August Merges

Rätekommunistischer Politiker und Widerstandskämpfer (1870-1945)

Tobias Kühne (Bonn)

August Merges, Porträtfoto. (Stadtarchiv Braunschweig, Signatur: H XVI: G II 2 / Merges / Format 2)

Der Rä­te­kom­mu­nist Au­gust Mer­ges, der po­li­tisch vor al­lem im Frei­staat Braun­schweig ak­tiv war, führ­te ein be­weg­tes und kämp­fe­ri­sches Le­ben. Als un­er­müd­li­cher Re­vo­lu­tio­när und Non­kon­for­mist ge­lang es ihm je­doch nie, sich dau­er­haft par­tei­po­li­tisch zu eta­blie­ren, er eck­te seit 1915 ei­gent­lich im­mer an. So hängt es letzt­lich nur an der Ge­wich­tung von Nu­an­cen, ob man in Au­gust Mer­ges vor al­lem ei­nen no­to­ri­schen Un­ru­he­stif­ter oder ei­nen un­ab­hän­gi­gen Frei­geist sieht.

Au­gust Mer­ges wur­de am 3.3.1870 in der Klein­stadt Mal­statt-Bur­bach (heu­te Stadt Saar­brü­cken) ge­bo­ren und evan­ge­lisch ge­tauft. Spä­ter trat er aus der Kir­che aus. Sein Va­ter Ni­ko­laus war Flei­scher­meis­ter, die Mut­ter An­na starb kurz nach sei­ner Ge­burt. Durch den Kriegs­dienst sei­nes Va­ters wur­de er Pfle­ge­el­tern über­ge­ben, die mög­li­cher­wei­se durch man­geln­de Für­sor­ge ei­ne Ra­chi­tis-Er­kran­kung be­güns­tig­ten. In de­ren Fol­ge blieb Au­gust Mer­gel klein­wüch­sig, hin­zu ka­men ein Bu­ckel und ein lah­mes Bein, was ihm den Spitz­nah­men „Krum­mer Au­gus­t“ ein­brach­te. Die Fa­mi­lie zog über Idar-Ober­stein nach Mel­le in der Nä­he von Os­na­brück, wo er 1884 die Volks­schu­le ab­schloss.

Schon in jun­gen Jah­ren mach­te Au­gust Mer­gel ei­ne Er­fah­rung, die er mit vie­len Ge­nos­sin­nen und Ge­nos­sen sei­ner Ge­ne­ra­ti­on teil­te. Ob­wohl be­gabt und wiss­be­gie­rig, blieb ihm auf­grund der man­geln­den fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten der Fa­mi­lie ei­ne hö­he­re Schuld­bil­dung ver­sagt, sein Va­ter schick­te ihn schlie­ß­lich in ei­ne Schnei­der­leh­re nach Bre­men. Wäh­rend der ob­li­ga­to­ri­schen Ge­sel­len­wan­der­schaft trat Mer­ges in die SPD ein. Ei­ne dar­auf­fol­gen­de be­ruf­li­che Wei­ter­bil­dung an der Zu­schnei­de­aka­de­mie in Ber­lin muss­te er aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den ab­bre­chen. Doch ne­ben der Ar­beit bil­de­te er sich, wie er 1891 stolz an den baye­ri­schen SPD-Vor­sit­zen­den Ge­org von Voll­mar (1850-1922) schrieb, durch die Lek­tü­re po­li­ti­scher und wis­sen­schaft­li­cher Bü­cher au­to­di­dak­tisch wei­ter und er­ar­bei­te­te sich so sei­ne so­zia­lis­ti­sche Welt­an­schau­ung.

Im Jahr 1899 hei­ra­te­te Au­gust Mer­ges sei­ne Frau Min­na, mit der er drei Söh­ne (Al­fred, ge­bo­ren 1900; Wal­ter, ge­bo­ren 1901; Ot­to, ge­bo­ren 1905) und zwei Töch­ter (Mar­ga­re­te, ge­bo­ren 1903; Lis­beth, ge­bo­ren 1907) hat­te. Wäh­rend er in die­ser Zeit sei­nen Le­bens­un­ter­halt noch als Schnei­der be­stritt, wur­de er 1906 haupt­amt­li­cher Par­tei­funk­tio­när, zu­nächst in Hil­des­heim und dann in Al­feld an der Lei­ne. 1911 schlie­ß­lich sie­del­te er nach Braun­schweig über, ei­ner der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Hoch­bur­gen im Reich, wo er als Ex­pe­dient und Re­dak­teur für die so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Zei­tung „Volks­freun­d“ ar­bei­te­te und sich als Agi­ta­tor ei­nen Na­men mach­te. Sei­ne De­le­ga­ti­on zu den Par­tei­ta­gen 1899 in Han­no­ver und 1906 in Mann­heim lässt er­ken­nen, dass er schon früh­zei­tig zu den füh­ren­den So­zi­al­de­mo­kra­ten in Braun­schweig ge­hör­te. Er­in­ne­run­gen von Mit­strei­tern wei­sen dar­auf hin, dass sich Mer­gel im re­gio­na­len so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Mi­lieu nicht nur po­li­tisch, son­dern auch per­sön­lich gro­ße Sym­pa­thi­en er­wor­ben hat­te. Dies soll­te auf die wei­te­re Ent­wick­lung in Braun­schweig ent­schei­den­de Aus­wir­kun­gen ha­ben.

Schon un­mit­tel­bar nach Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs ge­hör­te Au­gust Mer­ges zu den ent­schie­de­nen Kriegs­geg­nern in­ner­halb der SPD. Zu­sam­men mit Jo­sef „Sep­p“ Oer­ter (1870-1928) und dem spä­te­ren KPD-Vor­sit­zen­den Au­gust Thal­hei­mer (1884-1948) grün­de­te er 1915 den „Braun­schwei­ger Re­vo­lu­ti­ons­klub“, aus dem ein Jahr spä­ter die „Spar­ta­kus­grup­pe Braun­schwei­g“ her­vor­ging. Auf­grund sei­ner An­ti­kriegs­agi­ta­ti­on wur­de er mehr­facht ver­haf­tet, in sei­ner Woh­nung fan­den re­gel­mä­ßig Haus­su­chun­gen statt. Wä­re da­bei her­aus­ge­kom­men, dass die Spar­ta­kis­ten um Mer­ges auch De­ser­teu­re un­ter­stütz­ten, wä­re es wohl nicht bei kurz­zei­ti­gen Ver­haf­tun­gen ge­blie­ben. Nicht zu­letzt we­gen sei­nes po­li­ti­schen En­ga­ge­ments blieb die fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on sei­ner Fa­mi­lie pre­kär. Wie sich sein Sohn Al­fred er­in­ner­te, be­stell­te die Mut­ter ei­nen Mor­gen Land zur Exis­tenz­si­che­rung.

 

Bei der Spal­tung der SPD im Jahr 1917 schloss sich Mer­ges der pa­zi­fis­ti­schen USPD an, die in Braun­schweigt, ähn­lich wie im Ber­gi­schen Land, ei­ne ih­rer re­gio­na­len Hoch­bur­gen hat­te. Vor al­lem in der ra­di­ka­len Ar­bei­ter­ju­gend ver­füg­te er über Ein­fluss und An­hän­ger. In der No­vem­ber­re­vo­lu­ti­on spiel­te Au­gust Mer­ges am 8.11.1918 die ent­schei­den­de Rol­le. Am Mor­gen be­setz­te er mit ei­ner Grup­pe be­waff­ne­ter Ma­tro­sen das Volks­freund-Haus der SPD, am Nach­mit­tag wur­de Her­zog Ernst Au­gust von Braun­schweig (1887-1953) zur Ab­dan­kung ge­zwun­gen und sein Ka­bi­nett zu­sam­men mit ei­ni­gen Po­li­zei­kom­man­deu­ren fest­ge­nom­men. Der lo­ka­le, von der USPD do­mi­nier­te Ar­bei­ter- und Sol­da­ten­rat über­nahm dar­auf­hin die In­itia­ti­ve und rief ei­ne Al­lein­re­gie­rung („Rat der Volks­kom­mis­sa­re“) der USPD in der frisch pro­kla­mier­ten „So­zia­lis­ti­schen Re­pu­blik Braun­schwei­g“ aus, als de­ren Prä­si­dent Au­gust Mer­ges ein­ge­setzt wur­de. Gleich­zei­tig üb­te er die Funk­ti­on des Be­zirks­vor­sit­zen­den der USPD aus, aber als „star­ker Man­n“ galt in Braun­schweig sein Ge­nos­se und Kon­kur­rent Sepp Oer­ter. Ei­ne be­son­ders en­ge po­li­ti­sche und per­sön­li­che Weg­ge­fähr­tin in die­ser Zeit war Min­na Fa­ßhau­er (1875-1949), die als Volks­kom­mis­sa­rin für Volks­bil­dung als ers­te Frau in Deutsch­land ein Mi­nis­ter­amt be­klei­de­te.

Die ge­schil­der­te re­vo­lu­tio­nä­re Son­der­ent­wick­lung in Braun­schweig wur­de aber in den fol­gen­den Mo­na­ten zu­erst ein­ge­dämmt und dann er­stickt. Bei der Land­tags­wahl vom 22.12.1918 ge­lang der USPD zwar mit 24,3 Pro­zent ein star­kes Er­geb­nis, letzt­lich blieb die SPD aber mit 27,7 Pro­zent stärks­te Kraft. Da ge­gen die SPD und die bür­ger­li­chen Par­tei­en ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Um­wand­lung Braun­schweigs in ei­ne Rä­te­re­pu­blik nicht mög­lich war, trat Mer­ges am 22.2.1919 von sei­ner Prä­si­dent­schaft zu­rück, die von Sepp Oer­ter kurz­zei­tig ge­schäfts­füh­rend im Rah­men ei­ner Ko­ali­ti­on aus SPD und USPD aus­ge­übt wur­de. Als im Zu­sam­men­hang mit dem Spar­ta­ku­s­auf­stand auch in Braun­schweig Un­ru­hen aus­bra­chen, rück­ten schlie­ß­lich Frei­korps un­ter Ge­ne­ral Ge­org Ma­ercker (1865-1924) in die Stadt ein und setz­ten die Re­gie­rung ver­fas­sungs­wid­rig ab. Zum Mi­nis­ter­prä­si­den­ten wur­de am 30. April schlie­ß­lich Hein­rich Jas­per (1875-1945) von der SPD ge­wählt. Au­gust Mer­ges, dem im Fal­le ei­ner Ver­haf­tung wo­mög­lich die Er­mor­dung ge­droht hät­te, konn­te un­ter­tau­chen und spä­ter nach Ber­lin flie­hen.

Seit sei­nem Rück­zug aus der Braun­schwei­ger Lo­kal­po­li­tik be­gann Au­gust Mer­ges‘ po­li­ti­scher Stern ra­pi­de zu sin­ken. Zu­rück in Braun­schweig und nach ei­nem In­ter­mez­zo in der KPD schloss er sich Mit­te 1920 der rä­te­kom­mu­nis­ti­schen Kom­mu­nis­ti­schen Ar­bei­ter­par­tei Deutsch­lands (KAPD) an, die aber kei­nen grö­ße­ren Ein­fluss er­rin­gen konn­te und rasch zer­fiel. Sei­ne spä­te­ren Mit­glied­schaf­ten in Split­ter­grup­pen wie der All­ge­mei­nen Ar­bei­ter-Uni­on – Ein­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (AAUE) und der Frei­en Ar­bei­ter-Uni­on Deutsch­lands (FAUD) er­wie­sen sich als eben­so er­folg­los. Die ra­di­ka­le Lin­ke in Braun­schweig lös­te sich re­gel­recht auf, nicht ein­mal die KPD konn­te hier ge­gen­über der SPD nen­nens­wer­te Er­fol­ge er­zie­len. Zum En­de der Wei­ma­rer Re­pu­blik be­stand Mer­ges‘ Ge­folg­schaft nur noch aus dem en­ge­ren Freun­des- und Fa­mi­li­en­kreis.

Nach der „Macht­er­grei­fung“ der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten be­weg­te sich Mer­ges im Um­feld der Wi­der­stands­grup­pe Kom­mu­nis­ti­sche Rä­te-Uni­on, die aber zwi­schen De­zem­ber 1934 und April 1935 von der Ge­sta­po auf­ge­rollt wur­de. Im Rah­men die­ser Ver­fol­gungs­wel­le wur­de auch Au­gust Mer­ges ver­haf­tet, schwer miss­han­delt und zu drei Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Am 6.3.1945 starb er in Braun­schweig an den Fol­gen der Miss­hand­lun­gen.

Ei­ne kri­ti­sche Wür­di­gung oder er­in­ne­rungs­po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Per­son Au­gust Mer­ges fand lan­ge Zeit we­der in der Bun­des­re­pu­blik noch in der DDR statt, dies gilt weit­ge­hend bis heu­te. Der Re­bell aus Prin­zip pass­te we­der in die so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche noch in die staats­o­zia­lis­ti­sche Ge­schichts­er­zäh­lung. Wie schwie­rig dies bis heu­te ist, zeig­te die lo­kal­po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung im Rat der Stadt Braun­schweig 2012/2013. Zu­nächst ging es um ei­nen An­trag der Par­tei DIE LIN­KE hin­sicht­lich der Eh­rung Min­na Fa­ßhau­ers. Die fol­gen­de durch­aus er­reg­te De­bat­te er­wei­ter­te sich dann auf An­trag der SPD auf ein bio­gra­phi­sches Pro­jekt zur Do­ku­men­ta­ti­on der Ge­schich­te der Wei­ma­rer Re­pu­blik in Braun­schweig, das sich ne­ben Fa­ßhau­er und Mer­ges auch mit Per­sön­lich­kei­ten wie Ot­to Gro­te­wohl (1894-1964), Carl Heimbs (1878-1972) und Ernst Au­gust Ro­loff (1886-1955) be­schäf­ti­gen soll­te. Doch letzt­lich ver­san­de­te die In­itia­ti­ve im Rat. Im Rhein­land be­zie­hungs­wei­se im Saar­land hin­ge­gen dürf­te Au­gust Mer­ges, den mit sei­nem frü­hen Um­zug ins heu­ti­ge Nie­der­sach­sen wohl auch nichts mit sei­ner al­ten Hei­mat mehr ver­band, weit­ge­hend un­be­kannt sein.

Li­te­ra­risch ver­ewigt wur­de Au­gust Mer­ges in der Fi­gur des „tap­fe­ren Schnei­der­lein­s“ Au­gust Kar­ges in Ehm Welks Ro­man „Im Mor­gen­ne­bel“ von 1953 und in dem au­to­bio­gra­phi­schen Ro­man Zi­geu­ner­blut im Ak­ten­schrank von Ho­mo (das ist Ri­chard Wag­ner) aus dem Jahr 1924. 

Literatur

Bie­gel, Gerd, Min­na Fa­ßhau­er (1875-1949). Bio­gra­phi­sche Do­ku­men­ta­ti­on zu ei­nem ak­tu­el­len Dis­kurs, Braun­schweig 2013. [on­line]
Ho­mo (d.i. Ri­chard Wag­ner), Zi­geu­ner­blut im Ak­ten­schrank. Bio­gra­phi­scher Ro­man, Je­na 1924 [on­line]  
Ro­loff, Ernst-Au­gust, Braun­schweig und der Staat von Wei­mar. Po­li­tik, Wirt­schaft und Ge­sell­schaft 1918-1933, Braun­schweig 1964. [on­line
Au­gust Mer­ges – Ein Blog über das Le­ben und Wir­ken von Au­gust Mer­ges. [on­line]

Online

Da­ten­bank der deut­schen Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ten: [on­line]  
Hand­buch der Deut­schen Kom­mu­nis­ten: [on­line
Mer­ges, Al­fred, Po­li­ti­sches Le­bens­bild von Au­gust Mer­ges. [on­line]
No­vem­ber­re­vo­lu­ti­on und Wei­ma­rer Re­pu­blik. [on­line]

August Merges (dritte Person v. l.) mit dem Braunschweiger Arbeiter- und Soldatenrat im Jahr 1918. (Stadtarchiv Braunschweig, Signatur: H XVI: H I 1918/Format 2)

 
Zitationshinweis

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Kühne, Tobias, August Merges, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/august-merges/DE-2086/lido/5f3145df1f3f65.61973264 (abgerufen am 19.03.2024)