der Aus­bau der Be­zie­hun­gen nach Ost- und Süd­ost­eu­ro­pa – et­wa mit der Er­öff­nung von In­sti­tu­ten in Un­garn und Ru­mä­ni­en - und die Wah­rung der po­li­ti­schen Un­ab­hän­gig­keit der Bil­dungs­ar­beit im Zen­trum sei­nes In­ter­es­ses.

An­läss­lich ei­ner Rei­se nach Minsk im Jah­re 1986 be­such­te Bis­marck die Ge­denk­stät­te Ka­tyn. Der Be­such ge­riet für ihn zum „Scho­ck“, der den My­thos von der „sau­be­ren Wehr­mach­t“ bei ihm ins Wan­ken brach­te und die Er­kennt­nis be­för­der­te, auf ei­ner „In­sel des Selbst­be­trugs“ ge­lebt zu ha­ben. Im März 1995 er­öff­ne­te er in Ham­burg die Aus­stel­lung „Ver­nich­tungs­krieg. Kriegs­ver­bre­chen der Wehr­macht 1941-1944“, die „Wehr­machts­aus­stel­lun­g“ des Ham­bur­ger In­sti­tuts für So­zi­al­for­schung.

Klaus von Bis­marck starb am 22.5.1997 in Ham­burg.

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„Es gibt ei­nen Grad an in­ne­rer Un­ab­hän­gig­keit jen­seits des­sen es ei­gent­lich kei­ne Rol­le mehr spielt, ob je­mand links oder rechts, alt oder jung ist. Eben­die­se in­ne­re Sou­ve­rä­ni­tät zeich­ne­te Klaus von Bis­marck aus...“, be­ginnt Ro­bert Leicht sei­nen Nach­ruf auf Klaus von Bis­marck vom 30.5.1997 in der „Zeit“. Dem ist nichts hin­zu­zu­fü­gen. Klaus von Bis­marck, Trä­ger des Gro­ßen Bun­des­ver­dienst­kreu­zes mit Stern und Schul­ter­band (1989) ge­hört zu den her­aus­ra­gen­den, ge­sell­schafts­po­li­tisch prä­gen­den Per­sön­lich­kei­ten der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te.

Werke

Auf­bruch aus Pom­mern. Er­in­ne­run­gen und Per­spek­ti­ven, Mün­chen 1992.

Literatur

Lo­renz, Klaus-Pe­ter, Die De­mo­kra­ten-Ma­cher. Po­li­ti­sche Bild­ner im Nach­kriegs­deutsch­land. Das Bei­spiel Ju­gend­hof Vlo­tho 1946–1949, Es­sen 2004.
Schmid, Jo­sef, „Ich füh­le mich in Dienst ge­nom­men“. Klaus von Bis­marck in Äu­ße­run­gen zu Zeit­fra­gen seit 1945, Mün­chen 2000.
Schmid, Jo­sef, „Wir ha­ben auf ei­ner In­sel des Selbst­be­trugs ge­leb­t“. Klaus von Bis­marcks Weg vom Dienst in der Wehr­macht zur Er­öff­nung der „Wehr­machts­aus­stel­lun­g“ 1995 in Ham­burg, in: Zwi­schen Fremd- und Feind­bil­dern, hg. von Jen­ni­fer Was­muth, Müns­ter 2000, S. 33-49.

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Zitationshinweis

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Bernard, Birgit, Klaus von Bismarck, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/klaus-von-bismarck-/DE-2086/lido/57c583816b8971.70468958 (abgerufen am 28.03.2024)