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Heinrich Hüschen war ein herausragender Musikwissenschaftler mit den Hauptarbeitsgebieten Musiktheorie und Musikanschauung des Mittelalters und der Renaissance. Als Professor wirkte er in Marburg und vor allem Köln, das seit dem Studium seine akademische Heimat war.
Geboren wurde Heinrich Hüschen am 2.3.1915 als Sohn des Reichsbahnbeamten Dietrich Hüschen und seiner Ehefrau Sophie im niederrheinischen Moers. Die Familie war evangelisch. 1921-1925 besuchte er Volksschulen in Moers und Osnabrück sowie ab 1925 das Gymnasium Adolfinum in Moers, wo er 1934 die Reifeprüfung ablegte. Schon als Gymnasiast dem Violinspiel verbunden, hatte er zunächst das Studium der Mathematik, der Geschichte und der alten Sprachen ins Auge gefasst, sich jedoch dann für das der Kirchenmusik und der Musikwissenschaft entschieden. Für die Zulassung zum Studium kam er im Sommer 1934 der halbjährigen Arbeitsdienstpflicht nach und widmete sich gleichzeitig in Privatstudien dem Klavier- und Orgelspiel sowie der Musiktheorie. Auf dieser Basis konnte er sich 1937 an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund immatrikulieren, wechselte jedoch schon 1938 zum Institut für Kirchenmusik der Musikhochschule Köln, um auf das staatliche A-Examen für Organisten und Kantoren zuzugehen, welches er im Herbst 1940 ablegte. Zum Wintersemester 1940/1941 ging er an die Musikhochschule Berlin und bestand bereits im Jahr darauf die Staatliche Prüfung für das Künstlerische Lehramt an Gymnasien. Anschließend kehrte er an die Universität Köln zurück, wo er 1943 mit dem Thema „Der Musiktraktat des Bernhard Bogentantz (1494-1535)“ bei Karl Gustav Fellerer (1902-1984) zum Dr. phil. promoviert wurde.
Heinrich Hüschen hatte viele herausragende Lehrer, so in der Kirchenmusik Fritz Heitmann (1891-1953), Walter Reindell (1898-1968), Michael Schneider (1909-1994) und Oskar Söhngen (1900-1983), in der Schulmusik Heinz Marten (1908-1991) und Dietrich Stoverock (1900-1976), schließlich in der Musikwissenschaft während der Berliner Jahre Gotthold Frotscher (1897-1967) und Arnold Schering (1877-1941) sowie während der Kölner Jahre Ernst Bücken (1884-1949) und seinen Doktorvater Karl Gustav Fellerer. Bis zur Promotion freigestellt vom Wehrdienst, wurde Heinrich Hüschen 1943 eingezogen und geriet 1945 in französische Gefangenschaft. 1947 zurückgekehrt, erhielt er 1948 am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Köln eine Assistentenstelle und bereitete neben der ihm von Karl Gustav Fellerer übertragenen Leitung des Collegium musicum vocale et instrumentale seine Habilitation vor, die er 1955 mit der Arbeit „Textkonkordanzen im Musikschrifttum des Mittelalters“ abschloss. Bis 1957 war es für ihn ein höchst intensives und produktives Jahrzehnt, zumal er Semester für Semester mit Chor, Orchester und Solisten ein großes Kantaten-, Konzert- und Oratorienrepertoire zu erarbeiten hatte, erschwert insofern, als Notenmaterial oft genug nur unvollständig oder auch gar nicht erhältlich war, darüber hinaus häufig Chor- und Instrumentalstimmen zusammen mit dem Bibliothekar Leonhard Ehlgötz handschriftlich aus den Partituren erstellt werden mussten.
Bereits während der Kölner Studienjahre hatte Heinrich Hüschen die Lehramtskandidatin Waldine Rosemeyer aus Bad Oeynhausen kennengelernt. Nach der Eheschließung 1944 und abschließenden Studien an der Georg-August-Universität Göttingen war sie ins Bad Oeynhausener Elternhaus zurückgekehrt. Hier fand Heinrich Hüschen nun seine zweite Heimat, hier wurde 1949 auch Sohn Klaus Dieter geboren (gestorben 2016). Frau Hüschen wurde Lehrerin am Immanuel-Kant-Gymnasium für die Fächer Musik, Nadelarbeit (Kunst) und Englisch, vorwiegend jedoch für Musik, zuletzt als Studiendirektorin. Sohn Klaus trat indessen in die Fußstapfen des Vaters, studierte Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Geographie in Berlin, anschließend an der Universität Köln, dort insbesondere bei den Professoren Klaus Wolfgang Niemöller (geboren 1929) und Dietrich Kämper. (geboren 1936). In Köln schloss er seine Dissertation „Studien zum Motettenschaffen Ernst Peppings“, seines ersten Theorielehrers während der Berliner Jahre, ab. Nach der Pensionierung der Mutter trat er an deren Stelle als Musik-, Erdkunde-, Geschichts- und später auch Informatiklehrer, wurde jedoch wie seine Mutter vorwiegend im Fach Musik eingesetzt. Im Hause Hüschen wurde Musik stets intensiv gepflegt: Der Vater spielte Cembalo, die Mutter widmete sich dem Gesang und dem Violoncello, der Sohn musizierte als Pianist und Geiger mit – ein hochmusikalisches Haus, in das der Vater jahrzehntelang an den Wochenenden zur „Recreation des Gemüths“ zurückkehrte, wie er im Sinne Bachs wohl gesagt haben dürfte. „Eine schöne Zeit“ – so das dankbare Resümee des Sohnes.
Heinrich Hüschen hielt am 13.7.1956 seine Antrittsvorlesung zum Thema „Der Harmoniebegriff in seiner Entwicklung“ und erwarb damit die venia legendi, um als Privatdozent professorale Würden anzustreben. Das gelang 1961 mit der Ernennung außerplanmäßigen Professor an der Universität Köln, nachdem er bereits 1957/1958 eine Lehrstuhlvertretung in Heidelberg wahrgenommen hatte.
Heinrich Hüschens Weg führte zum Wintersemester 1964/1965 in der Nachfolge Prof. Dr. Hans Engels (1894-1970) auf den Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, eine Tätigkeit, die er 1967/1968 mit einer Lehrstuhlvertretung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main verband. Nach der Emeritierung seines Doktorvaters Karl Gustav Fellerer trat er zum Wintersemester 1970/1971 dessen Nachfolge in Köln an und übernahm das damit verbundene Direktorat des Musikwissenschaftlichen Instituts. Daneben war er Lehrbeauftragter in der Schulmusikabteilung der Staatlichen Hochschule für Musik Rheinland. 1983 wurde Hüschen emeritiert, hielt aber noch bis 1986 Vorlesungen und betreute Doktoranden.
Zeit seines Universitätslebens hatte Heinrich Hüschen verschiedene musikwissenschaftlich relevante Aufgaben inne. So war er seit 1955 Mitglied der Musikgeschichtlichen Kommission und seit 1959 deren Beauftragter für die Denkmalreihe „Das Erbe deutscher Musik“. Seit 1959 war er Beauftragter der Musikgeschichtlichen Kommission für das Deutsche Musikgeschichtliche Archiv in Kassel, gehörte 1962-1980 dem Redaktionskomitee der Fachzeitschrift der International Musicological Society „Acta musicologica“ an und 1973-1991 als Beisitzer dem Vorstand des Joseph-Haydn-Instituts Köln.
Primär, aber keineswegs ausschließlich thematisierte er in Forschung und Lehre musiktheoretische und insonderheit die Musikanschauung des Mittelalters und der Renaissance betreffende Aspekte – Aktivitäten, für die er bereits 1968 von der Royal Music Association London mit der Dent Medal ausgezeichnet wurde. Er war einer der frühesten Mitarbeiter an Friedrich Blumes Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, für deren ersten, 1949 erschienenen Band er 13 Beiträge von Alanus ab Insulis bis Bernhard von Clairvaux verfasste. Nicht weniger als 93 weitere Beiträge sollten insgesamt bis zu denen über Johannes van der Elst, Thomas Horner und Willi Kahl im drei Jahrzehnte später publizierten zweiten und letzten Supplementband der genannten Enzyklopädie folgen, in der Summe ergänzt durch mehr als 100 weitere Lexikonartikel.
Zeitlich weit gespannt und umfassend war die thematische Bandbreite der insgesamt 55 von Heinrich Hüschen betreuten, fast ausschließlich in den „Marburger Beiträgen zur Musikforschung“ 1967-1970 und später insbesondere in den „Kölner Beiträgen zur Musikforschung“ publizierten Dissertationen. So konnte denn auch der Titel der opulenten Festschrift nicht prägnanter gewählt sein, die Detlef Altenburg (1947-2016) anlässlich Heinrich Hüschens 65. Geburtstags 1980 herausgab: „Ars musica – musica scientia“. Um Heinrich Hüschen ein Jahrzehnt persönlich später zum 75. Geburtstag zu gratulieren, fand sich eine große Schar von Kollegen, Freunden und einstigen Doktoranden in der Auferstehungskirche zu Bad Oeynhausen ein – zweifelsohne eine ebenso würdige wie von großem Dank und Respekt geprägte Wiederbegegnung. Klaus Wolfgang Niemöller als der dem Jubilar folgende Direktor des Kölner Instituts sprach ein erstes Grußwort, der Bad Oeynhausener Bürgermeister Wilhelm Spilker ein weiteres. Die Festrede hielt Detlef Altenburg, seinerzeit Lehrstuhlinhaber an der Universität Paderborn und der Musikhochschule Detmold.
Heinrich Hüschen starb 20.7.1993 in Bad Oeynhausen, wo er am 28.7.1993 auf dem Neuen Friedhof bestattet wurde.
Schriften (Auswahll)
Der Musiktraktat des Bernhard Bogentantz (1494-1535), Diss., Köln 1943. 106 Artikel in „Musik in Geschichte und Gegenwart“, 1. Ausgabe, 17 Bände, 1949-1986. Das Cantuagium des Heinrich Eger von Kalkar (1328-1408), Köln 1952. Textkonkordanzen im Musikschrifttum des Mittelalters, Habilitationsschrift, Köln 1955 [ungedruckt]. (Hg.) Die Motette, Köln 1974.
Reihen-Herausgeberschaften
Marburger Beiträge zur hessischen Musikgeschichte, 1967-1970. Studien zur hessischen Musikgeschichte, 1969-1979. Kölner Beiträge zur Musikforschung, 1971-1983.
Festschriften
Altenburg, Detlef (Hg.), Ars musica, musica scientia. Festschrift Heinrich Hüschen zum 65. Geburtstag am 2. März 1980 überreicht von Freunden, Kollegen und Schülern, Köln 1980. Dorfmüller, Joachim/Fleinghaus, Helmut, Heinrich Hüschen zum 75. Geburtstag. Eine kleine Festschrift, hg. zur Feierstunde am 2. März 1990 in Bad Oeynhausen, Wuppertal 1990.
Literatur
Altenburg, Detlef, Heinrich Hüschen (1915-1993), in: Die Musikforschung 47/2 (1994), S. 117-118. Heinrich Hüschen, in: Kämper, Dietrich (Hg.), Rheinische Musiker, Folge 6, Köln 1969, S. 87-89 [mit Schriftenverzeichnis, Selbstangaben Heinrich Hüschen]. Niemöller, Klaus Wolfgang, Heinrich Hüschen, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Aufl., Personenteil 9, Kassel [u.a.] 2003, Spalte 554-555 [mit Schriftenverzeichnis].
Online
Hüschen, Heinrich, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/119162229> (Stand: 5.7.2022)
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Dorfmüller, Joachim, Heinrich Hüschen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-hueschen/DE-2086/lido/64a29507ef7081.94203631 (abgerufen am 12.12.2024)