1918 bis 1933 - Die Weimarer Republik

Martin Schlemmer (Duisburg)

Reichspräsident Paul von Hindenburg und der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (rechts) nehmen am 21.3.1926 an den offiziellen Feierlichkeiten anlässlich des Abzugs von Besatzungstruppen aus dem Rheinland teil. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

Schlagworte

1. Novemberrevolution und Besatzungszeit

 

1.1 Der staatliche Umbruch im November 1918

An­fang No­vem­ber 1918 stand das deut­sche Kai­ser­reich so­wohl mi­li­tä­risch als auch po­li­tisch vor dem Zu­sam­men­bruch. Be­reits vor der Aus­ru­fung der Re­pu­blik in Ber­lin durch Phil­ipp Schei­de­mann (1865-1939, „Reichs­mi­nis­ter­prä­si­dent" Fe­bru­ar – Ju­ni 1919) am 9.11.1918 und dem Waf­fen­still­stand zwei Ta­ge spä­ter hat­te sich An­fang No­vem­ber 1918 von Kiel aus im Rah­men ei­nes Ma­tro­sen­auf­stan­des ei­ne re­vo­lu­tio­nä­re Be­we­gung aus­ge­brei­tet, die in kur­zer Zeit das ge­sam­te Reich er­fass­te. Sämt­li­che Dy­nas­ti­en muss­ten ab­dan­ken, die Mon­ar­chie als Staats­form hat­te in Deutsch­land kei­ne Zu­kunft mehr.

Von den re­vo­lu­tio­nä­ren Er­eig­nis­sen in Kiel in­spi­riert, kam es un­ter Be­tei­li­gung von aus Nord­deutsch­land an­ge­reis­ten Ma­tro­sen ab dem 8./9.11.1918 – zum Teil be­reits et­was eher – in al­len Tei­len der Rhein­pro­vinz zur Bil­dung von Rä­ten un­ter­schied­li­cher Aus­prä­gung und Zu­sam­men­set­zung. Meist ge­schah dies in Form von Ar­bei­ter- und Sol­da­ten­rä­ten, mit­un­ter auch in Form von Bau­ern­rä­ten. Ei­ni­ge länd­li­che Ge­bie­te, wie et­wa die Ei­fel, blie­ben von den Ge­scheh­nis­sen al­ler­dings weit­ge­hend un­be­rührt. Zu den Zie­len der In­itia­to­ren zähl­ten zu­nächst ein­schnei­den­de Ver­än­de­run­gen auf den Ge­bie­ten der Po­li­tik, der Wirt­schaft und der Ge­sell­schaft. Den So­zi­al­de­mo­kra­ten schweb­te kein ge­walt­sa­mer Um­sturz, son­dern ei­ne fried­li­che Um­wand­lung der bis da­hin herr­schen­den po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se un­ter Wah­rung der öf­fent­li­chen Ord­nung vor. Im Ge­gen­satz zu den Un­ab­hän­gi­gen So­zi­al­de­mo­kra­ten (USPD), die ei­ne Rä­te­re­pu­blik fa­vo­ri­sier­ten, trat die Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­tie für die par­la­men­ta­ri­sche Re­pu­blik ein.

Flugblatt 'An Rhein und Ruhr der Wächter französischer Kultur!'. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

In den meis­ten rhei­ni­schen Ar­bei­ter- und Sol­da­ten­rä­ten ga­ben ge­mä­ßig­te Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­ten, Zen­trums­sym­pa­thi­san­ten und Ge­werk­schaf­ter den Ton an. Dies war et­wa im Ruhr­ge­biet oder in Köln der Fall. Zum Teil en­ga­gier­ten sich Zen­trums­po­li­ti­ker und an­de­re Bür­ger­li­che ge­zielt in den vor Ort ge­bil­de­ten Rä­ten, um die Ent­wick­lung zu ka­na­li­sie­ren. In Köln ver­hin­der­te das be­son­ne­ne Ver­hal­ten des Ober­bür­ger­meis­ter­s Kon­rad Ade­nau­er (Zen­trum) so­wie des spä­te­ren Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den der So­zi­al­de­mo­kra­ten in der Köl­ner ­Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung, Wil­helm Soll­mann, ei­ne Ra­di­ka­li­sie­rung und Es­ka­la­ti­on der Re­vo­lu­ti­on.

In Duis­burg und im ber­gisch-mär­ki­schen Raum sa­ßen da­hin­ge­gen auch zahl­rei­che Un­ab­hän­gi­ge So­zi­al­de­mo­kra­ten in den Rä­ten. In Düs­sel­dorf, Ham­born (1929 Duis­burg-Ham­born) un­d Mül­heim an der Ruhr stell­ten USPD, Spar­ta­kus un­d ­Syn­di­ka­lis­ten – al­so ­Ver­tre­ter der ra­di­ka­len Lin­ken – die Mehr­heit. Die zum Teil er­ho­be­ne For­de­rung nach ei­ner Rä­te­re­pu­blik konn­te sich je­doch nicht durch­set­zen. Auch blie­ben in der Re­gel die al­ten kom­mu­na­len Ver­wal­tungs­struk­tu­ren in­takt, er­folg­te kein kon­se­quent voll­zo­ge­ner per­so­nel­ler Wech­sel. Hin­zu kam, dass die Rä­te meis­tens kei­ne Re­gie­rungs- oder Ver­wal­tungs­tä­tig­kei­ten aus­üb­ten, son­dern sich auf ei­ne Kon­troll­funk­ti­on be­schränk­ten. In der Fol­ge wa­ren sie be­reits im Früh­jahr 1919 de fac­to be­deu­tungs­los ge­wor­den. Als nach den Kom­mu­nal­wah­len vom 2.3.1919 vie­len Rä­ten die Fi­nanz­mit­tel ent­zo­gen wur­den und die Na­tio­nal­ver­samm­lung im Au­gust 1919 die Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung ver­ab­schie­de­te, voll­zog sich der end­gül­ti­ge Nie­der­gang der Rä­te als In­stru­men­te der po­li­ti­schen Par­ti­zi­pa­ti­on.

Reichspräsident Paul von Hindenburg und der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (rechts) nehmen am 21.3.1926 an den offiziellen Feierlichkeiten anlässlich des Abzugs von Besatzungstruppen aus dem Rheinland teil. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

 

1.2 Waffenstillstand und Versailler Friedensvertrag

Das am 11.11.1918 ge­schlos­se­ne Waf­fen­still­stands­ab­kom­men sah vor, dass das links­rhei­ni­sche Reichs­ge­biet in­klu­si­ve ei­nes 10 km brei­ten Ge­biets­strei­fens auf dem rech­ten Rhein­ufer durch das deut­sche Mi­li­tär ge­räumt und an­schlie­ßend ent­mi­li­ta­ri­siert wer­den soll­te. Zu­dem soll­ten das links­rhei­ni­sche deut­sche Ter­ri­to­ri­um durch die En­ten­te­mäch­te Eng­land und Frank­reich be­setzt so­wie aus­ge­dehn­te Brü­cken­köp­fe mit ei­nem Ra­di­us von 30 Ki­lo­me­tern ge­gen­über den Städ­ten Köln, Ko­blen­z und Mainz ein­ge­rich­tet wer­den. Am 28.6.1919 wur­de der Frie­dens­ver­trag zu Ver­sailles un­ter­zeich­net. Mit­ In­kraft­tre­ten des Ver­tra­ges er­fuhr die ent­mi­li­ta­ri­sier­te Zo­ne rechts des Rheins ei­ne Aus­deh­nung auf 50 Ki­lo­me­ter. Nicht al­lein die von der deut­schen Öf­fent­lich­keit als dra­ko­nisch emp­fun­de­nen Be­din­gun­gen des Ver­sailler Ver­trags­wer­kes (um­fang­rei­che Ge­biets­ver­lus­te, 100.000-Mann-Heer, ver­trag­li­che Fest­le­gung der al­lei­ni­gen Kriegs­schuld Deutsch­lands) wa­ren es, wel­che die jun­ge Re­pu­blik be­las­te­ten, son­dern mehr noch die Um­stän­de der Ver­hand­lun­gen – kei­ne münd­li­chen Kon­sul­ta­tio­nen be­züg­lich des Ver­trags­tex­tes; die deut­sche De­le­ga­ti­on durf­te sich le­dig­lich schrift­lich äu­ßern und hat­te ih­re Stel­lung­nah­men in­ner­halb von 14 Ta­gen ab­zu­ge­ben – so­wie be­son­ders der Un­ter­zeich­nung: Der Ort Ver­sailles als „Re­tour­kut­sche" zur Reichs­grün­dung eben­dort im Jahr 1871, der Ver­weis der deut­schen De­le­ga­ti­on auf den Lie­fe­ran­ten­ein­gang und schlie­ß­lich, als grund­le­gen­de in­halt­li­che Be­stim­mung, der Ar­ti­kel 231, wel­cher Deutsch­land die Al­lein­schuld am Welt­krieg zu­schrieb. 

Für das Rhein­land ent­hielt der Ver­trag wei­te­re Be­stim­mun­gen, die als Här­te emp­fun­den wur­den, zum Bei­spiel das Recht der Al­li­ier­ten auf Be­triebs­tei­le der deut­schen Bin­nen- und ins­be­son­de­re der deut­schen Rhein­schiff­fahrt. Dies hat­te zur Fol­ge, dass rhei­ni­sche Per­so­nen­schiff­fahrts­un­ter­neh­men wie die „Köln-Düs­sel­dor­fer" ei­nen Teil ih­rer Flot­te an Frank­reich ab­ge­ben muss­ten.

Die Re­pa­ra­ti­ons­ver­pflich­tun­gen hat­ten für die Rhein­pro­vinz weit­rei­chen­de Fol­gen und las­te­ten auf dem Rhein­land als ei­ner hoch in­dus­tria­li­sier­ten Re­gi­on des Rei­ches be­son­ders schwer. Ei­ne Ver­schär­fung er­fuhr die Si­tua­ti­on zu­min­dest in der öf­fent­li­chen Wahr­neh­mung durch die mi­li­tä­ri­sche Be­sat­zung, ob­wohl de­ren tat­säch­li­che ma­te­ri­el­le Fol­gen noch nicht hin­rei­chend un­ter­sucht sind. 

Fer­ner muss­te die Rhein­pro­vinz ei­ne Be­schnei­dung ih­res Ter­ri­to­ri­ums hin­neh­men: Das Ge­biet um die süd­west­lich von Aa­chen ge­le­ge­nen Klein­städ­te Eu­pen und Mal­médy ­fiel an Bel­gi­en, und auch das Saar­ge­biet, das ei­nen neu­tra­len Son­der­sta­tus ­un­ter ­Ver­wal­tung des neu ge­schaf­fe­nen Völ­ker­bun­des und fran­zö­si­scher Be­sat­zung er­hielt, ging der Rhein­pro­vinz dau­er­haft ver­lo­ren.

1.3 Rheinland-Besetzung und Sonderstatus

An­fang De­zem­ber 1918 be­gann die ­Be­set­zung des links­rhei­ni­schen Ge­bie­tes ­durch die Trup­pen­ver­bän­de der En­ten­te­mäch­te. Die Be­set­zung be­ruh­te zu­nächst auf­ ­dem Kriegs­recht, be­vor sie im mit dem Ver­sailler Frie­dens­ver­trag ver­bun­de­nen Rhein­land­ab­kom­men vom 28.6.1919 ei­ne völ­ker­recht­li­che Ba­sis er­hielt. Bei­de Ver­trags­wer­ke tra­ten am 10.1.1920 in Kraft. Das Rhein­land­ab­kom­men sah für das be­setz­te Ge­biet so­wohl un­ter­schied­li­che Be­sat­zungs­fris­ten als auch ver­schie­de­ne Be­sat­zungs­zo­nen vor: ei­ne Köl­ner Zo­ne (Bel­gi­er und Bri­ten), ei­ne Ko­blen­zer Zo­ne (Ame­ri­ka­ner und Fran­zo­sen) so­wie ei­ne Main­zer Zo­ne (Fran­zo­sen). Zu­nächst war ei­ne Be­sat­zungs­zeit von 15 Jah­ren vor­ge­se­hen, wo­bei die Räu­mung etap­pen­wei­se er­fol­gen soll­te. So war et­wa für die „Ko­blen­zer Zo­ne" ei­ne Räu­mung nach zehn Jah­ren vor­ge­se­hen. Vor­aus­set­zung für ei­ne Räu­mung des be­setz­ten Ge­bie­tes war al­ler­dings die Er­fül­lung sämt­li­cher Ver­trags­be­stim­mun­gen. 

Wie ge­stal­te­te sich nun die Ein­tei­lung der Be­sat­zungs­zo­nen? Die Fran­zo­sen er­hiel­ten das süd­li­che Ge­biet bis vor die Stadt Ko­blenz zu­ge­wie­sen. Die Ame­ri­ka­ner be­setz­ten das Ge­biet bis süd­lich von Bonn, die Eng­län­der das Ge­biet um Köln, die Bel­gier ­schlie­ß­lich den nörd­li­chen Nie­der­rhein und den Raum Aa­chen. Die rechts­rhei­ni­schen Brü­cken­köp­fe blie­ben be­ste­hen. Zu­dem un­ter­stan­den nun al­le Ver­kehrs­we­ge des be­setz­ten Ge­bie­tes ein­schlie­ß­lich des Rheins der un­ein­ge­schränk­ten Be­fehls­ge­walt des Höchst­kom­man­die­ren­den der Al­li­ier­ten.

Die Spit­ze der Be­sat­zungs­ver­wal­tung bil­de­te kein Mi­li­tär­be­fehls­ha­ber, son­dern ei­ne als obers­te al­li­ier­te In­stanz ein­ge­rich­te­te Zi­vil­be­hör­de, die „Ho­he In­te­r­al­li­ier­te Kom­mis­si­on für die Rhein­lan­de" (HCITR = Hau­te Com­mis­si­on In­te­r­al­liée des Ter­ri­toires Rhén­ans). Der Auf­sicht die­ser so ge­nann­ten „In­te­r­al­li­ier­ten Rhein­land­kom­mis­si­on" („Ir­ko"), die im All­tags­sprach­ge­brauch häu­fig ein­fach „Rhein­land­kom­mis­si­on" ge­nannt wur­de und ih­ren Sitz in Ko­blenz hat­te, war auch die deut­sche Ver­wal­tung im be­setz­ten Ge­biet un­ter­stellt. Ih­re Kon­troll­funk­ti­on nahm sie in Form von Be­zirks- und Kreis­de­le­gier­ten wahr. 

Flugblatt 'Was hat Deutschland durch den Versailler-Vertrag verloren?'. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

Der Rhein­land­kom­mis­si­on kam ei­ne durch das Rhein­land­ab­kom­men zwar schrift­lich ge­re­gel­te, je­doch schwam­mig for­mu­lier­te und nicht klar ab­zu­gren­zen­de Ge­setz­ge­bungs­kom­pe­tenz zum Schutz und für die Be­dürf­nis­se der Be­sat­zungs­trup­pen zu, was in der Pra­xis auf deut­scher Sei­te oft­mals zu Un­mut führ­te. Als Prä­si­dent der Kom­mis­si­on, der je­weils ein Ver­tre­ter Bel­gi­ens, Frank­reichs, Groß­bri­tan­ni­ens so­wie der Ver­ei­nig­ten Staa­ten an­ge­hör­te, fun­gier­te der fran­zö­si­sche Spit­zen­be­am­te Paul Ti­rard. Die­ser mach­te von sei­nen Kom­pe­ten­zen gro­ßzü­gig Ge­brauch. Da der Kom­mis­si­on auch ein Ap­pro­ba­ti­ons­recht für Reichs­ge­set­ze und Er­las­se obers­ter Reichs- und Lan­des­be­hör­den zu­stand, konn­te die Rhein­land­kom­mis­si­on de fac­to als obers­te öf­fent­li­che Au­to­ri­tät im links­rhei­ni­schen Deutsch­land gel­ten. Für Be­völ­ke­rung, Po­li­tik, Ver­wal­tung und Wirt­schaft war es in den Fol­ge­jah­ren von nicht ge­rin­ger Be­deu­tung, ob man sich im be­setz­ten oder un­be­setz­ten Teil der Rhein­pro­vinz be­fand. Po­li­ti­sche Äu­ße­run­gen und „Agi­ta­ti­on", die im un­be­setz­ten Ge­biet über die Par­tei­gren­zen hin­weg all­ge­mei­ne Zu­stim­mung ge­fun­den hät­ten, konn­ten im be­setz­ten Ge­biet kur­zer­hand zur Aus­wei­sung füh­ren.

Nach­dem das Deut­sche Reich mit den Re­pa­ra­ti­ons­zah­lun­gen in Rück­stand ge­ra­ten war, wur­de im Früh­jahr 1921 die Be­set­zung auf die rechts­rhei­ni­schen Städ­te Düs­sel­dorf, Duis­burg und Ham­born – das so ge­nann­te „Sank­ti­ons­ge­biet" – aus­ge­dehnt. Vor­über­ge­hend wur­de das ge­sam­te be­setz­te Ge­biet vom üb­ri­gen Deutsch­land durch ei­ne Zoll­gren­ze ab­ge­trennt. Er­neut zur An­wen­dung kam das Druck­mit­tel der mi­li­tä­ri­schen Be­set­zung dann im Ja­nu­ar 1923, als Fran­zo­sen und Bel­gi­er auf er­neu­te Rück­stän­de bei den Re­pa­ra­ti­ons­leis­tun­gen, die in der schwie­ri­gen Wirt­schafts­la­ge des Rei­ches be­grün­det la­gen, mit der Be­set­zung des rhei­nisch-west­fä­li­schen In­dus­trie­ge­bie­tes re­agier­ten, um sich dort – wie sich der mehr­ma­li­ge fran­zö­si­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Ray­mond Poin­ca­ré (1860-1934, Mi­nis­ter­prä­si­dent 1912-1913, 1922-1924 und 1926-1929, Prä­si­dent 1913-1920) aus­drück­te – „pro­duk­ti­ve Pfän­der" zu si­chern, die eben­so un­ver­züg­li­che wie un­ge­schmä­ler­te Zah­lun­gen ge­währ­leis­ten soll­ten. Die Reichs­re­gie­rung ant­wor­te­te auf die­ses Vor­ge­hen mit dem Ap­pell zum „pas­si­ven Wi­der­stand", der den Ab­bruch jeg­li­cher Ko­ope­ra­ti­on mit den al­li­ier­ten Be­sat­zungs­mäch­ten so­wohl im „Ein­bruchs­ge­biet" als auch im „alt­be­setz­ten" Ge­biet zur Fol­ge ha­ben soll­te. Die Be­sat­zungs­mäch­te re­agier­ten ih­rer­seits mit Zwangs­maß­nah­men und der Aus­wei­sung miss­lie­bi­ger, wi­der­stän­di­ger Per­so­nen – oft­mals mit­samt ih­ren Fa­mi­li­en – in das un­be­setz­te Ge­biet. 

2. Zeit der Krise und Instabilität

2.1 Überlegungen zu einer staatlichen Neugliederung (Reichsreform)

Be­reits un­mit­tel­bar nach dem En­de des Kai­ser­reichs und der Ab­dan­kung der in den deut­schen Ein­zel­staa­ten herr­schen­den Dy­nas­ti­en wur­den ver­schie­de­ne Über­le­gun­gen be­züg­lich ei­ner Neu­glie­de­rung des Deut­schen Rei­ches laut. Vie­le die­ser Plä­ne ziel­ten an­ge­sichts der un­ru­hi­gen und un­ge­wis­sen La­ge nach Kriegs­en­de auf ei­ne Stär­kung der Zen­tral­ge­walt zu Las­ten der bis­he­ri­gen Ein­zel­staa­ten ab, was den Wi­der­stand der be­trof­fe­nen Staa­ten so­wie der fö­de­ra­lis­tisch ge­sinn­ten Kräf­te her­vor­rief.

Als ei­ner der Ers­ten hat­te Wil­helm Solf (1862-1936), seit Ok­to­ber 1918 Staats­se­kre­tär im Aus­wär­ti­gen Amt, dem Vor­sit­zen­den des Ra­tes der Volks­be­auf­trag­ten, Fried­rich Ebert (1871-1925), am 17.11.1918 ei­ne Neu­glie­de­rung des Rei­ches vor­ge­schla­gen, die fak­tisch auf ei­ne Ver­selb­stän­di­gung der preu­ßi­schen Pro­vin­zen bei gleich­zei­ti­ger Ent­mach­tung des preu­ßi­schen Zen­tral­staa­tes hin­aus­ge­lau­fen wä­re. Der be­deu­tends­te Ver­tre­ter der Neu­glie­de­rungs­vor­stel­lun­gen war je­doch der links­li­be­ra­le Staats­recht­ler Hu­go Preuß (1860-1925). Des­sen Über­le­gun­gen sa­hen ei­ne Zer­le­gung Preu­ßens und die Ein­tei­lung des Rei­ches in 16 Ein­zel­staa­ten vor.

Im All­ge­mei­nen ori­en­tier­ten sich die meis­ten Re­form­vor­schlä­ge an den Er­for­der­nis­sen von Wirt­schaft und Ver­kehr, wäh­rend ver­wal­tungs­tech­ni­schen As­pek­ten eher ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Be­deu­tung zu­kam. Für das Rhein­land sah die Mehr­zahl der Vor­schlä­ge die Schaf­fung ei­ner oder gar meh­re­rer rhei­ni­scher Glie­dein­hei­ten vor. Ei­ni­ge Mo­del­le fa­vo­ri­sier­ten die Tei­lung der Rhein­pro­vinz, wäh­rend an­de­re Vor­schlä­ge de­ren Er­wei­te­rung um West­fa­len, die Pfalz oder an­de­re be­nach­bar­te Ge­bie­te emp­fah­len. Doch selbst die viel ver­spre­chen­den An­sät­ze der 1928 in der An­ge­le­gen­heit der Reichs­re­form zu­sam­men­ge­tre­te­nen Kon­fe­renz der zu­stän­di­gen Lan­des­mi­nis­ter so­wie des et­wa zeit­gleich ins Le­ben ge­ru­fe­nen „Bun­des der Er­neue­rung des Rei­ches" un­ter Vor­sitz des ehe­ma­li­gen Reichs­kanz­ler­s Hans Lu­ther schei­ter­ten an den Wi­der­stän­den von Par­tei­en­ und Län­dern.

Die Land­tags­frak­tio­nen der im Preu­ßi­schen Land­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en wa­ren ten­den­zi­ell eher Geg­ner ei­ner um­fas­sen­den Reichs­re­form, wäh­rend die­sel­ben Par­tei­en auf Reichs- und Pro­vin­zi­al­ebe­ne nicht sel­ten für ei­ne sol­che Re­form ein­tra­ten. Grund­sätz­lich je­doch ten­dier­ten So­zi­al­de­mo­kra­tie und Li­be­ra­le zu ei­ner ein­heits­staat­li­chen Lö­sung, wäh­rend Kon­ser­va­ti­ve und Zen­trums­par­tei mehr­heit­lich fö­de­ra­lis­ti­schen Neu­glie­de­rungs­mo­del­len den Vor­zug ga­ben.

Paul Tirard, Porträtfoto. (Landeshauptarchiv Koblenz)

 

2.2 Rheinstaatbestrebungen

Mit dem En­de der Herr­schaft der deut­schen Dy­nas­ti­en und der Aus­ru­fung der Re­pu­blik durch Phil­ipp Schei­de­mann tra­ten Be­stre­bun­gen her­vor, die auf ei­ne Los­lö­sung des Rhein­lan­des von Preu­ßen ab­ziel­ten. Zum Teil wur­de so­gar die Tren­nung des pro­jek­tier­ten Rhe­in­staa­tes vom Deut­schen Reich er­wo­gen. Vie­le Be­für­wor­ter ei­nes rhei­ni­schen Bun­des­staa­tes gin­gen von der Exis­tenz ei­nes „rhei­ni­schen Stam­mes" aus und for­der­ten für die­sen das Recht der Selbst­be­stim­mung. Be­son­de­ren An­klang fand der Rhe­in­staat­ge­dan­ke in länd­li­chen, mehr­heit­lich ka­tho­li­schen Ge­bie­ten, ins­be­son­de­re in der süd­li­chen Rhein­pro­vinz, doch auch am ähn­lich struk­tu­rier­ten links­rhei­ni­schen Nie­der­rhein. 

Ih­re Kul­mi­na­ti­ons­punk­te hat­ten die Be­stre­bun­gen in zwei Ver­su­chen, ei­ne „Rhei­ni­sche Re­pu­blik" aus­zu­ru­fen: Am 1.6.1919 schei­ter­te der ehe­ma­li­ge preu­ßi­sche Staats­an­walt Hans Adam Dor­ten (1880-1963) mit sei­nem Un­ter­fan­gen, von Wies­ba­den aus ei­nen dem Deut­schen Reich an­ge­hö­ren­den rhei­ni­schen Bun­des­staat zu pro­kla­mie­ren, des­sen Re­gie­rungs­sitz zu­nächst Ko­blenz hät­te wer­den sol­len.

Im Herbst 1923 ver­such­ten ver­schie­de­ne se­pa­ra­tis­ti­sche Grup­pie­run­gen von Aa­chen aus­ge­hend, ge­walt­sam ei­ne vom üb­ri­gen Deutsch­land ge­trenn­te „Rhei­ni­sche Re­pu­blik" her­bei­zu­füh­ren. Bei­de Un­ter­neh­mun­gen schei­ter­ten nach kurz­fris­ti­gen, räum­lich be­grenz­ten Er­fol­gen an der man­geln­den Un­ter­stüt­zung sei­tens der Be­völ­ke­rung, der trotz ge­wis­ser Sym­pa­thi­en ins­ge­samt zu­rück­hal­ten­den Po­si­ti­on der Be­sat­zungs­mäch­te Bel­gi­en und Frank­reich so­wie der per­so­nell und fi­nan­zi­ell man­gel­haf­ten Aus­stat­tung der Se­pa­ra­tis­ten, die im Grun­de nir­gend­wo die Ver­wal­tung dau­er­haft auf­recht zu er­hal­ten ver­moch­ten.

2.3 Kapp-Lüttwitz-Putsch und Ruhrkrieg

Als am 13.3.1920 der auf der äu­ßers­ten Rech­ten des po­li­ti­schen Spek­trums ste­hen­de ost­preu­ßi­sche Ge­ne­ral­land­schafts­di­rek­tor Wolf­gang Kapp (1858-1922) ge­mein­sam mit dem Reichs­wehr­ge­ne­ral Wal­ter Frei­herr von Lütt­witz (1859-1942) in Ber­lin den auf Frei­korps (pa­ra­mi­li­tä­ri­sche Ein­hei­ten) und il­loya­le Tei­le der Reichs­wehr ge­stütz­ten „Kapp-Lütt­witz-Putsch" in­sze­nier­te, und sich die auf die Par­tei­en der Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on (SPD, DDP, Zen­trum) ge­stütz­te Re­gie­rung ge­zwun­gen sah, Ber­lin vor­über­ge­hend den Put­schis­ten zu über­las­sen, re­agier­ten gro­ße Tei­le der Ar­bei­ter­schaft im rhei­nisch-west­fä­li­schen In­dus­trie­re­vier eben­so spon­tan wie en­er­gisch: Bin­nen kur­zer Zeit ent­stand ei­ne re­gel­rech­te Auf­stands­be­we­gung, und in vie­len Stand­or­ten bil­de­ten sich Ein­hei­ten ei­ner „Ro­ten Ruhr­ar­mee", die von der ra­di­ka­len Lin­ken (USPD, KPD, Syn­di­ka­lis­ten, un­ab­hän­gi­ge Lin­ke) do­mi­niert wur­de. Die­se „Ro­te Ruhr­ar­mee" ope­rier­te so­wohl im rhei­ni­schen als auch im west­fä­li­schen Teil des In­dus­trie­re­viers. Ins­be­son­de­re von Müns­ter aus stie­ßen Frei­korps und Reichs­wehr­ein­hei­ten zu de­ren Be­kämp­fung in das In­dus­trie­ge­biet vor.

Nach an­fäng­li­chen Er­fol­gen im öst­li­chen und mitt­le­ren Ruhr­ge­biet ge­lan­gen den Auf­stän­di­schen auch im Wes­ten Er­fol­ge: Es­sen wur­de am 19. März ein­ge­nom­men und in den Fol­ge­ta­gen muss­ten sich – un­ter hef­ti­gen Kämp­fen bei Duis­burg – zwei ­Reichs­wehr­re­gi­men­ter so­wie das „Frei­korps Schulz" von Mül­heim und Düs­sel­dorf nach We­sel zu­rück­zie­hen. Letzt­lich schei­ter­te die Auf­stands­be­we­gung nach knapp vier Wo­chen Dau­er an der kon­zep­tio­nel­len Un­ei­nig­keit in den ei­ge­nen Rei­hen so­wie an der Über­macht der Re­gie­rungs­sei­te, die den Auf­stän­di­schen mit zum Teil bra­chia­ler Ge­walt be­geg­ne­te. Als Bi­lanz wa­ren über 1.250 To­te zu be­kla­gen, et­wa Vier­fünf­tel da­von auf Sei­ten der „Ruhr­ar­mee".

Flugblatt „'Wo lässt Frankreich unsere Reparationsmilliarden?'. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

2.4 Das Krisenjahr 1923

Das Jahr 1923 stell­te für das Deut­sche Reich, vor al­lem je­doch für das be­setz­te Ge­biet der Rhein­pro­vinz, ei­ne exis­ten­ti­el­le Her­aus­for­de­rung dar, die durch­aus ein Schei­tern der jun­gen Re­pu­blik hät­te zur Fol­ge ha­ben kön­nen. Nach­dem die Re­pa­ra­ti­ons­kom­mis­si­on ge­gen die Stim­me Eng­lands zu der Auf­fas­sung ge­langt war, dass Deutsch­land vor­sätz­lich hin­ter dem Soll an Koh­le­lie­fe­run­gen zu­rück­ge­blie­ben sei, mar­schier­ten im Ja­nu­ar fran­zö­si­sche und bel­gi­sche Trup­pen in Es­sen und von dort aus in das ge­sam­te In­dus­trie­re­vier an der Ruhr ein. Reichs­kanz­ler Wil­helm Cu­no (1876-1933, Reichs­kanz­ler 1922-1923) ver­kün­de­te den „pas­si­ven Wi­der­stand": Ei­sen­bah­ner leg­ten ih­re Ar­beit auf den von den Fran­zo­sen be­setz­ten Bahn­li­ni­en nie­der, die För­de­rung in den Ze­chen ruh­te, die Ge­werk­schaf­ten un­ter­stütz­ten die Ver­wei­ge­rungs­hal­tung. Al­ler­dings be­flü­gel­ten die Kos­ten die­ses „Ruhr­kamp­fes" die zu die­sem Zeit­punkt oh­ne­hin im Stei­gen be­grif­fe­ne In­fla­ti­on, was die in­sta­bi­le Ge­samt­si­tua­ti­on wei­ter ver­schärf­te. Schlie­ß­lich muss­te Cu­no zu­rück­tre­ten und sein Nach­fol­ger Gus­tav Stre­se­mann (1878-1929, Reichs­kanz­ler 1923) be­en­de­te den pas­si­ven Wi­der­stand En­de Sep­tem­ber 1923. 

Frank­reich war je­doch nicht zu Kom­pro­mis­sen be­reit und über­nahm durch die so ge­nann­ten „Mi­cum­ver­trä­ge" zwi­schen der „Mis­si­on in­te­r­al­liée de Con­trô­le des Usi­nes et des Mi­nes" und der rhei­nisch-west­fä­li­schen In­dus­trie die wirt­schaft­li­che Kon­trol­le im Be­set­zungs­ge­biet. Die wich­tigs­te in­halt­li­che Be­stim­mung war die Über­nah­me von Re­pa­ra­ti­ons­leis­tun­gen sei­tens der Un­ter­neh­men, was ei­nen Auf­schwung der rhei­nisch-west­fä­li­schen Wirt­schaft er­mög­li­chen soll­te. 

Im Rhein­land hat­te sich un­ter­des­sen die Be­fürch­tung ver­brei­tet, dass die Reichs­re­gie­rung das be­setz­te Ge­biet sich selbst über­las­sen und al­le Trans­fer­leis­tun­gen ein­stel­len kön­ne. Die­ser von ei­ni­gen Po­li­ti­kern tat­säch­lich in Er­wä­gung ge­zo­ge­nen „Ver­sa­ckungs­po­li­tik" schob Reichs­kanz­ler Stre­se­mann je­doch ei­nen Rie­gel vor. Wäh­rend­des­sen streb­te die ga­lop­pie­ren­de In­fla­ti­on ih­rem Hö­he­punkt ent­ge­gen, und se­pa­ra­tis­ti­sche Grup­pie­run­gen schrit­ten im Ok­to­ber 1923 zur Tat. Die rhei­ni­schen Ho­no­ra­tio­ren sa­hen sich eben­falls zum Han­deln ver­an­lasst. Den un­ter an­de­rem vom Prä­si­den­ten der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer Köln Louis Ha­gen un­ter­stütz­ten Ver­su­chen zur Ein­füh­rung ei­ner rhei­ni­schen Wäh­rung wur­de durch die er­folg­rei­che Wäh­rungs­re­form der Reichs­re­gie­rung im No­vem­ber 1923 ein En­de be­rei­tet.

Mit dem Hit­ler-Lu­den­dorff-Putsch am 8./ 9. No­vem­ber war noch­mals vom Sü­den des Rei­ches her die Zu­kunft des Ge­samt­staa­tes vor­über­ge­hend in­fra­ge ge­stellt wor­den. Ein dem Reichs­kanz­ler am 15. No­vem­ber von Kon­rad Ade­nau­er in Ko­blenz prä­sen­tier­tes Mo­dell ei­nes Rhe­in­staa­tes, des­sen Schaf­fung Frank­reich be­sänf­ti­gen soll­te, wur­de von Stre­se­mann ent­schie­den ver­wor­fen. Da sich auch die fran­zö­si­sche Sei­te un­ter Mi­nis­ter­prä­si­dent Poin­ca­ré ab­war­tend ver­hielt, ver­lief auch die­ses Pro­jekt im San­de.

Als sich An­fang 1924 die La­ge in der Rhein­pro­vinz wie­der et­was be­ru­higt hat­te, blick­ten de­ren Be­woh­ner auf ein be­weg­tes Jahr zu­rück: Vor al­lem der „Ruhr­kampf" hat­te die in­ter­na­tio­na­len Be­zie­hun­gen noch­mals er­heb­lich be­las­tet. Mit En­de des Jah­res 1923 war je­doch das Jahr der grö­ß­ten Un­si­cher­heit und Be­las­tung für die Rhein­pro­vinz ver­stri­chen, oh­ne dass ein völ­li­ger Zu­sam­men­bruch der po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Struk­tu­ren er­folgt war. Der Ers­te Welt­krieg hat­te hin­sicht­lich der be­tei­lig­ten Staa­ten Bel­gi­en, Frank­reich und Deutsch­land erst jetzt sein end­gül­ti­ges En­de ge­fun­den. 

3. Das Ende der Besetzung

Flugblatt 'Der Besatzungswahnsinn'. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

3.1 Die Räumung des besetzten Gebietes

Das Jahr 1924 brach­te ei­ne grund­le­gen­de po­li­ti­sche Neu­ori­en­tie­rung: Die auf den Be­stim­mun­gen des Ver­sailler Ver­tra­ges ba­sie­ren­de Re­pa­ra­ti­ons­kom­mis­si­on, die für die Fest­le­gung der Hö­he der Re­pa­ra­tio­nen zu­stän­dig war, hat­te En­de No­vem­ber 1923 ei­ne in­ter­na­tio­na­le Sach­ver­stän­di­gen­kom­mis­si­on un­ter Lei­tung des ame­ri­ka­ni­schen Ver­tre­ters Charles Da­wes (1865-1951) ein­be­ru­fen. Die­se er­ar­bei­te­te Vor­schlä­ge zur wirt­schaft­li­chen Sta­bi­li­sie­rung Deutsch­lands, wor­in man die Vor­aus­set­zung für wei­te­re Re­pa­ra­ti­ons­zah­lun­gen sei­tens des Deut­schen Rei­ches sah. Der so ge­nann­te „Da­wes-Plan" dien­te ei­ner im Au­gust 1924 nach Lon­don ein­be­ru­fe­nen Kon­fe­renz als Grund­la­ge, was nicht zu­letzt dar­in be­grün­det lag, dass nun erst­mals Zah­len vor­la­gen, die als rea­lis­tisch be­trach­tet wer­den konn­ten. Un­ter Be­tei­li­gung von deut­schen Re­gie­rungs­mit­glie­dern fand man ei­ne Re­ge­lung zur Fest­le­gung künf­ti­ger Re­pa­ra­ti­ons­zah­lun­gen. Mit der Re­ge­lung der Re­pa­ra­ti­ons­fra­ge ver­bun­den wa­ren ter­min­li­che Ver­ein­ba­run­gen zur etap­pen­wei­se zu voll­zie­hen­den Räu­mung des be­setz­ten Ge­bie­tes durch die al­li­ier­ten Trup­pen.

Im An­schluss an die Lon­do­ner Kon­fe­renz wur­den im so ge­nann­ten „Ko­blen­zer Ab­kom­men" vom 21. und 28.10.1924 Er­leich­te­run­gen be­züg­lich der Be­sat­zungs­las­ten ver­ein­bart. Ih­ren Ab­schluss fand die Ent­span­nung zwi­schen den Kriegs­geg­nern im Wes­ten durch den Ver­trag von Lo­car­no (16.10.1925). Das Ver­trags­werk war oh­ne Zwang zu­stan­de ge­kom­men und schrieb die ent­mi­li­ta­ri­sier­te Zo­ne fest. Für den Fall ei­ner Ver­let­zung der Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung des Rhein­lan­des wa­ren Sank­tio­nen vor­ge­se­hen. Die Fest­stel­lung ei­ner sol­chen Ver­let­zung wur­de in die Hän­de des Völ­ker­bun­des ge­legt.

In­fol­ge der Lon­do­ner Ver­ein­ba­run­gen wur­de noch im glei­chen Jahr das 1923 be­setz­te rechts­rhei­ni­sche Ge­biet zwi­schen den Brü­cken­köp­fen ge­räumt. Bis zum Au­gust 1925 wur­den das Ruhr­ge­biet und die Sank­ti­ons­städ­te Düs­sel­dorf, Duis­burg und Ham­born ge­räumt; die letz­ten Trup­pen der fran­zö­si­schen be­zie­hungs­wei­se bel­gi­schen Be­sat­zungs­macht ver­lie­ßen die „Köl­ner Zo­ne" am 31.1.1926; im Sep­tem­ber 1929 zo­gen sich die Be­sat­zungs­trup­pen aus der „Ko­blen­zer Zo­ne" zu­rück, be­vor im Ju­ni 1930 – und da­mit fünf Jah­re frü­her als ur­sprüng­lich vor­ge­se­hen – die „Main­zer Zo­ne" ge­räumt wur­de. 

Aus An­lass der fort­schrei­ten­den Räu­mung des be­setz­ten Ter­ri­to­ri­ums hielt Reichs­prä­si­dent Paul von Hin­den­burg (1847-1934, Reichs­prä­si­dent 1925-1934) am 21.3.1926 in Köln ei­ne Rund­funk­an­spra­che. Als im Ju­ni 1930 die Be­sat­zungs­zeit vor­zei­tig en­de­te, wur­de dies mit zahl­rei­chen Fest­ver­an­stal­tun­gen be­gan­gen. Nach­dem be­reits am 30. Ju­ni ei­ne Fei­er in Trier ver­an­stal­tet wor­den war, nahm an der Fei­er in Ko­blenz am 22.7.1930 der Reichs­prä­si­dent per­sön­lich teil.

Recht schnell je­doch wur­de die Rhein­land­be­set­zung vom be­herr­schen­den All­tags­the­ma zu ei­nem der Ver­gan­gen­heit zu­ge­ord­ne­ten, his­to­ri­schen Phä­no­men. Nun wur­den an­de­re Zie­le ins Au­ge ge­fasst. Zu ih­nen zähl­te die Auf­wei­chung der Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung be­zie­hungs­wei­se – mit deut­li­che­ren Wor­ten – die Wie­der­auf­rüs­tung, wie sie et­wa der deutsch­na­tio­nal aus­ge­rich­te­te „Stahl­helm-Bund der Front­sol­da­ten" auf sei­nem „Reichs­front­sol­da­ten­tag" im Ok­to­ber 1930 in Ko­blenz for­der­te.

Verordnung Nr. 141 der Interalliierten Rheinlandkommission vom 6.2.1923 über die Ablieferung von Flussschifffahrtsmaterial. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

3.2 Rheinlandfeiern (Jahrtausendfeier) 1925/1926

In Er­in­ne­rung an die nach der Er­obe­rung durch Kö­nig Hein­rich I. im Jahr 925 er­folg­te Ein­glie­de­rung des zu­vor west­frän­ki­schen Lo­tha­rin­gi­ens in das ost­frän­ki­sche Reich wur­den 1925 zahl­rei­che auf­wen­di­ge Fei­er­lich­kei­ten „zur tau­send­jäh­ri­gen Zu­ge­hö­rig­keit der Rhein­lan­de zum Deut­schen Reich" be­gan­gen. Der Be­zug zur po­li­ti­schen Ge­gen­wart be­zie­hungs­wei­se die po­li­ti­sche Ziel­vor­ga­be der Fei­er­lich­kei­ten war kaum zu über­se­hen. An den Kos­ten der Jahr­tau­send­fei­ern be­tei­lig­ten sich Reichs­re­gie­rung, preu­ßi­sche Staats­re­gie­rung und Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung mit je­weils 400.000 Reichs­mark. Die In­itia­ti­ve der Fei­er­lich­kei­ten war al­ler­dings von den im Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­land­tag ver­tre­te­nen Kom­mu­nen der Rhein­pro­vinz aus­ge­gan­gen. Ei­nen Schwer­punkt der Fei­ern bil­de­ten die rhei­ni­schen Me­tro­po­len Düs­sel­dorf, Köln und Ko­blenz. Doch auch die preu­ßi­sche Staats­re­gie­rung nutz­te die Ge­le­gen­heit zur Selbst­dar­stel­lung und för­der­te in­ten­siv die Ver­brei­tung von Ju­bi­lä­ums­schrif­ten so­wie ei­ner zen­tra­len Fest­schrift. Wenn es in der preu­ßi­schen Haupt­stadt Ber­lin an­läss­lich des „Rhein­land-Ju­bi­lä­ums" eben­falls Fei­er­lich­kei­ten und ei­nen Fest­akt gab, so war dies ein deut­li­ches Zei­chen da­für, dass die preu­ßi­sche Re­gie­rung nicht ge­willt war, den ter­ri­to­ria­len An­spruch auf die Rhein­pro­vinz auf­zu­ge­ben. 

4. Die politische und parteipolitische Entwicklung

Be­züg­lich des Wahl­ver­hal­tens der Be­völ­ke­rung be­zie­hungs­wei­se der Wahl­er­geb­nis­se für die ein­zel­nen Par­tei­en gilt es in der Rhein­pro­vinz im Ver­gleich mit dem Reichs­durch­schnitt ei­ni­ge Be­son­der­hei­ten zu be­ach­ten: Die (Mehr­heits-) So­zi­al­de­mo­kra­ten schnit­ten bei Wah­len schlech­ter ab und muss­ten mit der ra­di­ka­len Lin­ken – zu­nächst mit der USPD, dann zu­neh­mend mit der KPD – um die do­mi­nie­ren­de Rol­le in­ner­halb der Ar­bei­ter­schaft kon­kur­rie­ren. Selbst im Ruhr­ge­biet droh­te die SPD ins Hin­ter­tref­fen zu ge­ra­ten. Ins­ge­samt ent­fie­len bei den Wah­len in der Wei­ma­rer Re­pu­blik zu­sam­men­ge­nom­men stets et­wa 30 Pro­zent auf das La­ger der Links­par­tei­en.

Jahrtausendausstellung der Rheinlande in Köln auf dem Messegelände in Köln-Deutz, 1925. (Rheinisches Bildarchiv)

 

Das Zen­trum konn­te sich ins­be­son­de­re in länd­li­chen Ge­bie­ten mit ka­tho­li­scher Be­völ­ke­rungs­mehr­heit be­haup­ten, wäh­rend in den Städ­ten der Stim­men­an­teil lang­sam, aber kon­ti­nu­ier­lich sank. So er­reich­te die Zen­trums­par­tei noch im No­vem­ber 1932 in et­li­chen ka­tho­lisch ge­präg­ten Krei­sen die ab­so­lu­te Mehr­heit, in wei­te­ren Krei­sen die re­la­ti­ve Mehr­heit. Die NS­DAP konn­te je­doch auch in der Rhein­pro­vinz das nicht­ka­tho­li­sche Bür­ger­tum an sich zie­hen. Mit­un­ter – et­wa in Ko­blenz, dem Sitz des Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz – muss­te die Zen­trums­par­tei ge­gen En­de der Wei­ma­rer Re­pu­blik die NS­DAP an sich vor­bei­zie­hen las­sen. Doch blie­ben die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten auch im Rhein­land in ka­tho­lisch ge­präg­ten Ge­bie­ten schwä­cher als im mehr­heit­lich pro­tes­tan­ti­schen Ter­rain. Auf die ge­sam­te Rhein­pro­vinz be­zo­gen wa­ren die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten weit von ih­rem Er­geb­nis auf Reichs­ebe­ne ent­fernt, was nicht zu­letzt an der recht star­ken Wäh­ler­bin­dung des Zen­trums und der Links­par­tei­en lag. Für die Zeit der Wei­ma­rer Re­pu­blik lässt sich fest­stel­len: Na­tio­nal­so­zia­lis­ten und Deutsch­na­tio­na­le Volks­par­tei (DNVP) wa­ren in der Rhein­pro­vinz im Ver­gleich zum Reichs­durch­schnitt un­ter­re­prä­sen­tiert.

So gab es auch bei der Reichs­prä­si­den­ten­wahl im Jahr 1925 im Rhein­land – im Ge­gen­satz zu den Re­sul­ta­ten auf Reichs­ebe­ne – ei­nen kla­ren Sie­ger: Den aus Köln stam­men­den Zen­trums­po­li­ti­ker und frü­he­ren Reichs­kanz­ler Wil­helm Marx, der im zwei­ten Wahl­gang von den Par­tei­en der „Wei­ma­rer Ko­ali­ti­on" (SPD, DDP, Zen­trum) un­ter­stützt wor­den war. Sein Kon­kur­rent, der von den Par­tei­en der bür­ger­li­chen Rech­ten no­mi­nier­te Ge­ne­ral­feld­mar­schall des Ers­ten Welt­krie­ges, Paul von Hin­den­burg (1847-1934), konn­te le­dig­lich in ei­ni­gen mehr­heit­lich evan­ge­li­schen Krei­sen im Sü­den und Os­ten der Rhein­pro­vinz die Stim­men­mehr­heit auf sich ver­ei­ni­gen.

5. Die wirtschaftliche Entwicklung

Das Kriegs­en­de und die Frie­dens­ver­trä­ge be­deu­te­ten für die rhei­ni­sche Wirt­schaft ei­ne Zä­sur mit für ei­ni­ge Bran­chen gra­vie­ren­den Fol­gen. Die Ha­fen­ver­wal­tung der Stadt Köln führ­te bei­spiels­wei­se den be­deu­ten­den Rück­gang des Zie­ge­l­ex­por­tes über den Um­schlag­platz Köln auf nur noch ein Zehn­tel der Vor­kriegs­men­ge in we­sent­li­chem Ma­ße auf den Fort­fall der Nach­fra­ge nach Dach­zie­geln in den ehe­ma­li­gen deut­schen Ko­lo­ni­en zu­rück. Doch selbst die un­güns­ti­gen Um­stän­de der Nach­kriegs­jah­re konn­ten die Ent­wick­lung der rhei­ni­schen Wirt­schaft, die ge­ra­de in der nörd­li­chen Rhein­pro­vinz eng mit der In­dus­trie des west­fä­li­schen Teils des Ruhr­ge­biets ver­bun­den war, auf Dau­er nicht brem­sen. Im Ge­gen­teil: Ei­ni­ge Wirt­schafts­zwei­ge pro­fi­tier­ten von den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen. Die in­fla­tio­nä­re Ent­wick­lung der Jah­re 1919 bis 1923 nutz­te bei­spiels­wei­se die auf Ex­por­te an­ge­wie­se­ne Schwer­in­dus­trie, die für die wirt­schaft­li­che La­ge des Rhein­lan­des ei­ne „Schlüs­sel­funk­ti­on" in­ne hat­te und sich bei schwa­cher ein­hei­mi­scher Wäh­rung gut auf dem Welt­markt po­si­tio­nie­ren konn­te. Erst die Aus­wir­kun­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se lie­ßen seit 1929 die wirt­schaft­li­che und so­zia­le Not so­wie die Zahl der Er­werbs­lo­sen dra­ma­tisch an­stei­gen.

Wilhelm Marx, Porträtfoto, 1926. (LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 

Spe­zi­fisch für die rhei­ni­sche Wirt­schaft war da­bei ei­ne ge­wis­se zeit­li­che Ver­schie­bung des Ein­tritts der Fol­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se: Zwar kehr­te sich im ers­ten Jahr der Kri­se der bis 1929 auch in der Rhein­pro­vinz nach oben wei­sen­de Trend um, den Tief­punkt er­reich­te die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung je­doch erst im Jahr 1931. Die­se „Pha­sen­ver­schie­bung" lässt sich be­son­ders gut an Schwer­in­dus­trie und Berg­bau ab­le­sen.

Im Ver­lauf der 1920er Jah­re kam es im Rhein­land auf den Sek­to­ren des Berg­baus und der In­dus­trie, ins­be­son­de­re der Ei­sen- und Stahl­in­dus­trie, zu ei­nem Kon­zen­tra­ti­ons- und Ra­tio­na­li­sie­rungs­pro­zess so­wie zu ei­ner fort­ge­setz­ten Schwer­punkt­ver­la­ge­rung in Rich­tung Rhein-Ruhr-Ach­se. Wäh­rend das Stin­nes-Pro­jekt, die 1920 ge­grün­de­te Sie­mens-Rheinel­be-Schu­ckert-Uni­on, nach dem Tod von Hu­go Stin­nes 1924 rasch wie­der zer­fiel, wa­ren die ho­ri­zon­ta­len Kon­zern­zu­sam­men­schlüs­se zum Auf­bau markt­be­herr­schen­der Po­si­tio­nen („Trust­bil­dun­gen") für das Rhein­land von nach­hal­ti­ger Be­deu­tung. Zu­dem gab es ei­ne Ten­denz vom „rei­nen" zum „ge­misch­ten" Werk, die für das rhei­nisch-west­fä­li­sche In­dus­trie­ge­biet cha­rak­te­ris­tisch war: Ver­schie­de­ne Be­trie­be wur­den aus tech­ni­schen wie aus wirt­schaft­li­chen Grün­den zu ei­ner Ein­heit zu­sam­men­ge­führt: Die Ze­che ver­band sich mit dem Hoch­ofen, die­ser mit dem Stahl­werk, wel­ches wie­der­um mit dem Walz­werk ver­schmolz. Zu nen­nen ist in die­sem Zu­sam­men­hang die „Ver­ei­nig­te Stahl­wer­ke AG" von 1926, die sich nach ei­ni­gen Fu­sio­nen als welt­weit grö­ß­ter Kon­zern über­haupt be­zeich­nen konn­te. Der Kon­zern hielt Dank sei­ner kon­se­quen­ten Ra­tio­na­li­sie­rungs­po­li­tik ei­nen An­teil von 40 Pro­zent der deut­schen Stahl-, 20 Pro­zent der deut­schen Ei­sen- so­wie 20 Pro­zent der deut­schen Stein­koh­len­pro­duk­ti­on. Die Ra­tio­na­li­sie­rung und Kon­zen­trie­rung in Form von Gro­ß­un­ter­neh­men – der so ge­nann­te „Tay­lo­ris­mus" – führ­te ei­ner­seits zu ei­ner Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­on, an­de­rer­seits zu ei­nem An­stieg der Ar­beits­lo­sig­keit.

Bis zum Be­ginn der Welt­wirt­schafts­kri­se nah­men Berg­bau und – in et­was ab­ge­schwäch­ter Form – ver­ar­bei­ten­de so­wie Ei­sen­in­dus­trie zu­nächst noch ei­ne aus­ge­präg­te Auf­wärts­ent­wick­lung. Der Tief­punkt war im Jahr 1932 er­reicht, als sich die Kri­se bei Kon­sum­gü­ter­in­dus­trie und Han­del be­reits wie­der ab­schwäch­te. Die­ses Phä­no­men stand in Zu­sam­men­hang mit der Markt­macht, wel­che der rhei­ni­schen Stahl­in­dus­trie und den Koh­le­syn­di­ka­ten an Rhein und Ruhr zu­kam. Je län­ger die Kri­se an­dau­er­te, um so we­ni­ger konn­te die Markt­macht den all­ge­mei­nen Ab­wärts­trend ega­li­sie­ren. Bis zum Jah­res­wech­sel 1932/ 1933 deu­te­ten die Zei­chen dann auch bei die­sen be­deu­ten­den Ex­po­nen­ten der rhei­ni­schen Wirt­schaft wie­der auf ei­ne Er­ho­lung hin, al­so noch be­vor die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten Ein­fluss auf die Ent­wick­lung neh­men konn­ten. Ein Sinn­bild für den durch die Wirt­schafts­kri­se be­ding­ten Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zess war die Fu­si­on der in Deutz be­zie­hungs­wei­se Kalk an­säs­si­gen Un­ter­neh­mun­gen „Gas­mo­to­ren-Fa­brik Deutz AG" und der Ma­schi­nen­bau­an­stalt „Hum­boldt AG" zur „Hum­boldt-Deutz­mo­to­ren AG" im Jahr 1930.

Schwer­punk­te der ge­ra­de im nörd­li­chen Rhein­land tra­di­ti­ons­rei­chen Tex­til­in­dus­trie wa­ren Mön­chen­glad­bachKre­feld und im Rechts­rhei­ni­schen da­s Wup­per­tal, ins­be­son­de­re El­ber­feld. Die che­mi­sche In­dus­trie kon­zen­trier­te sich in Knap­sack, wo wäh­rend des Krie­ges die Farb­wer­ke Hoechst durch Ak­ti­en­er­werb Fuß ge­fasst hat­ten. Wei­te­re be­deu­ten­de Stand­or­te wa­ren Kalk, Nip­pes und Wes­se­ling.

Ein auf­stre­ben­der Sek­tor auf dem Markt der En­er­gie­wirt­schaft war der Braun­koh­len­ab­bau, den im Rhein­land (Köln) das 1919 ge­grün­de­te „Rhei­ni­sche Braun­koh­len­syn­di­kat" re­gel­te.

In Köln sie­del­ten sich 1925 auch die Ford­wer­ke an. Ab 1931 wur­den dort Last­wa­gen ge­fer­tigt, und in den Fol­ge­jah­ren ent­wi­ckel­ten sich die Köl­ner Ford­wer­ke zum grö­ß­ten Kraft­wa­gen­pro­du­zen­ten im Deut­schen Reich.

Ein wich­ti­ges ver­kehrs­po­li­ti­sches Pro­jekt war der Aus­bau der Rhein­ufer­stra­ßen als Haupt­durch­gangs­stra­ßen für den Fern­ver­kehr in An­bin­dung an die da­mals im Bau be­find­li­che Kraft­wa­gen­stra­ße In­dus­trie­ge­biet – Düs­sel­dorf – Köln – Bonn. Nach ei­ner ein­ge­hen­den Un­ter­su­chung links­rhei­ni­scher und rechts­rhei­ni­scher Va­ri­an­ten be­trach­te­te man den Aus­bau der links­rhei­ni­schen Ufer­stra­ße zur Haupt­durch­gangs­stra­ße als zweck­mä­ßi­ger. Hier­für wur­den ne­ben ver­kehrs- und bau­tech­ni­schen Grün­den auch wirt­schaft­li­che und sied­lungs­tech­ni­sche Über­le­gun­gen an­ge­führt.

Die Land­wirt­schaft hat­te in der Rhein­pro­vinz im Ge­gen­satz zu Koh­len­ab­bau und Stahl­in­dus­trie mit ei­nem kon­ti­nu­ier­li­chen Rück­gang zu kämp­fen. Der An­teil der haupt­be­ruf­lich in der Land­wirt­schaft be­schäf­tig­ten Be­völ­ke­rung ging trotz des all­ge­mei­nen Be­völ­ke­rungs­wachs­tums in der Rhein­pro­vinz wei­ter zu­rück, im Re­gie­rungs­be­zirk Düs­sel­dorf fiel er fast un­ter zehn Pro­zent. Vie­le Klein­be­trie­be stell­ten auf Ge­mü­se­an­bau um, wäh­rend man sich an­der­orts – ins­be­son­de­re im frucht­ba­ren Vor­ge­bir­ge so­wie im Ko­blenz-Neu­wie­der Be­cken – auf den Gar­ten- und Obst­bau kon­zen­trier­te.

Flugblatt 'Was hat Deutschland geleistet?'. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

Der Frem­den­ver­kehr spiel­te im Rhein­tal schon da­mals ei­ne her­aus­ra­gen­de Rol­le. Wie der Lan­des­haupt­mann der Rhein­pro­vinz, Jo­han­nes Ho­ri­on, im Jahr 1930 be­ton­te, war ins­be­son­de­re das Rhein­tal zwi­schen Ko­blenz und Bin­gen das äl­tes­te Frem­den­ver­kehrs­ge­biet Deutsch­lands und sah sich An­fang der 1930er Jah­re im Ge­gen­satz zu an­de­ren Wirt­schafts- und Er­werbs­zwei­gen in ei­nem ste­ti­gen Auf­schwung be­grif­fen. Wäh­rend das un­gleich grö­ße­re Köln 3.700 Ho­tel­bet­ten zähl­te, exis­tier­ten in Ko­blenz um 1930 et­wa 1.600 Frem­den­bet­ten. Im Jahr der Rhein­aus­stel­lung, 1927, ver­buch­te al­lein die Stadt Ko­blenz 185.000 Über­nach­tun­gen.

Dem Er­halt von Na­tur und Um­welt wur­de eben­falls Be­deu­tung bei­ge­mes­sen. Im Sie­ben­ge­bir­ge und am Laa­cher See wur­den Na­tur­schutz­ge­bie­te ein­ge­rich­tet, eben­so bei der Er­pe­ler Ley und beim Bau­sen­berg in der Vor­ei­fel. Die Er­hal­tung des Rhein­ta­les, das heu­te zwi­schen Ko­blenz und Bin­gen das Welt­er­be-Prä­di­kat der Unesco trägt, wur­de 1930 als „die zur Zeit wich­tigs­te und drin­gends­te Fra­ge des ge­sam­ten preu­ßi­schen Na­tur- und Land­schafts­schut­zes" be­trach­tet.

Wenn Köln heu­te als ei­ne der wich­tigs­ten Me­di­en­städ­te Deutsch­lands gilt, so wur­den die Grund­la­gen hier­für in der Wei­ma­rer Re­pu­blik ge­schaf­fen. 1928 fand in den vier Jah­re zu­vor fer­tig ge­stell­ten Köl­ner Mes­se­hal­len ei­ne Aus­stel­lung für Zei­tungs­we­sen und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik, die so ge­nann­te „Pres­sa", statt, die mit neun Mil­lio­nen Be­su­chern al­le Er­war­tun­gen über­traf. In der Fol­ge­zeit zähl­te Köln in­ter­na­tio­nal zu den be­deu­tends­ten Mes­se­städ­ten. Für das wirt­schaft­li­che Le­ben Kölns und des Rhein­lan­des über­haupt gin­gen hier­von ma­ß­geb­li­che Im­pul­se aus.

6. Kultur und Gesellschaft

6.1 Die Entwicklung auf religiösem Gebiet

Die Rhein­pro­vinz der Wei­ma­rer Re­pu­blik wies – wie be­reits im 19. Jahr­hun­dert – ei­ne deut­li­che ka­tho­li­sche Be­völ­ke­rungs­mehr­heit auf: Im süd­li­chen Teil der Rhein­pro­vinz wa­ren le­dig­lich die Land­krei­se Kreuz­nach, Mei­sen­heim am Glan, Sim­mern und St. Wen­del-Baum­hol­der mehr­heit­lich evan­ge­lisch. Im nörd­li­chen Rhein­land gab es nur auf der rech­ten Rhein­sei­te Krei­se mit evan­ge­li­schen Be­völ­ke­rungs­mehr­hei­ten. Die­se Mehr­hei­ten wa­ren dann al­ler­dings häu­fig recht deut­lich. Der Wup­per­ta­ler Pro­tes­tan­tis­mus mit sei­nen vie­len Schat­tie­run­gen – un­ter an­de­rem auch Frei­kir­chen und Pie­tis­ten – strahl­te weit über die Rhein­pro­vinz in das evan­ge­li­sche Deutsch­land aus. 

So­wohl für die ka­tho­li­sche wie auch für die evan­ge­li­sche Kir­che wa­ren die Um­wäl­zun­gen im No­vem­ber 1918 – nicht zu­letzt der Sturz der Ho­hen­zol­lern-Dy­nas­tie – ein ein­schnei­den­des, für vie­le so­gar trau­ma­ti­sches Er­eig­nis. Dies galt in be­son­de­rem Ma­ße für die evan­ge­li­sche Kir­che, da nach 1918 die obers­te Ju­ris­dik­ti­ons­ge­walt des evan­ge­li­schen Lan­des­herrn zur Lei­tung der Kir­che (das so ge­nann­te „lan­des­herr­li­che Kir­chen­re­gi­ment" oder „Sum­me­pis­ko­pat"), im Fall der evan­ge­li­schen Kir­che in der Rhein­pro­vinz al­so des preu­ßi­schen Kö­nigs, ent­fiel. Noch bis ge­gen Kriegs­en­de hat­ten die Kir­chen – zu­min­dest die Kir­chen­spit­zen – treu zu Mon­ar­chie und deut­scher Kriegs­füh­rung ge­stan­den. Mit dem En­de von Dy­nas­tie und Mon­ar­chie sa­hen sie sich ei­ner un­ge­wis­sen Zu­kunft aus­ge­setzt.

Landeshauptmann Johannes Horion, Gemälde von Fritz Reusing (1874-1957), 1926, Original im LVR-LandesMuseum Bonn. (LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 

Wie die meis­ten pro­tes­tan­ti­schen Pas­to­ren war auf ka­tho­li­scher Sei­te der Köl­ner Erz­bi­schof Fe­lix Kar­di­nal von Hart­mann ein ent­schie­de­ner An­hän­ger der Mon­ar­chie. Des­sen un­be­scha­det fan­den vie­le ka­tho­li­sche Geist­li­che über ih­re po­li­ti­sche Be­tä­ti­gung in der Zen­trums­par­tei zu ei­ner Po­si­ti­on der kon­struk­ti­ven Mit­ar­beit im neu­en Staats­we­sen. Sie zähl­ten so­mit zu den Stüt­zen der neu­en re­pu­bli­ka­ni­schen Staats­form. Da­ge­gen be­tä­tig­ten sich vie­le der evan­ge­li­schen Geist­li­chen im Sin­ne der Re­pu­blik­geg­ner. Be­lieb­tes par­tei­po­li­ti­sches Fo­rum war hier die rück­wärts­ge­wand­te, mon­ar­chis­tisch und an­ti­re­pu­bli­ka­nisch aus­ge­rich­te­te Deutsch­na­tio­na­le Volks­par­tei (DNVP). Denn wäh­rend das syn­oda­le Ele­ment der rhei­ni­schen evan­ge­li­schen Kir­che aus der Re­vo­lu­ti­on im No­vem­ber 1918 ge­stärkt her­vor­ging, fiel es ei­nem Gro­ß­teil von Amts­trä­gern und Ge­mein­de­mit­glie­dern schwer, sich mit der neu­en Si­tua­ti­on, mit Re­pu­blik und par­la­men­ta­ri­scher De­mo­kra­tie, ab­zu­fin­den. Wie in der ka­tho­li­schen Kir­che saß die Angst vor „bol­sche­wis­ti­schen" be­zie­hungs­wei­se spar­ta­kis­ti­schen Zu­stän­den tief. Hin­zu kam die Sor­ge um den Ver­bleib des Rhein­lan­des bei Preu­ßen, da man be­fürch­te­te, mit der Ab­tren­nung des Rhein­lan­des vom preu­ßi­schen Staat un­wei­ger­lich in ei­ne Dia­spo­ra­si­tua­ti­on zu ge­ra­ten.

Be­züg­lich der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen be­zie­hungs­wei­se recht­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­on des Schul­we­sens konn­ten die Kir­chen nach an­fäng­li­chen Kon­tro­ver­sen ei­nen Er­folg ver­bu­chen. Das kon­fes­sio­nel­le Schul­we­sen blieb er­hal­ten, wenn auch nicht als Re­gel­schu­le, so doch als zu­läs­si­ge Al­ter­na­ti­ve, als „An­trags­schu­le". Die­ser Um­stand hat­te al­ler­dings für das Rhein­land, wo die Kir­chen ih­re star­ke Stel­lung weit­ge­hend be­haup­ten konn­ten, zur Fol­ge, dass die Kon­fes­si­ons­schu­le de fac­to die Re­gel­schu­le blieb.

Ein ein­schnei­den­des Er­eig­nis für die ka­tho­li­sche Kir­che war die Ei­ni­gung von preu­ßi­schem Staat und Hei­li­gem Stuhl in Form des Preu­ßi­schen Kon­kor­da­tes vom 14.6.1929. Die kirch­li­che Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur im Rhein­land er­fuhr in der (Wie­der)Grün­dung de­s Bis­tums Aa­chen ei­ne be­deu­ten­de Ver­än­de­rung, denn im­mer­hin um­fass­te das neue Bis­tum den ge­sam­ten Re­gie­rungs­be­zirk Aa­chen so­wie die Krei­se Mön­chen­glad­bach, Rhe­ydt, Kre­feld (Land und Stadt) und Kem­pen. Der Kir­chen­pro­vinz Köln ge­hör­ten nun au­ßer de­m Erz­bis­tum Köln so­wie den Bis­tü­mern Aa­chen, Müns­ter und Trier auch die Diö­ze­sen Lim­burg und Os­na­brück an.

Zu ei­ner geist­li­chen Er­neue­rung kam es nach dem Krieg in Form der lit­ur­gi­schen Be­we­gung, die zwar in der Be­ne­dik­ti­ner­ab­tei Ma­ria Laach un­ter Ab­t Il­de­fons Her­we­gen ihr geis­ti­ges Zen­trum hat­te, die je­doch in be­son­de­rem Ma­ße die Lai­en er­fass­te und das Ge­mein­de­le­ben nach­hal­tig be­ein­fluss­te. Die ver­mut­lich be­deu­tends­te theo­re­ti­sche Grund­la­ge lie­fer­te der an der ka­tho­lisch-theo­lo­gi­schen Fa­kul­tät zu Bonn ha­bi­li­tier­te Pri­vat­do­zent Ro­ma­no Guar­di­ni (1885-1968) mit sei­ner 1922 er­schie­ne­nen Schrift „Vom Sinn der Kir­che". Ei­ne Aus­sa­ge die­ser Schrift be­saß, eben­so kurz wie prä­gnant, gleich­sam pro­gram­ma­ti­schen Cha­rak­ter: „Die Kir­che er­wacht in den See­len".

6.2 Die kulturelle Entwicklung

Ent­ge­gen al­len Wid­rig­kei­ten wa­ren im Rhein­land ins­be­son­de­re die 1920er Jah­re von ei­nem pul­sie­ren­den kul­tu­rel­len und künst­le­ri­schen Le­ben ge­prägt. Es setz­ten sich nun Er­schei­nun­gen fort, die be­reits vor dem Krieg als In­no­va­tio­nen Ge­stalt an­ge­nom­men hat­ten. Hier­zu zähl­ten die „nicht­aka­de­mi­sche" Ma­le­rei und Plas­tik, ver­tre­ten von Künst­lern wie Paul Klee (1879-1940), Ewald Ma­ta­ré, Hein­rich Cam­pen­donk, Hein­rich Nau­en und an­de­re.

Mit Ot­to Dix (1891-1969), Ot­to Freund­lich (1878-1843) und Gert Hein­rich Woll­heim (1894-1974) kon­sti­tu­ier­te sich ein rhei­ni­sches kul­tu­rel­les Le­ben, von dem Im­pul­se aus­gin­gen. Her­aus­ra­gen­de Be­deu­tung kam den bild­künst­le­ri­schen Ar­bei­ten der Düs­sel­dor­fer und Köl­ner Ma­ler­sze­ne zu. Ein viel be­ach­te­tes Er­eig­nis war die im Düs­sel­dor­fer Kauf­haus Tietz ge­zeig­te „In­ter­na­tio­na­le Kunst­aus­stel­lung Düs­sel­dorf 1922". Gleich­zei­tig for­der­te eben­dort der Kon­gress der „Uni­on fort­schritt­li­cher in­ter­na­tio­na­ler Künst­ler" zu ei­ner Samm­lung der eu­ro­päi­schen Eli­te auf.

Felix Kardinal von Hartmann, Porträtfoto, um 1913.

 

Vie­le Prot­ago­nis­ten der li­te­ra­ri­schen und dar­stel­len­den Küns­te schöpf­ten ih­re Mo­ti­ve und ih­re Schaf­fens­kraft aus dem Span­nungs­feld von Apo­ka­lyp­se – dem ge­ra­de über­stan­de­nen Krieg – und Uto­pie – dem Ab­bau des Tren­nen­den und die Su­che nach dem Völ­ker­ver­bin­den­den. Die Über­win­dung der Feind­schaft mit Frank­reich – dem „Erb­feind" – spiel­te da­bei ei­ne be­deu­ten­de Rol­le. Die da­mit ver­bun­de­nen Hoff­nun­gen spie­geln sich et­wa in den Wer­ken des Köl­ner Ma­lers und Bild­hau­er­s Max Ernst, ei­nem Ver­tre­ter des Ex­pres­sio­nis­mus, so­wie des mit die­sem be­freun­de­ten fran­zö­si­schen Schrift­stel­lers Paul Éluard (1895-1952) wi­der. Rhei­ni­sche Schrift­stel­ler fan­den ihr Fo­rum im „Strom-Kreis" so­wie im „Jun­gen Rhein­land".

Köln ist nicht nur die Ge­burts­stadt Jac­ques Of­fen­bachs und Max Bruchs, son­dern über­haupt ei­ne der be­deu­tends­ten Mu­sik­me­tro­po­len Deutsch­lands. Die Wei­chen hier­für wur­den in der Wei­ma­rer Zeit ge­stellt. Die 1925/ 1926 in Köln ge­grün­de­te staat­lich-städ­ti­sche Hoch­schu­le für Mu­sik ging aus dem be­reits 1860 ent­stan­de­nen städ­ti­schen Kon­ser­va­to­ri­um für Mu­sik her­vor und wur­de sehr bald zu ei­ner der grö­ß­ten und re­nom­mier­tes­ten Mu­sik­hoch­schu­len Eu­ro­pas. Das be­reits im 19. Jahr­hun­dert von Köl­ner Bür­gern ge­grün­de­te städ­ti­sche Gür­ze­nich-Or­ches­ter, das vie­le Mu­sik­stü­cke nam­haf­ter Kom­po­nis­ten ur­auf­führ­te, war eben­falls ei­ne Be­rei­che­rung für das rhei­ni­sche Mu­sik­le­ben wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik.

Auch auf dem Ge­biet der Ar­chi­tek­tur gab es im Rhein­land bahn­bre­chen­de Ent­wick­lun­gen. Als Re­ak­ti­on auf die Er­mor­dung des baye­ri­schen Re­vo­lu­tio­närs Gus­tav Land­au­er (1870-1919) im Mai 1919 in Mün­chen ent­stand in Düs­sel­dorf-El­ler die uto­pi­sche Sied­lungs­ge­mein­schaft „Freie Er­de". 1924 wur­de in Düs­sel­dorf das ers­te Hoch­haus Deutsch­lands er­rich­tet, das heu­ti­ge Wil­helm-Marx-Haus. Die Düs­sel­dor­fer Ge­sol­ei-Aus­stel­lung („Gro­ße Aus­stel­lung Düs­sel­dorf 1926 für Ge­sund­heits­pfle­ge, so­zia­le Für­sor­ge und Lei­bes­übun­gen") 1926 ver­an­schau­lich­te die zweck­ori­en­tier­te In­dus­trie­bau­wei­se ein­drucks­voll. Im Be­reich des Sa­kral­baus schlug sich die mo­der­ne Ar­chi­tek­tur eben­falls nie­der, so bei­spiels­wei­se in den ka­tho­li­schen Kir­chen­neu­bau­ten Do­mi­ni­kus Böhms.

Ei­ne her­aus­ra­gen­de kul­tur­po­li­ti­sche Maß­nah­me der Wei­ma­rer Zeit war die 1919 er­folg­te Wie­der­grün­dung der – nach Bonn – zwei­ten rhei­ni­schen Uni­ver­si­tät in Köln. Die In­itia­ti­ve hier­zu ist auf die Stadt Köln, ins­be­son­de­re ih­ren da­ma­li­gen Ober­bür­ger­meis­ter Kon­rad Ade­nau­er, zu­rück­zu­füh­ren. 1929 er­folg­te die Grund­stein­le­gung zum Köl­ner Uni­ver­si­täts­neu­bau, in den Ele­men­te der Bau­haus­ar­chi­tek­tur mit ein­flos­sen. Für die ge­sam­te Dau­er der Wei­ma­rer Re­pu­blik lag die Trä­ger­schaft der Uni­ver­si­tät in Hän­den der Stadt Köln. Epo­che ma­chend war dar­über hin­aus die Grün­dung der Päd­ago­gi­schen Aka­de­mie zu Bonn im Jahr 1926. Da die­se Hoch­schu­le ka­tho­lisch war und die Päd­ago­gi­schen Hoch­schu­len die Volks­schul­leh­rer­aus­bil­dung be­sorg­ten, blieb auch auf die­sem Weg ei­ne kon­fes­sio­nel­le Prä­gung des Schul­we­sens ge­währ­leis­tet.

Ein wei­te­rer Im­puls, der von Köln aus­ging, war die Fort­ent­wick­lung des Rund­funks, der seit Mit­te der 1920er Jah­re ei­nen ra­san­ten Auf­schwung nahm. Nach­dem die 1924 in Müns­ter ge­grün­de­te „West­deut­sche Funk­stun­de AG" (WE­FAG) im Ja­nu­ar 1926 ih­ren Sitz nach Köln ver­legt und sich in „West­deut­scher Rund­funk AG" (WER­AG) um­be­nannt hat­te, wur­de der Sen­der un­ter sei­nem neu­en In­ten­dan­ten Ernst Hardt zu ei­nem Ga­ran­ten für ein ni­veau­vol­les, vor al­lem die Spar­ten Kul­tur und Bil­dung be­rück­sich­ti­gen­des Pro­gramm.

Er­wäh­nung fin­den soll schlie­ß­lich ei­ne Er­schei­nung auf dem kul­tu­rel­len Par­kett, die haupt­säch­lich po­li­ti­schen Be­weg­grün­den ge­schul­det war: die fran­zö­si­sche Kul­tur­po­li­tik im Rhein­land. Die fran­zö­si­sche Be­sat­zungs­ver­wal­tung un­ter Ti­rard ver­such­te, die rhei­ni­sche Be­völ­ke­rung da­von zu über­zeu­gen, dass ih­re kul­tu­rel­len Wur­zeln im ro­ma­ni­schen – oder bes­ser: im fran­zö­si­schen Raum – zu su­chen sei­en. Fran­zo­sen und Rhein­län­der sei­en so­mit als „Brü­der­völ­ker" mit ge­mein­sa­mer kul­tu­rel­ler Her­kunft zu be­trach­ten. Um das An­se­hen Frank­reichs bei der rhei­ni­schen Be­völ­ke­rung zu he­ben und die An­leh­nung oder so­gar An­glie­de­rung des (links­rhei­ni­schen) Rhein­lan­des an Frank­reich at­trak­tiv er­schei­nen zu las­sen, in­iti­ier­te Ti­rard ei­ne Po­li­tik der „fried­li­chen Durch­drin­gung" („pé­né­tra­ti­on pa­ci­fi­que"). Bei­spiel­ge­bend war ne­ben ei­nem viel­fäl­ti­gen An­ge­bot an kos­ten­lo­sen Sprach­kur­sen, Thea­ter­auf­füh­run­gen, Vor­trä­gen, Kon­zer­ten und Aus­stel­lun­gen die fran­zö­si­sche Kunst­aus­stel­lung in Wies­ba­den im Som­mer 1921. Die bei­den Prä­sen­ta­tio­nen im Bie­bri­cher Schloss und im Pau­li­nen­schlöss­chen führ­ten dem Be­su­cher un­ter an­de­rem fran­zö­si­sche Ma­le­rei und Plas­tik vom 16. Jahr­hun­dert bis zur Ge­gen­wart vor Au­gen. In der hü­ben wie drü­ben na­tio­nal auf­ge­la­de­nen At­mo­sphä­re soll­te den Plä­nen Ti­rards je­doch kein Er­folg be­schie­den sein.

Literatur

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Bie­wer, Lud­wig, Reichs­re­form­be­stre­bun­gen in der Wei­ma­rer Re­pu­blik. Fra­gen zur Funk­tio­nal­re­form und zur Neu­glie­de­rung im Süd­wes­ten des Deut­schen Rei­ches, Frank­furt a.M./Bern/Ci­ren­ces­ter 1979.
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Online

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Das Rhein­land in der Wei­ma­rer Re­pu­blik (In­for­ma­ti­on auf der Web­site der Aus­stel­lung Wir­Rhein­län­der des LVR-Frei­licht­mu­se­um Kom­mern Rhei­ni­sches Lan­des­mu­se­um für Volks­kun­de). [On­line]
Deut­sches Reich: Wei­ma­rer Re­pu­blik (1918-1933) (In­for­ma­ti­on über Be­stän­de des Bun­des­ar­chivs). [On­line]
Kunst (Wei­ma­rer Re­pu­blik) (On­line­an­ge­bot des His­to­ri­schen Le­xi­kon Bay­erns). [On­line]
Wei­ma­rer Re­pu­blik (1918-1933) (In­for­ma­ti­on auf der web­site des Deut­schen Bun­des­ta­ges, mit wei­ter­füh­ren­den An­ge­bo­ten zum The­ma). [On­line]

Max Ernst, Porträtfoto, um 1929, Foto: Lemarc. (LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 
Zitationshinweis

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Schlemmer, Martin, 1918 bis 1933 - Die Weimarer Republik, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1918-bis-1933---die-weimarer-republik/DE-2086/lido/57a2eb9022faf6.52757806 (abgerufen am 19.03.2024)