Wilhelm Dörpfeld

Archäologe (1853-1940)

Markus Kirschbaum (Koblenz)

Wilhelm Dörpfeld (oben links im Loch der Mauer) und Heinrich Schliemann (oben rechts auf der Mauer) am Löwentor in Mykene, 1884/85. (Deutsches Archäologisches Institut Athen)

Wil­helm Dör­pfeld be­trat das Ge­biet der Ar­chäo­lo­gie als Au­ßen­sei­ter und eher zu­fäl­lig, in dem er, sei­nen tech­ni­schen und ma­the­ma­ti­schen Nei­gun­gen fol­gend, be­schloss, Bau­meis­ter zu wer­den. Die hu­ma­nis­ti­sche Bil­dung des Gym­na­si­ums hall­te aber kräf­tig nach bei der Wahl des The­mas sei­nes Ex­amens zum Bau­füh­rer und ent­fach­te sei­ne Lei­den­schaft für die An­ti­ke, die ihn zu ei­nem der er­folg­reichs­ten Aus­grä­ber im Zeit­al­ter der gro­ßen ar­chäo­lo­gi­schen Ent­de­ckun­gen, Be­grün­der des mo­der­nen Gra­bungs­we­sens und zum Nes­tor der an­ti­ken Bau­for­schung wer­den ließ. Sei­ne durch ana­ly­ti­sche Be­ob­ach­tungs­ga­be und sys­te­ma­ti­sche Denk­wei­se an­ge­trie­be­ne Ver­voll­komm­nung der Gra­bungs­tech­nik und de­ren Do­ku­men­ta­ti­on be­wirk­te, dass sei­ne Ar­bei­ten et­wa in Olym­pia, Troia und Per­ga­mon in­ter­na­tio­nal als vor­bild­lich gal­ten. Ne­ben welt­wei­ter Ach­tung konn­te Dör­pfeld aber auch durch sei­ne Sen­si­bi­li­tät un­d  Auf­ge­schlos­sen­heit für al­le Be­lan­ge des­je­ni­gen Gast­lan­des, das schon bald sei­ne Wahl­hei­mat wer­den soll­te, die Zu­nei­gung der Grie­chen ge­win­nen. Ganz im Ge­gen­satz zu sei­nem Va­ter blieb Wil­helm Dör­pfelds Le­ben nicht im We­sent­li­chen auf das Ber­gi­sche Land be­schränkt, son­dern führ­te ihn in die Welt der an­ti­ken Hel­den­land­schaf­ten, die der Sehn­suchts­ort der hu­ma­nis­tisch ge­bil­de­ten Deut­schen im 19. Jahr­hun­dert wa­ren. In das Land sei­ner Ge­burt, zu dem er im­mer ein in­ni­ges Ver­hält­nis be­wahr­te, kam er nur noch als Gast.

Fried­rich Wil­helm Dör­pfeld wur­de am 26.12.1853 in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) im al­ten Schul­haus ne­ben der Lu­the­ri­schen Kir­che ge­bo­ren. Sein Va­ter Fried­rich Wil­helm Dör­pfeld war ein be­deu­ten­der Schul­mann und Päd­ago­ge, sei­ne Mut­ter Chris­ti­na (Chris­ti­ne) ge­bo­re­ne Kel­ler (1825-1871) ent­stamm­te ei­ner Pfar­rers­fa­mi­lie, und von ih­rem Va­ter, Jo­hann Wil­helm Kel­ler (1794-1885), wur­de der Kna­be nach dem Va­ter auf den Na­men Fried­rich Wil­helm pro­tes­tan­tisch ge­tauft. Um Ver­wechs­lun­gen aus­zu­schlie­ßen, wur­de er fort­an Wil­helm ge­nannt. Mit sechs Jah­ren trat er in die Volks­schu­le Wup­per­feld ein, an der sein Va­ter un­ter­rich­te­te. 1865 wech­sel­te er in die Zahn­sche Er­zie­hungs­an­stalt mit In­ter­nat auf Gut Fild bei Mo­ers, 1868 in die Un­ter­se­kun­da des Bar­mer Gym­na­si­ums. Im To­des­jahr der Mut­ter 1871 rück­te er in die Ober­pri­ma auf und be­stand im März 1872 die Rei­fe­prü­fung, mit „vor­züg­li­ch“ im Fach Ma­the­ma­tik.

Nach ei­nem Jahr als Ele­ve beim Stadt­bau­amt Bar­men wech­sel­te Dör­pfeld im Ok­to­ber 1873 nach Ber­lin, wo er an der Bau­aka­de­mie Ar­chi­tek­tur stu­dier­te. Par­al­lel da­zu ab­sol­vier­te er als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger sei­nen Mi­li­tär­dienst beim Kai­ser-Alex­an­der-Gar­de-Re­gi­ment Nr. 1, oh­ne sein Stu­di­um zu un­ter­bre­chen. Ei­nes Abends kam sein Kom­mi­li­to­ne  Karl Sie­bold aus dem Kol­leg Fried­rich Ad­lers (1827–1908) in der ge­mein­sa­men Stu­den­ten­bu­de auf ei­nen Vor­trag Ad­lers über die Rät­sel der Pro­py­lä­en von Athen, na­ment­lich ih­rer Haupt- und Ne­be­nach­sen, zu spre­chen. Dör­pfeld, von der Mut­ter in sei­ner Kind­heit an die Be­schäf­ti­gung mit Rät­seln ge­wöhnt, be­gann sich so­gleich mit dem Grund­riss die­ses merk­wür­di­gen Ge­bäu­de­kom­ple­xes aus­ein­an­der­zu­set­zen. Am Tag des münd­li­chen Ex­amens ver­lang­te Ad­ler ei­ne Zeich­nung der Pro­py­lä­en von Athen, die Dör­pfeld oh­ne Schwie­rig­kei­ten an der Ta­fel aus­führ­te. Die­ser Zu­fall war der Be­ginn sei­ner un­ver­gleich­li­chen Kar­rie­re als Ar­chäo­lo­ge. Von Dör­pfelds Leis­tung im Ex­amen be­ein­druckt, stell­te Ad­ler den jun­gen Bau­füh­rer zu Neu­jahr 1877 in sei­nem Bau­bü­ro an. Hier fand Dör­pfeld den für sein Le­ben ent­schei­den­den Zu­gang zur ar­chäo­lo­gi­schen Bau­for­schung.

Am 13.9.1877 reis­te Dör­pfeld mit sei­nem Chef, dem Bau­meis­ter Ri­chard Bohn (1849–1898), nach Olym­pia, um als des­sen As­sis­tent an den Gra­bun­gen teil­zu­neh­men, die Ernst Cur­ti­us (1814–1896) und Fried­rich Ad­ler 1874 be­gon­nen und zu­nächst auf fünf Gra­bungs­pe­ri­oden bis 1880 ver­an­schlagt hat­ten. Bohn ob­lag es, als Ers­ter Ar­chi­tekt un­ter der Lei­tung von Ad­ler die Al­tis von Olym­pia - den Hei­li­gen Hain und Kern­be­reich des Hei­lig­tums - zu un­ter­su­chen. Zwei Jah­re spä­ter wur­de Bohn die Auf­mes­sung der Pro­py­lä­en in Athen über­tra­gen. Durch den Weg­gang Bohns wur­de Dör­pfled tech­ni­scher Gra­bungs­lei­ter in Olym­pia.

Olym­pia war in zwei­fa­cher Hin­sicht ein Schick­sals­ort für Dör­pfeld. Am 1.7.1881 ver­lob­te er sich of­fi­zi­ell mit An­na Ad­ler (ge­stor­ben 1915), der Toch­ter Fried­rich Ad­lers und im März glei­chen Jah­res mach­te er je­ne schick­sal­haf­te Be­kannt­schaft, durch die er bis heu­te auch au­ßer­halb von Fach­krei­sen Be­rühmt­heit er­lang­te. Für sei­ne nächs­te Gra­bungs­pe­ri­ode in Hisar­lık brauch­te Hein­rich Schlie­mann (1822–1890) zwei Ar­chi­tek­ten, weil dies­mal die Auf­nah­me von Plä­nen im Vor­der­grund ste­hen soll­te.

 

Sei­ne Leis­tun­gen in Olym­pia hat­ten den 25-jäh­ri­gen Dör­pfeld so be­kannt ge­macht, dass er nun zwi­schen drei Op­tio­nen wäh­len konn­te. Ent­we­der die für ihn ge­schaf­fe­ne Stel­le als Ar­chi­tekt am Deut­schen Ar­chäo­lo­gi­schen In­sti­tut (DAI) Athen an­zu­neh­men, die Ober­auf­sicht über die Gra­bun­gen und an­ti­ken Bau­ten der Grie­chi­schen Ar­chäo­lo­gi­schen Ge­sell­schaft aus­zu­üben oder sich in die Diens­te Schlie­manns zu be­ge­ben. Er setz­te selbst­be­wusst ei­ne Re­ge­lung durch, die ihm ab 1882 ne­ben der haupt­amt­li­chen Tä­tig­keit am DAI auch die an­de­ren Be­rei­che of­fen­hielt. Hier­in lag der Schlüs­sel für sei­ne au­ßer­or­dent­li­che Brei­ten­wir­kung. Seit dem 1.2.1882 als Ar­chi­tekt am DAI tä­tig, nahm er an der Kam­pa­gne Schlie­manns in Troia teil. Auf dem „Schick­sals­berg der deut­schen Ar­chäo­lo­gie“ nun be­gann Dör­pfeld ab dem 1.3.1882 zwei Vor­ha­ben gleich­zei­tig ins Werk zu set­zen. Zum ei­nen sys­te­ma­ti­sier­te er Schlie­manns Pio­nier­ar­beit und zum an­de­ren „er­zo­g“ er den Ent­de­cker Troi­as zur Wis­sen­schaft. Mensch­lich er­gänz­ten sich Schlie­mann und Dör­pfeld trotz des Al­ters­un­ter­schie­des ge­ra­de­zu ide­al. Die Pe­dan­te­rie und Nüch­tern­heit Dör­pfelds be­ru­hig­ten die Sprung­haf­tig­keit und Un­ge­duld Schlie­manns.

Da­ne­ben wirk­te ei­ne ganz zu Un­recht fast völ­lig in Ver­ges­sen­heit ge­ra­te­ne Per­sön­lich­keit güns­tig auf die Be­stre­bun­gen Dör­pfelds ein, zwi­schen Schlie­mann und der deut­schen Ar­chäo­lo­gie zu ver­mit­teln: der Ar­chäo­lo­ge Ar­thur Milch­hoefer (1852–1903). Der Stu­di­en­kol­le­ge von Adolf Furt­wäng­ler (1853–1907) war der ers­te ge­we­sen, der 1876 den Stel­len­wert der my­ke­ni­schen Ke­ra­mik er­kannt hat­te. Gleich­falls stand Milch­hoefer epo­che­ma­chend am An­fang der wis­sen­schaft­li­chen Er­ar­bei­tung der bron­ze­zeit­li­chen und früh­ei­sen­zeit­li­chen Kunst. Auch er­kann­te er durch sei­nen ana­ly­ti­schen Scharf­sinn, lan­ge be­vor Ar­thur Evans den ers­ten Spa­ten­stich in Kre­ta tä­tig­te, die Be­deu­tung der noch ganz un­be­kann­ten Mi­noi­schen Kul­tur – die Be­zeich­nung geht eben­falls auf Milch­hoefer und nicht auf Evans zu­rück – für die Ent­wick­lung der Kunst des 2. Jahr­tau­sends vor Chris­tus Dör­pfelds Ver­diens­te als „Er­zie­her“ Schlie­manns zur Wis­sen­schaft schmä­lert dies nicht, auch wenn Milch­hoefer ei­ner der ganz we­ni­gen Ar­chäo­lo­gen war, der wirk­lich mit dem schwie­ri­gen Ent­de­cker Troi­as be­freun­det ge­we­sen ist.

Von Hisar­lık zur In­sti­tuts­ar­beit zu­rück­ge­kehrt, ver­maß Dör­pfeld al­le er­reich­ba­ren Bau­glie­der des Athena Alea Tem­pels von Te­gea und er­stell­te ei­nen Ge­samt­plan des Bau­werks, des­sen Ge­nau­ig­keit sich bei den Gra­bun­gen der Fran­zö­si­schen Schu­le Athen 1888 be­stä­tig­te. Am 12.8.1882 er­reich­te Dör­pfeld in Olym­pia die Nach­richt von der Ver­lei­hung der Eh­ren­dok­tor­wür­de der Uni­ver­si­tät Würz­burg. Zum 1.2.1883 wur­de er am In­sti­tut voll­amt­lich als Ar­chi­tekt auf drei Jah­re an­ge­stellt und konn­te nun­mehr sei­ne Ver­lob­te An­na Ad­ler am 12.2.1883 hei­ra­ten. Dem Ehe­paar wur­de am 1.11.1883 wur­de die ers­te Toch­ter El­se (1883–1917) ge­bo­ren, der zwei wei­te­re Kin­der folg­ten: Agnes (1886-1935) und Fritz (1892-1966). 1884-1885 er­hör­te Dör­pfeld er­neut den Ruf Schlie­manns und grub ge­mein­sam mit dem ru­he­lo­sen Kol­le­gen in Ti­ryns. Die Frei­le­gung des dor­ti­gen my­ke­ni­schen Pa­las­tes er­brach­te die Er­kennt­nis, dass die me­ga­ron­ar­ti­gen Häu­ser in Troia II (2500–2000 v. Chr.) kei­ne Tem­pel, son­dern Her­ren­häu­ser wa­ren. 1885-1890 nahm Dör­pfled an Gra­bun­gen der Grie­chi­schen Ar­chäo­lo­gi­schen Ge­sell­schaft auf der Akro­po­lis von Athen teil, bei der er 1887 ei­nen fan­tas­ti­schen Er­folg er­ziel­te, näm­lich die Ent­de­ckung des al­ten Athena Tem­pels, des von den Per­sern ver­brann­ten Vor­gän­ger­baus des Par­thenon.  Da­ne­ben ob­lag Dör­pfeld 1883-1887 die Bau­aus­füh­rung des von Ad­ler ent­wor­fe­nen Mu­se­ums in Olym­pia. Gleich­falls un­ter­stütz­te er Carl Hu­mann (1839–1896) bei des­sen Ar­bei­ten in Per­ga­mon, wäh­rend de­rer 1878  der Per­ga­mo­nal­tar ent­deckt und von Dör­pfelds al­tem Chef Bohn do­ku­men­tiert wur­de. Un­ter­des­sen rück­te Dör­pfeld 1886 zum zwei­ten Se­kre­tär (Ar­chi­tek­tur­for­schung) und 1887 zum ers­ten Se­kre­tär und da­mit Lei­ter des DAI Athen auf.

1890 starb Hein­rich Schlie­mann in Nea­pel. Drei Jah­re spä­ter über­nahm Dör­pfeld die Gra­bungs­lei­tung in Troia, der wir un­se­re heu­ti­gen Er­kennt­nis­se ver­dan­ken und die Ge­ne­ra­tio­nen von Wis­sen­schaft­lern in­spi­riert hat. Dör­pfeld rich­te­te ein sys­te­ma­ti­sches Re­gi­ment auf, um die vor­her­ge­gan­ge­nen Ar­bei­ten in ei­nen wis­sen­schaft­li­chen Zu­sam­men­hang zu stel­len.

Wilhelm Dörpfeld, um 1880.

 

Zur Über­prü­fung der Hö­he von Ge­bäu­den und Ge­bäu­de­res­ten hat­te je­de Gra­bung ei­nen Null- oder Hö­hen­aus­gangs­punkt, der an ei­ner mar­kan­ten, mög­lichst zen­tra­len Stel­le fest­ge­legt wur­de, de­ren Hö­he über dem Mee­res­spie­gel be­kannt war. Al­le wei­te­ren Hö­hen­ma­ße konn­ten dann in Re­la­ti­on zu die­sem Punkt fest­ge­stellt und da­nach auf Mee­res­hö­he um­ge­rech­net wer­den. In Troia leg­te Dör­pfeld die­sen Punkt beim Schwel­len­stein des Pro­py­lons II C (Troia II A-G = 2500–2200 v. Chr.) mit­ten auf dem Burg­berg fest, für den Dör­pfeld ei­ne Hö­he von 30,79 Me­ter er­mit­telt hat­te. Die­ser Aus­gangs­wert wird bis auf die­sen Tag ver­wen­det, ob­gleich er heu­te re­al um 60 Zen­ti­me­ter hö­her liegt, was auch ent­spre­chend im tür­ki­schen Ka­tas­ter ver­merkt ist. An­ge­sichts des so­ge­nann­ten Schlie­mann­gra­bens, der wie ei­ne ge­wal­ti­ge Bre­sche in den Hü­gel ge­trie­ben wur­de, stell­te Dör­pfeld das Ver­fah­ren von Tie­fen- auf Schicht­gra­bung um. Schlie­mann hat­te er­kannt, dass bei ei­nem Sied­lungs­hü­gel die äl­tes­te Kul­tur­schicht auch die un­ters­te ist. Da nach sei­ner An­sicht das Troia Ho­mers die äl­tes­te Schicht sein muss­te, war ihm dar­an ge­le­gen, mög­lichst rasch – und wenn nö­tig auch bra­chi­al – an die­se un­ters­te La­ge her­an­zu­kom­men. Als er­fah­re­ner Gra­bungs­tech­ni­ker wuss­te hin­ge­gen Dör­pfeld, dass nur ei­ne Schicht­gra­bung zu ei­ner trag­fä­hi­gen Chro­no­lo­gie füh­ren konn­te. Auf­grund sei­ner Ar­beit in Troia nahm er die bis heu­te gül­ti­ge Ein­tei­lung in neun Schich­ten mit un­ter­schied­li­chen Städ­ten vor, die er von un­ten nach oben mit Troia I bis Troia IX be­zeich­ne­te. Die spät­bron­ze­zeit­li­che Schicht von Troia VI ent­sprach nicht nur der Grö­ße nach, son­dern auch in ih­rer präch­ti­gen Aus­stat­tung der Stadt, die nach An­sicht Schlie­manns und auch Dör­pfelds zu den Be­schrei­bun­gen in der „Ili­a­s“ pas­sen wür­de. Dör­pfeld fand hier ne­ben vor­neh­men Häu­sern und gro­ßzü­gi­gen Ring­stra­ßen auch im­po­san­te Be­fes­ti­gun­gen und ein zu­ge­mau­er­tes Tor so­wie ei­ne klei­ne­re, schwä­che­re Be­fes­ti­gungs­mau­er. Dör­pfeld hat­te die bis heu­te gül­ti­ge und ver­wen­de­te Ein­tei­lung in neun Schich­ten vor­ge­nom­men, wo­bei sei­ne Da­tie­rung not­ge­drun­gen sehr pau­schal blei­ben muss­te. Dies konn­te sei­ner An­sicht nach erst nach wei­te­ren Gra­bun­gen in Hisar­lık selbst und an­hand von Ver­glei­chen mit an­de­ren aus­ge­gra­be­nen Or­ten kon­kre­ti­siert wer­den. Das Vor­ha­ben aber blieb der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on von Ar­chäo­lo­gen in Troia vor­be­hal­ten.

Die sehr sys­te­ma­ti­schen und von der wis­sen­schaft­li­chen Vor­ar­beit Dör­pfelds pro­fi­tie­ren­den Kam­pa­gnen der Uni­ver­si­tät von Cin­cin­na­ti 1932 bis 1938 un­ter der Lei­tung von Carl Wil­liam Ble­gen (1887–1971) mach­ten schon bald das Bild der vie­len Sied­lun­gen in Hisar­lık kon­kre­ter. Auf­grund der sich im­mer wei­ter ver­bes­sern­den Me­tho­den wur­den die neun Städ­te von Troia nun in 46 Bau­pha­sen un­ter­glie­dert. Als Er­geb­nis sei­ner Kam­pa­gne setz­te Ble­gen Troia VII (Troia VI – VII A = 1700–1200 v.Chr.) mit dem Ili­on Ho­mers gleich. Nach­dem Dör­pfeld Ble­gen mehr­fach in Troia be­sucht und die neu­es­ten Gra­bun­gen be­sich­tigt hat­te, stimm­te er un­um­wun­den der Neu­da­tie­rung zu. Die Wir­kung, die von die­ser Über­ein­stim­mung der bei­den re­nom­mier­tes­ten Troia­ex­per­ten aus­ging, ließ je­den Zwei­fel an der His­to­ri­zi­tät des Troia­ni­schen Krie­ges end­gül­tig ver­stum­men. Hier zeig­te sich ei­ne wei­te­re cha­rak­ter­li­che Sei­te von Dör­pfeld, der trotz sei­nes Selbst­be­wusst­seins in der La­ge war, auf der Ba­sis neu­er In­for­ma­tio­nen sei­ne Ein­schät­zun­gen zu än­dern, oh­ne ei­nen Feh­ler of­fen zu­ge­ben zu müs­sen. Gleich­falls konn­te er starr­köp­fig an Er­geb­nis­sen fest­hal­ten, die von der For­schung über­holt wur­den und ge­gen­über frem­der Kri­tik zu Stein wer­den.

Über­haupt war der Um­gang mit Dör­pfeld für Kol­le­gen nicht ein­fach. Das Wir­ken des selbst um ei­nen schrof­fen Ton nicht ver­le­ge­nen Eu­gen Pe­ter­sen (1836–1919) als Co-Se­kre­tär Dör­pfelds beim DAI Athen von 1886 bis 1887 war ge­prägt vom Ge­gen­satz - auch auf wis­sen­schaft­li­chem Ge­biet - mit des­sen star­ker und ei­gen­wil­li­ger Per­sön­lich­keit. Pe­ter­sen „flüch­te­te“ und über­nahm 1887 die Lei­tung des DAI Rom. Ein wirk­lich un­be­las­te­tes Ver­hält­nis hat­te Dör­pfeld hin­ge­gen zu dem Wies­ba­de­ner Bau­for­scher Hans Schleif (1902–1945) wäh­rend ih­rer ge­mein­sa­men Zeit in Olym­pia. Schleif un­ter­stütz­te den be­reits an be­trächt­li­cher Seh­schwä­che Lei­den­den ab 1927 bei den Gra­bun­gen und hat­te an meh­re­ren Pu­bli­ka­tio­nen er­heb­li­chen An­teil. Die en­ge Ver­bin­dung zu Dör­pfeld wur­de von an­de­ren Kol­le­gen häu­fig iro­nisch-re­spekt­voll als „Fir­ma Dör­pfeld & Sohn“ be­zeich­net.

Gleich­wohl war die Kam­pa­gne in Troia 1893-1894 trotz der gro­ßen Brei­ten­wir­kung sei­ner For­schun­gen wohl der Hö­he­punkt von Dör­pfelds Schaf­fen, auf al­le Fäl­le aber sei­ne spek­ta­ku­lärs­te Ar­beit. Sie hat ihn auch au­ßer­halb von Fach­krei­sen be­kannt ge­macht. Bis zum En­de sei­nes Di­rek­to­rats in Athen 1912 ka­men neue Ar­beits­ge­bie­te hin­zu. Die von Schlie­mann an­ge­reg­ten Ho­mer-For­schun­gen nah­men ei­nen gro­ßen Teil der Ar­beits­kraft Dör­pfelds in An­spruch. Da­ne­ben or­ga­ni­sier­te er ei­nen Ty­pus von Bil­dungs­rei­se, die sich als „Dör­pfeld-Rei­sen“ bei Fach­leu­ten und be­geis­ter­ten Lai­en gro­ßer Be­liebt­heit er­freu­ten. Aus­gangs­punkt der Tour war die Be­sich­ti­gung der Bau­ten von Athen, Pi­rä­us und Eleu­sis. Da­nach ging es nach My­ke­ne, Ti­ryns, Epidau­ros und Olym­pia. Da­bei war Dör­pfeld höchst selbst der Rei­se­lei­ter und pass­te die Rou­te im­mer an die Or­te ak­tu­el­ler Gra­bun­gen an. 1896 grün­de­te er die Deut­sche Schu­le in Athen. Ge­mein­sam mit Alex­an­der Con­ze (1831–1914) leg­te Dör­pfeld von 1900-1913 die Mit­tel- und Un­ter­stadt von Per­ga­mon frei. 1896 er­schien sein Haupt­werk un­ter dem Ti­tel „Das grie­chi­sche Thea­ter“, in wel­chem Dör­pfeld die The­se von der „Büh­nen­lo­sig­keit“ des grie­chi­schen Thea­ters aus­brei­te­te. Die re­vo­lu­tio­nä­re The­se: ur­sprüng­lich war die kreis­run­de Or­ches­tra ge­mein­sa­mer Spiel­platz von Chor und Schau­spie­lern, und erst in spä­te­rer Zeit wur­de durch Tren­nung des Krei­ses in ei­nen ver­tief­ten Tanz­platz und ei­ne er­höh­te Büh­ne die Ge­stalt des Thea­ters ver­än­dert. Sei­ne Gra­bun­gen auf Leu­kas 1902–1911 of­fen­bar­ten ei­ne Ver­än­de­rung in der wis­sen­schaft­li­chen Me­tho­dik des sonst so stren­gen Dör­pfeld. Da er über­zeugt war, dass die Ebe­ne von Ni­dri an der Ost­küs­te von Leu­kas die Hei­mat des Odys­seus, al­so Itha­ka ge­we­sen ist, in­ter­pre­tier­te er Ho­mer dem­entspre­chend. Die Theo­rie be­herrsch­te hier die un­vor­ein­ge­nom­me­ne In­ter­pre­ta­ti­on. Über sei­ne Leu­kas-The­sen ent­brann­te ein hef­ti­ger Dis­put und Dör­pfeld wur­de mehr und mehr un­zu­gäng­lich für frem­de Kri­tik. Nach sei­nem of­fi­zi­el­len Ru­he­stand 1912 be­gann er als Ho­no­rar­pro­fes­sor Vor­le­sun­gen an der Uni­ver­si­tät Je­na zu hal­ten und Vor­trags­rei­sen zu or­ga­ni­sie­ren. Auch un­ter­nahm er 1931 noch ein­mal Aus­gra­bun­gen auf der Ago­ra von Athen und be­such­te Ble­gen in Troia. Die Ar­beit in sei­nem ge­lieb­ten Olym­pia wur­de durch ein Au­gen­lei­den stark be­ein­träch­tigt. Den­noch er­leb­te er am 10.4.1937 den fei­er­li­chen Be­ginn der neu­en deut­schen Olym­pia­gra­bun­gen.

Wilhelm Dörpfeld, 1910.

 

Kurz vor sei­nem Tod wur­de nach dem Um­zug des Bar­mer Gym­na­si­ums nach Wup­per­tal-El­ber­feld die­ses 1938 in Wil­helm-Dör­pfeld-Gym­na­si­um um­be­nannt. An die Ge­burt Wil­helm Dör­pfelds er­in­ner­te bis zur Kriegs­zer­stö­rung ei­ne Ge­denk­ta­fel am Haus Bred­de 67, Wup­per­tal-Bar­men: „Der Meis­ter der Spa­ten­for­schung. Prof. Wilh. Dör­pfeld wur­de am 26. De­zem­ber 1853 als Sohn des Rek­tors F.W. Dör­pfeld in die­sem Hau­se ge­bo­ren."

Am 24.4.1940 starb Wil­helm Dör­pfeld in Ni­dri auf der In­sel Leu­kas nord­west­lich der Pe­le­pon­nes und wur­de in der grie­chi­schen Land­schaft be­er­digt, die ihm oh­ne äs­the­ti­sche Ana­ly­se ei­ne ge­ge­be­ne, tau­send­fa­che Grö­ße ge­we­sen war.

Werke

Das von Pe­ter Goess­ler zu­sam­men­ge­stell­te Schrif­ten­ver­zeich­nis Dör­pfelds in: Ar­chäo­lo­gi­scher An­zei­ger 65/66(1950/51), S. 381. 381-404 ver­zeich­net 326 Ar­bei­ten (Mo­no­gra­phi­en, Auf­sät­ze, Plä­ne, Re­zen­sio­nen).
Der Nach­lass Wil­helm Dör­pfelds (Ta­ge­bü­cher, Be­rich­te, Ma­nu­skrip­te, Zeich­nun­gen) be­fin­det sich im Be­sitz des Deut­schen Ar­chäo­lo­gi­schen In­sti­tuts in Ber­lin, Athen und Olym­pia so­wie im Stadt­ar­chiv Wup­per­tal und im dor­ti­gen Wil­helm-Dör­pfeld-Gym­na­si­um.

Literatur

Bran­dau, Bir­git, Troia. Ei­ne Stadt und ih­r My­thos. Die neu­es­ten Ent­de­ckun­gen, Ber­gisch-Glad­bach 1997.
Goe­bel, Klaus/Gi­an­no­pou­lou, Cha­ra (Hg.), Wil­helm Dör­pfeld. Da­ten mei­nes Le­bens - Σταθμοί της Ζωής μου, Pa­tras 2010.
Goess­ler, Pe­ter, Wil­helm Dör­pfeld. Ein Le­ben im Dienst der An­ti­ke, Stutt­gart 1951.
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Online

von Lü­cken, Gott­fried, Dör­pfeld, Fried­rich Wil­helm, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie (NDB). Band 4, Ber­lin 1959, S. 35-36. [On­line]

Wilhelm Dörpfelds Grab gegenüber dem Hafen von Nidri, 2013, Foto: Ziegelbrenner.

 
Zitationshinweis

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Kirschbaum, Markus, Wilhelm Dörpfeld, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-doerpfeld/DE-2086/lido/57c695c8ea7c08.83166846 (abgerufen am 19.03.2024)