Carl d'Ester

Publizist (1813-1895)

Björn Thomann (Suderburg)

Carl d'Ester, Porträt, Lithographie, um 1848/1849.

Carl d’Es­ter zähl­te in den 1840er Jah­ren zu den be­deu­ten­den Prot­ago­nis­ten der re­pu­bli­ka­nisch-so­zia­lis­ti­schen Op­po­si­ti­ons­be­we­gung in der Rhein­pro­vinz. 1848 in die Preu­ßi­sche Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt, sah er sich nach dem Zu­sam­men­bruch der Ba­di­schen Re­vo­lu­ti­on 1849 zur Flucht in die Schweiz ge­zwun­gen, wo er bis zu sei­nem Tod als Arzt wirk­te.

Carl Lud­wig Jo­hann d’Es­ter wur­de am 4.11.1813 in Val­len­dar als Sohn des Kauf­manns und Le­der­fa­bri­kan­ten Theo­dor d’Es­ter (1766-1827) und des­sen Frau The­re­sia von Pidoll ge­bo­ren. Nach dem Be­such des Gym­na­si­ums in Ko­blenz im­ma­tri­ku­lier­te er sich am 28.10.1831 an der me­di­zi­ni­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn, wo er noch im glei­chen Se­mes­ter Auf­nah­me in die Bur­schen­schaft Ger­ma­nia fand. Die For­de­run­gen der bur­schen­schaft­li­chen Be­we­gung nach Volks­sou­ve­rä­ni­tät, Pres­se­frei­heit und na­tio­na­ler Ein­heit soll­ten sich für sei­nen wei­te­ren Le­bens­weg als prä­gend er­wei­sen.

Zwi­schen Sep­tem­ber 1832 und Ok­to­ber 1833 stu­dier­te d’Es­ter zwei Se­mes­ter in Hei­del­berg, kehr­te aber zum Win­ter­se­mes­ter 1833/1834 nach Bonn zu­rück, um dort sei­ne Stu­di­en ab­zu­schlie­ßen. Zeit­gleich ge­riet er aber nach dem ge­schei­ter­ten Frank­fur­ter Wa­chen­sturm we­gen sei­ner Zu­ge­hö­rig­keit zur Bur­schen­schaft in das Vi­sier der preu­ßi­schen Jus­tiz. Ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren we­gen Hoch­verr­rats zu Be­ginn des Jah­res 1834 ver­lief al­ler­dings er­geb­nis­los, so dass d’Es­ter sein Stu­di­um fort­set­zen konn­te. Am 21.11.1835 pro­mo­vier­te er mit ei­ner Ar­beit über die „Sym­pto­me der Rü­cken­markser­kran­kun­g“ in Bonn zum Dok­tor der Me­di­zin.

Nach sei­ner Ap­pro­ba­ti­on zum Wun­d­arzt und Ge­burts­hel­fer nahm d’Es­ter 1838 ei­ne Stel­le als Ar­men­arzt in Köln an. Hier wur­de er mit den Schat­ten­sei­ten der ein­set­zen­den In­dus­tria­li­sie­rung kon­fron­tiert: Mas­sen­ver­elen­dung, Über­völ­ke­rung und Seu­chen be­stimm­ten das Bild ei­ner Stadt, die zu ei­nem Zen­trum der an­ti­preu­ßi­schen Op­po­si­ti­on in der Rhein­pro­vinz wer­den soll­te. Mit ei­nem Ge­halt von 130 Ta­lern leb­te d’Es­ter selbst un­ter äu­ßerst be­schei­de­nen ma­te­ri­el­len Ver­hält­nis­sen. Die Si­tua­ti­on än­der­te sich aber be­reits 1839, als er die aus En­de­nich (heu­te Stadt Bonn) stam­men­de, ver­mö­gen­de Guts­be­sit­zer­toch­ter Eleo­no­re Hen­ri­et­te Ma­xi­mi­lia­ne Koch hei­ra­te­te.

Mit Be­ginn der 1840er Jah­re wand­te sich d’Es­ter ver­stärkt so­zia­lis­ti­schen und kom­mu­nis­ti­schen Ide­en zu. In Köln hielt er en­gen Kon­takt zu Karl Marx, Fried­rich En­gels und Mo­ses Heß. Ih­re ge­sell­schafts­theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen soll­ten zwar nicht oh­ne Ein­fluss auf ihn blei­ben, in sei­nem künf­ti­gen pu­bli­zis­ti­schen und po­li­ti­schen Han­deln er­wies er sich je­doch stets als Prag­ma­ti­ker: Ge­tra­gen von dem Be­stre­ben, auf die Le­bens­be­din­gun­gen der so­zia­len Un­ter­schicht und auf das Elend ge­sell­schaft­li­cher Rand­grup­pen auf­merk­sam zu ma­chen, sorg­te be­reits 1842 sei­ne Schrift „Ein Wort über die öf­fent­li­che Ir­ren­pfle­ge“, ein Zu­stands­be­richt der Ver­hält­nis­se in der Sieg­bur­ger Ir­ren­an­stalt, für Auf­se­hen über die Gren­zen der Rhein­pro­vinz hin­aus. Im No­vem­ber 1845 er­schien mit dem Ar­ti­kel „Die Ar­bei­ten in den Ge­fan­ge­nen­häu­sern“ ei­ne nicht we­ni­ger dras­ti­sche Schil­de­rung der Le­bens­be­din­gun­gen von Häft­lin­gen.

1842 trat d’Es­ter dem so­zia­lis­ti­schen Köl­ner „Mon­tags­kränz­chen“ bei und wur­de Mit­ak­tio­när der li­be­ra­len „Rhei­ni­schen Zei­tun­g“, der Karl Marx seit 1843 als Re­dak­teur vor­stand. Am 10.11.1844 ge­hör­te er zu den Grün­dungs­mit­glie­dern des „Ver­eins zur Ab­hül­fe der au­gen­blick­li­chen Not­h“ für Köln und Deutz (heu­te Stadt Köln) und wur­de 1845 in den Vor­stand des Köl­ner Ge­wer­be­ver­eins ge­wählt, in dem er ab 1846 das Amt des Se­kre­tärs be­klei­de­te. Zeit­gleich in­ten­si­vier­te er sei­ne pu­bli­zis­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten, schrieb un­ter an­de­rem Ar­ti­kel für so­zia­lis­ti­sche Zeit­schrif­ten wie dem „Ge­mein­nüt­zi­gen Wo­chen­blat­t“ und dem 1845 von En­gels ge­grün­de­ten „All­ge­mei­nen Volks­blat­t“. 1847 wur­de er auf In­itia­ti­ve von Marx und En­gels in die Köl­ner Ge­mein­de des Bun­des der Kom­mu­nis­ten auf­ge­nom­men.

Als über­aus po­pu­lä­rer Ver­tre­ter der In­ter­es­sen der un­te­ren ge­sell­schaft­li­chen Klas­sen be­warb sich d’Es­ter 1846 um ein Man­dat im Köl­ner Stadt­rat. Im Vor­feld der Wah­len war die Stim­mung in der Stadt an­ge­spannt, der Un­wil­le wei­ter Be­völ­ke­rungs­tei­le ge­gen­über der preu­ßi­schen Ob­rig­keit nahm ste­tig zu. Die Staats­macht zeig­te sich im Ge­gen­zug ent­schlos­sen, den zu­neh­men­den Wi­der­stand not­falls ge­walt­sam zu un­ter­drü­cken. Ein blu­ti­ger Zwi­schen­fall wäh­rend der tra­di­tio­nel­len Bri­git­ten­kir­mes in der Pfar­rei St. Mar­tin am 4.8.1846 soll­te die La­ge wei­ter ver­schär­fen. Preu­ßi­sche Sol­da­ten wa­ren, nach über­ein­stim­men­den Zeu­gen­aus­sa­gen, will­kür­lich ge­gen ei­ne un­be­waff­ne­te Men­schen­men­ge vor­ge­gan­gen. Ein Fass­bin­der­ge­sel­le fand da­bei den Tod, zahl­rei­che wei­te­re Per­so­nen wur­den schwer ver­letzt.

Da die zu­stän­di­gen Be­hör­den sich in der Fol­ge schüt­zend vor die be­tei­lig­ten Sol­da­ten stell­ten, bil­de­te sich ei­ne un­ab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on zur Un­ter­su­chung der Vor­fäl­le, in die auch d’Es­ter ge­wählt wur­de – ei­ne Pro­vo­ka­ti­on der Staats­macht, aber auch der sie stüt­zen­den städ­ti­schen Ober­schicht. Nach 1834 muss­te sich d’Es­ter zum zwei­ten Mal ei­nem po­li­zei­li­chen Un­ter­su­chungs­ver­fah­ren un­ter­zie­hen, wel­ches je­doch er­neut zu sei­nen Guns­ten aus­ging und sich auf sei­ne Po­pu­la­ri­tät letzt­lich för­der­lich aus­wirk­te: Im Ok­to­ber 1846 wur­de er ne­ben Franz Ra­veaux und zwei wei­te­ren De­mo­kra­ten zum Köl­ner Stadt­ver­ord­ne­ten ge­wählt. Die re­vo­lu­tio­nä­ren Er­eig­nis­se des Jah­res 1848 bo­ten d’Es­ter schlie­ß­lich die Mög­lich­keit, sei­nen po­li­ti­schen Wir­kungs­kreis er­heb­lich zu er­wei­tern. Am 18. Mai wur­de er als Ab­ge­ord­ne­ter des Krei­ses May­en in die Preu­ßi­sche Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt, wo er sich dem La­ger der äu­ßers­ten Lin­ken an­schloss. Die noch in sei­ner Zeit als Stadt­ver­ord­ne­ter von ihm ver­fass­te „Köl­ner Pe­ti­ti­on des Vol­kes“ mit ih­ren For­de­run­gen nach Volks­sou­ve­rä­ni­tät, all­ge­mei­nem Wahl­recht, Volks­be­waff­nung, Pres­se-, Re­de- und Ver­samm­lungs­frei­heit bil­de­te die Grund­la­ge sei­ner par­la­men­ta­ri­schen Tä­tig­keit. Wie im Köl­ner Ge­mein­de­rat zähl­te er auch in der Na­tio­nal­ver­samm­lung zu den ak­tivs­ten De­bat­ten­red­nern, wo­bei er nicht zu­letzt die kon­kre­ten Nö­te der un­te­ren so­zia­len Schich­ten in Preu­ßen, bei­spiels­wei­se der in­dus­tri­el­len Ar­bei­ter im Kreis Ra­vens­berg oder der Wein­bau­ern an der Mo­sel, im Blick be­hielt und sich für ih­re Be­lan­ge stark mach­te.

Als schlag­fer­tig und prag­ma­tisch gel­tend, je­doch auch zur Cho­le­rik nei­gend, bot er sei­nen Geg­nern zahl­rei­che An­griffs­flä­chen: Mit sei­ner „auf­sta­cheln­den Dreis­tig­keit“, so zu le­sen in ei­ner Spott­schrift des Jah­res 1849, ha­be der „Re­vo­lu­ti­ons-Di­let­tan­t“ „gern den par­la­men­ta­ri­schen Don­ne­rer à la Mi­ra­beau ge­spiel­t“. Je­doch hät­ten ihn „die Schwä­che sei­nes hei­sern Or­gans und das gan­ze Mi­nia­tur­bild sei­ner Er­schei­nung dar­an ge­hin­der­t“.

Mit sei­ner ent­schie­den an­ti­mon­ar­chi­schen Po­si­tio­nie­rung und sei­nen For­de­run­gen nach ei­ner Be­sei­ti­gung der be­ste­hen­den hier­ar­chi­schen Ge­sell­schafts­struk­tu­ren schuf er sich im all­mäh­lich er­star­ken­den kon­ser­va­ti­ven La­ger ge­fähr­li­che Fein­de. Je­doch ge­noss er trotz al­ler Dif­fe­ren­zen auch bei sei­nen par­la­men­ta­ri­schen Geg­nern, nicht zu­letzt durch sei­ne Ent­wür­fe für ei­ne neue preu­ßi­sche Ge­mein­de­ord­nung, ei­ne ge­wis­se An­er­ken­nung. Für Auf­se­hen sorg­ten auch sein Ein­tre­ten für ei­ne hu­ma­ne Be­hand­lung pol­ni­scher Ge­fan­ge­ner nach der Nie­der­schla­gung des Po­se­ner Auf­stan­des im Ju­ni so­wie sein lei­den­schaft­li­ches Plä­doy­er für die Ab­schaf­fung der To­des­stra­fe im Au­gust 1848.

Nach der Ver­ta­gung der Preu­ßi­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung am 27.11.1848 kon­zen­trier­te d’Es­ter sich zu­nächst wie­der auf sei­ne pu­bli­zis­ti­sche Ar­beit. Mit Adolf He­xa­mer (1824-1859) und Graf Edu­ard von Rei­chen­bach (1812-1869) grün­de­te er die Zeit­schrift „de­mo­kra­ti­scher Ur­wäh­ler“, die bis zum Fe­bru­ar 1849 in fünf Aus­ga­ben er­schien. Als Ab­ge­ord­ne­ter des Krei­ses May­en wur­de er zur glei­chen Zeit in die Zwei­te Kam­mer ge­wählt. In sei­nen Re­den und Wort­bei­trä­gen üb­te er dort, un­be­ein­druckt von den zu­neh­men­den Re­pres­sa­li­en der preu­ßi­schen Ge­heim­po­li­zei, schar­fe Kri­tik an der ok­troy­ier­ten Ver­fas­sung und den ge­plan­ten Ein­schrän­kun­gen der Ver­samm­lungs­frei­heit. Auch das Be­mü­hen ei­ni­ger Ab­ge­ord­ne­ter, den preu­ßi­schen Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. (Re­gent­schaft 1840-1858) doch noch zur An­nah­me der deut­schen Kai­ser­kro­ne zu be­we­gen, lehn­te er mit Ent­schie­den­heit ab.

Mit der Auf­lö­sung der Zwei­ten Kam­mer am 27.4.1849 en­de­te d’Es­ters par­la­men­ta­ri­sche Lauf­bahn. Als „höchst ge­fähr­li­ches Sub­jek­t“ steck­brief­lich ge­sucht, ver­moch­te er sich der dro­hen­den Ver­haf­tung noch recht­zei­tig zu ent­zie­hen. Auf sei­ner Flucht ge­lang­te er nach Kai­sers­lau­tern, wo er sich der pfäl­zi­schen Volks­ar­mee an­schloss. Nach der Nie­der­schla­gung des Ba­di­schen Auf­stan­des ent­kam er im Ju­li 1849 in die Schweiz. Die dro­hen­de Aus­lie­fe­rung an Preu­ßen – 1852 wur­de er in Ab­we­sen­heit in Köln des Hoch­ver­rats für schul­dig be­fun­den und zum To­de ver­ur­teilt – konn­te durch das en­er­gi­sche Ein­tre­ten der Frei­bur­ger Kan­tons­re­gie­rung ver­hin­dert wer­den.

Seit 1850 leb­te d’Es­ter in Châ­tel-Saint-De­nis, wo er das Schwei­zer Bür­ger­recht er­lang­te und nach neu­er­li­cher Ap­pro­ba­ti­on bis zu sei­nem Tod als Be­zirks­arzt wirk­te. Ob­wohl er zu­nächst noch Kon­takt zu dem in Lon­don re­or­ga­ni­sier­ten Bund der Kom­mu­nis­ten hielt, zog er sich von der Po­li­tik bald voll­stän­dig zu­rück.

Carl d’Es­ter starb am 18.6.1859 in Châ­tel-Saint-De­nis. Auf sei­nem Grab ließ der Deut­sche Na­tio­nal­ver­ein in Ve­vey „dem bra­ven Pa­trio­ten“ d’Es­ter 1863 ei­nen Ge­denk­stein er­rich­ten.

Werke

De se­mio­lo­gia me­dul­lae spi­na­lis, Dis­ser­ta­ti­ons­schrift, Bonn 1835.
Ein Wort über die öf­fent­li­che Ir­ren­pfle­ge, Köln 1842.
Der Kampf der De­mo­kra­tie und de­s­ ­Ab­so­lu­tis­mus in der Preu­ßi­schen con­stui­ren­den Ver­samm­lung 1848, Mann­heim 1849.

Literatur

d’Es­ter, Karl, Schwarz auf Weiß. Ein Le­ben für die Ju­gend, die Wis­sen­schaft und die Pres­se, Mün­chen 1951.
Kop­petsch, Axel, Carl d’Es­ter (1813-1859), in: Da­scher, Ott­fried/Klei­nertz, Ever­hard (Hg.), Pe­ti­tio­nen und Bar­ri­ka­den. Rhei­ni­sche Re­vo­lu­tio­nen 1848/49, Müns­ter 1998, S. 317-322.
Kos­zyk, Kurt, Carl d’Es­ter (1813-1859), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 11 (1988), S. 149-165.
Kos­zyk, Kurt, Carl d’Es­ter als Ge­mein­de­rat und Par­la­men­ta­ri­er (1846-1849), in: Ar­chiv für So­zi­al­ge­schich­te 1 (1960), S. 43-60.

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Carl d'Ester, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-dester-/DE-2086/lido/57c6932170dfa5.40357836 (abgerufen am 19.04.2024)