Joseph Andreas Maria Anschuez

Gründer des Koblenzer Musik-Instituts (1772-1855)

Uwe Baur (Koblenz)

Recueil de Chansons ave accmpagnement de la Guitarre, Komposition von Joseph Andreas Anschuez, veröffentlicht bei Simrock in Bonn, 1807. (BSB digital / MDZ / Mus.pr. 2011.337)

Der aus ei­ner Be­am­ten- und Mu­si­ker­fa­mi­lie stam­men­de Jo­seph An­dre­as Ma­ria An­schu­ez wur­de zwar trotz mu­si­ka­li­scher Hoch­be­ga­bung im Haupt­be­ruf Ju­rist, ließ aber nie von der Mu­sik. Als In­itia­tor und ers­ter Mu­sik­di­rek­tor des bis heu­te be­ste­hen­den Mu­sik-In­sti­tuts präg­te er das Mu­sik­le­ben sei­ner Hei­mat­stadt Ko­blenz nach­hal­tig.

Jo­seph An­dre­as Ma­ria An­schu­ez wur­de ver­mut­lich am 19.3.1772 in Ko­blenz als sieb­tes von neun Kin­dern des kur­fürst­li­chen und spä­te­ren preu­ßi­schen Be­am­ten Hein­rich Franz An­schu­ez (1740-1826) und sei­ner Ehe­frau An­na Ma­ria La­mai­re (ge­stor­ben 1808) in Ko­blenz ge­bo­ren. Die Fa­mi­lie war ka­tho­lisch. Der Gro­ßva­ter war der aus Sach­sen stam­men­de und in Dres­den aus­ge­bil­de­te Franz Cas­par An­schu­ez (um 1711-1795), der am 15.6.1741 am kur­trie­ri­schen Hof zu Ko­blenz-Eh­ren­breit­stein als „Lehr­prinz der Trom­pe­ter“ an­ge­stellt wor­den war. Er hat­te schnell Kar­rie­re ge­macht, war früh Hof­or­ga­nist und auch als Pia­nist, Kom­po­nist und In­stru­men­ten­bau­er in Er­schei­nung ge­tre­ten. In sei­ner Hand lag vor al­lem die mu­si­ka­li­sche Aus­bil­dung des En­kels.

Trotz höchs­ter mu­si­ka­li­scher Be­ga­bung - er trat schon als 9-Jäh­ri­ger in ei­nem Hof­kon­zert in Mainz auf und spiel­te ein Jahr spä­ter am Hof zu Eh­ren­breit­stein ein Cem­ba­lo-Kon­zert von Chris­ti­an Gott­lob Nee­fe - stu­dier­te Jo­seph An­dre­as An­schu­ez 1788-1790 an der Uni­ver­si­tät Mainz Ju­ris­pru­denz. Spä­tes­tens 1794 war er wie­der in Ko­blenz, von wo aus er so­gleich im Ge­fol­ge des Kur­fürs­ten Cle­mens Wen­zes­laus von Sach­sen bei des­sen zwei­ter und end­gül­ti­ger Flucht vor den fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen nach Augs­burg ge­lang­te. 1797 kam An­schu­ez zu­rück in das mitt­ler­wei­le un­ter fran­zö­si­scher Ver­wal­tung ste­hen­de Ko­blenz, wo er als Com­mis Gref­fier (Ge­richts­schrei­ber) sei­ne ju­ris­ti­sche Lauf­bahn am Tri­bu­nal cri­mi­nel (Kri­mi­nal­ge­richts­hof) des Dé­par­te­ment Ko­blenz be­gann. Er mach­te of­fen­bar schnell Kar­rie­re, wur­de Ju­ge sup­p­léant (Er­gän­zungs­rich­ter) beim glei­chen Tri­bu­nal, dann 1809 Ju­ge de la cour de jus­ti­ce cri­mi­nel­le spé­ci­al (Rich­ter am pein­li­chen Ge­richts­hof) und 1813 schlie­ß­lich Sub­sti­tut du pro­cur­eur im­pé­ri­al (Ver­tre­ter des kai­ser­li­chen Staats­an­walts). Schon be­vor Preu­ßen die Re­gie­rung am Rhein über­nahm, wur­de An­schu­ez 1814 als Staats­pro­ku­ra­tor (Staats­an­walt) be­zeich­net. Als 1808 von fran­zö­si­schen Be­am­ten in Ko­blenz die Frei­mau­rer­lo­ge L’Uni­on dé­si­rée (Zur ge­wünsch­ten Ein­heit) ge­grün­det wur­de, trat ihr An­schu­ez wie vie­le an­de­re Bür­ger der Stadt bei. Seit 1798 war er mit der aus Neu­en­dorf (heu­te Stadt Ko­blenz) ge­bür­ti­gen Gast­wirts­toch­ter Ma­ria An­na Kröl (ge­bo­ren 1777) ver­hei­ra­tet. Aus der Ehe gin­gen zehn Kin­der her­vor.

Jo­seph An­dre­as An­schu­ez ver­folg­te die po­li­ti­schen Ge­scheh­nis­se sei­ner Zeit auf­merk­sam, wie Lied­kom­po­si­tio­nen wie Schwur der Ver­ei­nig­ten: Hoch we­hen die Fah­nen der Frei­heit am Rhein so­wie Un­glück und Glück: Bei Ko­blenz auf der Fes­tung da stand der Vo­gel Greif, die bei­de wäh­rend der Fran­zö­si­schen Zeit in Ko­blenz ent­stan­den sein dürf­ten, zei­gen. Der Vo­gel Greif ist ei­ne Re­prä­sen­ta­ti­ons-Ka­no­ne aus kur­fürst­li­cher Zeit, die da­mals und spä­ter noch mehr­mals als Kriegs­beu­te nach Frank­reich ent­führt, aber je­weils wie­der zu­rück­ge­holt wur­de. Die bei­den Lie­der zei­gen, wie ein paar wei­te­re Kom­po­si­tio­nen (Lie­der, Ari­en mit Or­ches­ter, Tän­ze und Kla­vier­stü­cke), dass An­schu­ez trotz al­ler Ju­ris­te­rei nicht von der Mu­sik las­sen konn­te und moch­te.

Als im Früh­jahr 1803 mit dem Ab­zug des letz­ten fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­kom­mis­sars aus Mainz auch al­le Son­der­ein­rich­tun­gen der Über­gang­zeit be­sei­tigt wur­den, en­de­te auch die Ra­di­ka­li­tät, mit der die fran­zö­si­sche Staats­macht ge­gen die re­li­giö­sen Be­dürf­nis­se der Be­völ­ke­rung vor­ge­gan­gen war. Zu­dem be­en­de­te bald da­nach die ver­söhn­li­che Po­li­tik Na­po­le­ons (1769-1821) die­se ra­di­ka­le Ent­kirch­li­chung, in­dem er sich vor al­lem nach sei­ner Kai­ser­krö­nung (1804) um ei­ne stär­ke­re Iden­ti­fi­ka­ti­on der Gläu­bi­gen mit sei­ner Herr­schaft be­müh­te. Da­zu ord­ne­te er bei mi­li­tä­ri­schen Sie­gen Dank­ge­be­te und Für­bit­ten für den „ge­lieb­ten Kai­ser Frank­reichs“ an. Seit 1806 soll­ten zu­dem re­gel­mä­ßig Kir­chen­fei­ern an­läss­lich des Kai­ser­ge­burts­ta­ges, des Krö­nungs­ta­ges und des Fes­tes des hei­li­gen Na­po­le­on ver­an­stal­tet wer­den. In die­sem Zu­sam­men­hang er­in­ner­ten sich die Ko­blen­zer an die fest­li­chen Got­tes­diens­te wäh­rend der ver­gan­ge­nen kur­fürst­li­chen Zeit. So er­griff Jo­seph An­dre­as An­schu­ez, un­ter­stützt von Bür­ger­meis­ter Jo­hann Ni­ko­laus Ne­bel (1752-1828) und dem seit 1806 zu­stän­di­gen Prä­fek­ten des Rhein-Mo­sel-De­par­te­ments, Comte Adri­en de Le­zay-Mar­né­sia (1759-1814), die In­itia­ti­ve und grün­de­te nach et­wa zwei- bis drei­jäh­ri­ger Vor­ar­beit im Jah­re 1808 das Mu­sik-In­sti­tut. 

Die staat­li­che An­er­ken­nung als Éta­b­lis­se­ment d’une mu­si­que pa­rois­sia­le (Ein­rich­tung ei­ner Kir­chen­mu­sik) und als Aca­dé­mie de mu­si­que (Mu­sik­aka­de­mie) er­hielt es durch Prä­fek­tu­ral-Be­schluss vom 7.4.1808. Mu­sik­di­rek­tor wur­de An­schu­ez, re­prä­sen­ta­ti­ver Vor­sit­zen­der der je­wei­li­ge Ko­blen­zer (Ober)-Bür­ger­meis­ter.

Schon an Kar­frei­tag, dem 15.4.1808, wur­de in der Schloss­ka­pel­le Jo­seph Haydns (1739-1809) Ora­to­ri­um Die sie­ben Wor­te Je­su am Kreuz und am ers­ten Os­ter­tag im Got­tes­dienst in der Lieb­frau­en­kir­che ei­ne ers­te Mu­sik­mes­se von ei­nem nicht ge­nann­ten Kom­po­nis­ten auf­ge­führt. Fi­nan­ziert wer­den soll­te das Gan­ze durch ei­ne Sub­skrip­ti­on im Abon­ne­ment und durch staat­li­che Zu­schüs­se, die vom Prä­fek­ten auch tat­säch­lich, wenn auch in be­schei­de­ne­rem Ma­ße als er­war­tet, ge­währt wur­den. Letz­te­res war al­ler­dings nur mög­lich, weil An­schu­ez dem Mu­sik-In­sti­tut von An­fang an zu­sätz­lich ei­ne päd­ago­gi­sche Aus­rich­tung gab, in­dem er ei­ne „Chor­schu­le“ zur Si­che­rung des Sän­ger­nach­wuch­ses ein­rich­te­te. Von der ur­sprüng­li­chen Pla­nung, auch In­stru­men­tal­un­ter­richt zu in­sti­tu­tio­na­li­sie­ren, so dass ein ve­ri­ta­bles Kon­ser­va­to­ri­um ent­stan­den wä­re - den Na­men hat­te man oh­ne­hin dem frü­he­ren Na­men des „Con­ser­va­toire de Pa­ris“ ent­lehnt -, kam man zwar ab, be­müh­te sich je­doch noch län­ge­re Zeit, ent­spre­chen­den Un­ter­richt zu­min­dest zu ver­mit­teln und zu för­dern. Nach dem An­fall der Rhein­lan­de an Preu­ßen 1815 muss­te erst ein­mal lan­ge ver­han­delt wer­den, um die­se staat­li­chen Zu­schüs­se wei­ter­hin zu be­kom­men. Als letz­tes Ele­ment zur Fi­nan­zie­rung des Mu­sik-In­sti­tuts ver­an­stal­te­te man, eben­falls im Abon­ne­ment, öf­fent­li­che Kon­zer­te, die in den ers­ten Jah­ren oft mit an­schlie­ßen­den Bäl­len ver­bun­den wa­ren.

Ei­nen we­sent­li­chen Grund­stock für das Or­ches­ter bil­de­ten die in Ko­blenz recht zahl­reich ver­blie­be­nen ehe­ma­li­gen Hof­mu­si­ker und kur­fürst­li­chen Mi­li­tär­mu­si­ker, die nach und nach durch fort­ge­schrit­te­ne In­stru­men­tal­schü­ler und ei­ni­ge fä­hi­ge „Di­let­tan­ten“ so ver­stärkt wur­de, dass schon bald für die Kon­zer­te ei­ne rund 60 Mu­si­ker star­ke Be­set­zung zur Ver­fü­gung stand. Die­se Zahl wur­de je­den­falls spä­tes­tens er­reicht, als man in Ko­blenz sta­tio­nier­te preu­ßi­sche Mi­li­tär­mu­si­ker mit her­an­zog.

Das Re­per­toire, das in fünf bis zehn Mu­sik­mes­sen pro Jahr ge­bo­ten wur­de, be­stand im We­sent­li­chen aus Wer­ken von Jo­seph Haydn, Wolf­gang Ama­de­us Mo­zart (1756-1791) und ei­ni­gen ih­rer Zeit­ge­nos­sen. Al­ler­dings war An­schu­ez auch stets um neue­re Li­te­ra­tur be­müht, was bei­spiels­wei­se die Auf­füh­rung von Ky­rie und Glo­ria der Mis­sa so­lem­nis von Lud­wig van Beet­ho­ven am 14.10.1827, al­so un­mit­tel­bar nach de­ren Ver­öf­fent­li­chung im Schott-Ver­lag, be­legt. Auch die An­zahl der Kon­zer­te be­weg­te sich zwi­schen fünf und zehn pro Jahr, ge­le­gent­lich auch mehr. De­ren Pro­gram­me bo­ten die da­mals üb­li­chen Mi­schun­gen aus cho­ri­schen, so­lis­ti­schen und in­stru­men­tal-or­ches­tra­len Wer­ken. Sie folg­ten fast ge­ne­rell fol­gen­dem Sche­ma: Ei­ner gro­ßen Sin­fo­nie, meis­tens von Lud­wig van Beet­ho­ven, ge­le­gent­lich von Jo­seph Haydn, Wolf­gang Ama­de­us Mo­zart oder Louis Sp­ohr (1784-1859) und an­de­ren, folg­ten ein­zel­ne so­lis­ti­sche oder cho­ri­sche Ge­sang-Num­mern aus Ora­to­ri­en oder Opern; den zwei­ten Teil er­öff­ne­te meist ei­ne Ou­ver­tü­re, an die sich Kon­zer­te oder Kon­zert­stü­cke für So­lo­in­stru­men­te an­schlos­sen, wie­der ge­folgt von Ge­sangs­num­mern. Ge­le­gent­lich wur­de al­ler­dings auch ein gan­zes abend­fül­len­des Ora­to­ri­um oder so­gar ei­ne gan­ze Oper ge­bo­ten. Die So­lo­par­ti­en in al­len die­sen Wer­ke wur­den von un­ge­nann­ten Mit­glie­dern des Cho­res, al­so von Ama­teu­ren und Ama­teu­rin­nen ge­sun­gen, lan­ge Par­ti­en ge­le­gent­lich auf­ge­teilt auf meh­re­re Per­so­nen. Auch über die In­stru­men­tal­so­lis­ten ist zu­nächst we­nig zu er­fah­ren, wo­bei es sich wohl zu­meist um Mit­glie­der des Or­ches­ters, in Vio­lin­kon­zer­ten vor­ab um den Kon­zert­meis­ter, in Kla­vier­kon­zer­ten um den Kor­re­pe­ti­tor, aber bald so­gar um fort­ge­schrit­te­ne Schü­ler ge­han­delt ha­ben dürf­te. Aus­wär­ti­ge Gast­so­lis­ten wur­den bis über die Mit­te des 19. Jahr­hun­derts hin­aus nicht ver­pflich­tet.

Jo­seph An­dre­as An­schu­ez scheint al­le die­se Auf­füh­run­gen mit den da­zu not­wen­di­gen Pro­ben selbst ge­lei­tet zu ha­ben. Au­ßer­dem hat er wohl auch den meis­ten Un­ter­richt in der Chor­schu­le selbst be­treut, und das al­les ne­ben sei­ner haupt­be­ruf­li­chen Tä­tig­keit als Ju­rist.

Nach­dem sein jüngs­ter Sohn Karl Fried­rich Ni­ko­laus An­schu­ez sich ei­ni­ge Zeit lang als sein As­sis­tent be­währt hat­te, gab der Va­ter im Jah­re 1842 die Mu­sik­di­rek­ti­on an ihn wei­ter, blieb aber als „In­ten­dan­t“, wie die­se Po­si­ti­on in der 1845 ver­öf­fent­lich­ten über­ar­bei­te­ten Sat­zung hei­ßt, noch bis 1846 im Amt, wo­bei Un­stim­mig­kei­ten und Que­re­len um sei­nen Sohn wo­mög­lich mit den Aus­schlag da­zu ge­ge­ben ha­ben, sich ganz zu­rück­zu­zie­hen. Ge­stor­ben ist Jo­seph An­dre­as An­schu­ez am 26.12.1855 in Ko­blenz, zwei Ta­ge spä­ter wur­de er von St. Cas­tor aus be­er­digt.

Das Mu­sik-In­sti­tut hat al­le po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Fähr­nis­se bis heu­te er­folg­reich ge­meis­tert und ver­an­stal­tet in der Rechts­form ei­ner Öf­fent­li­chen Stif­tung des bür­ger­li­chen Rechts pro Jahr zehn Sin­fo­nie- und Ora­to­ri­en­kon­zer­te.

Literatur

Baur, Uwe, Bür­ger­initia­ti­ve Mu­sik, 250 Jah­re öf­fent­li­ches Mu­sik­le­ben in Ko­blenz, Ko­blenz 2008.
Be­reths, Gus­tav, Die Mu­sik­pfle­ge am kur­trie­ri­schen Ho­fe zu Ko­blenz-Eh­ren­breit­stein, Mainz 1964.
Pecht, An­dre­as, Aus Lie­be zur Mu­sik. Das Mu­sik-In­sti­tut Ko­blenz im Lauf der Zei­ten 1808-2018, Ha­chen­burg 2018.
Schmidt, Hans, Mu­sik-In­sti­tut Ko­blenz, Ko­blenz 1983.
Schuh, Paul, Jo­seph An­dre­as An­schu­ez (1772-1855). Der Grün­der des Ko­blen­zer Mu­sik­in­sti­tuts, Köln 1958. 

Online

Dom­mer, Ar­rey von, An­schütz, Jo­seph An­dre­as, in: All­ge­mei­ne Deut­sche Bio­gra­phie 1 (1875), S. 477. [on­line]  
Web­site des Mu­sik-In­sti­tuts Ko­blenz. [on­line

 
Zitationshinweis

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Baur, Uwe, Joseph Andreas Maria Anschuez, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-andreas-maria-anschuez/DE-2086/lido/5d318ef9577237.62732033 (abgerufen am 16.04.2024)