Heinrich und Franz Zimmermann

Pioniere der chemischen Industrie Wesseling (1846-1899)/(1852-1909)

Wolfgang Drösser (Brühl)

Heinrich Zimmermann, Porträtfoto. (Unternehmensarchiv Evonik)

Die Brü­der Zim­mer­mann gel­ten als Pio­nie­re der che­mi­schen In­dus­trie in Deutsch­land. In Wes­se­ling be­grün­de­ten sie nicht nur ei­nes der grö­ß­ten In­dus­trie­zen­tren im Rhein­land, son­dern er­grif­fen auch um­fang­rei­che Maß­nah­men zur so­zia­len Ab­si­che­rung und zur He­bung der Le­bens­qua­li­tät ih­rer Ar­bei­ter und de­ren Fa­mi­li­en.

Hein­rich und Franz Zim­mer­mann wur­den als Söh­ne des Wirts und Brannt­wein­bren­ners Hein­rich Zim­mer­mann 1846 be­zie­hungs­wei­se 1852 in Köln ge­bo­ren. Spä­tes­tens seit Hein­rich Zim­mer­mann ab 1860 die Kö­nig­li­che Pro­vin­zi­al-Ge­wer­be­schu­le zu Köln be­such­te, wur­de sei­ne be­son­de­re Vor­lie­be für die Che­mie deut­lich. So wird ihm im Ab­schluss­zeug­nis von 1863 at­tes­tiert: „In der Che­mie und zwar im gan­zen Ge­bie­te der un­or­ga­ni­schen Che­mie hat er sich gründ­li­che Kennt­nis­se er­wor­ben (…)" so­wie „Bei den prak­ti­schen Ue­bun­gen im che­mi­schen La­bo­ra­to­ri­um und wäh­rend sei­ner frei­en Zeit hat er sich mit der Zu­sam­men­stel­lung und dem Ge­brau­che der Ap­pa­ra­te, so­wie mit der Be­nut­zung der che­mi­schen Re­agen­ti­en in ho­hem Gra­de ver­traut ge­macht."

 

An­schlie­ßend be­such­te er sechs Se­mes­ter die kö­nig­li­che Ge­wer­be-Aka­de­mie zu Ber­lin bis zum 25.7.1866. Hier wur­den ihm auf dem Ab­gangs­zeug­nis für die „Ar­bei­ten im an­or­ga­ni­schen La­bo­ra­to­ri­um" gu­te, im „Ent­wer­fen von che­mi­schen An­la­gen" so­gar sehr gu­te Leis­tun­gen be­schei­nigt. So ver­wun­dert es nicht, dass er un­mit­tel­bar nach Be­en­di­gung sei­nes Stu­di­ums ei­ne An­stel­lung fand. Zu­nächst ar­bei­te­te er als Che­mi­ker und Komp­to­rist in der Zu­cker­fa­brik C. Pfeif­fer & Co. in Köln-Os­sen­dorf, ehe er 1868 nach Aa­chen ging. Nach wei­te­ren Sta­tio­nen als In­ge­nieur und Hüt­ten­di­rek­tor wur­de er 1873 Be­triebs­lei­ter des Alaun­wer­kes Frei­en­wal­de (Oder). Die­ses Werk ge­hör­te zum Kom­plex der „Che­mi­schen Fa­brik Kun­heim & Co.". Schon zwei Jah­re spä­ter be­rief de­ren In­ha­ber Hu­go Kun­heim (1838-1897) den be­gab­ten Che­mi­ker zum Be­triebs­lei­ter des Ber­li­ner Wer­kes.

In die­ser Funk­ti­on mach­te Hein­rich Zim­mer­mann ei­ne grund­le­gen­de Ent­de­ckung. Die Fa­brik in Ber­lin ver­ar­bei­te­te „Gas­was­ser", das als Ab­fall­pro­dukt bei der Ge­win­nung von Leucht­gas für die Stra­ßen­be­leuch­tung ent­stand. Kun­heim & Co. ge­wan­nen aus dem „Gas­was­ser" Am­mo­ni­ak. Bei ei­ner neue­ren Me­tho­de wur­de na­tür­li­ches Ei­sen­erz zur Gas­rei­ni­gung ver­wen­det. Hein­rich Zim­mer­mann soll­te nun die­ses Ab­fall­pro­dukt auf zu ge­win­nen­de Che­mi­ka­li­en un­ter­su­chen. Da­bei stieß er auf Cyan und Schwe­fel – Che­mi­ka­li­en, die in be­son­ders ho­her Kon­zen­tra­ti­on in die­sem „Ab­fall" vor­han­den wa­ren. Dar­auf­hin ent­wi­ckel­te der jun­ge Che­mi­ker ein Ver­fah­ren, durch das aus der Gas­rei­ni­gungs­mas­se das be­gehr­te gel­be Blut­lau­gen­salz (Fer­ro­cy­an­ka­li­um), sprich Gelb­ka­li, ge­won­nen wer­den konn­te. Gelb­ka­li wur­de be­nö­tigt, um ei­nen wich­ti­gen Farb­stoff, das „Ber­li­ner Blau", auch „Preu­ßisch-Blau" oder „Pa­ri­ser Blau" ge­nannt, her­zu­stel­len. Durch die­se Ent­de­ckung konn­te aus wert­lo­sem Ab­fall das kost­ba­re gel­be Salz, oder wie in Wes­se­ling kol­por­tiert wur­de, „Gold aus Dreck" ge­won­nen wer­den. Das Deut­sche Reich­s­pa­tent Nr. 26884 ga­ran­tier­te Hein­rich Zim­mer­mann das Ur­he­ber­recht.

Doch bei der in­dus­tri­el­len Ver­ar­bei­tung der Gas­rei­ni­gungs­mas­se in Ber­lin zeig­te sich bald ein Pro­blem. Die Trans­port­kos­ten für das vor al­lem in den Ko­ke­rei­en an der Ruhr an­fal­len­de Ab­fall­pro­dukt wa­ren auf­grund der wei­ten Ent­fer­nung zur Reichs­haupt­stadt zu hoch. So ent­schloss sich Hein­rich Zim­mer­mann, ei­ne neue Fa­brik in West­deutsch­land auf­zu­bau­en. Er­staun­lich war, dass er die­sen mu­ti­gen Schritt oh­ne sei­nen bis­he­ri­gen Chef und För­de­rer tat, und Kun­heim ihm trotz­dem in Freund­schaft ver­bun­den blieb. Der Um­stand, dass der an­ge­hen­de In­dus­tri­el­le Wes­se­ling zum neu­en Stand­ort aus­wähl­te, mag auch sei­ner Ver­bun­den­heit zu sei­ner Hei­mat­stadt Köln ge­schul­det ge­we­sen sein. In­ner­halb der Stadt wa­ren die Grund­stü­cke je­doch zu teu­er. Dann spiel­te der Zu­fall ei­ne Rol­le. Hein­richs Schwä­ge­rin Eli­se von The­nen las in ei­nem Zei­tungs­in­se­rat von ei­nem „für ein Fa­brik­et­a­blis­se­ment ge­eig­ne­ten Ge­län­de in Wes­se­ling am Rhein". Hein­rich sag­te das Ge­län­de zu. Eli­ses Va­ter, Eber­hard von The­nen, hat­te durch den Ver­kauf von Län­de­rei­en im spä­te­ren Köl­ner Vor­ort Eh­ren­feld ein Ver­mö­gen ver­dient und konn­te so sei­ner Toch­ter ei­ne be­acht­li­che Mit­gift ge­ben, als sie Hein­richs Bru­der Franz, sei­nes Zei­chens Kauf­mann, ehe­lich­te. Das in die Ehe ein­ge­brach­te Ver­mö­gen dien­te jetzt zum Auf­bau der Fa­brik. Franz Zim­mer­mann trat als ge­lern­ter Kauf­mann mit in das Un­ter­neh­men ein. Bei­de Brü­der er­gänz­ten sich in idea­ler Wei­se: Hein­rich brach­te sei­ne Fä­hig­kei­ten als Che­mi­ker und Tech­ni­ker ein, Franz sei­ne Aus­bil­dung als Kauf­mann und das Geld sei­ner Frau.

Die neue Fa­brik wur­de am 1.5.1880 in das Han­dels­re­gis­ter des Amts­ge­richts Bonn als „H. & F. Zim­mer­mann" ein­ge­tra­gen. Doch die Kon­zes­si­on zur Ver­ar­bei­tung der Gas­rei­ni­gungs­mas­se wur­de erst am 9.2.1881 er­teilt, weil 17 Ein­sprü­che die Ge­neh­mi­gung ver­zö­gert hat­ten: Das in Wes­se­ling er­wor­be­ne Fa­brik­ge­bäu­de der ehe­ma­li­gen Pa­pier­fa­brik Heymann lag im Dorf an zen­tra­ler Stel­le, so dass die Wes­se­lin­ger nicht zu Un­recht ei­ne Be­ein­träch­ti­gung ih­rer Le­bens­qua­li­tät be­fürch­te­ten. Tat­säch­lich ver­ur­sach­te die am Ran­de der Land­stra­ße ab­ge­la­ger­te, aus­ge­beu­te­te Mas­se ei­nen un­an­ge­nehm nach Schwe­fel rie­chen­den Ge­stank.

Schnell blüh­te das neue Un­ter­neh­men auf. Schon bald war das Ge­län­de der ehe­ma­li­gen Heym­an­schen Fa­brik zu klein. Des­halb er­warb man 1883 das am nörd­li­chen Dorf­aus­gang lie­gen­de Grund­stück am Sand­berg. Doch erst nach zehn Jah­ren, 1893, konn­te der ge­sam­te Be­trieb auf das neue Ge­län­de ver­la­gert wer­den. Im­mer neue An­la­gen wur­den er­rich­tet. Den Ab­schluss die­ser Aus­bau­pha­se im Jah­re 1900 soll­te Hein­rich Zim­mer­mann aber nicht mehr er­le­ben. Auf der Rück­fahrt von ei­ner Ita­li­en­rei­se starb er am 26.7.1899 in Ba­sel. Sein Sohn Jo­sef trat für ihn in die Fir­ma ein, ob­wohl er sein Che­mie­stu­di­um noch nicht be­en­det hat­te. Hein­richs Bru­der Franz blieb der Fir­ma als „her­vor­ra­gen­der Kauf­mann und un­er­müd­li­cher Or­ga­ni­sa­tor" bis zu sei­nem To­de 1909 er­hal­ten.

  Be­deu­tend wa­ren die­se Pio­nie­re der che­mi­schen In­dus­trie auch auf so­zi­al­po­li­ti­schem Ge­biet. Als ka­tho­li­sche Un­ter­neh­mer fühl­ten sie sich für ih­re Be­leg­schaft ver­ant­wort­lich, auch wenn da­mit po­li­ti­sche Ziel­set­zun­gen ver­bun­den wa­ren. 1894 leg­te Hein­rich Zim­mer­mann in ei­nem Me­mo­ran­dum an den Wes­se­lin­ger Bür­ger­meis­ter Pe­ter Jo­seph An­ton Klein sei­ne An­sicht „zur Be­kämp­fung der So­zi­al­de­mo­kra­tie" dar: Ne­ben der Be­to­nung der Rol­le der (ka­tho­li­schen) Kir­che bei die­ser Auf­ga­be sah er als ent­schei­dend an, dass „der Ar­bei­ter ei­nen ge­nü­gen­den Lohn er­hal­te"; „wenn Krank­heit und Noth kommt muß der Ar­me beim Wohl­ha­ben­den, der Ar­bei­ter beim Ar­beit­ge­ber ein mit­füh­len­des Herz fin­den und Hil­fe er­hal­ten mit Rat und in der Tat. Das Fa­mi­li­en­le­ben muß ge­för­dert wer­den."

Die­sen pro­gram­ma­ti­schen Äu­ße­run­gen ent­spre­chend ver­hiel­ten sich die Brü­der. So wur­den schon in den 1880er Jah­ren ei­ne Ar­bei­ter­kü­che, Wasch- und Ba­de­an­la­gen so­wie seit 1899 Woh­nun­gen für die Be­leg­schaft in Häu­sern aus Back­stein an der Brüh­ler Stra­ße in Wes­se­ling er­rich­tet (1998 lei­der ab­ge­ris­sen). Die „Zim­mer­manns" küm­mer­ten sich oft per­sön­lich in Not­fäl­len um ih­re Ar­bei­ter. Ein Ar­bei­ter­wohl­fahrts­kon­to wur­de ein­ge­rich­tet. 1905 – zum 25-jäh­ri­gen Fir­men­ju­bi­lä­um – stat­te­te die Fa­mi­lie Zim­mer­mann die­ses Kon­to mit wei­te­ren 25.000 Reichs­mark aus. Noch heu­te füh­len sich die Un­ter­neh­men De­gus­sa be­zie­hungs­wei­se Evo­nik, in de­ren Be­sitz die Fir­ma H. & F. Zim­mer­mann be­zie­hungs­wei­se die Che­mi­sche Fa­brik Wes­se­ling über­gin­gen, die­sen Tra­di­tio­nen ver­pflich­tet.

Quellen

Evo­nik In­dus­tries AG, Kon­zernar­chiv; Stadt­ar­chiv Wes­se­ling A 306.

Literatur

Che­mi­sche Fa­brik Wes­se­ling (Hg.), 75 Jah­re che­mi­sche Fa­brik Wes­se­ling AG: 1880/1955, Wes­se­ling 1955.
Drös­ser, Wolf­gang, Wes­se­ling – Ge­schich­te, Bonn 2008.
Han­sen, Ant­je, 100 Jah­re De­gus­sa in Wes­se­ling – 125 Jah­re Stand­ort, Bo­chum 2005.

Franz Zimmermann, Porträtfoto. (Unternehmensarchiv Evonik)

 
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Drösser, Wolfgang, Heinrich und Franz Zimmermann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-und-franz-zimmermann/DE-2086/lido/57c82b4f8361d3.28064131 (abgerufen am 19.04.2024)