Der „Neue Aachener Sprachschatz“ ist nicht nur deshalb neu, weil er gerade erschienen, sondern weil er eine neue, überarbeitete Ausgabe des alten „Aachener Sprachschatzes“ von Will Hermanns von 1970 ist. Dieses berühmte Wörterbuch, einer der markantesten Punkte in der rheinischen Wörterbuchlandschaft, ist seit Jahren vergriffen, eine Neuauflage tat schon lange Not.
Zwei weitere Motive haben den Verein „Öcher Platt e.V.“ zu dieser Neubearbeitung bewegt. Das eine wird im Grußwort angesprochen: „Wörter erhalten veränderte Bedeutungen, neue Begriffe kommen hinzu. Die Aufgabe der Wörterbücher ist es, dies zeitnah festzuhalten.“ Das Vorwort selbst handelt von dem zweiten, für die Autoren offenbar zentralen Motiv, der Schreibung. Um eine „größtmögliche Annährung der Schreibweise an die tatsächliche Aussprache unter Berücksichtigung der Wortherkunft“ zu erreichen, wurde das von Hermanns verwendete System behutsam überarbeitet, auch um der leicht geänderten Aussprache (vor allem im Vokalismus) gerecht zu werden. Die Autoren erhoffen sich davon einen leichteren Zugang zur und eine gewisse Normierung der geschriebenen Mundart, die das öffentliche Interesse an Mundartliteratur und -dokumentationen wieder beflügeln soll – in diesem Fall hätte sich die Mühe auf jeden Fall gelohnt.
Auch die Wortartikel wurden entschlackt. Verweise auf Laut- und Aussprachevarianten sind getilgt worden, weggefallen sind alle etymologischen Angaben (bei Hermanns waren das in der Regel französische oder niederländische Vergleichsformen) und viele, aber nicht alle Verweise innerhalb des Wörterbuchs. Geblieben sind zum Beispiel die literarischen Verweise, die mangels Literaturliste nun nicht aufgelöst werden können. Hinzugekommen ist dagegen ein erfreulich ausführliches Register, das viele feine Bedeutungsnuancen erfasst und so die Arbeit mit dem Wörterbuch deutlich erleichtert. Dazu mussten die hochdeutschen Bedeutungsangaben bearbeitet und standardisiert werden, eine sicher mühselige Arbeit. Gerade die zukünftigen Leser und Leserinnen werden den Autoren dafür sehr dankbar sein.
Inhaltlich hat sich im Wörterbuch relativ wenig geändert. Das wird die Liebhaber des „Aachener Sprachschatzes“ von Hermanns freuen, diejenigen, die sich die im Grußwort versprochene Aktualisierung erhofft haben, dagegen ein wenig enttäuschen. Der Wortbestand ist annährend gleich geblieben, offensichtlich ist nichts weggefallen und kein Eintrag wurde als veraltet oder als nicht mehr gebräuchlich gekennzeichnet. Dagegen sind einige Ergänzungen hinzugekommen, etwa die Wortartikel stocke (stoppen), stockstiif (stocksteif), stroeßav (die Straße hinunter), Nickelplai (leuchtende Glatze) oder Plüntschje (Fehlgeburt). Man muss nach den Neueinträgen jedoch intensiv suchen, eine Kenzeichnung wäre hier für einen Vergleich sehr hilfreich gewesen.
Auffälliger sind die Umstellungen: So ist zum Beispiel der ehemalige Wortartikel fuul (faul) in das Attribut full und das Prädikativum fuul aufgespaltet worden, genau so wie das Adjektiv hauv in hauve und houv. Offenbar haben auch lautliche Gründe bei der Wahl dieses Verfahrens eine Rolle gespielt. Auch Diminutive, die bei Hermann noch im Wortartikel integriert waren, sind nun lemmatisiert, das gilt auch für die Steigerungsformen der Adjektive oder sogar Flexionsformen (stödder steht ihr). Selbst Lautvarianten eines Wortes wurden in einzelne Wortartikel aufgeteilt, so etwa Ondogt und Ondöügt (Nichtsnutzigkeit).
Unter dem Strich ist der „Neue Aachener Sprachschatz“ der alte „Aachener Sprachschatz“ von Will Hermanns in neuem Gewand – und über Mode kann man genau so wenig streiten wie über die Bedeutung dieses Wörterbuchs. Es ist und bleibt sowohl für die Sprachwissenschaft als auch für die Liebhaber des Aachener Dialekts die wichtigste und informativste Quelle, trotz oder wegen aller Neuerungen. Selbst die Besitzer des „alten“ Hermanns sollten die Anschaffung des neuen schon allein wegen des ausführlichen Registers ins Erwägung ziehen. Den Autoren sei hier ausdrücklich dafür gedankt, dass sie diesen Klassiker unter den rheinischen Mundartwörterbüchern wieder zugänglich gemacht haben.
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Honnen, Peter, Allgaier, Karl, Bauschulte, Meinolf, Wollgarten, Richard, Neuer Aachener Sprachschatz auf der Grundlage des Werkes von Will Hermanns: Öcher Platt – Hochdeutsch, hg. vom Verein Öcher Platt e.V., Verein für Mundart und Volkskunde seit 1907, Aachen 2010, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/allgaier-karl-bauschulte-meinolf-wollgarten-richard-neuer-aachener-sprachschatz-auf-der-grundlage-des-werkes-von-will-hermanns-%25C3%2596cher-platt-%25E2%2580%2593-hochdeutsch-hg.-vom-verein-%25C3%2596cher-platt-e.v.-verein-fuer-mundart-und-volkskunde-seit-1907-aachen-2010/DE-2086/lido/57d26bd37d8882.61636770 (abgerufen am 13.01.2025)