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Helmut Fleinghaus war Kirchen- und Schulmusiker, Musikwissenschaftler, Hochschullehrer und 2007–2020 Rektor der Hochschule für Kirchenmusik Herford-Witten der Evangelischen Kirche von Westfalen. Er war über seine rheinisch-westfälischen Arbeitsfelder hinaus einer der bedeutenden Repräsentanten der deutschen Kirchenmusikszene.
Geboren am 24.5.1958 in Wuppertal-Barmen als ältestes von drei Kindern des Buchhalters Helmut Julius Fleinghaus (1923-2002) und dessen Ehefrau Ilse geborene Hummringhaus (1930-2019), besuchte er nach der Grundschule im Stadtteil Nächstebreck von 1968 bis zum Abitur 1977 das Städtische Gymnasium an der Barmer Sedanstraße. In das Klavierspiel schon seit 1966 eingeführt, besuchte er seit Mai 1974 das auf vier Semester angelegte Kirchenmusikalische Seminar Wuppertal. Hier wurde er von dessen Leiter Winfried Pesch (1928-2006) in Chorleitung, von Joachim Dorfmüller (geboren 1938) im Orgelspiel und in Musikgeschichte sowie in Gesang von der Barmer Kantorin Irmgard Balke-Röder (1933-2020) unterrichtet, in deren Chor er seine spätere Ehefrau Franziska Wessel kennenlernte. Das Ziel dieses Seminars, die C-Prüfung für nebenberufliche Organisten und Chorleiter, erreichte er mit Auszeichnung im Orgelliteraturspiel. Er war damit qualifiziert, die 1976 frei gewordene nebenamtliche Organistenstelle der Thomaskirche an der Opphofer Straße in Wuppertal-Elberfeld zu übernehmen, der er bis 1986 treu blieb.
Zum Sommersemester 1977 und damit unmittelbar nach dem Abitur nahm Helmut Fleinghaus in Köln das Studium auf. An der Staatlichen Hochschule für Musik widmete er sich dem Studiengang Lehramt Sekundarstufe II und der Evangelischen Kirchenmusik, an der Albertus-Magnus-Universität den Fächern Musikwissenschaft und Philosophie. Im Juli 1982 legte er das Erste Philologische Staatsexamen in den Fächern Musik und Philosophie ab, bestand im Februar 1983 das A-Examen am Institut für Evangelische Kirchenmusik sowie bereits ein halbes Jahr später nach Studien bei dem Kölner Domorganisten Clemens Ganz (1925-2023) die Künstlerische Reifeprüfung (Diplom) im Fach Orgel. Inzwischen hatte er bei Professor Heinrich Hüschen in Köln seine Dissertation „Die Musikanschauung des Erasmus von Rotterdam“ geschrieben, mit der er im Juli 1983 zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Unmittelbar schloss sich das Referendariat am Märkischen Gymnasium in Schwelm an, das er 1986 am Studienseminar im benachbarten Hagen mit dem Zweiten Staatsexamen für die Fächer Musik und Philosophie abschloss.
Damit hätte Helmut Fleinghaus eine Karriere im Gymnasialdienst offen gestanden, hätte er Beamter auf Lebenszeit werden können. Doch er entschied sich für eine kirchenmusikalische Hochschullaufbahn. Noch während des Referendariats bewarb er sich auf eine 50-Prozent-Dozentur in Musikgeschichte an der damals von Kirchenmusikdirektor Uwe-Karsten Groß (1930-2015) und Pfarrer Lebrecht Schilling (geboren 1937) geleiteten Westfälischen Landeskirchenmusikschule Herford. Seine Bewerbung, zum Sommersemester 1986 erfolgreich, wurde im darauffolgenden Sommersemester mit dem Unterrichtsfach Orgelspiel auf eine Vollzeitstelle aufgestockt.
Damit war auch die Frage des neuen Wohnorts entschieden, zumal seine ihm 1985 angetraute Ehefrau Franziska inzwischen an der Universität Münster bei dem Altgermanisten Friedrich Ohly (1914-1996) mit der Dissertation „Probleme der Metaphorik und die Minnemetaphorik in Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan und Isolde‘“ promoviert worden war und den Dienst als Assessorin für die Fächer Deutsch und Evangelische Religionslehre am Städtischen Gymnasium Bielefeld-Heepen angetreten hatte. Erster gemeinsamer Wohnort wurde im März 1985 Herford, der nächste und endgültige im Juli des folgenden Jahres Bad Oeynhausen. Zwei Söhne wurde dem Ehepaar geschenkt: 1987 Martin Friedrich, 1989 David Georg. Ehefrau Franziska wurde Studienrätin am Immanuel-Kant-Gymnasium Bad Oeynhausen und damit Kollegin von Waldine und Klaus Hüschen, der Ehefrau und des Sohnes von Heinrich Hüschen, dem Doktorvater ihres Mannes.
Helmut Fleinghaus war nunmehr fest in der kirchenmusikalischen Ausbildung verankert. Die nächste Stufe auf der Karriereleiter stand bald bevor. Denn als seine Wirkungsstätte 1991 zur staatlich anerkannten Hochschule für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche wurde, erhielt er die Ernennung zum Professor. Vier Jahre später wurde er durch die Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen zum Prorektor der Hochschule berufen, mit Wirkung vom 1.7.2007 schließlich, gerade 49-jährig, in der Nachfolge des seit 1993 amtierenden und in den Ruhestand getretenen Kirchenmusikdirektors Rolf Schönstedt (geboren 1944) zum Rektor einer der mit 50 Studienplätzen bundesweit größten evangelischen Kirchenmusikhochschulen.
Helmut Fleinghaus war damit nicht nur verantwortlich für die Lehre, die er selbst vornehmlich mit musikgeschichtlichen Vorlesungen sowie im Künstlerischen Orgelspiel vertrat. Er stand auch insofern vor großen Aufgaben, als es galt, sein Haus nach den Maßgaben des Bologna-Prozesses zukunftstauglich zu organisieren. In enger Zusammenarbeit mit der Prorektorin Dorothea Ohly-Visarius brachte er 2011 im Zuge transnationaler und damit europaweiter Vereinheitlichung die Studiengänge „Bachelor Kirchenmusik“ und „Master Kirchenmusik“ inklusive Künstlerische Reifeprüfung und Konzertexamen auf den Weg. Fünf Jahre später wurde – parallel zum Studiengang „Kirchenmusik Klassisch“ – der Studiengang Bachelor „Kirchenmusik Popular“ eingeführt, weitere vier Jahre später der Studiengang Master „Kirchenmusik Popular“ unter Prorektor Hartmut Naumann (geboren 1962) neben Ulrich Hertzbruch (geboren 1958) als zweitem Prorektor der Hochschule.
Darüber hinaus war Helmut Fleinghaus qua Amt Delegierter in der Kreissynode Herford sowie Mitglied der Direktorenkonferenz Kirchenmusik der Evangelischen Kirche in Deutschland. Von 1987 bis zur Übernahme des Rektorats auch Orgelsachverständiger für die Evangelische Kirche von Westfalen zu sein, war ein weiteres Ehrenamt. Soweit es ihm angesichts der umfassenden haupt- und ehrenamtlichen Aufgaben möglich war, gab er gelegentlich Konzerte im engeren westfälischen Raum, unternahm auch eine Tournee in die Schweiz und 1992 in verschiedene Städte in Texas (USA). Darüber hinaus spielte er Schallplatten und später Compact-Discs sowie Funk- und Fernsehaufnahmen ein, schrieb wissenschaftliche Aufsätze zu grundsätzlichen kirchenmusikalischen Fragen. Und selbstverständlich war es ihm bei alledem, in seiner Heimatgemeinde gelegentlich für Vertretungen in Gottesdiensten und bei Amtshandlungen zur Verfügung zu stehen.
Im August 2020 hatte er mit seiner Frau noch eine Bildungs- und Urlaubsreise nach Südfrankreich absolviert, hatte auch die Schirmherrschaft über die Bach-Tage seiner Wuppertaler Heimatgemeinde übernommen und dafür einen großen Interview-Beitrag „Was Bach nicht kann, kann keiner“ geschrieben. Geplant war, noch zwei Semester intensiv zu arbeiten und zum Ende des Sommersemesters 2021 in den verdienten Ruhestand zu treten. Doch sollte es ihm nicht geschenkt sein. Er verstarb völlig unerwartet am 5.11.2020 in der Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover. Coronabedingt um ein Jahr verspätet, gedachte die Hochschule seiner am 23.10.2021 mit einem Konzert in der Herforder St. Marienkirche auf dem Stiftsberg.
„Mit seinen außergewöhnlichen musikalischen und musikpädagogischen Fähigkeiten, seinem Tiefgang, seiner Empathie und seinem Humor wird er uns fehlen“, schrieb Prorektor Ulrich Hirtzbruch im Nachruf der Hochschule. Und die westfälische Präses Annette Kurschus (geboren 1963) würdigte Helmut Fleinghaus im offiziellen Nachruf der Westfälischen Landeskirche: „Wir verlieren mit ihm einen hochmusikalischen und gebildeten Menschen mit feinen Sinnen für Sprache, Literatur und alles Schöne. Sein tiefgründiger Humor und seine menschliche Wärme werden vielen in besonders liebenswerter Erinnerung bleiben. Mit seiner Familie und allen, die ihn schätzten und liebten, sind wir traurig über den Verlust. In unserer Trauer trägt uns die Gewissheit des Apostels Paulus: ‚Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.‘ (Römer 14,8). Wir danken Gott für alles, was Er uns und unserer Kirche durch Prof. Dr. Fleinghaus geschenkt hat. In der Hoffnung auf die Auferstehung wissen wir den Verstorbenen in Gottes Liebe geborgen.“
Schriften (Auswahl)
Die Musikanschauung des Erasmus von Rotterdam, Regensburg 1984.
[Mit Joachim Dorfmüller] Festschrift Heinrich Hüschen zum 75. Geburtstag. Hg. zur Feierstunde am 2. März 1990 in Bad Oeynhausen, Bad Oeynhausen 1990.
Ev.-luth. St. Andreaskirche Ostönnen, Regensburg 2004.
Die Restaurierung der gotisch-barocken Orgel in der evang. St. Andreaskirche zu Ostönnen, in: Ars Organi 54, 2006, S. 151–155.
„Kann Musik verkündigen?“, in: Riewe, Wolfgang (Hg.), Was Christen glauben, Band 3, Bielefeld 2011, S. 45-50.
Gute Chancen für „Überzeugungstäter“. Helmut Fleinghaus im Gespräch mit Ralf Siepmann, in: Evangelischer Pressedienst vom 13.1.2019.
Was Bach nicht kann, kann keiner. Antworten auf Fragen von Dr. Matthias Lotzmann, in: Festschrift Barmer Bach-Tage 2020, S. 12-18.
Veröffentlichte Kompositionen
„Herr, mein Gott, du lässt mich allein“ (Kanon), Text und Musik, in: Naumann, Hartmut (Hg.), Himmelweit und erdennah. Neue Lieder aus einer Kreativwerkstatt von Musikstudierenden aus Witten und Herford und Theologiestudierenden aus Bochum, München 2020, S. 9.
„Mein Gott, wo bist du?“, in Zusammenarbeit mit Daniel Drückes und Johannes Ebbertz, in: Naumann, Hartmut (Hg.), Himmelweit und erdennah. Neue Lieder aus einer Kreativwerkstatt von Musikstudierenden aus Witten und Herford und Theologiestudierenden aus Bochum, München 2020, S. 16f.
„Wenn möglich, bitte wenden“. Text in Zusammenarbeit mit Johannes Weller (Musik: Johannes Weller), in: Naumann, Hartmut (Hg.), Himmelweit und erdennah. Neue Lieder aus einer Kreativwerkstatt von Musikstudierenden aus Witten und Herford und Theologiestudierenden aus Bochum, München 2020, S. 26-27.
Vorspiel für Posaunenchor zu EG 154, „Herr, mach uns stark“, in: Posaunenwerk der Ev.-luth. Landeskirche Hannover (Hg.), Lauter Frieden. Bläserheft 2023, S. 46.
Discographie
Orgelsonaten von Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy und Norbert Laufer (LP, FSM 68 703; 1986).
Musique française – Widor, Dupré, Alain (LP, FSM 68 704; 1986).
Musica Clarina. Konzert für 2 Trompeten und Orgel an der Speith-Orgel im Kloster zu Rietberg (CD, LM ME 2017, Aufnahme von 1994).
Die Becker-Orgel in der Stephanuskirche in Bielefeld-Gadderbaum (CD, Ambiente, ADC 1003, Aufnahme von 2000).
De Tempore. Orgelwerke von Henning Frederichs, darin: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit" (CD, Querstand, Verlagsgruppe Klaus-Jürgen Kamprad, VKJK 0117, Aufnahme von 2001.)
Ich bin getauft auf deinen Namen. Improvisationen über beliebte Choräle, darin: Improvisationen über „Herr Christ, ich bin dein eigen“ (CD im Auftrag der EKvW, Aufnahme vom Januar 2011 an der Hochschule für Kirchenmusik der EKvW in Herford).
Klang der Psalmen, CD zum Jahr der Kirchenmusik 2012, darin: Peter Hamburger – „Latin for Lefties“, und Hans-Martin Kiefer – „Die ganze Welt hast du uns überlassen“ (2 CD, hg. von der Hochschule für Kirchenmusik der EKvW, Aufnahme Herford 2012).
Online
Grundzüge der Kirchenmusik [Online]
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Dorfmüller, Joachim, Helmut Fleinghaus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/helmut-fleinghaus/DE-2086/lido/64ddee6d7252e7.97332043 (abgerufen am 01.10.2023)