Reichstagswahlen und Reichstagsmandate der Rheinprovinz 1918 bis 1933

Lothar Weiß (Frechen)

Otto von Bismarck, Gemälde von Franz von Lenbach (1836-1904), 1894, Original: Privatsammlung.

1. Einleitung

Wah­len sind Per­so­nal­ent­schei­dun­gen der Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler, durch die po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tungs­trä­ger re­kru­tiert und le­gi­ti­miert wer­den sol­len. Mit Wah­len wer­den Re­prä­sen­ta­tiv­or­ga­ne wie der Reichs­tag oder Per­so­nen für ein Wahl­amt be­stimmt. Sie kön­nen in der Ge­sell­schaft vor­han­de­ne In­ter­es­sen und Strö­mun­gen in­te­grie­ren. Durch Wah­len sol­len po­li­ti­sche Pro­zes­se be­ein­flusst und Wäh­ler für be­stimm­te ge­sell­schaft­li­che Wer­te und Zie­le mo­bi­li­siert wer­den. Wah­len sind ein ent­schei­den­des Ele­ment der De­mo­kra­tie. Die Le­gi­ti­ma­ti­on von Wahl­er­geb­nis­sen wird von ver­schie­de­nen Be­din­gun­gen ab­hän­gig ge­macht.  Durch sie wer­den for­ma­le Vor­aus­set­zun­gen ge­schaf­fen, da­mit die durch Wah­len er­zeug­ten Per­so­nal- und Sach­ent­schei­dun­gen von den Wäh­lern als bin­dend ak­zep­tiert wer­den: all­ge­mein, gleich, un­mit­tel­bar oh­ne die Zwi­schen­schal­tung von Wahl­män­nern und -frau­en und ge­heim. Für die Wahl­be­wer­bung ist ih­re Frei­heit oh­ne Sank­ti­ons­ge­fahr ent­schei­dend. Die for­ma­le Gleich­heit der Chan­cen der Kan­di­da­ten und der Wäh­ler ist ma­ß­ge­bend für die Ent­schei­dung im Wahl­gang. Da­bei soll es sich mög­lichst um ei­nen Wett­be­werb von min­des­tens zwei Kan­di­da­tu­ren han­deln, die ver­schie­de­ne po­li­ti­sche Pro­gram­me an­bie­ten. Die Wahl ist dann im Ide­al­fall ei­ne Per­so­nal­ent­schei­dung mit ei­ner Prä­fe­renz für ein po­li­ti­sches Pro­gramm ei­ner Par­tei oder ei­nen Po­li­tik­stil. Die un­ab­hän­gi­ge, ehr­li­che Äu­ße­rung der Prä­fe­ren­zen der Wahl­be­rech­tig­ten wird durch ei­ne ge­hei­me Ab­ga­be des Vo­tums ge­si­chert. Das Wahl­sys­tem mit sei­nen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten und Stim­men­ver­wer­tungs­re­geln darf nicht zu ei­ner Ver­zer­rung des Vo­tums der Wäh­ler füh­ren. Wah­len sol­len schlie­ß­lich nicht von frü­he­ren Ent­schei­dun­gen be­ein­flusst wer­den.

Die­ser Bei­trag the­ma­ti­siert ein her­aus­ra­gen­des In­stru­ment der po­li­ti­schen Ar­ti­ku­la­ti­on un­ter ei­ni­ger­ma­ßen de­mo­kra­ti­schen Be­din­gun­gen. Er kann nur ei­nen kur­so­ri­schen Über­blick über die Wah­len im en­ge­ren Sin­ne bie­ten. Für den po­li­ti­schen, ge­sell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen „Rah­men“ der Wah­len auf der Ebe­ne des Deut­schen Reichs muss auf all­ge­mein­his­to­ri­sche Li­te­ra­tur ver­wie­sen wer­den. Eben­so wird auf de­tail­lier­te lo­ka­le Zah­len­rei­hen über die Wah­len aus quan­ti­ta­ti­ven Grün­den ver­zich­tet. Al­le ih­re Quel­len lie­gen als amt­li­che sta­tis­ti­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen oder als Ein­zel­ver­öf­fent­li­chun­gen der his­to­ri­schen Wahl­for­schung ge­druckt vor. Mit der ge­mein­sa­men Be­trach­tung der Wah­len zu den Reichs­ta­gen von 1871 bis 1932 soll auch ­un­ter­sucht wer­den, wie stark der Ein­fluss re­gio­na­ler Struk­tur­merk­ma­le beim Wahl­ver­hal­ten den Bruch ei­nes po­li­ti­schen Sys­tems über­la­gern kön­nen. Es wird aber an der „klas­si­schen“ Auf­tei­lung des Zeit­raums von 1871 bis 1918 und von 1918 bis 1933 fest­ge­hal­ten. Dies dürf­te auch den Über­blick und die Ver­knüp­fung mit der his­to­ri­schen Li­te­ra­tur er­leich­tern. Für die da­mit fest­ge­leg­ten bei­den Haupt­ab­schnit­te gilt ei­ne par­al­le­le Glie­de­rungs­struk­tur. Zu­nächst wird ei­ne ein­fa­che Ein­füh­rung in das Staats­or­ga­ni­sa­ti­ons­recht der je­wei­li­gen Reichs­ver­fas­sung ge­bo­ten. Im An­schluss dar­an wer­den das Wahl­recht und die Pro­gram­ma­tik der po­li­ti­schen Par­tei­en in Grund­zü­gen vor­ge­stellt. Nun fol­gen in chro­no­lo­gi­scher Rei­hen­fol­ge die Wah­len und Man­da­te für die Reichs­ta­ge mit An­ga­be des Haupt­the­mas be­zie­hungs­wei­se des Haupt­grun­des für das Wahl­er­geb­nis. Das reichs­wei­te Wahl­er­geb­nis wird das Re­sul­tat in der Rhein­pro­vinz er­gän­zen. In ei­nem ab­schlie­ßen­den Fa­zit wer­den the­sen­ar­tig lang­fris­ti­ge Trends durch struk­tu­rel­le Ein­fluss­fak­to­ren in der Rhein­pro­vinz auf­ge­zeigt.

 

2. Der Zeitraum

Der hier be­trach­te­te Zeit­raum ist von meh­re­ren tie­fen his­to­ri­schen Ein­schnit­ten durch­zo­gen. Die auf­fäl­ligs­te Un­ter­tei­lung bie­tet sich zwi­schen dem so ge­nann­ten „Kai­ser­reich“ von 1871 bis 1918 und der „Wei­ma­rer Re­pu­blik“ von 1918 bis 1933 an. Der Zu­sam­men­bruch der Mon­ar­chie und ihr Er­satz durch ei­ne re­pu­bli­ka­ni­sche Ver­fas­sung sind au­gen­schein­lich. Mit die­sem Wech­sel des po­li­ti­schen Sys­tems war zu­gleich ei­ne fun­da­men­ta­le Neu­ge­stal­tung des Wahl­rechts ver­bun­den. Aber auch in­ner­halb die­ser Zeit­räu­me gab es his­to­risch mar­kan­te Ein­schnit­te. Für das Kai­ser­reich ist es die „Bis­marck­zeit“ von 1871 bis 1888, in wel­cher der Reichs­kanz­ler und Preu­ßi­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Ot­to von Bis­marck (1815-1898, Reichs­kanz­ler 1871-1890) fast un­ein­ge­schränkt von sei­nem Mon­ar­chen Wil­helm I. (1797-1888, Re­gent­schaft ab 1858, als Kai­ser 1871-1888) in der La­ge war, Preu­ßen und dem Deut­schen Reich sei­nen Stem­pel auf­zu­drü­cken. Es war kei­ne gren­zen­lo­se und selbst­ver­ständ­lich auch kei­ne to­ta­li­tä­re Herr­schaft, son­dern sie war ein­ge­fügt in ei­ne Ver­fas­sung. Aber am „Ei­ser­nen Kanz­ler“ als Haupt­ak­teur des po­li­ti­schen Ge­sche­hens kam kei­ner vor­bei. In den letz­ten Jah­ren sei­ner Amts­zeit konn­te er nicht mehr oh­ne wei­te­res der ge­sell­schaft­li­chen, wirt­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Dy­na­mik fol­gen. In­so­fern mar­kiert das „Drei-Kai­ser-Jahr“ 1888, in wel­chem bin­nen we­ni­ger Mo­na­te auf Wil­helm I. sein tod­kran­ker Sohn Fried­rich III. (1831-1888, Re­gent­schaft 1888) und schlie­ß­lich sein En­kel Wil­helm II. (1859-1941, Re­gent­schaft 1888-1918) im Al­ter von 29 Jah­ren als Reichs­ober­haupt folg­ten, ei­nen Ein­schnitt. Für ei­ne kur­ze Über­gangs­zeit bis 1890 stell­te sich ein Rin­gen um die Macht zwi­schen dem al­ten Reichs­kanz­ler und dem jun­gen Kai­ser ein. Mit der Reichs­tags­wahl und der Ent­las­sung Bis­marcks aus den po­li­ti­schen Spit­zen­äm­tern des Reichs und Preu­ßens im Jahr 1890 tritt das Deut­sche Reich in ei­nen neu­en his­to­ri­schen Ab­schnitt. Durch die Be­grif­fe „Wil­hel­mi­nis­mus“ oder „Wil­hel­mi­ni­sche Är­a“ wird das „per­sön­li­che Re­gi­men­t“ für den Po­li­tik­stil Wil­helms II. ge­prägt, der 1918 en­de­te.

Otto von Bismarck, Gemälde von Franz von Lenbach (1836-1904), 1894, Original: Privatsammlung.

 

Der Bruch, der mit der No­vem­ber­re­vo­lu­ti­on in Deutsch­land ein­trat, war zwei­fel­los tief­grei­fend. Die re­vo­lu­tio­nä­re be­zie­hungs­wei­se vor­kon­sti­tu­tio­nel­le Pe­ri­ode der Wei­ma­rer Re­pu­blik trat mit der Wahl zur ver­fas­sung­ge­ben­den Na­tio­nal­ver­samm­lung am 19.1.1919  in die Pha­se der Par­la­men­ta­ri­sie­rung, je­doch blieb die Re­pu­blik in ei­ner sehr la­bi­len La­ge. In der mitt­le­ren Pha­se von der Wäh­rungs­re­form ab sta­bi­li­sier­te sich die Re­pu­blik schein­bar. Die ers­te Volks­wahl des Reichs­prä­si­den­ten im Jahr 1925 in zwei Wahl­gän­gen brach­te al­ler­dings mit dem ehe­ma­li­gen kai­ser­li­chen Ge­ne­ral­feld­mar­schall Paul von Hin­den­burg (1847-1934)  ei­nen Prot­ago­nis­ten des al­ten Sys­tems an die Spit­ze der Re­pu­blik. Mit dem Aus­ein­an­der­bre­chen der „Gro­ßen Ko­ali­ti­on“ un­ter dem SPD-Reichs­kanz­ler Her­mann Mül­ler (1876-1931, Amts­zei­ten 1920, 1928-1930) im Jahr 1930 en­de­te die letz­te Reichs­re­gie­rung, die sich auf ei­ne Mehr­heit im Reichs­tag stüt­zen konn­te. Nun trat die Re­pu­blik in ei­ne an­hal­ten­de Staats­kri­se, die 1933 in die Hit­ler-Dik­ta­tur mün­de­te. Es gab nur noch „Prä­si­di­al­ka­bi­net­te“, die sich aus­schlie­ß­lich auf das Ver­trau­en des Reichs­prä­si­den­ten stüt­zen konn­ten. Die schwe­ren Fol­ge­er­schei­nun­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se ab 1929 be­schleu­nig­ten die Ero­si­on der ers­ten deut­schen Re­pu­blik. Das Jahr 1932 mit sei­ner wirt­schaft­li­chen und so­zia­len De­pres­si­on und sei­nen vier reichs­wei­ten Wahl­gän­gen wur­de zum „Ka­ta­stro­phen­jahr“ der Re­pu­blik. Mit ihr en­de­ten auch die frei­en und fai­ren Wah­len zum Reichs­tag.

Wilhelm II., 1888, Porträtfoto.

 

3. Die Weimarer Republik

Nach der Ab­dan­kung des Kai­sers und Kö­nigs von Preu­ßen, Wil­helms II., und der üb­ri­gen Fürs­ten im Deut­schen Reich war die kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie als Ver­fas­sungs­sys­tem zu­sam­men­ge­bro­chen. Hy­po­the­ken aus den Kriegs­jah­ren wa­ren die Um­stel­lung der in der End­pha­se kra­ken­ar­tig aus­ge­wu­cher­ten Kriegs­wirt­schaft auf die Frie­dens­zeit und die Be­wäl­ti­gung der Kriegs­fol­gen, die Kriegs­to­ten und -ver­sehr­ten so­wie die sich im­mer mehr be­schleu­ni­gen­de In­fla­ti­on, die ei­ner­seits die hoch auf­ge­häuf­ten Kriegs­schul­den des Staa­tes ent­wer­te­ten, aber auch eben­so die Geld­ver­mö­gen, Ren­ten- und Ver­sor­gungs­an­sprü­che und Geld­for­de­run­gen al­ler Art. Die In­dus­trie­pro­duk­ti­on Deutsch­lands er­reich­te im Jahr 1920 nur 54 Pro­zent des Vor­kriegs­stan­des. Das Re­al­ein­kom­men war in die­sem Zeit­raum um 30 Pro­zent ge­sun­ken. Die La­ge war auch po­li­tisch äu­ßerst la­bil. Das Rhein­land war von den po­li­ti­schen Kon­se­quen­zen des ver­lo­re­nen Ers­ten Welt­krie­ges und des Ver­sailler Frie­dens­ver­tra­ges vom 28.6.1919 be­son­ders be­trof­fen. Tei­le des preu­ßi­schen Re­gie­rungs­be­zirks Trier und der baye­ri­schen Pfalz wur­den vom Deut­schen Reich ab­ge­trennt und als „Saar­ge­bie­t“ un­ter die Ver­wal­tung des Völ­ker­bun­des ge­stellt. Die klei­ne­re Sie­ger­macht Bel­gi­en er­hielt die Krei­se Eu­pen und Malme­dy. Die links­rhei­ni­schen Ge­bie­te und die rechts­rhei­ni­schen gro­ßräu­mi­gen „Brü­cken­köp­fe“ um Köln, Ko­blenz und Mainz wur­den am 10.1.1920 von Trup­pen der al­li­ier­ten Sie­ger­mäch­te be­setzt. Die Räu­me der „Brü­cken­köp­fe“ wa­ren will­kür­lich mit dem Zir­kel ge­schla­gen wor­den. Sie zer­schnit­ten mehr­fach ge­wach­se­ne wirt­schaft­li­che und po­li­ti­sche Zu­sam­men­hän­ge. Deutsch­lands Po­li­tik wur­de vom „In­te­r­al­li­ier­ten Ho­hen Aus­schuß für die Rhein­lan­de“ (Rhein­land­kom­mis­si­on) kon­trol­liert. Au­ßer­dem wa­ren Be­sat­zungs­zo­nen der al­li­ier­ten Sie­ger­mäch­te für das ge­sam­te links­rhei­ni­sche Ge­biet und die rechts­rhei­ni­schen „Brü­cken­köp­fe“ Köln, Ko­blenz und Mainz ein­ge­rich­tet wor­den. Im Kon­flikt um die deut­schen Re­pa­ra­ti­ons­leis­tun­gen kam es 1923 zu­sätz­lich zur „Ruhr­be­set­zung“ durch bel­gi­sche und fran­zö­si­sche Trup­pen.

3.1 Die politischen Parteien

Nach dem Zu­sam­men­bruch der Mon­ar­chie und der Re­vo­lu­ti­on 1918 setz­te sich das Sys­tem der po­li­ti­schen Par­tei­en in mo­di­fi­zier­ter Form fort. Die füh­ren­den Per­sön­lich­kei­ten re­prä­sen­tier­ten Kon­ti­nui­tät, so­weit sie nicht in ei­nem of­fen­sicht­lich zu en­gen Zu­sam­men­hang mit den bis­he­ri­gen Macht­ver­hält­nis­sen stan­den. Be­reits in den letz­ten Jah­ren des Kai­ser­reichs zeich­ne­te sich mit der zu­neh­men­den Ein­be­zie­hung des Reichs­ta­ges und der dor­ti­gen Op­po­si­ti­on in die po­li­ti­sche Ver­ant­wor­tung je­ne Kon­stel­la­ti­on aus ge­mä­ßig­ten So­zi­al­de­mo­kra­ten, ka­tho­li­schem Zen­trum und Links­li­be­ra­len ab, die zu „Ver­fas­sungs­trä­gern“ der neu­en par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tie wer­den soll­ten. Die fol­gen­de kur­so­ri­sche Über­sicht ver­an­schau­licht vor al­lem ei­ne neue Zer­split­te­rung der so­zia­lis­ti­schen Ar­bei­ter­be­we­gung. Das ka­tho­li­sche Zen­trum muss­te ei­ne Ab­tren­nung der Bay­ern hin­neh­men. Die Li­be­ra­len blie­ben wei­ter­hin in For­ma­tio­nen des lin­ken und des rech­ten Flü­gels. Die Kon­ser­va­ti­ven fan­den da­ge­gen ei­ne ge­mein­sa­me Platt­form in ei­ner Par­tein­eu­grün­dung.

In den Reichs­tags­wahl­krei­sen auf dem Ge­biet der Rhein­pro­vinz er­hiel­ten fol­gen­de Par­tei­en von po­li­tisch rechts nach links Man­da­te:

Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deut­sche Ar­bei­ter­par­tei (NS­DAP)

Die NS­DAP wur­de 1919 als „Deut­sche Ar­bei­ter­par­tei“ ge­grün­det. Ein Jahr spä­ter er­folg­te die Um­be­nen­nung in NS­DAP. Im Jahr 1921 wur­de Adolf Hit­ler (1889-1945) Vor­sit­zen­der der NS­DAP mit dik­ta­to­ri­schen Voll­mach­ten und ei­nem au­to­ri­tä­ren Füh­rungs­stil. Die NS­DAP be­fand sich am rechts­ex­tre­men Rand des po­li­ti­schen Spek­trums: Füh­rer­staat, an­ti­se­mi­tisch, an­ti­li­be­ral, an­ti­de­mo­kra­tisch, ge­gen den Wei­ma­rer Par­la­men­ta­ris­mus. Nach dem Putsch­ver­such 1923 wur­de die Par­tei ver­bo­ten, 1925 wie­der ge­grün­det mit dem Ziel ei­ner le­ga­len Macht­über­nah­me. 1931 wur­de mit der DNVP, dem „Stahl­hel­m“ und na­tio­na­lis­ti­schen Ver­bän­den die „Harz­bur­ger Fron­t“ als ge­mein­sa­mes Bünd­nis ge­schlos­sen. 1933 bil­de­te die NS­DAP mit der DNVP ei­ne Ko­ali­ti­on für die Reichs­re­gie­rung. Die NS­DAP zog zu­nächst auf­stiegs­ori­en­tier­te Ar­bei­ter und ehe­ma­li­ge Sol­da­ten an. Sie konn­te zu­neh­mend bei al­len Schich­ten und Al­ters­grup­pen Zu­stim­mung ge­win­nen, je­doch nicht bei vie­len prak­ti­zie­ren­den Ka­tho­li­ken und In­dus­trie­ar­bei­tern. 

Deutsch­na­tio­na­le Volks­par­tei Ab­kür­zung DNVP, stärks­te Rechts­par­tei in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, ge­grün­det im No­vem­ber 1918 von den bis­he­ri­gen Deutsch­kon­ser­va­ti­ven, Frei­kon­ser­va­ti­ven, Deutsch­völ­ki­schen und Christ­lich­so­zia­len; die Par­tei war mon­ar­chis­tisch und be­tont na­tio­na­lis­tisch aus­ge­rich­tet. Sie lehn­te das par­la­men­ta­risch-de­mo­kra­ti­sche Sys­tem, den Ver­sailler Ver­trag, Pa­zi­fis­mus und So­zia­lis­mus ab. Sie be­tei­lig­te sich ab 1925 an Reichs­re­gie­run­gen. Sie stand seit 1928 un­ter der Füh­rung des Zei­tungs­ma­gna­ten Al­fred Hu­gen­berg (1865-1951). Sei­ne Geg­ner­schaft zur Ver­stän­di­gungs­po­li­tik Gus­tav Stre­se­manns (1878-1929) führ­te zum Bünd­nis mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten (1931 Harz­bur­ger Front) und am 30.1.1933 zur Be­tei­li­gung am Hit­ler-Ka­bi­nett. Auf Druck der NS­DAP trat Hu­gen­berg am 27.6.1933 als Wirt­schafts- und Er­näh­rungs­mi­nis­ter zu­rück; kurz dar­auf lös­te sich die Par­tei auf.  (DNVP)

Die DNVP wur­de 1918 als na­tio­nal­kon­ser­va­ti­ves Sam­mel­be­cken zur Re­stau­rie­rung der po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se vor der Re­vo­lu­ti­on ge­grün­det. Sie war ge­gen die re­pu­bli­ka­nisch-par­la­men­ta­ri­sche Ver­fas­sungs­ord­nung und trat für die Wie­der­her­stel­lung der Mon­ar­chie ein. Bei der Bil­dung von Re­gie­rungs­ko­ali­tio­nen mit an­de­ren Par­tei­en kam es zu star­ken in­ner­par­tei­li­chen Span­nun­gen. Der Flü­gel um die frü­he­re „Christ­lich­so­zia­le Par­tei“ trat aus der Par­tei aus. Nach der Über­nah­me des Par­tei­vor­sit­zes durch Al­fred Hu­gen­berg (1865-1928) ra­di­ka­li­sier­te sich die DNVP und such­te in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik den An­schluss an die NS­DAP. Dies führ­te zu Über­trit­ten zum CS­VD. 

Christ­lich-So­zia­ler Volks­dienst (CS­VD)

Nach der Re­vo­lu­ti­on 1918 lehn­ten ei­ni­ge Mit­glie­der der ehe­ma­li­gen „Christ­lich­so­zia­len Par­tei“ aus dem Kai­ser­reich den An­schluss an die DNVP ab. Sie grün­de­ten an­läss­lich der Reichs­tags­wahl im Mai 1924 den „Christ­li­chen Volks­diens­t“ als neue Par­tei. 1929 er­folg­te ei­ne Fu­si­on die­ser Par­tei mit der „Christ­li­chen Reichs­ver­ei­ni­gun­g“ ehe­ma­li­ger Mit­glie­der der DNVP zum CS­VD. Die Par­tei wur­de von pie­tis­ti­schen, frei­kirch­li­chen und er­weck­li­chen Krei­sen un­ter­stützt. Sie hat­te ih­re An­hän­ger­schaft in länd­li­chen evan­ge­li­schen Ge­gen­den des Rhein­lan­des, vor al­lem im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost, bei Bau­ern und städ­ti­schen Klein­bür­gern, vor al­lem ehe­ma­li­ge DNVP-Wäh­ler. Ziel war ei­ne ähn­li­che Wäh­ler­ba­sis bei den Evan­ge­li­schen zu fin­den wie das Zen­trum für die Ka­tho­li­ken. Dies drück­te sich in ei­ner ver­gleich­ba­ren Pro­gram­ma­tik für die Frei­heit der Per­sön­lich­keit, das Pri­vat­ei­gen­tum, das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip und die evan­ge­li­sche Be­kennt­nis­schu­le aus. En­de der Wei­ma­rer Re­pu­blik wen­de­te sich der CS­VD stär­ker dem rech­ten po­li­ti­schen Spek­trum zu und hielt Ko­ali­tio­nen mit der NS­DAP für mög­lich. Über die Be­deu­tung ei­ner Split­ter­par­tei kam der CS­VD nicht hin­aus. 

Reichs­par­tei des Deut­schen Mit­tel­stan­des (Wirt­schafts­par­tei) (WP)

Die WP war ein Zu­sam­men­schluss ver­schie­de­ner Grup­pen wirt­schaft­li­cher In­ter­es­sen aus dem Mit­tel­stand (Haus- und Grund­be­sit­zer, Hand­wer­ker, Ge­wer­be­trei­ben­de) in Preu­ßen un­ter Füh­rung des „Deut­schen Wirt­schafts­bun­des für Stadt und Lan­d“ (DWSL) im Jahr 1920 zur „Wirt­schafts­par­tei des Deut­schen Mit­tel­stan­des“, der sich 1925 in WP um­be­nann­te. Die WP for­der­te den Schutz des Pri­vat­ei­gen­tums, den Ab­bau der Woh­nungs­zwangs­wirt­schaft, Steu­er­ent­las­tun­gen und war ge­gen be­trieb­li­che Ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen und Streiks. Au­ßen­po­li­tisch lehn­te sie sich an die DNVP an. 

Hermann Müller, 1928, Bundesarchiv / Bild 146-1979-122-28A.

 

Deut­sche Volks­par­tei (DVP)

Die DVP wur­de im Jahr 1918 als Nach­fol­ge­rin der NLP im Kai­ser­reich ge­grün­det und ver­trat den Rechts­li­be­ra­lis­mus. Sie fand vor al­lem Un­ter­stüt­zung in der Schwer­in­dus­trie und be­fand sich zu­nächst zur Wei­ma­rer Re­pu­blik in Op­po­si­ti­on. Un­ter der star­ken Per­sön­lich­keit des Vor­sit­zen­den Dr. Gus­tav Stre­se­mann (1878-1929) be­tei­lig­te sich die DVP bis 1930 an den Reichs­re­gie­run­gen. Nach dem Tod Stre­se­manns ver­lor sie ih­re po­li­ti­sche Be­deu­tung. 

Deut­sche Zen­trums­par­tei (Zen­trum, Z)

Das Zen­trum stand in ei­ner un­un­ter­bro­che­nen Kon­ti­nui­tät seit sei­ner Grün­dung 1870 im Kai­ser­reich als Volks­par­tei des po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus al­ler Schich­ten. 1918 muss­te es den for­ma­len Aus­tritt kon­ser­va­ti­ver baye­ri­scher Zen­trums­po­li­ti­ker hin­neh­men, die sich vom ein­fluss­rei­chen lin­ken Flü­gels dis­tan­zier­ten, der sich für ei­ne par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kra­tie, ei­ne Frie­dens­re­so­lu­ti­on und ei­ne Zu­sam­men­ar­beit mit der SPD und den Links­li­be­ra­len stark mach­te. Das Zen­trum ver­trat die ka­tho­li­sche So­zi­al­leh­re, die In­ter­es­sen der ka­tho­li­schen Kir­che ge­gen­über dem Staat und die Ein­rich­tung be­zie­hungs­wei­se den Er­halt ka­tho­li­scher Be­kennt­nis­schu­len. In den ers­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik trat das Zen­trum für die par­la­men­ta­ri­sche Ver­fas­sung ein, in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik wur­de ein An­ti­par­la­men­ta­ris­mus sicht­bar. Die gro­ße Brei­te po­li­ti­scher Ein­stel­lun­gen im Zen­trum be­wirk­te star­ke in­ner­par­tei­li­che Span­nun­gen und ei­ne wech­seln­de Prä­fe­renz für Ko­ali­ti­ons­part­ner links oder rechts von ihm. Da­durch ent­stan­den ei­ne Schar­nier­stel­lung des Zen­trums und ei­ne Be­tei­li­gung an fast al­len Re­gie­run­gen des Reichs und Preu­ßens. 

Deut­sche De­mo­kra­ti­sche Par­tei (DDP) be­zie­hungs­wei­se Deut­sche Staats­par­tei (DStP)

Als Samm­lung des Links­li­be­ra­lis­mus ent­stand 1918 die DDP aus ehe­ma­li­gen Mit­glie­dern der NLP und der links­li­be­ra­len „Fort­schritt­li­chen Volks­par­tei“ im Kai­ser­reich. Die DDP wur­de zur ein­fluss­reichs­ten Par­tei der so­ge­nann­ten „Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on“ mit der SPD und dem Zen­trum in der Na­tio­nal­ver­samm­lung für die Reichs­ver­fas­sung von 1919 we­gen ih­rer ver­mit­teln­den Rol­le zwi­schen den Ko­ali­ti­ons­part­nern und durch die re­nom­mier­ten Ver­fas­sungs­recht­ler Hu­go Preuß (1860-1925) und Ger­hard An­schütz (1867-1948). 1930 ver­ei­nig­te sich die DDP mit dem „Jung­deut­schen Or­den“ zur „Deut­schen Staats­par­tei“ (DStP), um bür­ger­li­che Kräf­te ge­gen den po­li­ti­schen Ex­tre­mis­mus zu bün­deln. Das Ziel wur­de ver­fehlt. Die DStP schrumpf­te in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik zur Split­ter­par­tei. 

So­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei Deutsch­lands (SPD)

Die SPD war ei­ne Par­tei aus dem Kai­ser­reich. Sie muss­te 1917 die Ab­spal­tung des lin­ken Flü­gels (sie­he USPD) we­gen der Aus­ein­an­der­set­zung um die Kre­di­te für den Krieg hin­neh­men. Da­durch ge­wann der eher rech­te Flü­gel der Par­tei den ent­schei­den­den Ein­fluss auf die pro­gram­ma­ti­sche und prak­tisch-po­li­ti­sche Li­nie der SPD. Nach der Rück­kehr ei­nes Teils der USPD ent­hielt das Hei­del­ber­ger Par­tei­pro­gramm von 1925 ei­nen ver­bal­ra­di­ka­len Ton; es tra­ten je­doch ver­stärk­te Span­nun­gen auf. Vor dem Hin­ter­grund der Welt­wirt­schafts­kri­se warf der lin­ke Par­tei­flü­gel dem Par­tei­vor­stand Pas­si­vi­tät vor. Die SPD blieb im We­sent­li­chen ei­ne Ar­bei­ter­par­tei, die ver­such­te, auch bei Klein­bür­ger­li­chen An­hän­ger zu fin­den. Die SPD war an Reichs­re­gie­run­gen bis 1930 be­tei­ligt und to­le­rier­te das Prä­si­di­al­ka­bi­nett Brü­ning bis 1932. 

Un­ab­hän­gi­ge So­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei Deutsch­lands (USPD)

Die USPD wur­de 1917 von Geg­nern der Kriegs­kre­di­te in­ner­halb der SPD als neue links von der SPD ste­hen­de Par­tei im Ers­ten Welt­krieg ge­grün­det. Ihr Pro­gramm for­mu­lier­te den So­zia­lis­mus als po­li­ti­sches Ziel. In der Re­vo­lu­ti­on 1918 trat sie für ei­ne Rä­te­re­pu­blik ein, be­tei­lig­te sich je­doch am „Rat der Volks­be­auf­trag­ten“ mit der SPD und an den Wah­len. Die he­te­ro­ge­ne Zu­sam­men­set­zung der An­hän­ger­schaft aus ent­täusch­ten SPD-Wäh­lern, Bol­sche­wi­ki-An­hän­gern, Spar­ta­kus-Bund-Ak­ti­ven, Dik­ta­tur- und De­mo­kra­tie­be­für­wor­tern führ­te zu star­ken Span­nun­gen. 1920 trat der lin­ke Flü­gel der Par­tei um den „Spar­ta­kus­bun­d“ von der USPD zur KPD über. Der rech­te Flü­gel der USPD schloss sich 1922 der SPD an. Da­nach wur­de die USPD be­deu­tungs­los. 

Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Deutsch­lands (KPD)

Nach der Tren­nung des „Spar­ta­kus­bun­des“ von der USPD 1918 wur­de die KPD ge­grün­det. Zwei Jah­re spä­ter nahm sie den grö­ße­ren Teil der USPD auf. Die KPD pro­pa­gier­te die Re­vo­lu­ti­on als Weg des Mar­xis­mus für ei­ne so­zia­lis­ti­sche Ge­sell­schaft und ei­ne Rä­te­re­pu­blik statt ei­nes par­la­men­ta­ri­schen Sys­tems, Zwangs­ent­eig­nun­gen und die Ent­waff­nung Deutsch­lands. Ab den 1920er Jah­ren stand sie un­ter der Ku­ra­tel der sta­li­nis­ti­schen Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei der So­wjet­uni­on. Von 1925 bis 1933 wur­de die KPD vom Vor­sit­zen­den Ernst Thäl­mann (1886-1944) ge­prägt. Die KPD be­tei­lig­te sich an Un­ru­hen. Von 1923 bis 1924 war sie ver­bo­ten und setz­te ih­re Ar­beit il­le­gal fort. Es kam zu lin­ken und rech­ten Ab­spal­tun­gen. 

Gustav Stresemann, 1925, Porträtfoto / Bundesarchiv, Bild 146-1989-040-27.

 

3.2 Die Deutsche Nationalversammlung

Das Wahl­rech­t 

In der re­vo­lu­tio­nä­ren Pha­se der Nach­kriegs­zeit ging es in dra­ma­ti­schen Sze­nen um die Fra­ge, ob Deutsch­land ei­ne Rä­te­re­pu­blik aus den re­vo­lu­tio­nä­ren Ar­bei­ter- und Sol­da­ten­rä­ten un­ter der Fe­der­füh­rung der lin­ken Par­tei­en oder ei­ne bür­ger­lich-li­be­ra­le par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kra­tie er­hal­ten soll­te. In die­sem „Wett­ren­nen“ um die Ent­schei­dung dräng­ten die so ge­nann­ten „Mehr­heits­so­zia­lis­ten“ der SPD  auf ei­ne mög­lichst ra­sche Wahl der „Deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lun­g“ für die Aus­ar­bei­tung ei­ner neu­en Ver­fas­sung. Für die Na­tio­nal­ver­samm­lung war der „Rat der Volks­be­auf­trag­ten“ aus SPD- und USPD-Po­li­ti­kern, der die „Ver­ord­nung über die Wah­len zur Ver­fas­sung­ge­ben­den deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung (Reichs­wahl­ge­setz)“ vom 30.11.1918 (RGBl. 1918, S. 1345) er­ließ. Mit ihr en­de­te das al­te Wahl­sys­tem. Nun wur­de die all­ge­mei­ne, un­mit­tel­ba­re, ge­hei­me und glei­che Ver­hält­nis­wahl ein­ge­führt, die mit Stimm­zet­teln aus­zu­füh­ren war. Erst­ma­lig er­hiel­ten nicht nur Män­ner, son­dern auch Frau­en das Wahl­recht. Für das ak­ti­ve Wahl­recht wur­den die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit, ein von 25 auf 20 Jah­re ge­senk­tes Min­dest­al­ter und ein Wohn­sitz in Deutsch­land vor­aus­ge­setzt. Wahl­be­rech­tigt wa­ren auch Sol­da­ten so­wie Staats­be­am­te und Be­schäf­tig­te in Staats­be­trie­ben, wenn ihr Wohn­sitz im Aus­land an der deut­schen Gren­ze lag und sie in ei­ner be­nach­bar­ten Ge­mein­de in Deutsch­land in die Wäh­ler­lis­ten ein­ge­tra­gen wa­ren. Wähl­bar für den Reichs­tag wa­ren Deut­sche, die das ak­ti­ve Wahl­recht und seit min­des­tens ei­nem Jahr die Staats­an­ge­hö­rig­keit be­sa­ßen. Von der Wahl aus­ge­schlos­sen wa­ren Ent­mün­dig­te und Straf­tä­ter, de­nen die bür­ger­li­chen Eh­ren­rech­te ent­zo­gen wor­den wa­ren. Es wur­den Groß­wahl­krei­se ein­ge­rich­tet, in de­nen nach dem Stim­men­an­teil der Par­tei­en meh­re­re Ab­ge­ord­ne­te be­stimmt wur­den. Auf je 150.000 Ein­woh­ner nach der Volks­zäh­lung von 1910 ent­fiel ein Ab­ge­ord­ne­ter. Dar­über hin­aus fand kei­ne Rest­stim­men­ver­wer­tung statt. Auf die Rhein­pro­vinz ent­fie­len in vier Wahl­krei­sen 48 Man­da­te. Wahl­vor­schlä­ge der Par­tei­en konn­ten mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den, um mehr Man­da­te als bei ge­trenn­ten Lis­ten zu er­rei­chen. In der Ten­denz wur­den durch das Wahl­recht Par­tei­en mit re­gio­na­len Schwer­punk­ten be­vor­zugt. Die Ver­tre­ter al­ler Ar­bei­ter- und Sol­da­ten­rä­te in Deutsch­land stimm­ten mit sehr gro­ßer Mehr­heit auf dem „I. Rä­te­kon­gre­ß“ im De­zem­ber 1918 für die Wahl der Na­tio­nal­ver­samm­lung am 19.1.1919. 

Einteilung der Reichstagswahlkreise in der Weimarer Republik (Tabelle 3).

 

Die Wahl am 19.1.1919 (vgl. Ta­bel­le rechts) fand vor ei­nem chao­ti­schen Hin­ter­grund statt. Die Re­vo­lu­ti­on ra­di­ka­li­sier­te sich ins­be­son­de­re durch den so ge­nann­ten „Ja­nu­ar­auf­stan­d“ Ber­li­ner Links­ra­di­ka­ler am 5. Ja­nu­ar und Ak­tio­nen im Ruhr­ge­biet. Zehn Ta­ge spä­ter wur­den Karl Lieb­knecht (1871-1919) und Ro­sa Lu­xem­burg (1871-1919) von Sol­da­ten des Hee­res er­mor­det. Das Er­geb­nis der Wahl fiel je­doch ganz an­ders aus als er­war­tet. Die SPD er­reich­te reichs­weit 37,9 Pro­zent der Stim­men und da­mit den höchs­ten Stim­men­an­teil, die USPD 7,6 Pro­zent. Die Mehr­heit in der Na­tio­nal­ver­samm­lung hat­ten die bür­ger­li­chen Par­tei­en, un­ter de­nen das ka­tho­li­sche Zen­trum mit 19,7 Pro­zent die stärks­te war. Nur knapp da­hin­ter lag die links­li­be­ra­le DDP mit 18,5 Pro­zent. Die rechts­li­be­ra­le DVP er­hielt nur 4,4 Pro­zent. Die na­tio­nal­kon­ser­va­ti­ve DNVP konn­te ei­nen An­teil von 10,3 Pro­zent an den gül­ti­gen Stim­men er­zie­len. Das Zen­trum blieb in der Rhein­pro­vinz mit 27 von 48 Man­da­ten ganz ein­deu­tig die stärks­te Par­tei und er­ziel­te in drei­en der vier Wahl­krei­se die ab­so­lu­te Mehr­heit. Nur im Wahl­kreis, der die ber­gi­schen Groß­städ­te und In­dus­trie­stand­or­te wie Es­sen und Düs­sel­dorf um­fass­te, er­reich­ten die Par­tei­en der so­zia­lis­ti­schen Ar­bei­ter­be­we­gung ins­ge­samt mehr Man­da­te als das Zen­trum. Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen in­ner­halb der so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung führ­ten letzt­lich zu dem Er­geb­nis, dass die so­ge­nann­ten „Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­ten“ der SPD ein Bünd­nis mit dem Zen­trum und der DDP als „Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on“ ein­gin­gen. Die­ses Bünd­nis ver­füg­te über 78 Pro­zent der 423 der Ab­ge­ord­ne­ten. Die­se Mehr­heits­ver­hält­nis­se be­stimm­ten die in­halt­li­che Aus­ge­stal­tung der re­pu­bli­ka­ni­schen Ver­fas­sung. Der ver­fas­sungs­ge­ben­den „Deut­sche Na­tio­nal­ver­samm­lung“ ge­lan­gen schnel­le Ent­schei­dun­gen über die Staats­ord­nung Deutsch­lands. Gro­ße fun­da­men­ta­le Dif­fe­ren­zen zwi­schen den Par­tei­en gab es vor al­lem über die Auf­nah­me und Aus­ge­stal­tung der Grund­rech­te. Letzt­lich konn­te am 31.7.1919 die Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung be­schlos­sen und am 11.8.1919 in Kraft tre­ten.

3.3 Rechtliche Grundlagen für den Reichstag

Die Reichs­ver­fas­sung

An der Spit­ze des Reichs stand der Reichs­prä­si­dent als „Er­satz­kai­ser“ mit ei­ner star­ken Rol­le im Ver­fas­sungs­ge­fü­ge. Durch Ar­ti­kel 48 der Wei­ma­rer Ver­fas­sung über das Not­ver­ord­nungs­recht des Reichs­prä­si­den­ten zu­guns­ten ei­ner Dik­ta­tur­herr­schaft be­saß das Staats­ober­haupt ein wir­kungs­vol­les Macht­in­stru­ment. Sei­ne Di­rekt­wahl durch das Volk für sie­ben Jah­re mit der Mög­lich­keit der Wie­der­wahl bil­de­te ei­nen Ge­gen­pol zum Reichs­tag, der ei­ne ma­xi­mal nur vier Jah­re lan­ge Le­gis­la­tur­pe­ri­ode hat­te. Die Reichs­re­gie­rung be­stand aus dem Reichs­kanz­ler und den Reichs­mi­nis­tern, die nicht mehr „Reichs­äm­ter“, son­dern re­gu­lä­re Reichs­mi­nis­te­ri­en lei­te­ten. Der Reichs­kanz­ler be­durf­te des Ver­trau­ens der Mehr­heit der Ab­ge­ord­ne­ten im Reichs­tag. Im Fal­le ei­ner feh­len­den kon­struk­ti­ven Mehr­heit für ei­ne Re­gie­rungs­ko­ali­ti­on war er aber vor al­lem vom Ver­trau­en des Reichs­prä­si­den­ten ab­hän­gig. Der Reichs­tag er­fuhr ge­gen­über dem Kai­ser­reich ei­ne ver­fas­sungs­recht­li­che Auf­wer­tung. Er er­lang­te als Volks­ver­tre­tung durch die Par­tei­en die vol­len Rech­te ei­nes Par­la­ments in der De­mo­kra­tie, zu de­nen vor al­lem das un­ein­ge­schränk­te Bud­get­recht ge­hör­te. Hin­ge­gen wur­den die Rech­te der Glied­staa­ten zu­guns­ten ei­ner unita­ri­schen Staats­or­ga­ni­sa­ti­on be­schnit­ten. Der Reichs­rat hat­te ein­deu­tig die Rol­le ei­ner zwei­ten Kam­mer min­de­ren Rechts in der Ge­setz­ge­bung. 

Das Wahl­recht

Nach Ar­ti­kel 22 der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung vom 11.8.1919 soll­te die Wahl zum Reichs­tag nach den de­mo­kra­ti­schen Grund­sät­zen all­ge­mein, gleich, un­mit­tel­bar oh­ne die Zwi­schen­schal­tung von Wahl­män­nern und -frau­en und ge­heim als rei­ne Ver­hält­nis­wahl durch­ge­führt wer­den.

Für die Durch­füh­rung der Reichs­tags­wah­len galt das Reichs­tags­wahl­ge­setz vom 27.4.1920 (RGBl. I, S. 627) mit sei­nen Ne­ben­be­stim­mun­gen. Das ak­ti­ve Wahl­recht stand Män­nern und Frau­en ab 20 Jah­ren zu, die im Deut­schen Reich wohn­ten. Zu­sätz­lich wa­ren Staats­be­am­te und Ar­bei­ter in Staats­be­trie­ben wahl­be­rech­tigt, die ih­ren Wohn­sitz in der Nä­he der deut­schen Gren­ze hat­ten und in ein Wäh­ler­ver­zeich­nis ei­ner deut­schen Grenz­ge­mein­de ein­ge­tra­gen wa­ren. Das Wahl­recht ruh­te für Sol­da­ten im ak­ti­ven Dienst. Be­woh­ner von Heil-, Pfle­ge- und Straf­an­stal­ten so­wie Un­ter­su­chungs­ge­fan­ge­ne konn­ten an der Wahl nicht teil­neh­men. Vom Wahl­recht aus­ge­schlos­sen wa­ren Ent­mün­dig­te und Per­so­nen oh­ne bür­ger­li­che Eh­ren­rech­te. Das pas­si­ve Wahl­recht hat­ten al­le Deut­schen ab ei­nem Al­ter von 25 Jah­ren, die seit min­des­tens ei­nem Jahr die Staats­an­ge­hö­rig­keit und das ak­ti­ve Wahl­recht be­sa­ßen. Das Reichs­ge­biet wur­de in 35 Groß­wahl­krei­se ein­ge­teilt. Meh­re­re Groß­wahl­krei­se bil­de­ten ei­nen der 17 Wahl­kreis­ver­bän­de. In den Groß­wahl­krei­sen wur­den meh­re­re Ab­ge­ord­ne­te be­stimmt. Die Rhein­pro­vinz be­stand aus vier Wahl­krei­sen und zwei Wahl­kreis­ver­bän­den (vgl. Ta­bel­le 3). Der Wäh­ler vo­tier­te in ei­nem Wahl­lo­kal per­sön­lich mit sei­ner ein­zi­gen Stim­me für ei­ne der ge­bun­de­nen Par­tei­lis­ten von Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber im Wahl­kreis. Ei­ne spe­zi­el­le Wahl ein­zel­ner Per­sön­lich­kei­ten war nicht vor­ge­se­hen. Die Ge­samt­zahl der zu wäh­len­den Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten hing von der Zahl der ab­ge­ge­be­nen gül­ti­gen Stim­men ab. Für je 60.000 Wäh­ler er­hielt ei­ne Par­tei ein Man­dat. Üb­rig blei­ben­de Stim­men wur­den mit­tels ei­nes wei­te­ren zwei­stu­fi­gen Ver­fah­rens auf der Ebe­ne der Wahl­kreis­ver­bän­de und des Reichs für zu­sätz­li­che Man­da­te ver­wer­tet. Das bei den Wahl­kreis­ver­bän­den an­fal­len­de Man­dat wur­de dem an­ge­schlos­se­nen Wahl­kreis zu­ge­teilt, aus dem die meis­ten Rest­stim­men stamm­ten. Da­nach fand die Zu­tei­lung wei­te­rer Man­da­te in der Rei­hen­fol­ge auf den Reichs­lis­ten der Par­tei­en statt. Vor­aus­set­zung für die Teil­nah­me am Rest­stim­men­ver­fah­ren war we­nigs­tens ein Man­dat in ei­nem Wahl­kreis. Die­ses Ver­fah­ren für die Um­set­zung der Stim­men in Man­da­te führ­te zu ei­ner stän­dig schwan­ken­den ge­setz­li­chen Zahl der Reichs­tags­mit­glie­der. Aus­schei­den­de Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te wur­den durch Nach­fol­ge­rin­nen und Nach­fol­ger ent­spre­chend der Rei­hen­fol­ge auf der Lis­te ih­rer Par­tei er­setzt. Das Wahl­ver­fah­ren be­vor­zug­te noch im­mer Par­tei­en mit re­gio­na­len Schwer­punk­ten. Ei­ne voll­stän­dig gleich­mä­ßi­ge Ver­rech­nung der Stim­men in Man­da­te fand nicht statt. Es gab Par­tei­en, die zwar das Quo­rum von 60.000 Stim­men reichs­weit er­reich­ten, aber den­noch kein Man­dat er­hiel­ten. In der Sum­me wur­den rund ei­ne Mil­li­on Rest­stim­men nicht ver­wer­tet. 

Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919.

 

3.4 Die Wahlen und Mandate 1920-1932

(vgl. Ta­bel­le rechts)

Die Wahl zum 1. Reichs­tag am 6.6.1920 stand un­ter schwie­ri­gen Rah­men­be­din­gun­gen. Die Ver­lus­te des wirt­schaft­li­chen Po­ten­zi­als Deutsch­lands durch die Ver­sailler Be­stim­mun­gen wa­ren spür­bar. Im März 1920 schei­ter­te der rechts­ex­tre­me so­ge­nann­te „Kapp-Putsch“ am Wi­der­stand und Ge­ne­ral­streik der Ge­werk­schaf­ten. Von links­ra­di­ka­ler Sei­te gab es Auf­stän­de im Rhein­land und im üb­ri­gen Deutsch­land. Putsch- und Re­vo­lu­ti­ons­ver­su­che so­wie po­li­ti­sche Mor­de von links und rechts ver­an­lass­te die „Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on“ der re­pu­bliktreu­en Par­tei­en, die Wahl zum ers­ten Reichs­tag schnellst­mög­lich durch­zu­füh­ren. Durch das neue Wahl­recht und die neu­en ge­bur­ten­star­ken Jahr­gän­ge im Wahl­al­ter ver­dop­pel­te sich im et­wa der An­teil der Wahl­be­rech­tig­ten an der ge­sam­ten Be­völ­ke­rung im Ver­gleich zur letz­ten Wahl im Kai­ser­reich 1912. Die Wahl­be­tei­li­gung lag reichs­weit mit über 79 Pro­zent ähn­lich hoch wie 1912. In der Rhein­pro­vinz war die Wahl­be­tei­li­gung re­gio­nal un­ter­schied­lich ver­teilt. Sie lag im Nor­den hö­her als im Sü­den. Das Wahl­er­geb­nis mach­te deut­lich, auf welch schwa­chem Grund die Wei­ma­rer De­mo­kra­tie stand. Die Par­tei­en der „Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on“ (SPD, Zen­trum, DDP) ver­lo­ren reichs­weit ins­ge­samt fast 40 Pro­zent der Man­da­te im Ver­gleich zur Na­tio­nal­ver­samm­lung und ge­rie­ten mit ins­ge­samt 44,6 Pro­zent der Reichs­tags­man­da­te in die Min­der­heit. Die­ser Ver­fas­sungs­ko­ali­ti­on stan­den zwei Blö­cke von lin­ken und rech­ten Ver­fas­sungs­geg­nern ge­gen­über. Durch die­se Ver­hält­nis­se wur­de die Bil­dung ei­ner sta­bi­len de­mo­kra­ti­schen Re­gie­rung un­mög­lich. Auf­fal­lend war die schwe­re Nie­der­la­ge der SPD. Der Kom­pro­miss­kurs ih­rer Füh­rung mit den bür­ger­li­chen Par­tei­en konn­te nicht ver­mit­telt wer­den, vie­le Wäh­ler wand­ten sich von der SPD ab. Die links von der SPD ste­hen­de USPD er­fuhr ei­nen kräf­ti­gen Auf­schwung. In meh­re­ren Städ­ten und Land­krei­sen des in­dus­tria­li­sier­ten Ber­gi­schen Lan­des wur­de die USPD stärks­te Par­tei. Das ka­tho­li­sche Zen­trum konn­te sich gut be­haup­ten und hat­te sei­ne Do­mi­nanz in sei­nen tra­di­tio­nel­len Hoch­bur­gen in ka­tho­li­schen Re­gio­nen des Rhein­lan­des über den Wech­sel des po­li­ti­schen Sys­tems hin­weg. Hier­zu ge­hör­ten die links­rhei­ni­schen Land­krei­se Heins­berg (91,3 Pro­zent), Mons­chau in der Ei­fel (88,3 Pro­zent) und Prüm (87,3 Pro­zent) mit den bes­ten Er­geb­nis­sen. Reichs­weit er­hielt das Zen­trum nur 13,6 Pro­zent der Stim­men. Kei­ne an­de­re Par­tei hat­te ei­nen so ein­deu­ti­gen Schwer­punkt im Wes­ten Deutsch­lands wie das Zen­trum.  In den Re­gio­nen mit über­wie­gend pro­tes­tan­ti­scher Be­völ­ke­rung lag die Prä­fe­renz für die rechts­li­be­ra­le DVP und die kon­ser­va­tiv-pro­tes­tan­ti­sche DNVP. Ins­ge­samt er­reich­te das Zen­trum mit 20 von 41 Man­da­ten in der Rhein­pro­vinz fast die ab­so­lu­te Mehr­heit. Mit gro­ßem Ab­stand zum Zen­trum, aber knapp vor der SPD wur­de die USPD zweit­stärks­te Par­tei. 

Die ge­schwäch­te SPD ver­ließ die Reichs­re­gie­rung und war nur noch zu ei­ner To­le­rie­rung ei­ner Min­der­heits­re­gie­rung bür­ger­li­cher Par­tei­en be­reit. Der er­folg­rei­chen USPD ge­lang es nicht, das Stim­men­ge­wicht in po­li­ti­sche Macht um­zu­set­zen. Auf dem Par­tei­tag der USPD im Ok­to­ber 1920 spal­te­te sich die Par­tei in zwei Hälf­ten. Der lin­ke Flü­gel trat zur KPD über und ord­ne­te sich dem Dik­tat der Mos­kau­er Kom­mu­nis­ti­schen In­ter­na­tio­na­len (Kom­in­tern) un­ter. Dem rech­ten Flü­gel der USPD ge­lang der An­schluss an die „Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­ten“ der SPD im Sep­tem­ber 1922. Da nach die­sem Wahl­gang kei­ne der Par­tei­en auch nur an­nä­hernd ei­ne Mehr­heit im Reichs­tag hat­te, ge­stal­te­te sich die Bil­dung der Reichs­re­gie­rung schwie­rig. Stets muss­ten sich meh­re­re Par­tei­en un­ter­schied­li­cher Grö­ße und gro­ßer po­li­ti­scher Spann­wei­te für ei­ne Ko­ali­ti­on zu­sam­men­schlie­ßen.

Die Wahl zum 2. Reichs­tag am 4.5.1924 stand un­ter den Nach­wir­kun­gen der trau­ma­ti­schen Er­leb­nis­se des Jah­res 1923. Die Hy­per­in­fla­ti­on war er­folg­reich über­wun­den wor­den. Das ge­sell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Le­ben in der Mit­te der 1920er Jah­re, in die Ge­schichts­bü­cher als „Gol­de­ne Zwan­zi­ger“ ein­ge­gan­gen, blüh­te auf. Durch ei­ne ge­schick­te Au­ßen­po­li­tik war es den Reichs­re­gie­run­gen ge­lun­gen, Deutsch­land aus der Iso­la­ti­on her­aus- und in die Ge­mein­schaft der Na­tio­nen im „Völ­ker­bun­d“ zu füh­ren. En­de No­vem­ber 1923 wur­de ein in­ter­na­tio­na­ler Sach­ver­stän­di­gen­aus­schuss zur Un­ter­su­chung der Zah­lungs­fä­hig­keit ein­be­ru­fen mit dem Ziel ei­nes neu­en Plans der Re­pa­ra­tio­nen. Die in­nen­po­li­ti­sche La­bi­li­tät der Wei­ma­rer De­mo­kra­tie blieb aber er­hal­ten. Die Reichs­re­gie­run­gen wech­sel­ten kurz­fris­tig. Ei­ne kon­ti­nu­ier­li­che par­la­men­ta­risch ge­grün­de­te Reichs­po­li­tik von län­ge­rer Dau­er kam nicht zu­stan­de. Der Ko­ali­ti­ons­wil­le der Par­tei­en von der SPD bis zur DNVP stand un­ter Vor­be­hal­ten. Die „Gro­ße Ko­ali­ti­on“ aus SPD, Zen­trum, DDP und DVP zer­brach nach kaum mehr als drei Mo­na­ten. Die neue Reichs­re­gie­rung wur­de von den bis­he­ri­gen Part­nern oh­ne die SPD ge­bil­det. Die Wahl­be­tei­li­gung lag bei be­acht­li­chen 77,4 Pro­zent. Das Wahl­er­geb­nis drück­te ei­ne fun­da­men­ta­le Un­zu­frie­den­heit mit den Ver­hält­nis­sen aus. Au­ßer dem re­la­tiv sta­bi­len Zen­trum muss­ten die klei­ne­ren Ko­ali­ti­ons­par­tei­en er­heb­lich Stim­men­ver­lus­te hin­neh­men. In der Fol­ge konn­ten die Rechts- und Links­ex­tre­men star­ke Stim­men­ge­win­ne ver­bu­chen. Die DNVP-Frak­ti­on wuchs um 24 Ab­ge­ord­ne­te und war knapp hin­ter der SPD die zweit­stärks­te Frak­ti­on, ge­mein­sam mit dem „Reichs-Land­bun­d“ so­gar die stärks­te Frak­ti­on im Reichs­tag. In den vier Wahl­krei­sen im Rhein­land ge­wann die DNVP zu den bis­he­ri­gen zwei Man­da­ten noch zwei da­zu. Die KPD ver­buch­te reichs­weit ei­nen Stim­men­ge­winn von über zehn Pro­zent­punk­ten und ei­nen Zu­ge­winn von 45 Man­da­ten. Sie konn­te die Rol­le der USPD über­neh­men. Im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost wur­de die KPD stärks­te Par­tei. In den Wahl­krei­sen Köln-Aa­chen und Düs­sel­dorf-West wur­den die Kom­mu­nis­ten nach dem Zen­trum die zweit­stärks­te Par­tei. We­gen die­ses Wahl­er­geb­nis­ses ge­stal­te­te sich das Re­gie­ren schwie­rig. Die Reichs­re­gie­rung schei­ter­te un­ter an­de­rem an den Aus­ein­an­der­set­zun­gen um den so­ge­nann­ten „Da­wes-Plan“ vom 16.8.1924 über die deut­schen Re­pa­ra­tio­nen. Der Reichs­tag wur­de schon bald wie­der auf­ge­löst mit dem Ziel von Neu­wah­len für ein güns­ti­ge­res Er­geb­nis.

Das Er­geb­nis der Wahl zum 3. Reichs­tag am 7.12.1924 kam vor al­lem durch den Ein­druck von ei­ner sta­bi­li­sier­ten La­ge in Wirt­schaft und Po­li­tik zu­stan­de. In der Au­ßen­po­li­tik konn­te Deutsch­land wie­der in die Völ­ker­fa­mi­lie zu­rück­keh­ren. Der Da­wes-Plan für die Re­pa­ra­tio­nen ent­spre­chend der deut­schen Leis­tungs­fä­hig­keit und die in­ter­na­tio­na­le An­lei­he zur Wirt­schafts­för­de­rung, der am 1.9.1924 in Kraft trat, ver­bes­ser­te die La­ge. Die Links- und Rechts­ex­tre­mis­ten ver­lo­ren stark zu­guns­ten der Par­tei­en, die das par­la­men­ta­risch-re­pu­bli­ka­ni­sche Sys­tem un­ter­stütz­ten. Der SPD ge­lang es, auf Kos­ten der KPD ih­ren An­teil an den Man­da­ten im Reichs­tag von 100 auf 131 zu er­hö­hen, dar­un­ter auch in der Rhein­pro­vinz. Re­gie­rungs­fä­hig war die SPD al­ler­dings nicht. Die neue Reichs­re­gie­rung war ei­ne Mit­te-Rechts-Ko­ali­ti­on aus Zen­trum, BVP, DVP und DNVP und be­saß so­gar ei­ne so­li­de par­la­men­ta­ri­sche Mehr­heit von bei­na­he 56 Pro­zent. Das Re­gie­rungs­bünd­nis schei­ter­te an au­ßen­po­li­ti­schen Dif­fe­ren­zen. Die DNVP trat aus der Ko­ali­ti­on aus. Ihm folg­te ei­ne Min­der­heits­re­gie­rung bür­ger­li­cher Par­tei­en aus Zen­trum, DDP und DVP. 1927 ent­stand ei­ne neue Mit­te-Rechts-Ko­ali­ti­on, al­ler­dings oh­ne die links­li­be­ra­le DDP, die knapp un­ter­halb der Reichs­tags­mehr­heit lag.

Ex­kurs: Die ers­te Di­rekt­wahl des Reichs­prä­si­den­ten 1925

Den ers­ten Reichs­prä­si­den­ten, Fried­rich Ebert (1871-1925, Amts­zeit 1919-1925), SPD, hat­te noch die Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt. Nach dem Tod Eberts im Al­ter von 54 Jah­ren am 28.2.1925 wur­de am 29.3. und 26.4.1925 der Reichs­prä­si­dent erst­ma­lig durch ei­ne Di­rekt­wahl des Vol­kes in zwei Wahl­gän­gen be­stimmt. Die Grund­zü­ge des ak­ti­ven Wahl­rechts ent­spra­chen den Vor­schrif­ten für den Reichs­tag. Je­der Wäh­ler hat­te ei­ne Stim­me. Im ers­ten Wahl­gang muss­te ei­ne Kan­di­da­tur mehr als die Hälf­te der gül­ti­gen Stim­men er­rei­chen, um er­folg­reich zu sein. Der zwei­te Wahl­gang war nicht an den ers­ten ge­kop­pelt, es konn­ten al­so für ihn neue Be­wer­ber auf­ge­stellt wer­den. Für ei­nen Er­folg in die­sem Wahl­gang reich­te es aus, die meis­ten Stim­men im Ver­gleich zu den Kon­kur­ren­ten zu er­zie­len. Wähl­bar war je­de und je­der Deut­sche mit ei­nem Min­dest­al­ter von 35 Jah­ren. Die Wahl­vor­schlä­ge stamm­ten von den mitt­le­ren und grö­ße­ren Par­tei­en oder Ko­ali­tio­nen. Ein­zel­per­so­nen wa­ren wähl­bar. Die Ein­tei­lung in Wahl­krei­se spiel­te für das Wahl­er­geb­nis kei­ne Rol­le. 

Die Wahl fand in ei­ner re­la­ti­ven wirt­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Sta­bi­li­tät der Wei­ma­rer Re­pu­blik statt. Ei­ne stark na­tio­na­lis­ti­sche Stim­mung war aber ge­blie­ben. Die Su­che nach na­tio­na­ler Iden­ti­tät und ei­ner in­te­gra­ti­ven über­par­tei­li­chen Ga­li­ons­fi­gur blieb. Die er­folg­rei­che Au­ßen­po­li­tik mit dem Ziel des Aus­gleichs mit den Sie­ger­mäch­ten des Ers­ten Welt­krie­ges durch Gus­tav Stre­se­mann (1878-1929, Reichs­kanz­ler 1923, Reichs­au­ßen­mi­nis­ter 1923-1929) wur­de nicht ge­wür­digt, son­dern als Aus­ver­kauf der deut­schen In­ter­es­sen dis­qua­li­fi­ziert.

Reichstagsmandate in der Rheinprovinz 1920-1932.

 

Die reichs­wei­te Be­tei­li­gung am ers­ten Wahl­gang der Prä­si­den­ten­wahl fiel mit fast 69 Pro­zent re­la­tiv schwach aus. In der Rhein­pro­vinz fiel sie noch ge­rin­ger aus. Die re­gio­na­le Ver­tei­lung des Wahl­er­geb­nis­ses be­stä­tig­te die Be­harr­lich­keit struk­tur­ab­hän­gi­gen Wäh­ler­ver­hal­tens. Die Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kon­fes­si­on und der Be­schäf­ti­gungs­sta­tus als Ar­bei­ter wa­ren da­für prä­gend. Meh­re­re länd­li­che ka­tho­li­sche Hoch­bur­gen links des Rheins er­wie­sen sich als treue Wäh­ler des Zen­trums­kan­di­da­ten aus dem Rhein­land und ehe­ma­li­gen Reichs­kanz­ler­s Wil­helm Marx. Hier­zu ge­hör­ten die Land­krei­se Adenau in der Ei­fel (92,9 Pro­zent), Daun (88,9 Pro­zent) und Heins­berg (87,2 Pro­zent). Die­sem Zu­spruch im Wes­ten stand das ma­ge­re reichs­wei­te Re­sul­tat von 14,5 Pro­zent ge­gen­über. In den In­dus­trie- und Berg­bau­re­gio­nen war das Wahl­ver­hal­ten dif­fe­ren­zier­ter. Es führ­te zu ei­ner stär­ke­ren Wahl des Vor­sit­zen­den der KPD, Ernst Thäl­mann (1886-1944), wie zum Bei­spiel im ber­gi­schen Raum um So­lin­gen und Rem­scheid. Der SPD-Kan­di­dat, der preu­ßi­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Ot­to Braun (1872-1955, Amts­zeit 1920-1932), traf auf re­la­tiv viel Zu­stim­mung im Ruhr­ge­biet. Dort, wo bei den Reichs­tags­wah­len die DVP und die DNVP gu­te Er­geb­nis­se er­zielt hat­ten wie in Tei­len des Ber­gi­schen Lan­des, konn­te der Kan­di­dat der Rechts­par­tei­en Dr. Karl Jar­res, Ober­bür­ger­meis­ter von Duis­burg, so­gar mehr als 50 Pro­zent der ab­ge­ge­be­nen Stim­men er­zie­len. Da nun er­war­tungs­ge­mäß im ers­ten Wahl­gan­g k­ei­ner der Be­wer­ber die er­for­der­li­che ab­so­lu­te Mehr­heit der gül­ti­gen Stim­men auf sich ver­ei­ni­gen konn­te, wur­de ein zwei­ter Wahl­gang für den 26.4.1925 an­ge­setzt.  Nun zo­gen die Rechts­par­tei­en tak­tisch ge­schickt ih­re Kan­di­da­ten zu­guns­ten ei­nes ge­mein­sa­men Be­wer­bers zu­rück. Ih­nen ge­lang die Re­ak­ti­vie­rung des 78-jäh­ri­gen pen­sio­nier­ten kai­ser­li­chen Ge­ne­ral­feld­mar­schalls Paul von Hin­den­burg (1847-1934), der als über­par­tei­lich galt und durch sei­nen Nim­bus der sieg­rei­chen Schlacht von Tan­nen­berg im Ers­ten Welt­krieg ho­hes An­se­hen in wei­ten Krei­sen der Be­völ­ke­rung be­saß. Auch bei den Par­tei­en der „Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on“ führ­ten tak­ti­sche Über­le­gun­gen da­zu, dass die SPD und die links­li­be­ra­le DDP auf ih­re Kan­di­da­ten ver­zich­te­ten und den reichs­be­kann­ten Zen­trums­po­li­ti­ker Marx un­ter­stütz­ten. Die baye­ri­sche BVP un­ter­stütz­te nicht den Be­wer­ber ih­rer Schwes­ter­par­tei Wil­helm Marx, son­dern Hin­den­burg und trug ent­schei­dend zum Er­folg Hin­den­burgs bei. Das Du­ell zwi­schen Hin­den­burg und Marx mo­bi­li­sier­te die Wäh­ler. Die Wahl­be­tei­li­gung er­reich­te reichs­weit 77,6 Pro­zent. In der Qua­si-Stich­wahl zwi­schen den bei­den mehr­heits­fä­hi­gen Be­wer­bern um das höchs­te Staats­amt sieg­te Hin­den­burg. Er er­ziel­te im gan­zen Deut­schen Reich 48,3 Pro­zent der ab­ge­ge­be­nen gül­ti­gen Stim­men. Auf Marx ent­fie­len 45,3 Pro­zent. Der Vor­sit­zen­de der KPD er­hielt als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat nur 6,4 Pro­zent. Von den deutsch­land­wei­ten Er­geb­nis­sen setz­te sich die Rhein­pro­vinz wie­der ein­mal deut­lich ab. Hin­den­burg un­ter­lag ge­gen­über Marx ein­deu­tig. Im Kreis Heins­berg er­hielt er nur 5,9 Pro­zent, in den Ei­fel­krei­sen Adenau 6,1 und Mons­chau 6,5 Pro­zent. Marx ge­wann in fast zwei Drit­tel der rhei­ni­schen Stadt- und Land­krei­se. Dort, wo Marx be­reits im ers­ten Wahl­gang ei­ne gro­ße Mehr­heit der Stim­men er­hal­ten hat­te, konn­te er nun auch ge­gen den be­kann­ten, aber das al­te Preu­ßen re­prä­sen­tie­ren­den Hin­den­burg ge­win­nen. Es ge­lan­gen Marx Stim­men­zu­wäch­se in Stadt- und Land­krei­sen, wo im ers­ten Wahl­gang der SPD-Kan­di­dat Braun noch vor ihm ge­le­gen hat­te. Of­fen­sicht­lich wa­ren vie­le SPD-An­hän­ger der Emp­feh­lung ih­rer Par­tei­füh­rung ge­folgt, um den Sieg der Rech­ten mit Hin­den­burg zu ver­hin­dern.

Das Schlus­s­er­geb­nis der Reichs­prä­si­den­ten­wahl 1925 war die Wen­de­mar­ke der Wei­ma­rer Re­pu­blik. Es war ei­ne Nie­der­la­ge der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung in Deutsch­land. „Der Sieg Hin­den­burgs ist das Er­geb­nis der Spal­tung der Ar­bei­ter­be­we­gung und der Spal­tung auch des po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus“ (Karl Diet­rich Erd­mann). Hin­den­burg ver­hielt sich, ent­ge­gen den Er­war­tun­gen sei­ner rech­ten und kon­ser­va­ti­ven An­hän­ger, for­mal loy­al zur Reichs­ver­fas­sung. Al­ler­dings setz­te mit ihm ein Wan­del der Ver­fas­sungs­wirk­lich­keit und des Po­li­tik­stils in der Reichs­po­li­tik zu­guns­ten ei­ner au­to­ri­tä­re­ren Herr­schaft ein. Bei der Bil­dung der fol­gen­den Reichs­re­gie­run­gen wur­de Hin­den­burgs Prä­fe­renz für rechts von der Mit­te ste­hen­de Ko­ali­ti­ons­part­ner und Po­li­ti­ker aus dem Adel ma­ß­ge­bend.

Wilhelm Marx, 1926, Porträtfoto. (LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 

Die Wahl zum 4. Reichs­tag am 20.5.1928 wur­de zu ei­nem kla­ren Er­folg der Links­par­tei­en KPD und SPD und da­mit zu ei­nem Miss­trau­ens­vo­tum ge­gen die bis­he­ri­gen wech­seln­den bür­ger­li­chen Ka­bi­net­te. Rechts gab es ei­nen star­ken Ver­lust der DNVP. Die klas­si­schen Par­tei­en der bür­ger­li­chen Mit­te muss­ten we­gen ih­rer schwa­chen In­te­gra­ti­ons­kraft Wan­de­run­gen zu in­ter­es­sen­ge­bun­de­nen Split­ter­par­tei­en hin­neh­men. Bei­spiels­wei­se konn­te die WP im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost das ers­te Man­dat für die Rhein­pro­vinz ge­win­nen bei gleich­zei­ti­gen Ver­lus­ten der DVP und der DNVP. Zen­trum und DNVP ori­en­tier­ten sich nach rechts. Bei die­ser Reichs­tags­wahl trat die NS­DAP erst­ma­lig nach ih­rer Wie­der­grün­dung mit ih­rem cha­ris­ma­ti­schen „Füh­rer“ Adolf Hit­ler an. Ob­wohl die­se klei­ne rechts­ex­tre­me Par­tei ei­nen un­ver­hält­nis­mä­ßig auf­wän­di­gen Wahl­kampf be­trie­ben hat­te, er­hielt sie nur 2,6 Pro­zent der Stim­men. Im Reichs­tag von 1928 hat­te sie mit zwölf von 491 Ab­ge­ord­ne­ten kein Ge­wicht. In der Rhein­pro­vinz konn­te das Zen­trum im Wahl­kreis Ko­blenz-Trier die ab­so­lu­te Mehr­heit der Stim­men er­rei­chen, im Wahl­kreis Köln-Aa­chen kam es im­mer­hin auf 42 Pro­zent. Die Par­tei des po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus lag im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost mit 20,9 Pro­zent hin­ter der KPD (22,4 Pro­zent) und nur knapp vor der SPD (19 Pro­zent). Die KPD konn­te die Zahl ih­rer Man­da­te in der Rhein­pro­vinz von sechs auf acht stei­gern, die SPD von sie­ben auf neun. Das Zen­trum lag aber auch nach ei­nem Ver­lust von zwei Man­da­ten mit 19 rhei­ni­schen Ab­ge­ord­ne­ten weit vor­ne.

Die Re­gie­rungs­bil­dung brach­te noch ein­mal ei­ne Ko­ali­ti­on von SPD, Zen­trum, Baye­ri­scher Volks­par­tei, DVP und DDP un­ter dem so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­kanz­ler Her­mann Mül­ler (1876-1931, Amts­zeit 1928-1930) zu­stan­de, die mit 61,5 Pro­zent der Man­da­te im Reichs­tag ei­ne zah­len­mä­ßig so­li­de Mehr­heit hat­te. In der Au­ßen­po­li­tik gab es kei­ne gra­vie­ren­den Dif­fe­ren­zen zwi­schen den Ko­ali­ti­ons­par­tei­en. Das Jahr 1929 stand ganz im Zei­chen der Re­pa­ra­ti­ons­fra­ge. Al­ler­dings litt das Zweck­bünd­nis un­ter star­ken Span­nun­gen ins­be­son­de­re in der Wirt­schafts­po­li­tik, vor al­lem zwi­schen der SPD und der DVP. Es zeig­te sich, dass die Kom­pro­miss­fä­hig­keit der Par­tei­en nach­ließ. Die Ko­ali­ti­on zer­brach zu­guns­ten ei­nes Prä­si­di­al­ka­bi­netts des Zen­trums­po­li­ti­kers Hein­rich Brü­ning (1885-1970, Amts­zeit 1930-1932), das sich ab En­de März 1930 vor al­lem auf das Ver­trau­en des Reichs­prä­si­den­ten und die To­le­ranz der SPD-Reichs­tags­frak­ti­on ver­las­sen muss­te. Be­reits im De­zem­ber 1929 kon­sta­tier­te der DDP-Po­li­ti­ker und Volks­wirt Dr. Gus­tav Stol­per (1888-1947): „Was wir bis heu­te ha­ben, ist ei­ne Ko­ali­ti­on von Mi­nis­tern, nicht ei­ne Ko­ali­ti­on von Par­tei­en. Es gibt über­haupt kei­ne Re­gie­rungs­par­tei­en, es gibt nur Op­po­si­ti­ons­par­tei­en. Daß es so weit ge­kom­men ist, be­deu­tet ei­ne schwe­re­re Ge­fähr­dung des de­mo­kra­ti­schen Sys­tems, als Mi­nis­ter und Par­la­men­ta­ri­er ah­nen.“ (zi­tiert nach Kolb, Die Wei­ma­rer Re­pu­blik, S. 76).

Brü­nings De­fla­ti­ons­po­li­tik in der Ge­stalt ei­ner De­ckungs­vor­la­ge für die Sa­nie­rung des Staats­haus­halts fiel bei der Mehr­heit des Reichs­tags durch. Dar­auf­hin wur­den der Reichs­tag auf­ge­löst und Neu­wah­len her­bei­ge­führt. Die Vor­la­ge trat in ver­schärf­ter Fas­sung per Not­ver­ord­nung des Reichs­prä­si­den­ten in Kraft, was nach zeit­ge­nös­si­scher herr­schen­der Rechts­leh­re ver­fas­sungs­wid­rig war. Die­ser Po­li­tik­stil wur­de von nun an fort­ge­setzt und führ­te zu ei­ner schwe­ren Kri­se des Par­la­men­ta­ris­mus. Der Reichs­tag ver­lor fak­tisch sei­ne ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­se­he­ne star­ke Rol­le in der Ge­setz­ge­bung.

Die Wahl zum 5. Reichs­tag am 14.9.1930 war die ers­te in der Welt­wirt­schafts­kri­se. Die Welt­wirt­schafts­kri­se wur­de ein Ka­ta­ly­sa­tor für die Zer­stö­rung der de­mo­kra­ti­schen Grund­la­gen ei­ner plu­ra­lis­ti­schen Ge­sell­schaft. Die Reichs­re­gie­rung er­ziel­te ei­nen be­acht­li­chen au­ßen­po­li­ti­schen Er­folg, der als Young-Plan die noch im­mer gro­ßen Be­las­tun­gen Deutsch­lands aus dem Ver­sailler Frie­dens­ver­trag und die Un­ge­wiss­heit über ih­re Zu­kunft um­wan­del­te in ein trag­ba­res, al­ler­dings sehr lang­fris­ti­ges Kon­zept. Der Young-Plan trat rück­wir­kend zum 1.9.1929 in Kraft. Deutsch­land ga­ran­tier­te Zah­lun­gen bis 1988. Im Ge­gen­zug räum­ten die Al­li­ier­ten das Rhein­land bis zum 30.6.1930. Der Young-Plan bot we­gen sei­ner lan­gen Re­pa­ra­ti­ons­leis­tun­gen ei­ne her­vor­ra­gen­de An­griffs­flä­che der Rechts­par­tei­en, ins­be­son­de­re der DNVP. Die Kam­pa­gne schei­ter­te zwar En­de 1929 in ei­nem Volks­ent­scheid, doch blieb das The­ma in der öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on, wo­von vor al­lem die NS­DAP pro­fi­tier­te. Im zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit die­ser De­bat­te schwäch­te sich die Wirt­schafts­kon­junk­tur ab, um in ei­ne schwe­re Welt­wirt­schafts­kri­se von rund vier Jah­ren Dau­er über­zu­ge­hen. Die öko­no­mi­schen und so­zia­len Fol­gen der De­pres­si­on drück­ten sich in ei­ner Ra­di­ka­li­sie­rung der po­li­ti­schen Stim­mung aus. Am 30. Ju­ni wa­ren vor­zei­tig die fran­zö­si­schen Be­sat­zungs­trup­pen aus dem Rhein­land ab­ge­zo­gen. Die Haupt­fei­er für die „Be­frei­un­g“ fand un­ter Teil­nah­me des Reichs­prä­si­den­ten Hin­den­burg am 22. Ju­li in Ko­blenz statt und wur­de zu ei­nem na­tio­na­len Gro­ße­reig­nis. Nach der Ent­las­sung Brü­nings durch Hin­den­burg En­de Mai 1932 gab es bis zur Er­nen­nung Hit­lers zum Reichs­kanz­ler En­de Ja­nu­ar 1933 nur noch zwei Kurz­zeit­re­gie­run­gen, die aus­schlie­ß­lich vom Wohl­wol­len des Reichs­prä­si­den­ten und den Be­ra­tern in sei­ner nächs­ten Um­ge­bung ab­hin­gen. Die un­über­sicht­li­che Par­tei­en­land­schaft ver­stärk­te bei den Wäh­lern die Sehn­sucht nach Ru­he und Ord­nung, Ge­mein­schaft, Über­sicht­lich­keit und dem star­ken Mann. Mit ei­nem cha­ris­ma­ti­schen Füh­rer mit mar­ki­gen Wor­ten und ei­nem mar­tia­li­schen Auf­tre­ten auf der Stra­ße und zu­neh­mend in den Par­la­men­ten mach­te die NS­DAP Ein­druck. Der NS­DAP ge­lang es reichs­weit, ih­ren Stim­men­an­teil von 2,6 Pro­zent im Jahr 1928 auf nun 18,3 Pro­zent zu stei­gern und da­mit den zwei­ten Platz hin­ter den So­zi­al­de­mo­kra­ten zu er­rei­chen, die ei­nen Ver­lust von 5,3 Pro­zent­punk­ten hin­neh­men muss­ten und nur noch auf 24,5 Pro­zent ka­men.  Die KPD konn­te den Stim­men­an­teil von 10,6 Pro­zent auf 13,1 Pro­zent leicht stei­gern. Ähn­lich war der Trend in der Rhein­pro­vinz. Im Wahl­kreis Köln-Aa­chen la­gen hin­ter dem deut­lich füh­ren­den Zen­trum KPD, SPD und NS­DAP mit je­weils über 14 Pro­zent der Stim­men gleich­auf. Im Wahl­kreis Ko­blenz-Trier ver­lor das Zen­trum die ab­so­lu­te Mehr­heit und die NS­DAP wur­de zweit­stärks­te Par­tei. An­de­re Ver­hält­nis­se gab es im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost, wo die KPD deut­lich vor­ne lag und die NS­DAP fast den zwei­ten Platz an­stel­le des Zen­trums er­reicht hät­te. Der Wahl­kreis Düs­sel­dorf-West zeich­ne­te sich durch ei­ne kla­re Füh­rung des Zen­trums aus, NS­DAP und KPD er­reich­ten aber fast glei­che Er­geb­nis­se um 17 Pro­zent. Über ein Drit­tel der Wäh­ler hat­ten per Stimm­zet­tel ihr Miss­trau­en zur Par­tei­en­de­mo­kra­tie und für ex­tre­mis­ti­sche Al­ter­na­ti­ven aus­ge­spro­chen. Die links­li­be­ra­le DStP spiel­te kei­ne Rol­le. DVP und DNVP muss­ten Man­dats­ver­lus­te in der Rhein­pro­vinz hin­neh­men. Statt­des­sen konn­te der CS­VD im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost erst­ma­lig ei­nen Ab­ge­ord­ne­ten in den Reichs-tag ent­sen­den. Die WP stell­te zwei statt bis­her ei­nen rhei­ni­schen Ab­ge­ord­ne­ten. Die ei­gent­li­che Macht­ver­schie­bung fand durch die NS­DAP statt, die gleich auf An­hieb 10 von 55 rhei­ni­schen Man­da­ten ge­wann.

Ex­kurs: Die zwei­te Di­rekt­wahl des Reichs­prä­si­den­ten 1932

Un­ter völ­lig an­de­ren po­li­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Rah­men­be­din­gun­gen als die Wahl 1925 fand die Wahl im Früh­jahr 1932 statt. Die­ses Mal ging es um den Exis­tenz­kampf ge­gen die Fein­de der Re­pu­blik. Wie dra­ma­tisch die La­ge für die par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kra­tie war, ver­deut­licht ein Blick auf die Be­wer­ber um das höchs­te Staats­amt der Re­pu­blik: Der ehe­ma­li­ge Of­fi­zier und DNVP-Se­kre­tär Theo­dor Du­es­ter­berg (1875-1950) war zwei­ter Vor­sit­zen­der des rechts­ra­di­ka­len „Stahl­helm. Bund der Front­sol­da­ten“ und wur­de von sei­ner Par­tei un­ter­stützt. Adolf Hit­ler trat als „Füh­rer“ der NS­DAP in den Wett­be­werb. Ernst Thäl­mann kan­di­dier­te als mos­kau­hö­ri­ger Vor­sit­zen­der der KPD. Gus­tav Adolf Win­ter (1882-1936), ein we­gen Be­trugs zu Haft­stra­fen ver­ur­teil­ter Be­triebs­wirt, hat­te als ge­mein­sa­mer Be­wer­ber von Split­ter­grup­pen und In­fla­ti­ons­ge­schä­dig­ten kei­ne Wahl­chan­cen. In die­ser La­ge kämpf­te Brü­ning um die Wie­der­wahl des am­tie­ren­den Reichs­prä­si­den­ten Hin­den­burg, um vor al­lem die Wahl Hit­lers zu ver­hin­dern. Dies galt als das klei­ne­re Übel, ob­wohl es kei­nen Zwei­fel gab, dass Hin­den­burg kein De­mo­krat aus Über­zeu­gung war und auf gro­ßer Dis­tanz zu den ihn un­ter­stüt­zen­den Par­tei­en stand. Es ge­lang ei­ne Ko­ali­ti­on aus SPD, Zen­trum, Baye­ri­scher Volks­par­tei, DVP und DStP für ei­ne ge­mein­sa­me Wahl­kam­pa­gne zu schaf­fen. Das Er­geb­nis im 1. Wahl­gang am 13.3.1932 zeig­te bei ei­ner enor­men reichs­wei­ten Wahl­be­tei­li­gung von über 86 Pro­zent ein zwie­späl­ti­ges Er­geb­nis. Ei­ner­seits ver­fehl­te Hin­den­burg mit 49,6 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men in ganz Deutsch­land nur ganz knapp die für sei­ne Wahl er­for­der­li­che ab­so­lu­te Mehr­heit. Auch lag er deut­lich vor sei­nem schärfs­ten Kon­kur­ren­ten Hit­ler, der 30,1 Pro­zent er­reich­te. Aber ins­ge­samt ge­wan­nen die of­fe­nen Ver­fas­sungs­fein­de et­was mehr als die Hälf­te der Stim­men. Grund­sätz­lich an­ders sah das Wahl­er­geb­nis in der Rhein­pro­vinz aus. Hier sieg­te Hin­den­burg in drei von vier Wahl­krei­sen deut­lich und er­reich­te im Wahl­kreis Köln-Aa­chen ein Re­kord­er­geb­nis von 65,3 Pro­zent, das zweit­bes­te im gan­zen Deut­schen Reich. Im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost er­hielt der KPD-Vor­sit­zen­de Thäl­mann das zweit­bes­te reichs­wei­te Er­geb­nis mit 24,6 Pro­zent. In al­len vier Wahl­krei­sen in der Rhein­pro­vinz lag Hit­ler deut­lich un­ter dem Reich­s­er­geb­nis. 

Im 2. Wahl­gang am 10.4.1932 hat­ten nur Hin­den­burg und Hit­ler ernst­haf­te Chan­cen, die re­la­ti­ve Mehr­heit der ab­ge­ge­be­nen gül­ti­gen Stim­men zu er­rei­chen. Der zwei­te Ur­nen­gang mo­bi­li­sier­te mit 83,5 der Stimm­be­rech­tig­ten fast so vie­le wie der ers­te. Hin­den­burg er­ziel­te mit dem Zu­ge­winn von 4,4 Pro­zent­punk­ten nun 53,0 Pro­zent, Hit­ler 36,8 Pro­zent durch ei­nen Zu­wachs von 6,7 Pro­zent­punk­ten, wäh­rend der Kom­mu­nist Thäl­mann 3,1 Pro­zent­punk­te ver­lor und nur noch ei­nen An­teil von et­was mehr als 10 Pro­zent der Wäh­ler er­reich­te. Das reichs­weit dritt­bes­te Er­geb­nis für Hin­den­burg gab es im Wahl­kreis Köln-Aa­chen mit 68,4 Pro­zent. In al­len vier Wahl­krei­sen in der Rhein­pro­vinz lag Hit­ler hin­ter dem Reich­s­er­geb­nis. Thäl­mann er­ziel­te in drei der vier Wahl­krei­se ein bes­se­res Er­geb­nis als im Durch­schnitt des Reichs.

Das Re­sul­tat der Wahl zum 6. Reichs­tag am 31.7.1932          kann nur als ent­schie­de­nes Vo­tum ge­gen die schwa­che par­la­men­ta­risch-prä­si­dia­le De­mo­kra­tie oh­ne über­zeu­gen­de De­mo­kra­ten ver­stan­den wer­den. Es stand ganz im Zei­chen des Tief­punk­tes der Wirt­schaft, der so­zia­len Kon­flik­te und der Reich­sexe­ku­ti­on ge­gen­über Preu­ßen („Preu­ßen­schlag“) am 20.7.1932. Reichs­kanz­ler Franz von Pa­pen (1879-1969, Amts­zeit 1932) hat­te kein In­ter­es­se am Er­halt der Ver­fas­sungs­ord­nung, son­dern an der Durch­set­zung sei­ner Herr­schaft im wich­tigs­ten Land im Reich. Nun über­nahm er als Reichs­kom­mis­sar die Macht in Preu­ßen an­stel­le der am­tie­ren­den Preu­ßi­schen Staats­re­gie­rung des SPD-Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Ot­to Braun.

Die Po­li­ti­sie­rung der Be­völ­ke­rung war enorm. Die reichs­wei­te Wahl­be­tei­li­gung von 84,1 Pro­zent war die höchs­te Mo­bi­li­sie­rung der Wahl­be­rech­tig­ten al­ler Reichs­tags­wah­len in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, die un­ter fai­ren Be­din­gun­gen statt­fan­den. In drei der vier rhei­ni­schen Wahl­krei­se blieb das Zen­trum die stärks­te Par­tei. Aber im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost fiel es nun hin­ter der NS­DAP und der KPD auf den drit­ten Rang zu­rück. In die­sem Wahl­kreis er­reich­ten die Links- und Rechts­ex­tre­mis­ten mit fast 58 Pro­zent ei­ne gro­ße Mehr­heit. Wie stark sich die Un­ter­schie­de der Kon­fes­si­ons- und Wirt­schafts­ver­hält­nis­se auf das Wahl­er­geb­nis aus­wirk­ten, zeigt ein Ver­gleich des länd­lich-ka­tho­li­schen Wahl­krei­ses Ko­blenz-Trier mit dem von Städ­ten und In­dus­trie ge­präg­ten Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost, der ei­ne Mi­schung von Ka­tho­li­ken und Evan­ge­li­schen auf­wies. Die KPD er­ziel­te in Ko­blenz-Trier 8,6 Pro­zent, in Düs­sel­dorf-Ost 26,3 Pro­zent. Das Zen­trum er­reich­te in Ko­blenz-Trier 46,2 Pro­zent, in Düs­sel­dorf-Ost 20,6 Pro­zent. Die NS­DAP be­kam in Ko­blenz-Trier 28,8 Pro­zent der Stim­men, in Düs­sel­dorf-Ost 31,6 Pro­zent. In der Rhein­pro­vinz ge­lang es der NS­DAP, die Zahl ih­rer Man­da­te von zehn auf 19 zu stei­gern und nur noch knapp hin­ter dem Zen­trum mit 21 Ab­ge­ord­ne­ten auf dem zwei­ten Platz zu kom­men. Die KPD er­reich­te mit 13 Man­da­ten ein Plus von zwei ge­gen­über der Wahl von 1930 und war ein­deu­tig die stär­ke­re Par­tei als die SPD mit acht. DVP, CS­VD und WP er­hiel­ten kei­ne Man­da­te mehr.

Die Fein­de der Ver­fas­sung, al­len vor­an die Kom­mu­nis­ten und Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, er­ran­gen in der Wahl am 31.7.1932 ei­nen ein­deu­ti­gen Sieg über die de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en. Sie be­sa­ßen nun­mehr die Mehr­heit im Reichs­tag. Die NS­DAP ver­dop­pel­te ih­ren reichs­wei­ten Stim­men­an­teil auf 37,5 Pro­zent. Sie wur­de an­stel­le der SPD die mit Ab­stand stärks­te Frak­ti­on und stell­te mit Her­mann Gö­ring (1893-1946, Amts­zeit 1932-1945) erst­mals den Prä­si­den­ten des Reichs­tags. Die Kom­mu­nis­ten leg­ten noch leicht zu. DStP und DVP so­wie die bür­ger­li­chen Split­ter­par­tei­en ver­san­ken in Be­deu­tungs­lo­sig­keit. DNVP und SPD ver­lo­ren et­was an Zu­stim­mung. 

Der Ter­min für Wahl zum 7. Reichs­tag am 6.11.1932

war das Er­geb­nis ei­nes Rän­ke­spiels um den Reichs­prä­si­den­ten. Reichs­kanz­ler von Pa­pen er­reich­te die Auf­lö­sung des ge­ra­de im Ju­li ge­wähl­ten Reichs­tags und Neu­wah­len zum ver­fas­sungs­mä­ßig spä­test­mög­li­chen Ter­min. 

Die­se Wahl war die drit­te reichs­wei­te in die­sem Jahr und die letz­te in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, die un­ter fai­ren Be­din­gun­gen für al­le Par­tei­en statt­fand. Mit gut 80 Pro­zent Wahl­be­tei­li­gung war sie Aus­druck ei­ner im­mer noch be­mer­kens­wert gro­ßen Mo­bi­li­sie­rung. In der Ei­fel und an der Mo­sel war die Wahl­be­reit­schaft am ge­rings­ten, wo auch die Zahl der un­gül­ti­gen Stim­men auf­fal­lend hoch aus­fie­len und als Aus­druck der Frus­tra­ti­on und des Pro­tes­tes über die wirt­schaft­li­che La­ge und die Agrar­po­li­tik ge­wer­tet wer­den kön­nen. Die links­ex­tre­me KPD ge­wann im Reich 700.000 Stim­men, was ei­nen An­stieg ih­res Stim­men­an­teils um 2,6 Pro­zent­punk­te be­deu­te­te. Nach dem tri­um­pha­len Er­geb­nis im Ju­li 1932 war das Er­geb­nis für die NS­DAP eher er­nüch­ternd und alar­mier­te ih­re macht­hung­ri­gen Spit­zen­kräf­te. Reichs­weit ver­lor die NS­DAP rund zwei Mil­lio­nen Stim­men und in den vier rhei­ni­schen Wahl­krei­sen fünf der 19 Man­da­te. Die NS­DAP ver­än­der­te die po­li­ti­sche Land­schaft am Mit­tel­rhein und in Tei­len des Huns­rücks. Da­ge­gen wa­ren die stark ka­tho­lisch-länd­li­chen Ge­bie­te weit­ge­hend re­sis­tent. Die Hoch­bur­gen des ka­tho­li­schen Zen­trums blie­ben im­mer noch in­takt. Das Zen­trum er­hielt in der ge­sam­ten Rhein­pro­vinz 21 der 57 Man­da­te.

Schon we­gen der Kür­ze der Le­gis­la­tur­pe­ri­ode die­ses Reichs­tags war das Er­geb­nis die­ses Ur­nen­gangs für die Reichs­po­li­tik prak­tisch oh­ne Be­deu­tung. Der Lärm der De­bat­ten im Reichs­tag stand in ei­nem Un­ver­hält­nis zur Un­fä­hig­keit für kon­struk­ti­ve po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen.

Der ge­ra­de kon­sti­tu­ier­te Reichs­tag ver­lor fak­tisch sei­ne ver­fas­sungs­mä­ßig zu­ge­wie­se­ne Rol­le. Die Prä­si­di­al­ka­bi­net­te hat­ten für ih­re Po­li­tik kei­ne Mehr­hei­ten. An ei­ne Ko­ali­ti­ons­bil­dung der Par­tei­en im Reichs­tag war an­ge­sichts der Mehr­heit der links- und rechts­ex­tre­men Re­pu­blik­fein­de nicht zu den­ken. Am 30.1.1933 wur­de Hit­ler zum Reichs­kanz­ler ei­nes Prä­si­di­al­ka­bi­netts aus kon­ser­va­ti­ven Par­tei­lo­sen, Stahl­helm-, DNVP- und NS­DAP-Mi­nis­tern er­nannt. Den be­stim­men­den Ton in der Po­li­tik gab Hit­lers NS­DAP an. Um die er­run­ge­ne Macht durch ei­ne Mehr­heit ab­zu­si­chern, konn­te Hit­ler bei Reichs­prä­si­dent Hin­den­burg die ra­sche Neu­wahl des Reichs­tags er­rei­chen. Die Reichs­re­gie­rung setz­te al­le mög­li­chen Mit­tel des Staats­ap­pa­rats ge­schickt ein, um den Ver­lauf des Wahl­kampfs zu ih­ren Guns­ten zu be­ein­flus­sen, die po­li­ti­schen Kon­kur­ren­ten ein­zu­schüch­tern oder aus­zu­schal­ten und die Ge­le­gen­heit der Macht­über­nah­me durch Wahl­gän­ge über­all zu nut­zen. In­so­fern war­ben bei der Wahl zum 8. Deut­schen Reichs­tag am 5.3.1933 zwar meh­re­re Par­tei­en um die Stim­men der Wahl­be­rech­tig­ten. Al­ler­dings fand der Wahl­gang schon nicht mehr un­ter fai­ren Be­din­gun­gen statt. Die reichs­wei­te Be­tei­li­gung von 88,8 Pro­zent der Wahl­be­rech­tig­ten nach ei­ner lan­gen Ket­te von Wahl­gän­gen war Aus­druck ei­ner enor­men Po­li­ti­sie­rung der Be­völ­ke­rung. Im Reich er­reich­te die NS­DAP 43,9 Pro­zent, in den vier Wahl­krei­sen der Rhein­pro­vinz lag die Par­tei mit 30,1 bis 38,4 Pro­zent im­mer noch deut­lich dar­un­ter. Wie stark das Zen­trum sei­ne ka­tho­li­schen Wäh­ler im Rhein­land bin­den konn­te, macht der Ver­gleich sei­nes Reich­s­er­geb­nis­ses (mit der Baye­ri­schen Volks­par­tei) von 13,9 Pro­zent mit den Er­geb­nis­sen von 40,9 Pro­zent (Wahl­kreis Ko­blenz-Trier) und 35,9 Pro­zent (Köln-Aa­chen) deut­lich. Im Wahl­kreis Düs­sel­dorf-Ost mit ei­nem ho­hen An­teil von In­dus­trie­ar­bei­tern und ei­ner star­ken so­zia­lis­ti­schen Ar­bei­ter-be­we­gung konn­te die KPD 22,5 Pro­zent er­zie­len, wäh­rend ihr Reich­s­er­geb­nis bei nur 12,3 Pro­zent lag. In al­len rhei­ni­schen Wahl­krei­sen lag die SPD zwi­schen 7 und 12 Pro­zent deut­lich hin­ter ih­rem Reichs­durch­schnitt von 18,3 Pro­zent. Ins­ge­samt blieb das Wahl­er­geb­nis hin­ter den Er­war­tun­gen der macht­hung­ri­gen NS­DAP zu­rück. Die er­hoff­te ei­ge­ne ab­so­lu­te Mehr­heit der Ab­ge­ord­ne­ten im Reichs­tag wur­de ver­fehlt, son­dern nur ge­mein­sam mit dem „Kampf­bund Schwarz-Weiß-Ro­t“, ei­nem Zu­sam­men­schluss aus DNVP, Stahl­helm und Land­bund, er­reicht. Hier wur­de nach­ge­hol­fen. Be­reits vor der Zu­sam­men­kunft des 8. Reichs­tags wur­de am 8.3.1933 ver­kün­det, dass die 81 ge­wähl­ten Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten der KPD, ih­re Man­da­te nicht aus­üben dürf­ten. Da­durch er­reich­te die NS­DAP ei­ne hauch­dün­ne ab­so­lu­te Mehr­heit der Ab­ge­ord­ne­ten im Reichs­tag. Für das ver­fas­sungs­än­dern­de „Er­mäch­ti­gungs­ge­setz“ vom 24.3.1933 stimm­ten noch die üb­ri­gen an­we­sen­den Par­tei­en au­ßer der SPD. Das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche „Ge­setz ge­gen die Neu­bil­dung von Par­tei­en“ vom 14.7.1933 war for­mal das En­de der plu­ra­lis­ti­schen Wei­ma­rer De­mo­kra­tie und der Be­ginn der Dik­ta­tur durch die ein­zig noch zu­ge­las­se­ne NS­DAP.

4. Fazit

Wahl­sys­tem

Im Kai­ser­reich ging die ab­so­lu­te Mehr­heits­wahl von Ein­zel­per­so­nen in un­ver­bun­de­nen Ei­ner­wahl­krei­sen oh­ne ei­nen Aus­gleich für die Un­ter­le­ge­nen („The win­ner ta­kes all.“) von ei­ner Per­sön­lich­keits­wahl und ei­ner en­gen Bin­dung zwi­schen dem Ab­ge­ord­ne­ten und den Wahl­be­rech­tig­ten in ei­nem re­la­tiv klei­nen Wahl­kreis aus. Die Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit soll­te eher nach­ran­gig sein. In ei­nem ge­wis­sen Ma­ße war dies der Fall. Im Er­geb­nis brach­te die­ses Wahl­recht Vor­tei­le für mitt­le­re und grö­ße­re Par­tei­en, de­ren Wäh­ler re­gio­nal kon­zen­triert wa­ren und eher auf dem Lan­de wohn­ten. Das Wahl­recht der Wei­ma­rer Re­pu­blik war als Al­ter­na­ti­ve zum Wahl­recht des Kai­ser­reichs aus­ge­stal­tet, wel­ches man als dis­kri­mi­nie­rend er­lebt hat­te. Das weit­ge­hend rei­ne Ver­hält­nis­wahl­recht in Groß­wahl­krei­sen mit ge­bun­de­nen Par­tei­lis­ten, ei­ner fes­ten Zu­ord­nung ei­nes Man­dats für ei­ne be­stimm­te Zahl von Wäh­lern und ei­ner zwei­stu­fi­gen Rest­stim­men­ver­wer­tung in Wahl­kreis­ver­bän­den und auf Reichs­ebe­ne soll­te je­de Un­gleich­heit der Stim­men­ver­wer­tung aus­schal­ten. Die­ses star­re Sys­tem der Par­tei­en­wahl be­för­der­te ei­ne in­trans­pa­ren­te Auf­stel­lung von Kan­di­da­ten und ei­nen nur lo­cke­ren per­sön­li­chen Be­zug zwi­schen dem Ab­ge­ord­ne­ten und sei­nen Wahl­kreis. 

Par­tei­en­prä­fe­ren­zen

Der Wech­sel vom Mehr­heits- und Per­sön­lich­keits­wahl­recht in klei­nen Wahl­krei­sen zum Ver­hält­nis- und Par­tei­en­wahl­recht in Groß­wahl­krei­sen mo­di­fi­zier­te die Man­dats­er­trä­ge der Par­tei­en ent­spre­chend ih­rer tat­säch­li­chen Stim­men­an­tei­le zu­las­ten des Zen­trums und zu­guns­ten der Links- und klei­nen Par­tei­en. Die fun­da­men­ta­len Wahl­prä­fe­ren­zen blie­ben er­hal­ten. Die Ein­füh­rung des Frau­en­wahl­rechts än­der­te nichts an den re­gio­na­len Prä­fe­ren­zen für be­stimm­te Par­tei­en. Der Wech­sel des po­li­ti­schen Sys­tems von der Mon­ar­chie zur Re­pu­blik in­klu­si­ve ei­nes ge­sell­schaft­li­chen Um­bruchs brach­te auch kei­nen fun­da­men­ta­len Wan­del des Par­tei­en­sys­tems. Die Grund­strö­mun­gen des „Fünf-Par­tei­en-Sys­tem­s“ seit 1848 las­sen sich - bei et­was ver­grö­ber­ter Be­trach­tung  - in der Wei­ma­rer Re­pu­blik wie­der­fin­den: Die Kon­ser­va­ti­ven in der Ge­stalt der DNVP, der Rechts­li­be­ra­lis­mus in der DVP, die Links­li­be­ra­len in der DDP, der po­li­ti­sche Ka­tho­li­zis­mus fast un­ver­än­dert im Zen­trum und die so­zia­lis­ti­sche Ar­bei­ter­be­we­gung. Im letz­ten Fall spreiz­te sich das Spek­trum in die tra­di­tio­nel­le SPD und wei­te­re links von ihr ste­hen­de po­li­ti­sche For­ma­tio­nen auf. Der CS­VD er­fass­te haupt­säch­lich ei­ne Schnitt­men­ge aus An­hän­gern, die im Kai­ser­reich die Par­tei Adolf Stoeckers oder die DNVP un­ter­stütz­ten. Da­ne­ben gab es ei­ne Viel­zahl von Klein­par­tei­en, die je­doch im Rhein­land kei­ne wirk­li­che Rol­le spiel­ten. Al­ler­dings ka­men in den Jah­ren 1919/20 an den ex­tre­men En­den mit KPD und NS­DAP Par­tei­en auf, „die als ra­di­ka­le po­li­ti­sche In­no­va­tio­nen das bis­he­ri­ge Par­tei­en­sys­tem spreng­ten“ (Hans-Ul­rich Weh­ler). 

Wenn sich die­se Par­tei­en be­stimm­te mehr­heits­fä­hi­ge Mi­lieus er­schlie­ßen konn­ten, ge­lang es ih­nen, das Man­dat ei­nes Wahl­krei­ses über ei­ne län­ge­re Zeit zu ge­win­nen. Zu die­sen mehr­heits­fä­hi­gen Mi­lieus ge­hör­te zu­erst die Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kon­fes­si­on. Die Wahl­prä­fe­ren­zen des 19. Jahr­hun­derts lau­fen ent­lang der Kon­fes­si­ons­gren­zen und den Kon­fes­si­ons­mehr­hei­ten in den Wahl­krei­sen. Es ist ins­be­son­de­re das ka­tho­li­sche Mi­lieu, das ei­ne kon­fes­sio­nel­le po­li­ti­sche Ver­tre­tung des Ka­tho­li­zis­mus im Rhein­land in der Ge­stalt des Zen­trums be­vor­zug­te. In den 35 Reichs­tags­wahl­krei­sen in der Rhein­pro­vinz konn­te das Zen­trum die Mehr­heit der Man­da­te ge­win­nen, wo­bei der re­gio­na­le Schwer­punkt deut­lich in den links­rhei­ni­schen Mit­tel­ge­bir­gen und am lin­ken Nie­der­rhein lag, wo die Ka­tho­li­ken do­mi­nier­ten. Un­ter den Be­din­gun­gen des Ver­hält­nis­wahl­rechts in Groß­wahl­krei­sen konn­te das Zen­trum in der Wei­ma­rer Re­pu­blik zwar nicht mehr die ab­so­lu­te Mehr­heit der Man­da­te in der Rhein­pro­vinz er­rei­chen, blieb aber stets mit mehr oder we­ni­ger wei­tem Ab­stand zur Kon­kur­renz die stärks­te Par­tei. Das Zen­trum er­füll­te um­fas­send die Rol­le ei­ner Volks­par­tei mit kon­fes­sio­nel­ler Iden­ti­tät. Nach­weis­bar ist der Zu­sam­men­hang von christ­li­cher Kon­fes­si­on und Wahl­ent­schei­dung auch für den Pro­tes­tan­tis­mus. Hier war die Par­tei­en­bin­dung lo­cke­rer als in den ka­tho­li­schen Ge­gen­den mit der Prä­fe­renz zum Zen­trum. Dort, wo die Be­völ­ke­rungs­mehr­heit evan­ge­lisch war, wur­den kon­ser­va­ti­ve und li­be­ra­le Par­tei­en be­vor­zugt. Im länd­li­chen Pro­tes­tan­tis­mus hat­te der po­li­ti­sche An­ti­se­mi­tis­mus sei­ne ers­ten Wahl­er­fol­ge ab der zwei­ten Hälf­te des Kai­ser­reichs. Die In­dus­tria­li­sie­rung wie in der ber­gi­schen Städ­teagglo­me­ra­ti­on präg­te ei­ne Ar­bei­ter­schaft aus, die gro­ßen­teils sä­ku­la­ri­siert war und ih­re Iden­ti­tät als Ar­bei­ter zum Leit­mo­tiv für die Wahl­ent­schei­dung mach­te. Sie stand in Op­po­si­ti­on zum po­li­ti­schen Sys­tem des Kai­ser­reichs und be­vor­zug­te im­mer mehr die Par­tei­en der so­zia­lis­ti­schen Ar­bei­ter­be­we­gung – auch über den Wech­sel des po­li­ti­schen Sys­tems hin­weg. In Re­gio­nen und Städ­ten, in de­nen im Kai­ser­reich So­zi­al­de­mo­kra­ten zu Ab­ge­ord­ne­ten ge­wählt wur­den, blie­ben die Links­par­tei­en in der Wei­ma­rer Re­pu­blik auf­fal­lend stark. Das galt ins­be­son­de­re für die USPD be­zie­hungs­wei­se die KPD. Die zu­neh­men­de Aus­dif­fe­ren­zie­rung der Ge­sell­schaft in Welt­an­schau­un­gen, Be­kennt­nis­sen, Le­bens­sti­len und Le­bens­be­din­gun­gen, wirt­schaft­li­chen und so­zia­len In­ter­es­sen spie­gel­te sich ein gu­tes Stück in der For­mie­rung im­mer neu­er Klein­par­tei­en wi­der, die im Ver­hält­nis­wahl­recht der Re­pu­blik ei­ne re­el­le Chan­ce hat­ten. Der An­ti­se­mi­tis­mus fand Ein­gang in bür­ger­li­che Krei­se. Der Auf­stieg der NS­DAP in der Staats- und Wirt­schafts­kri­se der Re­pu­blik mach­te erst­mals ei­ne de­zi­diert an­ti­se­mi­ti­sche Par­tei dort sa­lon- und re­gie­rungs­fä­hig, wo we­der die ka­tho­li­sche Kon­fes­si­on noch die Ideo­lo­gie der so­zia­lis­ti­schen Ar­bei­ter­be­we­gung ein ge­schlos­se­nes und un­hin­ter­frag­tes Welt- und Le­bens­bild ver­mit­tel­ten.

Karl Jarres, Porträtfoto. (Stadtarchiv Duisburg)

 

Die rhei­ni­schen Ab­ge­ord­ne­ten in grö­ße­ren Reichs­tags­frak­tio­nen (vgl. Ta­bel­le rechts)

Die star­ken Ab­wei­chun­gen der Wahl­er­geb­nis­se in der Rhein­pro­vinz im Ver­hält­nis zu je­nen im ge­sam­ten Deut­schen Reich führ­ten zu auf­fal­len­den Un­ter­schie­den bei den Zu­sam­men­set­zun­gen der Frak­tio­nen im Reichs­tag. Nimmt man den An­teil der Rhein­pro­vinz an den Wahl­be­rech­tig­ten im Deut­schen Reich zum Maß­stab für das po­li­ti­sche Ge­wicht der Rhein­lan­de in der Reichs­po­li­tik, dann wird deut­lich: 

Zahl der Abgeordneten der Rheinprovinz in ausgewählten größeren Reichstagsfraktionen 1871-1932.

 

Im Jahr 1871 be­trug der An­teil der Rhein­pro­vinz 9,2 Pro­zent, der An­teil der Rhein­län­der in Zen­trums­frak­ti­on er­reich­te aber 36,5 Pro­zent, da­ge­gen in der NLP-Frak­ti­on 4 Pro­zent. Nach der Volks­zäh­lung 1887 hat­te die Rhein­pro­vinz 9,5 Pro­zent der Be­völ­ke­rung des Deut­schen Reichs, aber 27,6 der Zen­trums­ab­ge­ord­ne­ten ka­men aus dem Rhein­land, bei der ähn­lich gro­ßen NLP-Frak­ti­on wa­ren es nur 3 Pro­zent. Bei der letz­ten Wahl des Kai­ser­reichs 1912 hat­te die Rhein­pro­vinz 11 Pro­zent der Wahl­be­rech­tig­ten in Deutsch­land, in Zen­trums­frak­ti­on wa­ren die Rhein­län­der mit fast 29 Pro­zent weit über­pro­por­tio­nal ver­tre­ten, da­ge­gen wa­ren die Rhein­län­der bei der NLP (fast 7 Pro­zent) und bei der SPD (4,5 Pro­zent) deut­lich un­ter­re­prä­sen­tiert. Die­se Pro­por­tio­nen blie­ben in der Wei­ma­rer Re­pu­blik weit­ge­hend kon­stant. Der An­teil der Wahl­be­rech­tig­ten aus der Rhein­pro­vinz lag zwi­schen 11,2 (1920) und 11,7 (2. Wahl 1932) Pro­zent. Aus dem Rhein­land ka­men aber 31,3 (1920) be­zie­hungs­wei­se 30,0 (2. Wahl 1932) Pro­zent der Zen­trums­ab­ge­ord­ne­ten. Mit Wil­helm Marx stell­te das rhei­ni­sche Zen­trum auch ei­nen Reichs­kanz­ler. Der ein­fluss­rei­che Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te Dr. Lud­wig Kaas (1881-1952) wur­de Par­tei- und Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der des Zen­trums. In­so­fern kann das Zen­trum als „die rhei­ni­sche Par­tei“ be­zeich­net wer­den. Dies wird im Ver­gleich mit den an­de­ren Reichs­tags­frak­tio­nen deut­lich. Die DVP als Nach­fol­ge­rin der Rechts­li­be­ra­len im Kai­ser­reich hat­te 1920 nur 7,7 Pro­zent der Ab­ge­ord­ne­ten aus dem Rhein­land, bei der zwei­ten Reichs­tags­wahl 1932 so­gar gar kei­nen mehr. Auch der An­teil der Rhein­län­der in der SPD-Frak­ti­on ver­blieb be­mer­kens­wert sta­bil bei un­ter­durch­schnitt­li­chen 5,9 (1920) be­zie­hungs­wei­se 5 (2. Wahl 1932) Pro­zent. Der KPD auf dem lin­ken Flü­gel des po­li­ti­schen Spek­trums ge­lang es sich im Rhein­land zu eta­blie­ren. Ih­re Ab­ge­ord­ne­ten aus dem Rhein­land er­reich­ten ei­nen leicht über dem Durch­schnitt lie­gen­den An­teil an der Reichs­tags­frak­ti­on mit 13 Pro­zent bei der zwei­ten Wahl im Jahr 1932. Der stei­le reichs­wei­te Auf­stieg der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten bei den Wah­len wäh­rend der Staats- und Wirt­schafts­kri­se fand in der Rhein­pro­vinz ver­gleichs­wei­se sehr zö­ger­lich statt. Bei der zwei­ten Wahl im Jahr 1932 er­reich­ten die Rhein­län­der in der NS­DAP-Reichs­tags­frak­ti­on ge­ra­de ei­nen un­ter­durch­schnitt­li­chen An­teil von 7,1 Pro­zent.

Statistische Quellen

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Literatur

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Mö­lich, Ge­org/ Veltz­ke, Veit/ Wal­ter, Bernd (Hg.), Rhein­land, West­fa­len und Preu­ßen. Ei­ne Be­zie­hungs­ge­schich­te, Müns­ter 2011.
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Weiß, Lo­thar, Wah­len im 19. und 20. Jahr­hun­dert (Ge­schicht­li­cher At­las der Rhein-lan­de, Kar­te und Bei­heft V/6-8), Bonn 2006.

Online

Schlem­mer, Mar­tin, 1918 bis 1933 - Die Wei­ma­rer Re­pu­blik, in: In­ter­net­por­tal Rhei­ni­sche Ge­schich­te. [On­line]

Ludwig Kaas, Porträtfoto. (Bistumsarchiv Trier)

 
Zitationshinweis

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Weiß, Lothar, Reichstagswahlen und Reichstagsmandate der Rheinprovinz 1918 bis 1933, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/reichstagswahlen-und-reichstagsmandate-der-rheinprovinz-1918-bis-1933/DE-2086/lido/57d1372693f484.24248388 (abgerufen am 19.04.2024)