Reiner Solenander

Arzt (1524-1601)

Martin Bock (Frechen)

Reiner Solenander, Bildnis aus einem Buch von Heinricus Pantaleon (1522-1595), ca. 1565.

Das 16. Jahr­hun­dert war nicht nur Schau­platz der kon­fes­sio­nel­len Spal­tung des Rei­ches und Eu­ro­pas, son­dern auch ei­ne Blü­te­zeit des aka­de­mi­schen Dis­kur­ses in der Phi­lo­so­phie, im Rechts­we­sen und den Na­tur­wis­sen­schaf­ten. Vor al­lem Me­di­zin und Heil­kun­de ge­lang­ten durch das ge­naue Stu­di­um des mensch­li­chen Kör­pers, sei­nes ana­to­mi­schen Auf­baus und sei­ner Funk­ti­ons­me­cha­nis­men zu neu­en Er­kennt­nis­sen und Me­tho­den, als de­ren her­aus­ra­gen­der Ver­tre­ter der Uni­ver­sal­ge­lehr­te Phil­ipp von Ho­hen­heim, ge­nannt Pa­ra­cel­sus (um 1493-1541), gel­ten darf. Mit Gis­bert Lon­go­li­us (1507-1543), Jo­han­nes Si­na­pi­us (1505-1560) oder eben Rei­ner So­len­an­der wirk­ten je­doch auch ge­ra­de an den Fürs­ten­hö­fen der Zeit Ärz­te ei­ner neu­en Ge­ne­ra­ti­on, die sich häu­fig dem er­bit­ter­ten Wi­der­stand der eta­blier­ten Ge­lehr­ten aus­ge­setzt sa­hen.

Ge­bo­ren wur­de Rei­ner (Rei­ne­rus) So­len­an­der im Jahr 1524 in der heu­te zu We­sel ge­hö­ren­den Stadt Bü­de­rich am Nie­der­rhein. Den la­ti­ni­sier­ten Na­men – of­fen­sicht­lich in An­leh­nung an „so­le­re“ = pfle­gen – nahm er erst wäh­rend sei­nes Stu­di­ums an, das ihm durch ein Sti­pen­di­um Her­zogs Wil­helm V. von Jü­lich-Kle­ve-Berg er­mög­licht wor­den war; der Fa­mi­li­en­na­me lau­te­te Gath­mann. Viel mehr ist über die frü­hen Jah­re So­len­an­ders nicht be­kannt, wenn auch die Tat­sa­che der Un­ter­stüt­zung durch den Lan­des­her­ren dar­auf hin­deu­tet, dass er ei­ne hö­he­re Schul­lauf­bahn, ver­mut­lich in We­sel, durch­lau­fen und sich da­bei durch gu­te Leis­tun­gen pro­fi­liert ha­ben wird. Der Ge­lehr­ten-Bio­graph Mel­chi­or Adam (um 1575-1622) ur­teil­te, So­len­an­der ha­be ei­ne glück­li­che Be­ga­bung ge­habt.

Sei­ne Stu­di­en­jah­re ver­brach­te So­len­an­der über­wie­gend in Ita­li­en, nach­dem er das phi­lo­so­phi­sche Grund­stu­di­um in Lö­wen ab­sol­viert hat­te; ver­bürgt sind Auf­ent­hal­te in Bo­lo­gna, Pi­sa, Rom und Nea­pel. Dort ge­riet der jun­ge Stu­dent zwi­schen die Fron­ten ei­nes Ge­lehr­ten­streits über die Rich­tig­keit der Leh­re des grie­chisch-rö­mi­schen Arz­tes Ga­le­nos von Per­ga­mon (129/131-199/201 oder 215), der vor al­lem zwi­schen Gio­van­ni Ar­gen­te­rio (1513-1572), ei­nem Me­di­zin­pro­fes­sor un­ter an­de­rem in Pi­sa und Rom so­wie zu­letzt in Tu­rin, und Gi­ulio Ales­sand­ri­ni (1506-1590), ei­nem der Ärz­te von im­mer­hin drei rö­misch-deut­schen Kai­sern, Fer­di­nand I. (1503-1564), Ma­xi­mi­li­an II. (1527-1576) und Ru­dolf II. (1552-1612), ge­führt wur­de. So­len­an­der stand da­bei auf der Sei­te Ar­gen­te­ri­os, sei­nes aka­de­mi­schen Leh­rers in Pi­sa, und stell­te in sei­ner ers­ten Denk­schrift „Apo­lo­gia qua Iulio Alex­an­d­ri­no re­spon­de­tur pro Ar­gen­te­ri­o“ die ga­le­ni­sche Leh­re, un­ter an­de­rem die Vier­säf­tel­eh­re, in Fra­ge; da­mit wa­ren So­len­an­der und die An­ti-Ga­le­nia­ner ih­rer Zeit weit vor­aus, denn erst im 19. Jahr­hun­dert lös­te sich die Me­di­zin end­gül­tig von der Leh­re der Wech­sel­sei­tig­keit von Kör­per­säf­ten und Ge­sund­heits­zu­stand. 

In Ita­li­en be­schäf­tig­te sich So­len­an­der ins­be­son­de­re mit der Heil­kraft von Ther­mal­quel­len, die be­reits in der An­ti­ke ge­nutzt wor­den wa­ren. Sei­ne For­schungs­er­geb­nis­se ver­öf­fent­lich­te er in der Schrift „De ca­lo­ris fon­ti­um me­di­ca­to­rum cau­sa“, nach­dem er prak­ti­sche Er­fah­run­gen an den Heil­quel­len von Is­chia und als ei­ner der frü­hen Ba­de­ärz­te im tos­ka­ni­schen Luc­ca ge­won­nen hat­te, das für sei­ne war­men und sal­zi­gen Schwe­fel­quel­len be­kannt war. Wahr­schein­lich hielt sich So­len­an­der um 1558 für Stu­di­en­zwe­cke in Süd­frank­reich auf; mög­li­cher­wei­se war er zu die­sem Zeit­punkt aber be­reits nur auf der Durch­rei­se, denn Her­zog Wil­helm hat­te ihn als zwei­ten Leib­arzt ne­ben Jo­hann Wey­er an den Düs­sel­dor­fer Hof zu­rück­be­ru­fen, wo er 1559 ein­traf.

Hier er­warb sich So­len­an­der schnell ei­nen her­vor­ra­gen­den Ruf und ver­dräng­te den äl­te­ren Wey­er rasch als ers­ten Leib­arzt des Her­zogs. In die­ser Funk­ti­on be­glei­te­te er den Her­zog 1566 auf den Reichs­tag nach Augs­burg und 1573 nach Kö­nigs­berg. Als der Her­zog 1566 ei­nen Schlag­an­fall er­litt, be­han­del­te So­len­an­der ihn er­folg­reich, in­dem er diä­te­ti­sche Maß­nah­men ver­ord­ne­te. Auch dem eben­falls im her­zog­li­chen Dienst ste­hen­den Kar­to­gra­phen Ger­hard Mer­ca­tor konn­te So­len­an­der hel­fen, in­dem er des­sen Au­gen­lei­den mit dem Heil­kraut Eu­phra­sia ku­rier­te.

Paracelsus, Gemälde nach Quentin Massys (1456/1466-1530).

 

Er­folg­los blie­ben je­doch sei­ne Ver­su­che, den Thron­fol­ger Jo­hann Wil­helm (1562-1609) zu hei­len, der be­reits als Kind kränk­lich war und mit zu­neh­men­dem Al­ter un­ter De­pres­sio­nen, Angst­zu­stän­den und Tob­suchts­an­fäl­len litt und schlie­ß­lich so­gar in Kata­to­nie ver­fiel. Über­ein­stim­mend stell­ten So­len­an­der, Wey­er und des­sen Sohn Ga­le­nus (1547-1619) die schlech­ten Hei­lungs­aus­sich­ten für Jo­hann Wil­helm fest. Den­noch blieb So­len­an­der auch nach Wil­helms Tod an der Sei­te von des­sen Sohn, der im Jahr 1585 mit der Mark­grä­fin Ja­ko­be von Ba­den ver­hei­ra­tet wor­den war.

Da­mit soll­te der ka­tho­li­sche und ins­be­son­de­re bay­ri­sche Ein­fluss am Nie­der­rhein ge­stärkt wer­den. Weil Ja­ko­be aber in re­li­giö­sen Din­gen sprung­haft war und kei­ne Nach­kom­men zur Welt brach­te, wur­de sie am Düs­sel­dor­fer Hof als­bald zur per­so­na non gra­ta. 1595 wur­de ihr die Vor­mund­schaft über Jo­hann Wil­helm von den Land­stän­den ent­zo­gen und sie selbst in­haf­tiert. Mög­li­cher­wei­se hat­te der Erb­mar­schall Wil­helm von Wal­den­fels, ge­nannt Schen­kern (ge­bo­ren um 1560), der ih­re Ar­re­tie­rung vor­nahm, be­reits zum Jah­res­be­ginn ei­ne Er­mor­dung Ja­ko­bes in Auf­trag ge­ge­ben. Je­den­falls ist ein Brief So­len­an­ders vom 6.1.1595 er­hal­ten, in wel­chem er sich wei­ger­te, die Her­zo­gin zu ver­gif­ten oder ein sol­ches Gift her­zu­stel­len: Ich ge­wiß wol­te lie­ber mei­nes Am­tes ja Le­bens ver­lus­tig wer­den, als da­zu be­hül­flich seyn, und mei­ner bis­her von Gott reich ge­seg­ne­ten Kunst sol­chen gräu­li­chen Schand­fleck an­hän­gen und aus ei­nem Hoff-Apo­the­cker ei­nen Ab­de­cker und Büt­tel ma­chen hel­fen.

Die­se Hal­tung und Äu­ße­rung zei­gen So­len­an­der als ei­nen sei­ner Ver­ant­wor­tung über Ge­sund­heit und Krank­heit, Le­ben und Ster­ben be­wuss­ten Me­di­zi­ner. Auch darf bei al­ler me­tho­di­schen Kunst ein ho­hes Maß an Em­pa­thie für sei­ne Pa­ti­en­ten un­ter­stellt wer­den; sein selbst ge­wähl­ter Na­me scheint an­zu­deu­ten, dass ihm in ers­ter Li­nie die Pfle­ge der Kran­ken und ei­ne nach­hal­ti­ge Hei­lung wich­tig wa­ren. Im Un­ter­schied zur über­kom­me­nen mit­tel­al­ter­li­chen Me­di­zin ver­such­te er auch, Schmer­zen der Be­hand­lung zu lin­dern oder zu ver­mei­den und auf ge­fähr­li­che Ein­grif­fe zu ver­zich­ten. Krank­hei­ten führ­te er nicht auf Bö­ses, Fremd­ar­ti­ges zu­rück, son­dern auf kör­per­ei­ge­ne Fehl­funk­tio­nen, die kor­ri­giert wer­den könn­ten. Me­di­zin­ge­schicht­lich war er da­mit ein frü­her Ver­tre­ter ei­ner Be­hand­lungs­me­tho­de, die sich end­gül­tig erst in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts durch­set­zen soll­te.

1597 ist die Her­zo­gin Ja­ko­be schlie­ß­lich doch er­mor­det wor­den. Ob ei­nem eng­li­schen Arzt­kol­le­gen da­nach ei­ne zeit­wei­li­ge Bes­se­rung von Jo­hann Wil­helms Ge­sund­heits­zu­stand tat­säch­lich ge­lang oder ob die­se Bes­se­rung nur im Vor­feld der zwei­ten Ver­hei­ra­tung des kran­ken Her­zogs mit An­to­nie von Loth­rin­gen (1568-1610) ver­laut­bart wur­de, muss of­fen blei­ben. So­len­an­der je­den­falls hat­te den Düs­sel­dor­fer Hof in­fol­ge der ge­plan­ten Ver­gif­tung Ja­ko­bes von Ba­den be­reits ver­las­sen und leb­te ab 1595 wie­der in sei­nem Hei­mat­ort Bü­de­rich, wo er die Sum­me sei­ner me­di­zi­ni­schen Er­fah­run­gen noch ein­mal in ei­nem gro­ßen Werk „Con­silio­rum Me­di­ci­na­li­um sec­tio­nes quin­que“ ver­öf­fent­lich­te. Hier­in be­schrieb er für über 100 ver­schie­de­ne Krank­hei­ten sei­ne Be­ob­ach­tun­gen über de­ren Ent­ste­hung und Ver­lauf so­wie die durch die em­pi­ri­schen Er­kennt­nis­se der Zeit an­ge­zeig­ten Be­hand­lungs­mög­lich­kei­ten zum Woh­le der Pa­ti­en­ten.

Rei­ner So­len­an­der, der evan­ge­lisch-re­for­mier­ten Be­kennt­nis­ses war, starb am 5.1.1601 in Düs­sel­dorf und wur­de im Wil­li­bror­di-Dom in We­sel bei­ge­setzt. 

Jakobe von Baden, Porträt, Kupferstich von Crispin de Passe (1564-1637), 1592.

 

Werke (Auswahl)

Apo­lo­gia qua Iulio Alex­an­d­ri­no re­spon­de­tur pro Ar­gen­te­rio, 1556.
De ca­lo­ris fon­ti­um me­di­ca­to­rum cau­sa, 1558.
Con­silio­rum me­di­ci­na­li­um sec­tio­nes quin­que, 1596.
Re­li­quae qua­tu­or ab auc­to­re jam re­cens ad­ditae, 1596, 2. Auf­la­ge 1609. 

Literatur

Her­zog, Pe­tra, Vom Ba­de­arzt in Luc­ca zum Leib­arzt am her­zog­li­chen Hof: Dr. Rei­ner So­len­an­der, in: Jahr­buch des Krei­ses We­sel 2003, S. 74-75. 
Wa­cken­bau­er, An­ton, Dr. Rei­ner So­len­an­der: (Rein­hard Gath­mann) ein nie­der­rhei­ni­scher Arzt, Leib­arzt am Düs­sel­dor­fer Ho­fe (1524 - 1601), Diss., Düs­sel­dorf 1933.
Wa­cken­bau­er, An­ton, Dr. Rei­ner So­len­an­der, ein nie­der­rhei­ni­scher Arzt, Leib­arzt am Düs­sel­dor­fer Hof, in: Düs­sel­dor­fer Jahr­buch 37 (1932/33), S. 96–140.
Wa­cken­bau­er, An­ton, Dr. Rei­ner So­len­an­der, ein nie­der­rhei­ni­scher Arzt aus Bü­de­rich (1524-1601), in: Un­se­re Hei­mat [We­sel-Bü­de­rich] 17 (2001), S. 3-47.

Online

Binz, Carl, Art. „Rei­ner So­len­an­der“, in: ADB 34 (1892)-563-565. [on­line]
Dieck­hö­fer, Kle­mens, So­len­an­der, Rei­ner, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 24 (2010), S. 549. [on­line]

Consiliorum medicinalium, sectio prima von Reiner Solenander, 1560. (Universität Complutense Madrid)

 
Zitationshinweis

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Bock, Martin, Reiner Solenander, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reiner-solenander/DE-2086/lido/5cebd680b26428.88928117 (abgerufen am 18.04.2024)