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In Bundestagssitzungen hatte sie immer Schokolade für Konrad Adenauer in der Tasche. Helene Weber war eine der prominentesten Frauen der Zentrumspartei und der Nachkriegs-CDU. Damit war sie eine Ausnahmefrau in „männlichen Parteien mit einer überwiegend weiblichen Wählerschaft“ (Frank Bösch). Sie gehörte zur ersten Generation gewählter Politikerinnen in Deutschland. Im Laufe ihrer langen politischen Karriere war sie Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, des Preußischen Landtags, des Reichstags, des Landtags von Nordrhein-Westfalen, des Parlamentarischen Rats und des Deutschen Bundestags. Ihr frauenrechtliches und politisches Engagement reicht vom Ende des Kaiserreichs bis in die frühen 1960er Jahre.
Helene Weber wurde am 17.3.1881 in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) geboren. Ihr Vater Wilhelm Weber (1851-1922) war Volksschullehrer und Vorsitzender der örtlichen Zentrumspartei, die Mutter Agnes Christiane van Gent war eine gebürtige Niederländerin. Die junge Helene wuchs als zweites von sechs Kindern in einem katholischen, politisch engagierten und weltoffenen Haus auf. Nach dem Besuch der Höheren Mädchenschule trat sie in die Fußstapfen ihres Vaters und besuchte 1897-1900 das Lehrerinnenseminar in Aachen. Nach dem Examen 1900 war sie einige Jahre als Volksschullehrerin in Haaren (heute Stadt Aachen) und Elberfeld tätig. Der Kontakt mit ihren Schülerinnen machte sie vertraut mit der Not der Textilarbeiterfamilien und erweckte ihr Interesse für die soziale Frage. Nach Zulassung des Frauenstudiums studierte sie 1905-1909 in Bonn und Grenoble Romanistik, Geschichte und Sozialpolitik. 1909-1911 unterrichtete sie als Studienrätin am Städtischen Lyzeum/Oberlyzeum in Bochum sowie 1911-1916 an der Kaiserin-Augusta-Schule in Köln. Ihre Schülerinnen behielten Helene Weber in guter Erinnerung und lobten die Art und Weise, wie sie durch Lesen der internationalen Presse ihren Geschichtsunterricht mit Leben füllte.
1912 schloss sich Weber dem „Katholischen Deutschen Frauenbund“ (KDFB) an. Im Ersten Krieg bestand ihre Tätigkeit darin, die Not durchreisender Soldaten, Hinterbliebener und Rüstungsarbeiterinnen zu lindern. 1916 intensivierte sie ihr soziales Engagement, indem sie den Schuldienst verließ und Leiterin der ersten Sozialen Frauenschule des KDFB in Köln wurde. Ab 1919 leitete sie den „Verein katholischer Sozialbeamtinnen Deutschlands“ (KDFB) sowie den Reichsfrauenausschuss der Zentrumspartei. Ihr verbandliches Engagement in der katholischen Frauenbewegung öffnete ihr bald die Türen zu einer politischen Karriere.
Aufgrund der engen Verflechtung zwischen katholischem Vereinswesen und Zentrumspartei gelang es Helene Weber 1919, als Kandidatin für die Weimarer Nationalversammlung aufgestellt zu werden (Wahlkreis Düsseldorf). Nach ihrer Wahl trat sie mit 38 Jahren als jüngste Frau in die verfassunggebende Nationalversammlung ein und arbeitete vorwiegend an den Artikeln bezüglich Grundrechte und Kultur mit. Der Parlamentsarbeit gegenüber hegte sie zunächst gemischte Gefühle und beklagte sich über langweilige, nicht enden wollende Plenarsitzungen. 1920 gelang es ihr aufgrund eines ungünstigen Platzes auf der Wahlliste nicht, in den ersten Reichstag gewählt zu werden. Von 1921 bis 1924 saß sie im Preußischen Landtag, bevor sie 1924 in den Reichstag gewählt wurde. Dort war sie bis 1933 Vertreterin des Wahlkreises Düsseldorf-Ost.
Wie die meisten Parlamentarierinnen ihrer Generation war Weber unverheiratet und hielt Politik für ihre einzige Berufung. Sie war, bereit, dieser ihr ganzes Leben und all ihre Energie zu widmen. Bald bekleidete sie hohe Funktionen in der Zentrumspartei. 1927-1933 gehörte sie dem Vorstand der Reichstagsfraktion an, 1930-1933 war sie Mitglied im Reichsvorstand, seit 1925 außerdem stellvertretende Vorsitzende der Partei. Zusammen mit Christine Teusch war sie eine der bekanntesten Zentrumsfrauen. Innerhalb der Partei stand sie der sozialen Richtung eines Adam Stegerwald (1874-1945) nahe. Ihr Verständnis der Politik als Verteidigung der moralischen Werte führte sie zudem dazu, ihr Interesse vornehmlich auf Sozialpolitik, Bildung und Kultur zu lenken. Im Reichstag warb sie für Mädchenerziehung und Professionalisierung der sozialen Arbeit. Sie war auch beteiligt an den Gesetzen zu Schund- und Schmutz (1926) und zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (1927).
Webers politische Tätigkeit beschränkte sich jedoch nicht auf das parlamentarische Feld. 1919 wurde sie als Referentin in das Preußische Wohlfahrtsministerium unter Adam Stegerwald berufen und stand 1921-1933 als Ministerialrätin an der Spitze des Dezernats für Soziale Ausbildung und Jugendfragen. Damit war sie die erste Frau in Preußen, die ein solch hohes Amt innehatte. 1923 trat sie als preußische Abgeordnete und Ministerialrätin eine 6-wöchige Amerikareise an. In zahlreichen Städten an der Ostküste von New York bis Chicago bemühte sie sich bei der deutschen Minderheit um finanzielle Hilfe für Deutschland, das sich in einer akuten Wirtschaftskrise befand. Parallel zu ihrer parlamentarischen und ministeriellen Arbeit setzte Weber ihr Engagement in der Frauen- und Friedensbewegung fort und beteiligte sich an internationalen Tagungen in Europa.
Am 23.3.1933 war sie im Reichstag an der Abstimmung des „Ermächtigungsgesetzes“ beteiligt. Bei der Vorwahl innerhalb der Zentrumsfraktion entschied sie sich – mit etwa zwölf anderen Zentrumsabgeordneten wie Adam Stegerwald, Heinrich Brüning (1885-1970) oder Joseph Wirth (1879-1956) – für eine Ablehnung des Gesetzes. Dennoch stimmte sie schließlich im Reichstag dem Gesetz zu. Bei der folgenden Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft wurde ihr bewusst, dass viele ihrer Mitarbeiter im Ministerium SA-, SS- oder Gestapo-Mitglieder waren. Im Oktober 1933 wurde sie gemäß Artikel 4 des „Gesetzes für die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Ministerium entlassen.
Die NS-Zeit markierte für sie eine Zeit der „inneren Emigration“, in der sie auf die finanzielle Hilfe ihrer Familie angewiesen war. Als Vorsitzende des Berliner „Fürsorgevereins“ blieb sie in der Hauptstadt. Sie setzte auch ihre Aktivität als Leiterin des „Vereins katholischer deutscher Sozialbeamtinnen“ (VKS) fort, der sich 1933 in „Hedwig-Bund“ umbenannt hatte. Damit hielt sie Kontakte zum katholisch-demokratischen Milieu aufrecht. So boten die vom „Hedwig-Bund“ veranstalteten Pilgerschaften Gelegenheit für Zusammenkünfte unter Gleichgesinnten. Zeitgleich pflegte Weber Verbindungen zu den katholischen Widerstandskämpfern Bernhard Letterhaus und Jakob Kaiser (1888-1961), welche in die Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944 einbezogen waren. Weber diente als Nachrichtenvermittlerin und stellte ihre Berliner Wohnung für Treffen zur Verfügung. Nach der Zerstörung ihres Hauses im Bombenkrieg 1944 zog sie nach Marburg zu ihrer Schwester. Dort wurde sie nach Stauffenbergs gescheitertem Versuch von Gestapo-Angehörigen gewarnt, dass ihre Verhaftung kurz bevorstehe; so konnte sie rechtzeitig verreisen.
Im Nachhinein zeigte Helene Weber ein religiöses Verständnis der NS-Zeit und bezeichnete sie als eine „Zeit der Bewährung“. Die Vorherrschaft von Liberalismus und Materialismus habe die Menschen von Gott entfernt und zur Selbstvergottung geführt. Die Verbreitung christlicher Werte in Gesellschaft und Politik solle eine neue, solide Grundlage für eine humanistische Demokratie anbieten. Zudem habe der „reine Männerstaat“, der Frauen aus der politischen Sphäre ausgeschlossen hatte, „die Zerstörung der Völker“ ausgelöst, so Weber am 2.12.1949 vor dem Plenum des Deutschen Bundestags. Weibliche Partizipation an Staat und Politik sollte jeglicher Rückkehr der Gewalt vorbeugen.
In der Nachkriegszeit ließ sich Weber in Essen nieder, wo sie den „Berufsverband katholischer Fürsorgerinnen“ neugründete und sich an der CDU-Gründung beteiligte. Als begehrte Wahlrednerin sollte sie in den ersten Jahren der Bundesrepublik für die Partei die Stimmen der Katholikinnen gewinnen, welche die Stammwählerschaft der CDU bildeten. Zudem forderte sie jüngere Frauen dazu auf, sich in der Politik zu engagieren. 1946-1947 saß Weber im Nordrhein-Westfälischen Landtag, 1947-1948 im Zonenbeirat der britischen Besatzungszone, 1948-1949 war sie Mitglied und Schriftführerin des Parlamentarischen Rats. Zum zweiten Mal durfte sie an einer Verfassung mitwirken. Mit dem Sozialdemokraten Paul Löbe (1875-1967) war sie die einzige Delegierte, die an beiden deutschen demokratischen Verfassungen mitgewirkt hat. Zudem gehörte Weber zu den „Müttern des Grundgesetzes“, das heißt zu den vier Frauen, die neben 61 Männern in das verfassungsgebende Gremium gewählt worden waren. Dabei geriet sie in Konflikt mit der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert (1896-1986), welche den Gleichberechtigungsartikel erfolgreich durchsetzen konnte. Helene Weber sprach sich allerdings gegen Selberts Formulierung „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“ aus. Sie befürchtete, dass die Anerkennung der Gleichberechtigung die weibliche Besonderheit gefährde. Im Vorfeld der Verhandlungen hatte Weber die Initiative ergriffen, den Vertreter des Episkopats beim Parlamentarischen Rat, Prälat Wilhelm Böhler, nach den „Wünschen der kirchlichen Stellen für das Verfassungsstatut“ zu fragen. Anschließend wurde sie zur Vermittlerin katholischer Forderungen, wie zum Beispiel der verfassungsrechtlichen Verankerung des Elternrechts, eine konfessionelle oder öffentliche Schule für ihre Kinder zu wählen. Erst in der Zeit des Parlamentarischen Rates beschloss sie, ihre parlamentarische Tätigkeit wiederaufzunehmen und für den Bundestag zu kandidieren.
Von 1949 bis zu ihrem Tode 1962 gehörte Weber dem Deutschen Bundestag an, zunächst als Vertreterin des Wahlkreises Aachen-Stadt, dann zog sie über die NRW-Landesliste in das Parlament ein. Trotz des breiten Spektrums ihrer Arbeitsfelder lag der Schwerpunkt ihres Engagements wie früher im Reichstag auf Sozialpolitik, Frauen- und Familienrecht sowie auf Jugendschutz. Als Vorsitzende des CDU-Frauenausschusses und enge Vertraute von Bundeskanzler Konrad Adenauer war Helene Weber die einflussreichste Frau der Nachkriegs-CDU und wurde von ihren Kolleginnen gefürchtet. 1961 gelang es ihr, Adenauer zu überreden, zum ersten Mal einer Frau ein Bundesministerium anzuvertrauen. So wurde Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986) an die Spitze des neu geschaffenen Gesundheitsministeriums berufen. Weber plädierte ebenfalls für Lohngleichheit. Dennoch vertrat sie eine traditionelle Auffassung der Geschlechterrollen und setzte sich hauptsächlich für Ehe- und Mutterschutz ein. 1953 sprach sie sich zum Beispiel im Bundestag für die Entlassung von verheirateten Beamtinnen aus. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges sollte in Webers Sicht die Familie als Schutz vor der gravierenden Bolschewisierung der Gesellschaft fungieren. Diese konservative Position, die zum Teil dem Zeitgeist entsprach, sorgte für Protest bei vielen jüngeren CDU-Frauen, welche die Vereinbarung von Arbeit und Familie ermöglichen wollten.
Die ehemalige Reichstagsabgeordnete Weber, die in der CDU/CSU-Fraktion für ihren Humor gepriesen wurde, bemängelte die fehlende Geselligkeit im Bundestag und sehnte sich nach der Kameradschaft des Reichstags. Als Frankophile und Tochter einer gebürtigen Holländerin verlor sie das Ziel der europäischen Einigung nie aus den Augen. 1950-1962 gehörte sie der deutschen Delegation im Europarat an, der sie ab 1957 vorstand. Zu ihrem Engagemrent für Frauen und Mütter gehörte auch, dass sie nach dem Tod von Elly Heuss-Knapp (1881-1952) 1952-1959 dem Kuratoriums des Deutschen Müttergenesungswerkes vorstand.
Helene Weber starb im Alter von 81 Jahren am 25.7.1962 in Bonn. Begraben liegt sie auf dem Nordfriedhof in Recklinghausen.
Zu Lebzeiten wurden ihr zahlreiche Ehrungen zuteil: 1930 verlieh ihr die Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster die Ehrendoktorwürde. 1956 wurde mit sie mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland geehrt, dem 1961 das Schulterband zum Großen Verdienstorden mit Stern folgte. Heute tragen Straßen und Schulen ihren Namen. Seit 2009 schreibt das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend den Helene-Weber-Preis aus, womit das politische Engagement von Frauen auf kommunaler Ebene gefördert werden soll.
Werke
Weber, Helene,: Vom «Amt» zur «Aufgabe», in: Ehrle, Gertrud, Licht über dem Abgrund. Aufzeichnungen und Erlebnisse christlicher Frauen, Freiburg, 1951, S. 16-20.
Quellen
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Literatur
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Online
vom Hofe, Ina, Helene Weber, in: Konrad-Adenauer-Stiftung: Geschichte der CDU. [Online]
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Bernier-Monod, Agathe, Helene Weber, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/helene-weber-/DE-2086/lido/5a32546e204ae1.92353204 (abgerufen am 10.12.2024)