Zu den Kapiteln
Maria Kunigunde von Sachsen, die den größten Teil ihres Lebens einflussreich an der Seite ihres Bruders Clemens Wenzeslaus, des letzten Kurfürsten und Erzbischofs von Trier, am Hof zu Koblenz verbrachte, war die letzte Fürstäbtissin des Reichsstiftes Essen vor dessen Säkularisation.
Maria Kunigunde (Spitzname Cucu) wurde als jüngstes der 14 Kinder des Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen als August III. auch König von Polen (Regierungszeit 1744-1763), und dessen Gemahlin Maria Josepha (1699–1757), Tochter Kaiser Josephs I. (Regierungszeit 1690-1711), Erzherzogin von Österreich, am 10.11.1740 in Warschau geboren. Über ihren Vater war Maria Kunigunde Prinzessin von Polen, Litauen und Sachsen. Durch die Ehemänner ihrer Schwestern sowie die weitere Verwandtschaft ihrer Eltern hatte sie Anteil am europäischen Hochadel: Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) war eine Cousine ihrer Mutter, König Karl III. von Spanien (1716-1788) und Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern (1727-1777) ihre Schwäger, der spätere König Ludwig XVI. von Frankreich (Regierungszeit 1774-1792, gestorben 1793) ihr Neffe, ihre Nichte Maria Ludovica (1745-1792) die spätere Ehefrau Kaiser Leopolds II. (1747-1792). Ein besonders inniges Verhältnis hatte Maria Kunigunde zu ihrem nur ein Jahr älteren Bruder Clemens Wenzeslaus, dem letzten Kurfürsten und Erzbischof von Trier. Gleich diesem wie auch den übrigen Geschwistern wurde Maria Kunigunde umfassend in Sprachen (außer in Latein und Polnisch insbesondere in Französisch und Italienisch), daneben in Philosophie, Geographie, Religion, Musik und Tanz unterrichtet.
Ganz im Stil der Zeit und des Adels versuchten Kurfürst Friedrich August und seine Gemahlin, ihre jüngste Tochter Maria Kunigunde wirtschaftlich und politisch gewinnbringend zu vermählen. Als Prätendent bot sich 1764 Erzherzog Joseph von Österreich (1741-1790) an, der Sohn Maria Theresias und spätere Kaiser Joseph II. (seit 1765), der nach dem Tod seiner ersten Frau, Isabella von Parma (1741-1763), auf Brautschau unterwegs war. Das arrangierte, entscheidende Treffen zwischen Maria Kunigunde und Joseph in Bad Teplitz im Oktober 1764 verlief jedoch extrem ungünstig, da Maria Kunigunde entweder aus Schüchternheit oder aber, weil sie sich möglicherweise nicht für den Bewerber interessierte, kein Wort sagte. Unverrichteter Dinge reiste der Erzherzog wieder ab und zeigte seinerseits keinerlei Interesse mehr an einer möglichen Heirat. Da sich diese Begebenheit, die eigentlich geheim gehalten werden sollte, an den Fürstenhöfen herumsprach, war Maria Kunigunde brüskiert und ihr Ansehen als heiratswillige gute Partie ruiniert.
Nach dem gescheiterten Heiratsprojekt mit Erzherzog Joseph schrieb ihr Bruder Clemens Wenzeslaus ihr als Bischof von Freising 1764 im Scherz, ihr vielleicht einmal eine Stelle als Pfarrköchin verschaffen zu können. Nachdem Clemens Wenzeslaus 1768 Kurfürst und Erzbischof von Trier geworden war, sollten die beiden Geschwister tatsächlich zusammenfinden, denn aus einem Besuch bei ihrem Bruder in Ehrenbreitstein (heute Stadt Koblenz) im Jahr 1769 wurde ein 25-jähriger Aufenthalt. Ganz offensichtlich gefiel es Maria Kunigunde am Rhein und am Hofe ihres Bruders sehr gut. Dort offenbarte sich ihr von starkem Durchsetzungsvermögen geprägter, selbstbewusster Charakter, so dass sie gewissermaßen als „Kurfürstin“ angesehen wurde. Es gab kaum ein Ereignis, an dem sie keinen Anteil nahm. Bei der Einweihung des neuen Schlosses 1786 in Koblenz fuhr Clemens Wenzeslaus zusammen mit Maria Kunigunde in seinem von sechs Pferden gezogenen Staatswagen vor. Beim anschließenden Festmahl wurde Maria Kunigunde vom vornehmsten Gast, dem Kölner Erzbischof und Kurfürsten Maximilian Franz, zur Tafel geführt. Den Sommer verbrachte sie zusammen mit ihrem Bruder auf dem nahe gelegenen Schloss zu Kärlich (heute Stadt Mülheim-Kärlich). Auch begleitete sie ihren Bruder bei dessen Reisen (Überall ist Ihro Königliche Hoheit, die Prinzessin Cunegunde, mit dabei). Sie ritt leidenschaftlich gerne und beteiligte sich an Schießübungen, wurde 1770 gar Schützenkönigin von Ehrenbreitstein. Regen Anteil nahm sie an Bällen, Theateraufführungen und Konzerten, trug nicht selten auch selbst Musikstücke (Gesang und Klavier) vor, tanzte gerne und beschäftigte sich mit Malerei. Darüber hinaus stand sie in Beziehung zu Sophie von La Roche und deren literarischem Salon in Ehrenbreitstein.
Kaiserin Maria Theresia war nach dem gescheiterten Heiratsvorhaben und dem Verhalten ihres Sohnes die für Maria Kunigunde damit verbundene peinliche Situation bewusst. Sie war daher bestrebt, die sächsische Prinzessin in angemessener Form zu entschädigen. Das Vorhaben, sie als Koadjutorin ****im adligen Damenstift in Prag einzusetzen, scheiterte daran, dass das Stift nicht reichsunmittelbar und daher aus der Sicht von Kunigundes Familie unstandesgemäß war. Der anschließende Versuch, Kunigunde als Koadjutorin im gefürsteten Stift Münsterbilsen (bei Maastricht) unterzubringen, war nicht durchführbar, weil die geforderte Ahnenprobe nicht vorgelegt werden konnte. So trat Kunigunde 1768 zwar als Stiftsdame in Münsterbilsen ein, vermochte jedoch die gewünschte Wahl zur Koadjutorin nicht wieder aufzugreifen.
Als wesentlich erfolgreicher bot sich bald aber die Regentschaft als Fürstäbtissin des Reichsstifts Essen (das vornehmste im römischen Reich), personell und wirtschaftlich verbunden mit dem Stift Thorn an der Maas, an. Maria Theresia war bereit, die Finanzierung zum Erhalt der erforderlichen Wählerstimmen verdeckt zu übernehmen, obwohl sich Maria Kunigunde weigerte, hierin einer Meinung mit ihrem Bruder, irgendwelche unerlaubten Mittel zur Erlangung der Äbtissinnenwürde zu ergreifen. Doch ihre Bedenken wurden – möglicherweise nach Intervention von Sophie von La Roche – zerstreut. Nach Zahlung nicht unerheblicher Bestechungsgelder wählte man Maria Kunigunde 1775 zunächst zur Koadjutorin der regierenden Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach und 1776 einstimmig zur Äbtissin. Gemeinsam mit ihrem Bruder Clemens Wenzeslaus nahm Maria Kunigunde aber erst 1777 in Essen die Huldigungen entgegen. Als reichsunmittelbare Fürstäbtissin war sie nun Landesherrin und hatte Sitz und Stimme im Reichstag, somit alle Rechte und Pflichten einer Reichsfürstin. Allerdings wurde von ihr keine ständige Präsenz in Essen und Thorn verlangt, demzufolge Maria Kunigunde sich dort auch nur sehr selten aufhielt, vielmehr zum ganz überwiegenden Teil in Koblenz bei ihrem Bruder blieb, dem sie offenbar sehr zugetan war und im Scherz sogar mon mari nannte. Dank beträchtlicher jährlicher Einnahmen in ihrem Essener Stift besserte sich Maria Kunigundes finanzielle Lage sehr. Trotz ihrer wenigen Aufenthalte in Essen kümmerte sie sich intensiv um die Belange des Stifts. Tatkräftig unterstützte sie die Eisenindustrie in der Essener Gegend, erwarb die Eisenhütten Neu-Essen und St. Antony (heute Stadt Oberhausen) sowie Anteile an der Hütte Gute Hoffnung, ließ auf eigene Kosten eine Straße nach Wesel bauen. Sie nahm eine Neuorganisation des Justizwesens vor, erwirkte ein päpstliches Breve zur Reduzierung der Feiertage und ging mittels Gesetzen unter anderem gegen Genusssucht (Besteuerung von Kaffee) vor, um so zur Sparsamkeit zu erziehen.
Außerdem kümmerte sie sich um die Gesundheitsfürsorge und um die Verbesserung des Schulwesens. 1784 setzte sie ein besonderes Unterrichtsministerium ein (Schulkommission), das die Prüfung und Anstellung von Lehrern, die Förderung der Weiterbildung sowie die Inspektion der Schulen durchführen sollte; ferner wurden die Gehälter der Lehrer verbessert.
Indessen weist die Art der Maßnahmen auf analoge Vorgänge im Kurfürstentum Trier hin, die Clemens Wenzeslaus dort umgesetzt hat. Maria Kunigunde ließ sich dementsprechend bei ihrer Regentschaft im Stift stark von ihrem Bruder inspirieren. Trotz Kunigundes Engagement gab es ständigen Ärger zwischen der Äbtissin und der Stadt Essen, die im Rahmen der eingeleiteten Maßnahmen stets ihr Selbstverwaltungsrecht gegenüber dem Stift zu behaupten versuchte. Auch sonst wurde heftig Stimmung gegen die Äbtissin gemacht, die ihrerseits allerdings auch keine Anstrengungen zur Entspannung unternahm, selbst das Stiftskapitel (Landstände) bei wichtigen Fragen nicht zu Rate zog, so dass sich die Situation in Essen immer mehr zuspitzte.
Mit dem Stiftskapitel kam es 1786 zum Streit über die Jagd- und Forstordnung, der 1791 in einen von beiden Seiten erbittert ausgetragenen Prozess vor dem Reichskammergericht mündete und zum so genannten Landesgrundvergleich von 1794 führte, der ersten schriftlichen Verfassung des Stifts, in der Machtbefugnisse der Fürstin und Mitbestimmungsrechte der Landstände geregelt wurden. Seit 1792 jedoch hat sich Maria Kunigunde nicht mehr in Essen aufgehalten, und das Stiftskapitel hatte nicht ganz unrecht, wenn es erklärte, dass die Abwesenheit der Fürstin dem Lande sehr nachteilig sei und bei höchstdero Anwesenheit sehr vielen Übeln gesteuert werden könnte. Gleichwohl war der Fürstäbtissin 1803 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (Regentschaft 1797-1840) die weitere Zahlung ihrer nicht geringen Einkünfte bis zum Lebensende vertraglich zugebilligt worden. Im Rahmen der Aufhebungsverhandlungen des Stiftes infolge der Säkularisation hatte Kunigunde den für sie günstigen Abfindungsvertrag erwirken können.
Als die Verhältnisse im Kurfürstentum Trier und besonders in Koblenz für Erzbischof Clemens Wenzeslaus infolge der nahenden französischen Revolutionstruppen zu Beginn der 1790er Jahre immer prekärer wurden und er sich zur endgültigen Flucht im Oktober 1794 entschloss, folgte ihm seine Schwester Maria Kunigunde nach Augsburg, dessen Bistum Clemens Wenzeslaus seit 1768 als Fürstbischof neben Trier leitete. Dort und im von beiden sehr geschätzten Marktoberdorf blieb Maria Kunigunde an der Seite ihres Bruders bis zu dessen Tod am 27.7.1812. Anschließend zog sie zunächst auf Schloss Neuburg an der Donau zu ihrer Nichte Maria Amalia von Pfalz-Zweibrücken (1757-1813). Schließlich kehrte sie nach Dresden zurück, wo sie bei ihrem Neffen, Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen (1750-1827), lebte und am 8.4.1826 verstarb. Sie wurde in der neuen Gruft der Dresdner Hofkirche beigesetzt.
Literatur
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Kramp, Mario, „Prinzess, Ihr haltet kein Takt!“ Kunigunde von Sachsen am Koblenzer Hof, in: Ein letzter Glanz. Die Koblenzer Residenz des Kurfürsten. Zum 200. Todesjahr des Hofmalers Heinrich Foelix (1732-1803), hg. von Mario Kramp, Koblenz 2003, S. 28-35.
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Küppers-Braun, Ute, Ihr Schmuckkasten war ein tragbarer Friedhof. Anmerkungen zum Testament der letzten Essener Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Sachsen, in: Das Münster am Hellweg 56 (2003), S. 129-142.
Küppers-Braun, Ute, Macht in Frauenhand. 1000 Jahre Herrschaft adeliger Frauen in Essen. Essen 2002.
Pothmann, Alfred, Die Äbtissinnen des Essener Stiftes, in: Das Münster am Hellweg 40 (1987), S. 5-10.
Puppel, Pauline, „Mon mari“ – „Ma chère femme“. Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen und Erzbischof Clemens Wenzeslaus von Trier, in: Koblenzer Beiträge zu Geschichte und Kultur N.F. 15/16 (2008), S. 43-66.
Schröder, Ferdinand, Maria Kunigunde von Sachsen. Letzte Aebtissin von Essen, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 29 (1907), S. 1-47.
Zenz, Emil, Maria Kunigunde, die Schwester des letzten Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Sachsen, in: Kreis Trier-Saarburg 1987, 1988, S. 166-171.
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Krümmel, Achim, Maria Kunigunde von Sachsen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maria-kunigunde-von-sachsen/DE-2086/lido/57c947dcbef9a7.64837887 (abgerufen am 18.09.2024)