Heinrich Hüschen

Musikwissenschaftler und Hochschullehrer (1915-1993)

Joachim Dorfmüller (Wuppertal)

Heinrich Hüschen in seinem Arbeitszimmer in Marburg 1967, Foto: Joachim Dorfmüller. (Privatbesitz Joachim Dorfmüller)

Hein­rich Hü­s­chen war ein her­aus­ra­gen­der Mu­sik­wis­sen­schaft­ler mit den Haupt­ar­beits­ge­bie­ten Mu­sik­theo­rie und Mu­si­k­an­schau­ung des Mit­tel­al­ters und der Re­nais­sance. Als Pro­fes­sor wirk­te er in Mar­burg und vor al­lem Köln, das seit dem Stu­di­um sei­ne aka­de­mi­sche Hei­mat war.

Ge­bo­ren wur­de Hein­rich Hü­s­chen am 2.3.1915 als Sohn des Reichs­bahn­be­am­ten Diet­rich Hü­s­chen und sei­ner Ehe­frau So­phie im nie­der­rhei­ni­schen Mo­ers. Die Fa­mi­lie war evan­ge­lisch. 1921-1925 be­such­te er Volks­schu­len in Mo­ers und Os­na­brück so­wie ab 1925 das Gym­na­si­um Adol­fi­num in Mo­ers, wo er 1934 die Rei­fe­prü­fung ab­leg­te. Schon als Gym­na­si­ast dem Violin­spiel ver­bun­den, hat­te er zu­nächst das Stu­di­um der Ma­the­ma­tik, der Ge­schich­te und der al­ten Spra­chen ins Au­ge ge­fasst, sich je­doch dann für das der Kir­chen­mu­sik und der Mu­sik­wis­sen­schaft ent­schie­den. Für die Zu­las­sung zum Stu­di­um kam er im Som­mer 1934 der halb­jäh­ri­gen Ar­beits­dienst­pflicht nach und wid­me­te sich gleich­zei­tig in Pri­vat­stu­di­en dem Kla­vier- und Or­gel­spiel so­wie der Mu­sik­theo­rie. Auf die­ser Ba­sis konn­te er sich 1937 an der Hoch­schu­le für Leh­rer­bil­dung in Dort­mund im­ma­tri­ku­lie­ren, wech­sel­te je­doch schon 1938 zum In­sti­tut für Kir­chen­mu­sik der Mu­sik­hoch­schu­le Köln, um auf das staat­li­che A-Ex­amen für Or­ga­nis­ten und Kan­to­ren zu­zu­ge­hen, wel­ches er im Herbst 1940 ab­leg­te. Zum Win­ter­se­mes­ter 1940/1941 ging er an die Mu­sik­hoch­schu­le Ber­lin und be­stand be­reits im Jahr dar­auf die Staat­li­che Prü­fung für das Künst­le­ri­sche Lehr­amt an Gym­na­si­en. An­schlie­ßend kehr­te er an die Uni­ver­si­tät Köln zu­rück, wo er 1943 mit dem The­ma „Der Mu­sik­trak­tat des Bern­hard Bo­gen­tantz (1494-1535)“ bei Karl Gus­tav Fel­le­rer (1902-1984) zum Dr. phil. pro­mo­viert wur­de.

Hein­rich Hü­s­chen hat­te vie­le her­aus­ra­gen­de Leh­rer, so in der Kir­chen­mu­sik Fritz Heit­mann (1891-1953), Wal­ter Rein­dell (1898-1968), Mi­cha­el Schnei­der (1909-1994) und Os­kar Söhn­gen (1900-1983), in der Schul­mu­sik Heinz Mar­ten (1908-1991) und Diet­rich Sto­ve­rock (1900-1976), schlie­ß­lich in der Mu­sik­wis­sen­schaft wäh­rend der Ber­li­ner Jah­re Gott­hold Frot­scher (1897-1967) und Ar­nold Sche­ring (1877-1941) so­wie wäh­rend der Köl­ner Jah­re Ernst Bü­cken (1884-1949) und sei­nen Dok­tor­va­ter Karl Gus­tav Fel­le­rer.  Bis zur Pro­mo­ti­on frei­ge­stellt vom Wehr­dienst, wur­de Hein­rich Hü­s­chen 1943 ein­ge­zo­gen und ge­riet 1945 in fran­zö­si­sche Ge­fan­gen­schaft. 1947 zu­rück­ge­kehrt, er­hielt er 1948 am Mu­sik­wis­sen­schaft­li­chen In­sti­tut der Uni­ver­si­tät Köln ei­ne As­sis­ten­ten­stel­le und be­rei­te­te ne­ben der ihm von Karl Gus­tav Fel­le­rer über­tra­ge­nen Lei­tung des Col­le­gi­um mu­si­cum vo­ca­le et in­stru­men­ta­le sei­ne Ha­bi­li­ta­ti­on vor, die er 1955 mit der Ar­beit „Text­kon­kor­d­an­zen im Mu­sik­schrift­tum des Mit­tel­al­ter­s“ ab­schloss. Bis 1957 war es für ihn ein höchst in­ten­si­ves und pro­duk­ti­ves Jahr­zehnt, zu­mal er Se­mes­ter für Se­mes­ter mit Chor, Or­ches­ter und So­lis­ten ein gro­ßes Kan­ta­ten-, Kon­zert- und Ora­to­ri­en­re­per­toire zu er­ar­bei­ten hat­te, er­schwert in­so­fern, als No­ten­ma­te­ri­al oft ge­nug nur un­voll­stän­dig oder auch gar nicht er­hält­lich war, dar­über hin­aus häu­fig Chor- und In­stru­men­tal­stim­men zu­sam­men mit dem Bi­blio­the­kar Leon­hard Ehl­götz hand­schrift­lich aus den Par­ti­tu­ren er­stellt wer­den muss­ten. 

Be­reits wäh­rend der Köl­ner Stu­di­en­jah­re hat­te Hein­rich Hü­s­chen die Lehr­amtskan­di­da­tin Wal­di­ne Ro­se­mey­er aus Bad Oeyn­hau­sen ken­nen­ge­lernt. Nach der Ehe­schlie­ßung 1944 und ab­schlie­ßen­den Stu­di­en an der Ge­org-Au­gust-Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen war sie ins Bad Oeyn­hau­se­ner El­tern­haus zu­rück­ge­kehrt. Hier fand Hein­rich Hü­s­chen nun sei­ne zwei­te Hei­mat, hier wur­de 1949 auch Sohn Klaus Die­ter ge­bo­ren (ge­stor­ben 2016). Frau Hü­s­chen wur­de Leh­re­rin am Im­ma­nu­el-Kant-Gym­na­si­um für die Fä­cher Mu­sik, Na­del­ar­beit (Kunst) und Eng­lisch, vor­wie­gend je­doch für Mu­sik, zu­letzt als Stu­di­en­di­rek­to­rin. Sohn Klaus trat in­des­sen in die Fuß­stap­fen des Va­ters, stu­dier­te Mu­sik­päd­ago­gik, Mu­sik­wis­sen­schaft und Geo­gra­phie in Ber­lin, an­schlie­ßend an der Uni­ver­si­tät Köln, dort ins­be­son­de­re bei den Pro­fes­so­ren Klaus Wolf­gang Nie­m­öl­ler (ge­bo­ren 1929) und Diet­rich Käm­per. (ge­bo­ren 1936). In Köln schloss er sei­ne Dis­ser­ta­ti­on „Stu­di­en zum Mo­tet­ten­schaf­fen Ernst Pep­ping­s“, sei­nes ers­ten Theo­rie­leh­rers wäh­rend der Ber­li­ner Jah­re, ab. Nach der Pen­sio­nie­rung der Mut­ter trat er an de­ren Stel­le als Mu­sik-, Erd­kun­de-, Ge­schichts- und spä­ter auch In­for­ma­tik­leh­rer, wur­de je­doch wie sei­ne Mut­ter vor­wie­gend im Fach Mu­sik ein­ge­setzt. Im Hau­se Hü­s­chen wur­de Mu­sik stets in­ten­siv ge­pflegt: Der Va­ter spiel­te Cem­ba­lo, die Mut­ter wid­me­te sich dem Ge­sang und dem Vio­lon­cel­lo, der Sohn mu­si­zier­te als Pia­nist und Gei­ger mit – ein hoch­mu­si­ka­li­sches Haus, in das der Va­ter jahr­zehn­te­lang an den Wo­chen­en­den zur „Re­crea­ti­on des Ge­müths“ zu­rück­kehr­te, wie er im Sin­ne Bachs wohl ge­sagt ha­ben dürf­te. „Ei­ne schö­ne Zeit“ – so das dank­ba­re Re­sü­mee des Soh­nes. 

Hein­rich Hü­s­chen hielt am 13.7.1956 sei­ne An­tritts­vor­le­sung zum The­ma „Der Har­mo­nie­be­griff in sei­ner Ent­wick­lun­g“ und er­warb da­mit die ve­nia le­gen­di, um als Pri­vat­do­zent pro­fes­so­ra­le Wür­den an­zu­stre­ben. Das ge­lang 1961 mit der Er­nen­nung au­ßer­plan­mä­ßi­gen Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Köln, nach­dem er be­reits 1957/1958 ei­ne Lehr­stuhl­ver­tre­tung in Hei­del­berg wahr­ge­nom­men hat­te. 

Hein­rich Hü­s­chens Weg führ­te zum Win­ter­se­mes­ter 1964/1965 in der Nach­fol­ge Prof. Dr. Hans En­gels (1894-1970) auf den Lehr­stuhl für Mu­sik­wis­sen­schaft an der Phil­ipps-Uni­ver­si­tät Mar­burg, ei­ne Tä­tig­keit, die er 1967/1968 mit ei­ner Lehr­stuhl­ver­tre­tung an der Goe­the-Uni­ver­si­tät Frank­furt am Main ver­band. Nach der Eme­ri­tie­rung sei­nes Dok­tor­va­ters Karl Gus­tav Fel­le­rer trat er zum Win­ter­se­mes­ter 1970/1971 des­sen Nach­fol­ge in Köln an und über­nahm das da­mit ver­bun­de­ne Di­rek­to­rat des Mu­sik­wis­sen­schaft­li­chen In­sti­tuts. Da­ne­ben war er Lehr­be­auf­trag­ter in der Schul­mu­sik­ab­tei­lung der Staat­li­chen Hoch­schu­le für Mu­sik Rhein­land. 1983 wur­de Hü­s­chen eme­ri­tiert, hielt aber noch bis 1986 Vor­le­sun­gen und be­treu­te Dok­to­ran­den. 

Zeit sei­nes Uni­ver­si­täts­le­bens hat­te Hein­rich Hü­s­chen ver­schie­de­ne mu­sik­wis­sen­schaft­lich re­le­van­te Auf­ga­ben in­ne. So war er seit 1955 Mit­glied der Mu­sik­ge­schicht­li­chen Kom­mis­si­on und seit 1959 de­ren Be­auf­trag­ter für die Denk­mal­rei­he „Das Er­be deut­scher Mu­si­k“. Seit 1959 war er Be­auf­trag­ter der Mu­sik­ge­schicht­li­chen Kom­mis­si­on für das Deut­sche Mu­sik­ge­schicht­li­che Ar­chiv in Kas­sel, ge­hör­te 1962-1980 dem Re­dak­ti­ons­ko­mi­tee der Fach­zeit­schrift der In­ter­na­tio­nal Mu­si­co­lo­gi­cal So­cie­ty „Ac­ta mu­si­co­lo­gi­ca“ an und 1973-1991 als Bei­sit­zer dem Vor­stand des Jo­seph-Haydn-In­sti­tuts Köln.  

Pri­mär, aber kei­nes­wegs aus­schlie­ß­lich the­ma­ti­sier­te er in For­schung und Leh­re mu­sik­theo­re­ti­sche und in­son­der­heit die Mu­si­k­an­schau­ung des Mit­tel­al­ters und der Re­nais­sance be­tref­fen­de As­pek­te – Ak­ti­vi­tä­ten, für die er be­reits 1968 von der Roy­al Mu­sic As­so­cia­ti­on Lon­don mit der Dent Me­dal aus­ge­zeich­net wur­de. Er war ei­ner der frü­hes­ten Mit­ar­bei­ter an Fried­rich Blu­mes En­zy­klo­pä­die „Die Mu­sik in Ge­schich­te und Ge­gen­war­t“, für de­ren ers­ten, 1949 er­schie­ne­nen Band er 13 Bei­trä­ge von Ala­nus ab In­su­lis bis Bern­hard von Clairvaux ver­fass­te. Nicht we­ni­ger als 93 wei­te­re Bei­trä­ge soll­ten ins­ge­samt bis zu de­nen über Jo­han­nes van der Elst, Tho­mas Hor­ner und Wil­li Kahl im drei Jahr­zehn­te spä­ter pu­bli­zier­ten zwei­ten und letz­ten Sup­ple­ment­band der ge­nann­ten En­zy­klo­pä­die fol­gen, in der Sum­me er­gänzt durch mehr als 100 wei­te­re Le­xi­kon­ar­ti­kel.

Zeit­lich weit ge­spannt und um­fas­send war die the­ma­ti­sche Band­brei­te der ins­ge­samt 55 von Hein­rich Hü­s­chen be­treu­ten, fast aus­schlie­ß­lich in den „Mar­bur­ger Bei­trä­gen zur Mu­sik­for­schun­g“ 1967-1970 und spä­ter ins­be­son­de­re in den „Köl­ner Bei­trä­gen zur Mu­sik­for­schun­g“ pu­bli­zier­ten Dis­ser­ta­tio­nen. So konn­te denn auch der Ti­tel der opu­len­ten Fest­schrift nicht prä­gnan­ter ge­wählt sein, die Det­lef Al­ten­burg (1947-2016) an­läss­lich Hein­rich Hü­s­chens 65. Ge­burts­tags 1980 her­aus­gab: „Ars mu­si­ca – mu­si­ca sci­en­ti­a“. Um Hein­rich Hü­s­chen ein Jahr­zehnt per­sön­lich spä­ter zum 75. Ge­burts­tag zu gra­tu­lie­ren, fand sich ei­ne gro­ße Schar von Kol­le­gen, Freun­den und eins­ti­gen Dok­to­ran­den in der Auf­er­ste­hungs­kir­che zu Bad Oeyn­hau­sen ein – zwei­fels­oh­ne ei­ne eben­so wür­di­ge wie von gro­ßem Dank und Re­spekt ge­präg­te Wie­der­be­geg­nung. Klaus Wolf­gang Nie­m­öl­ler als der dem Ju­bi­lar fol­gen­de Di­rek­tor des Köl­ner In­sti­tuts sprach ein ers­tes Gruß­wort, der Bad Oeyn­hau­se­ner Bür­ger­meis­ter Wil­helm Spil­ker ein wei­te­res. Die Fest­re­de hielt Det­lef Al­ten­burg, sei­ner­zeit Lehr­stuhl­in­ha­ber an der Uni­ver­si­tät Pa­der­born und der Mu­sik­hoch­schu­le Det­mold.  

Hein­rich Hü­s­chen starb 20.7.1993 in Bad Oeyn­hau­sen, wo er am 28.7.1993 auf dem Neu­en Fried­hof be­stat­tet wur­de.

Schriften (Auswahll)

Der Mu­sik­trak­tat des Bern­hard Bo­gen­tantz (1494-1535), Diss., Köln 1943. 106 Ar­ti­kel in „Mu­sik in Ge­schich­te und Ge­gen­war­t“, 1. Aus­ga­be, 17 Bän­de, 1949-1986. Das Can­tua­gi­um des Hein­rich Eger von Kal­kar (1328-1408), Köln 1952. Text­kon­kor­d­an­zen im Mu­sik­schrift­tum des Mit­tel­al­ters, Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift, Köln 1955 [un­ge­druckt]. (Hg.) Die Mo­tet­te, Köln 1974.

Reihen-Herausgeberschaften

Mar­bur­ger Bei­trä­ge zur hes­si­schen Mu­sik­ge­schich­te, 1967-1970. Stu­di­en zur hes­si­schen Mu­sik­ge­schich­te, 1969-1979. Köl­ner Bei­trä­ge zur Mu­sik­for­schung, 1971-1983.

Festschriften

Al­ten­burg, Det­lef (Hg.), Ars mu­si­ca, mu­si­ca sci­en­tia. Fest­schrift Hein­rich Hü­s­chen zum 65. Ge­burts­tag am 2. März 1980 über­reicht von Freun­den, Kol­le­gen und Schü­lern, Köln 1980. Dorf­mül­ler, Joa­chim/Flein­ghaus, Hel­mut, Hein­rich Hü­s­chen zum 75. Ge­burts­tag. Ei­ne klei­ne Fest­schrift, hg. zur Fei­er­stun­de am 2. März 1990 in Bad Oeyn­hau­sen, Wup­per­tal 1990.

Literatur

Al­ten­burg, Det­lef, Hein­rich Hü­s­chen (1915-1993), in: Die Mu­sik­for­schung 47/2 (1994), S. 117-118. Hein­rich Hü­s­chen, in: Käm­per, Diet­rich (Hg.), Rhei­ni­sche Mu­si­ker, Fol­ge 6, Köln 1969, S. 87-89 [mit Schrif­ten­ver­zeich­nis, Selbstan­ga­ben Hein­rich Hü­s­chen]. Nie­m­öl­ler, Klaus Wolf­gang, Hein­rich Hü­s­chen, in: Die Mu­sik in Ge­schich­te und Ge­gen­wart, 2., neu­be­arb. Aufl., Per­so­nen­teil 9, Kas­sel [u.a.] 2003, Spal­te 554-555 [mit Schrif­ten­ver­zeich­nis].

Online

Hü­s­chen, Hein­rich, in: Hes­si­sche Bio­gra­fie <https://www.la­gis-hes­sen.de/pnd/119162229> (Stand: 5.7.2022)

 
Zitationshinweis

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Dorfmüller, Joachim, Heinrich Hüschen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-hueschen/DE-2086/lido/64a29507ef7081.94203631 (abgerufen am 12.12.2024)