Otto Bleibtreu

Verwaltungsjurist (1904-1959)

Klaus Schmidt (Köln)

Otto Bleibtreu, Portrait, Fotograf: Fritz Eschen, 1957. (SLUB / Deutsche Fotothek, Fritz Eschen [CC-BY-SA 4.0])

Der Ju­rist Bleib­treu wur­de 1933 nach Hit­lers Macht­über­nah­me als Rich­ter ent­las­sen. Als Rechts­an­walt ver­tei­dig­te der en­ga­gier­te Pro­tes­tant den Theo­lo­gie­pro­fes­sor Karl Barth (1886-1968) , dem die Ver­trei­bung von sei­nem Bon­ner Lehr­stuhl droh­te. Nach Kriegs­en­de war Bleib­treu als Rich­ter in Bonn und da­nach in der Jus­tiz­ver­wal­tung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len tä­tig. 1948 wur­de er Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor, da­nach Staats­se­kre­tär im nord­rhein-west­fä­li­schen Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um. 1956-1958 war er Chef der Staats­kanz­lei in Düs­sel­dorf, zu­gleich Mit­glied der rhei­ni­schen Lan­des­syn­ode und stell­ver­tre­ten­des Mit­glied der Kir­chen­lei­tung. Da­nach hol­te der Re­gie­ren­de Bür­ger­meis­ter Wil­ly Brandt (1913-1992) den un­be­stech­li­chen Ju­ris­ten als Chef der Se­nats­kanz­lei nach Ber­lin.

Ot­to Bleib­treu wur­de am 19.7.1904 in Greifs­wald als Sohn ei­nes Pro­fes­sors ge­bo­ren. Nach dem Ab­itur stu­dier­te er Rechts­wis­sen­schaf­ten an den Uni­ver­si­tä­ten Mün­chen, Hei­del­berg und Bonn. In der Zeit sei­ner Re­fe­ren­dar­aus­bil­dung in Bonn und Köln war er gleich­zei­tig von 1928-1930 Hilfs­as­sis­tent an der Rechts­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät in Bonn. 1931 leg­te er das zwei­te ju­ris­ti­sche Staats­ex­amen in Ber­lin ab. An­schlie­ßend trat er in den ju­ris­ti­schen Staats­dienst ein. Von 1932 bis 1935 war er Hilfs­rich­ter an den Land- und Amts­ge­rich­ten in Köln und Bonn. 1933 en­ga­gier­te sich der Pro­tes­tant in der Evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de Bonn – und wur­de Nach­bar des Theo­lo­gie­pro­fes­sors Karl Barth.

1934 droh­te Barth, dem So­zi­al­de­mo­kra­ten und „Va­ter der Be­ken­nen­den Kir­che“, die Ver­trei­bung von sei­nem Bon­ner Lehr­stuhl, weil er den Be­am­ten­eid auf den „Füh­rer“ nur mit ei­nem Zu­satz („so­weit ich es als evan­ge­li­scher Christ ver­ant­wor­ten kan­n“) ab­le­gen woll­te. Am 20. De­zem­ber soll­te vor der Köl­ner Dienst­straf­kam­mer ein Dienst­straf­ver­fah­ren ge­gen ihn ein­ge­lei­tet wer­den. Der von Barth en­ga­gier­te Ge­richt­s­as­ses­sor Ot­to Bleib­treu teil­te der Kam­mer mit, Barth ha­be ihn zu sei­nem Ver­tei­di­ger be­stellt. „Zur Er­läu­te­rung die­ses Wun­sches darf ich be­mer­ken“, füg­te er hin­zu, „daß Herr Prof. D. Barth mich aus ge­mein­sa­mer kirch­li­cher Ar­beit in der evan­ge­li­schen Ge­mein­de in Bonn – de­ren grö­ße­rer Ge­mein­de­ver­tre­tung ich eben­so wie er an­ge­hö­re – nä­her kennt und aus die­sem Grun­de Wert dar­auf legt, sich am mor­gi­gen Ter­min mei­nes ju­ris­ti­schen Bei­stan­des zu be­die­nen.“

Bleib­treu konn­te nicht ver­hin­dern, dass Barth sei­nes Am­tes ent­ho­ben wur­de. Die Wel­len in der Öf­fent­lich­keit schlu­gen hoch. Christ­li­che Krei­se pro­tes­tier­ten auch in Eng­land und in den USA. Im Ja­nu­ar 1935 ließ der Kam­mer­vor­sit­zen­de dar­auf­hin die „viel­fach in der Pres­se er­schie­ne­ne Be­haup­tun­g“, Barth sei we­gen sei­ner Hal­tung ge­gen­über dem Be­am­ten­eid ent­las­sen wor­den, of­fi­zi­ell als falsch er­klä­ren: „Pro­fes­sor Barth mu­ß­te viel­mehr we­gen ei­ni­ger po­li­tisch be­denk­li­cher Äu­ße­run­gen, we­gen Ver­wei­ge­rung der Leis­tung des deut­schen Gru­ßes in der Vor­le­sung an der Uni­ver­si­tät und we­gen sei­ner für ei­nen deut­schen Be­am­ten und Ju­gend­er­zie­her nicht trag­ba­ren Ab­leh­nung des neu­en Staa­tes ent­las­sen wer­den.“ Auch Bleib­treu wur­de 1935 we­gen sei­ner Ver­wei­ge­rung des Eids auf den „Füh­rer“ und sei­ner Mit­glied­schaft in der SPD aus dem Staats­dienst ent­fernt. Da­nach war er Hilfs­ar­bei­ter bei meh­re­ren Rechts­an­wäl­ten in Bonn und Köln und er­öff­ne­te selbst ei­ne An­walts­pra­xis in Bonn.

Bleib­treu leg­te nach Rück­spra­che mit dem „Reichs­bru­der­ra­t“ der Be­ken­nen­den Kir­che Be­ru­fung ge­gen Karl Barths Ent­las­sung aus dem Staats­dienst ein: In der münd­li­chen Ver­hand­lung sei es aus­schlie­ß­lich um die Be­am­ten­eid­fra­ge ge­gan­gen. Dem zur Er­ho­lung in der Schweiz wei­len­den Karl Barth teil­te er mit, das Ur­teil in sei­ner schrift­li­chen Be­grün­dung ent­spre­che lei­der der ver­öf­fent­lich­ten Zei­tungs­no­tiz. Barth er­wi­der­te ihm, er ha­be das „mit Kopf­schüt­teln über so viel Un­red­lich­keit zur Kennt­nis ge­nom­men“ und so­gar im ers­ten Mo­ment über­legt, den Kampf auf­zu­ge­ben. Die Dis­kus­si­on wei­te­te sich aus, be­schäf­tig­te Kir­chen­füh­rer und Mi­nis­ter, so­gar den „Füh­rer“, der ei­nen Kir­chen­kampf ver­mei­den woll­te. Aus Angst vor wei­te­rer Po­li­ti­sie­rung lehn­te es die Füh­rung der Be­ken­nen­den Kir­che ab, Barths Ver­tei­di­gung mit zu über­neh­men. Bleib­treus Kol­le­ge Dr. Paul Schul­ze zur Wie­sche (1905-1987), Lei­ter der Rechts- und Ver­wal­tungs­ab­tei­lung der Rhei­ni­schen Be­kennt­nis­syn­ode, be­dräng­te sie. Barth sei schlie­ß­lich „für die Frei­heit der Kir­che ge­gen­über dem To­ta­li­täts­an­spruch des Staa­tes ein­ge­tre­ten“, tak­ti­sche Er­wä­gun­gen „mü­ß­ten voll­kom­men aus­schei­den“! Doch der Reichs­bru­der­rat bat den nach wie vor von ihm hoch­ge­schätz­ten Barth, der mitt­ler­wei­le öf­fent­li­ches Re­de­ver­bot hat­te, sei­ne Ver­tei­di­gung „auf ei­ge­ne Ver­ant­wor­tun­g“ zu füh­ren. Bleib­treu woll­te Zeit ge­win­nen, bat die Dienst­straf­kam­mer im Blick auf wei­te­re Ver­hand­lun­gen um Pro­zess­ver­län­ge­rung und schick­te dem Ber­li­ner Ober­ver­wal­tungs­ge­richt im März ei­ne um­fäng­li­che Be­ru­fungs­be­grün­dung. „Es will dem An­ge­schul­dig­ten schwer in den Sin­n“, hei­ßt es dar­in, „daß er durch ge­wis­sen­haf­te Er­fül­lung des ihm als Theo­lo­gen er­teil­ten Auf­trags sei­ne Amts­pflich­ten ver­letzt, ja, daß er sich da­durch so­gar der Ach­tung, des An­se­hens und des Ver­trau­ens, die sein Be­ruf er­for­dert, un­wür­dig ge­zeigt ha­ben soll.“ Blei­treu nann­te Barth in sei­ner Be­ru­fungs­be­grün­dung „ei­nen Ge­lehr­ten von Welt­ruf, der zum Ruh­me der deut­schen Uni­ver­si­tä­ten, an de­nen er ge­wirkt hat, Gro­ßes bei­ge­tra­gen hat, und vor al­lem um ei­nen aka­de­mi­schen Leh­rer, zu dem sich die stu­die­ren­de Ju­gend in ei­ner das nor­ma­le Maß über­stei­gen­den Zahl drängt und der von dem gro­ßen Kreis sei­ner Schü­ler ge­liebt und ver­ehrt wird wie sel­ten ein Hoch­schul­do­zen­t“.

Am 14.6.1935 ge­schah in Ber­lin das fast Un­glaub­li­che: Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hob Barths Amts­ent­las­sung auf. Barths Re­ak­ti­on: „Es gibt noch Rich­ter in Ber­lin!“ Doch der NS-Staat re­agier­te schnell. Der Frei­ge­spro­che­ne wur­de auf­grund des „Ge­set­zes zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums“ in den Ru­he­stand ver­setzt.

Von der Füh­rung der Be­ken­nen­den Kir­che, die sich mehr­heit­lich eher zag­haft für ih­ren Men­tor ein­ge­setzt und die Fra­ge ei­ner kir­chen­in­ter­nen Do­zen­tur ver­schleppt hat­te, war Barth herb ent­täuscht. Aus ver­schie­de­nen Gre­mi­en trat er aus, auch aus dem Bon­ner Pres­by­te­ri­um. Blei­treu müs­se nun an sei­ner Stel­le in das Pres­by­te­ri­um, schreibt er aus der Schweiz sei­nem treu­en Freund und An­walt.

Im Ok­to­ber 1935 woll­te Blei­treu ei­nem Vor­trag sei­nes ver­ehr­ten Freun­des in Wup­per­tal zu­hö­ren. Doch Barth kam in Po­li­zei­ge­wahr­sam, und Bleib­treu reis­te nach Köln, um dort den Schwei­zer Ge­ne­ral­kon­sul zu alar­mie­ren. Er sah den Freund bei sei­ner An­kunft im Köl­ner Haupt­bahn­hof auf dem ge­gen­über­lie­gen­den Bahn­gleis im D-Zug in Rich­tung Ba­sel fah­ren – in Be­glei­tung ei­nes Ge­sta­po-Be­am­ten. Ein amt­li­ches Do­ku­ment über die Ab­schie­bung des un­er­wünsch­ten Aus­län­ders wur­de nicht er­stellt.

„Sie wer­den sich le­bens­läng­lich des­sen freu­en dür­fen, daß Sie in die­ser An­ge­le­gen­heit ei­ne gu­te und sau­be­re Klin­ge ge­schla­gen ha­ben“, hat­te Barth im Ju­ni an den Freund und An­walt ge­schrie­ben. In­ner­halb die­ser Welt­ord­nung ha­be er „sein Bes­tes aufs Bes­te ge­tan un­ter dem Bei­fall der En­gel im Him­mel“.

Von 1940-1945 war Bleib­treu Sol­dat, zu­letzt Leut­nant der Re­ser­ve. 1945 ge­riet er in ame­ri­ka­ni­sche Ge­fan­gen­schaft. 1946 wur­de er Land­ge­richts­rat be­zie­hungs­wei­se Land­ge­richts­di­rek­tor am Bon­ner Land­ge­richt, 1948 Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor und 1953 SPD-Staats­se­kre­tär im Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um von Nord­rhein-West­fa­len. Sein pro­tes­tan­ti­sches En­ga­ge­ment setz­te er in der Evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land fort. 1949 wur­de er – bis zu sei­nem Tod – Mit­glied der Kam­mer für öf­fent­li­che Ver­ant­wor­tung der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land, 1956 Mit­glied der rhei­ni­schen Lan­des­syn­ode, ein Jahr spä­ter stell­ver­tre­ten­des Mit­glied der Kir­chen­lei­tung. Eben­falls 1956 wur­de er Chef der Düs­sel­dor­fer Staats­kanz­lei, 1958 je­doch von der CDU-Re­gie­rung in den War­te­stand ver­setzt. 1959 be­trau­te ihn Ber­lins Re­gie­ren­der Bür­ger­meis­ter Wil­ly Brandt mit der Lei­tung der dor­ti­gen Se­nats­kanz­lei. Ot­to Bleib­treu starb noch im glei­chen Jahr (6.6.1959) im Al­ter von nur 54 Jah­ren in Düs­sel­dorf.

Literatur

Pro­ling­heu­er, Hans, Der Fall Karl Barth. Chro­no­lo­gie ei­ner Ver­trei­bung 1945-1935, Neu­kir­chen-Vluyn 1977.
Schmidt, Klaus, Karl Barths Ver­tei­di­ger und Freund. Der Bon­ner Rechts­an­walt und BK-Ju­rist Ot­to Bleib­treu, in: Nor­den, Gün­ther van/Schmidt, Klaus (Hg.), Sie schwam­men ge­gen den Strom. Wi­der­stand und Ver­fol­gung rhei­ni­scher Pro­tes­tan­ten im „Drit­ten Reich“, Köln 2006, S. 117-119. 

 
Zitationshinweis

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Schmidt, Klaus, Otto Bleibtreu, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-bleibtreu/DE-2086/lido/5b8cf1ed9f5712.98996608 (abgerufen am 27.04.2024)