Lis Böhle

Kölner Mundartautorin (1901-1990)

Ingeborg Nitt (Köln)

Lis Böhle (1901-1990), vermutlich 1963. (Programmheft der Akademie för uns kölsche Sproch Mai - Oktober 2001, S. 8f.)

Lis Böh­le war die be­kann­tes­te Köl­ner Mund­ar­t­au­to­rin ih­rer Zeit. Sie ver­fass­te Ge­dich­te und kur­ze Er­zäh­lun­gen, die in Zei­tun­gen, Zeit­schrif­ten und Bü­chern ver­öf­fent­licht wur­den. Au­ßer­dem ar­bei­te­te sie für den Rund­funk als Au­to­rin und war die ers­te Köl­ner Mundart­spre­che­rin. 

Ger­trud Eli­sa­beth Fre­de­ri­ca Böh­le, ge­nannt Lis, wur­de am 31.7.1901 in Köln-Nip­pes als ach­tes Kind der Fa­mi­lie Böh­le ge­bo­ren. Der Va­ter Fried­rich Böh­le (1854-1917) war von Be­ruf Ei­sen­bahn-Ober­se­kre­tär. Nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau An­na Ma­ria, ge­bo­re­ne Plier (ge­stor­ben 1891), mit der er drei Kin­der hat­te, hei­ra­te­te er 1892 An­na Wal­ter (1859-1936). Fünf wei­te­re Kin­der folg­ten, das jüngs­te war Lis Böh­le. Ge­tauft wur­de sie in der ka­tho­li­schen Pfarr­kir­che St. Ma­ri­en am Baud­ri­platz.

Lis be­such­te zu­nächst die Ka­tho­li­sche Volks­schu­le Gel­lert­stra­ße, an­schlie­ßend von 1912-1915 die Ur­su­li­nen­schu­le. Zu­letzt ver­brach­te sie ei­ni­ge Jah­re in ei­nem Mäd­chen­pen­sio­nat.

Schon mit cir­ca zehn Jah­ren be­gann Lis Böh­le Ge­dich­te und kur­ze Ge­schich­ten in köl­scher Mund­art zu schrei­ben. Der Va­ter Fritz Böh­le en­ga­gier­te sich im Volks­bil­dungs­ver­ein Köln-Nip­pes und war 25 Jah­re des­sen zwei­ter Vor­sit­zen­der. Auf dem Pro­gramm des Ver­eins stan­den so­wohl po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­che Vor­trä­ge wie auch an­spruchs­vol­le Un­ter­hal­tungs­ver­an­stal­tun­gen. Da die Künst­ler und Wis­sen­schaft­ler den Va­ter be­such­ten, ka­men Lis und ih­re Ge­schwis­ter früh mit der Welt von Kul­tur und For­schung in Be­rüh­rung. Die Jah­re auf der Ur­su­li­nen­schu­le und im Mäd­chen­pen­sio­nat nutz­te sie, um ei­ge­ne Tex­te, Re­den und Ähn­li­ches zu ver­fas­sen, die sie zu be­son­de­ren An­läs­sen selbst zum Bes­ten gab.

1925 hei­ra­te­te sie ih­re Ju­gend­lie­be Hans Schmitt-Rost (1901-1978). Die Fa­mi­lie des ge­bür­ti­gen Es­se­ners war be­reits 1906 nach Köln-Nip­pes ge­zo­gen. Schmitt-Rost hat­te ein Stu­di­um der Volks­wirt­schafts­leh­re und So­zio­lo­gie mit der Pro­mo­ti­on ab­ge­schlos­sen. Er ar­bei­te­te als Jour­na­list für di­ver­se Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten und ver­öf­fent­lich­te meh­re­re Bü­cher zu Köl­ner The­men. Be­son­ders in­ter­es­sant für Mund­art­lieb­ha­ber ist sein Werk „Kölsch wie es nicht im Wör­ter­buch steh­t“ (Frank­furt am Main 1968). Nach dem Zwei­ten Welt­krieg war er vie­le Jah­re Lei­ter des Nach­rich­ten­am­tes der Stadt Köln.

1925 wur­de die ge­mein­sa­me Toch­ter Son­ja (1925-1990) ge­bo­ren. Die Fa­mi­lie Schmitt-Böh­le zog nach Köln-Bi­cken­dorf, an­schlie­ßend nach Bay­en­thal und Wei­den­pesch (da­mals noch Mer­ke­nich ge­nannt). Seit 1934 wohn­ten sie in der Köl­ner In­nen­stadt am Kol­ping­platz.

 

Vor 1933 be­gann Lis Böh­le, frei­be­ruf­lich für den Rund­funk zu ar­bei­ten, und zwar als Au­to­rin von Un­ter­hal­tungs­sen­dun­gen und köl­schen Hör­spie­len so­wie als Mundart­spre­che­rin. Zu­nächst war sie für die WER­AG (West­deut­sche Rund­funk AG) tä­tig, dann, nach Ver­staat­li­chung der WER­AG durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten im Jahr 1934, für den Reichs­sen­der Köln. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg setz­te sie ih­re Tä­tig­keit beim NW­DR (Nord­west­deut­scher Rund­funk) fort, ab 1955 beim WDR, nach­dem der NW­DR in zwei ei­gen­stän­di­ge Rund­funk­an­stal­ten auf­ge­teilt wor­den war, den NDR und den WDR. Vor dem Zwei­ten Welt­krieg ist ih­re Be­tei­li­gung an der Sen­de­rei­he „Funk­brett­l“ im Jahr 1933 be­kannt. Ab 1946 wur­den Ly­rik- und Pro­sa-Le­sun­gen von und mit Lis Böh­le ge­sen­det, au­ßer­dem war sie für den Kin­der­funk tä­tig. Be­son­ders po­pu­lär war die Rei­he „Wat dä Schmit­zens all pas­see­t“, die von 1960-1974 aus­ge­strahlt wur­de. Dar­über hin­aus er­ar­bei­te­te sie auch do­ku­men­ta­ri­sche Bei­trä­ge in Hoch­deutsch zum The­ma „Die Welt der Frau“. So stell­te sie un­ter an­de­rem ei­ne Kran­ken­schwes­ter vor, die ihr 50-jäh­ri­ges Dienst­ju­bi­lä­um fei­ern konn­te und von ih­ren be­ruf­li­chen Er­fah­run­gen im Krieg be­rich­te­te. Lis Böh­les Rund­funk­bei­trä­ge wur­den nicht ge­druckt.

Seit den 1930er Jah­ren ver­öf­fent­lich­te sie ih­re Mund­art­tex­te in Köl­ner Ta­ges­zei­tun­gen, zu­nächst im Stadt-An­zei­ger der Köl­ni­schen Zei­tung, nach dem Krieg in der Köl­ni­schen Rund­schau, dann wie­der im Köl­ner Stadt-An­zei­ger. Als ihr Mann Hans Schmitt-Rost wäh­rend der NS-Zeit be­ruf­lich Schwie­rig­kei­ten be­kam, trug sie mit zum Un­ter­halt der Fa­mi­lie bei. So la­sen die Köl­ner Bür­ger un­ter an­de­rem die Ar­ti­kel­se­rie „Et Kö­be­sche schriev...“ mit wach­sen­der Be­geis­te­rung, doch wer sich tat­säch­lich hin­ter dem Pseud­onym „Kö­be­sche“ ver­barg, klär­te sich erst Jah­re spä­ter auf. Bis et­wa 1970 un­ter­hielt Lis Böh­le die Le­ser mit ih­ren köl­schen Bei­trä­gen, zum Bei­spiel mit der Se­rie „De Woch fängk jot an mem Lis Böh­le“.

Ab 1937 ver­öf­fent­lich­te sie ih­re köl­schen „Rüüm­cher un Ver­zäll­cher“ auch in Bü­chern. Fünf Jah­re nach ih­rem Tod gab Nip­pes-Ex­per­te Rein­hold Kru­se ei­ne Samm­lung mit über­wie­gend hoch­deut­schen Kind­heits­er­in­ne­run­gen von Lis Böh­le her­aus: „Glück­li­che Jah­re“

Cover des Buches 'Glückliche Jahre. Kindheitserinnerung' von Lis Böhle, herausgegeben von Reinhold Kruse im Jahr 1995.

 

Ih­re Tex­te schil­dern den All­tag in Köln in der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts. Sie ver­ar­bei­tet in ih­nen ih­re Er­fah­run­gen aus ih­rer Kind­heit in Nip­pes. Die Fran­zis­ka­stra­ße, wo die Böh­les vie­le Jah­re ge­lebt hat­ten, und ih­re Um­ge­bung dien­te als Schau­platz für vie­le ih­rer Er­zäh­lun­gen. Da sie selbst aus ei­ner kin­der­rei­chen Fa­mi­lie stamm­te, spiel­ten Kin­der dar­in ei­ne gro­ße Rol­le. Er­leb­nis­se aus der Fa­mi­lie („Aach Köpp­cher“), der Schul­zeit („Mem Koch­boch en de Schul­l“) und der Frei­zeit, die da­mals über­wie­gend auf der Stra­ße ver­bracht wur­de, wer­den hu­mor­voll ge­schil­dert. Kin­der­spie­le hie­ßen „Him­mel un Höl­l“ oder „Zeltspil­le“; da für Sü­ßig­kei­ten kaum Geld vor­han­den war, hal­fen die Kin­der sich selbst mit „Ku­let­sch­was­ser“ und „Ka­mel­le maa­che“. Ge­mein­sa­me Aus­flü­ge wa­ren sel­ten und hin­ter­lie­ßen na­tür­lich Ein­druck: „Bel­li­ge Son­dag em Zo­lo­ni­sche“ oder „Ok­to­ber­fe­ß“. El­tern und Ge­schwis­ter von Lis Böh­le tau­chen häu­fig na­ment­lich in den Ge­schich­ten auf, aber auch Er­eig­nis­se und Ent­wick­lun­gen in der Stadt sind The­ma: „Av­sched vum Opern­hus“ oder „Schaff­ner frö­her – Schaff­ner hück“.

Ob­wohl sie ei­ne der be­lieb­tes­ten und be­kann­tes­ten Mund­ar­t­au­to­rin­nen war, be­vor­zug­te sie ein stil­les, zu­rück­ge­zo­ge­nes Le­ben in ih­rer Hei­mat­stadt Köln, die sie nur ein­mal für län­ge­re Zeit ver­las­sen hat, als die Fa­mi­lie Schmitt-Böh­le wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs 1942-1945 in Oberst­dorf leb­te.

Nach dem Tod ih­res Man­nes 1978 zog sie sich fast völ­lig aus dem öf­fent­li­chen Le­ben zu­rück. Be­dingt durch ih­re schlech­te ge­sund­heit­li­che Ver­fas­sung schrieb sie nur noch sel­ten. Mit ih­rer Toch­ter Son­ja leb­te sie ge­mein­sam in Köln im Jo­han­nis­haus bis zu de­ren Tod im Fe­bru­ar 1990. An­schlie­ßend zog sie in ein Pfle­ge­heim in Trois­dorf. Dort starb sie we­ni­ge Mo­na­te spä­ter mit 90 Jah­ren am 29.10.1990. Be­gra­ben liegt sie ge­mein­sam mit ih­rem Mann auf dem Köl­ner Fried­hof Me­la­ten. 2014 wur­de die Grab­stät­te des Ehe­paa­res Böh­le auf Vor­schlag des Hei­mat­ver­eins Alt-Köln e. V.  in die Lis­te der Grä­ber ver­dienst­vol­ler Bür­ge­rin­nen und Bür­ger der Stadt Köln auf­ge­nom­men. 

1983 hat­te die KG Fi­de­le Au­jus­se Blau-Gold e.V. von 1969 Lis Böh­le den Eh­ren­ti­tel Ma­gis­ter lin­guae et hu­mo­ris co­lo­ni­en­sis ver­lie­hen. 1997 be­schloss die Be­zirks­ver­tre­tung Nip­pes, ei­nen Teil des In­ne­ren Grün­gür­tels „Lis-Böh­le-Par­k“ zu nen­nen.

Werke (Auswahl)

Him­mel und Äd, Köln 1937.
Schwatz op wieß, Köln 1940.
Zwe­sche Ring un Rhing, Köln 1947.
Skiz­zier­te Er­in­ne­run­gen (Ge­dich­te zu Zeich­nun­gen von Wil­ly Key), Köln 1947.
Jeck op Köl­le, Köln 1955.
Köl­sche Sai­son, Köln 1963.
Köl­le, ming Welt, St. Goar/Köln 1979
Lev­ve un lev­ve lo­ße, St. Goar/Köln 1981.
E lös­tig kölsch Klie­blatt (mit H. Fi­scher, B. Gra­ve­lott und H. He­ger), St. Goar/Köln 1985.
„Glück­li­che Jah­re. Kind­heits­er­in­ne­run­gen (hg. von Rein­hold Kru­se), Köln 1995. 

Literatur (Auswahl)

Hil­gers, He­ri­bert A,, Böh­le, Lis in: Köl­ner Au­to­ren-Le­xi­kon 1750-2000, Band 2: 1901-2000, be­arb. von En­no Stahl, Köln 2002, S. 59.
Kru­se, Rein­hold, 111 Jah­re Köln-Nip­pes. Ei­ne Chro­nik mit Pho­tos, Fak­ten und Ver­zäll­cher, Köln 1998.
Oels­ner, Wolf­gang, Böh­le, Ger­trud, in: Soé­ni­us, Ul­rich S./Wil­helm, Jür­gen (Hg.), Köl­ner Per­so­nen-Le­xi­kon, Köln 2008, S. 67.
Scheff­ler, In­grid, Schrift­stel­ler und Li­te­ra­tur im NW­DR Köln (1945-1955), Pots­dam 2005. 

Werke von Lis Böhle in kölscher Mundart, Foto: Ingeborg Nitt. (Ingeborg Nitt)

 
Zitationshinweis

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Nitt, Ingeborg, Lis Böhle, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/lis-boehle/DE-2086/lido/5b4ca28880ad16.20576738 (abgerufen am 20.04.2024)