1609 bis 1794 - Vom jülisch-klevischen Erbfolgestreit bis zum Ende des Ancien Regime
Zu den Kapiteln
1. Politische Geschichte vom jülich-klevischen Erbfolgestreit bis zum Ende des Spanischen Erbfolgkrieges (1609-1715)
1.1 Die Auseinandersetzungen um die Erbfolge in den jülich-klevischen Landen
Der kinderlose Tod Herzog Johann Wilhelms von Jülich-Kleve-Berg (Regentschaft 1592-1609) am 25.3.1609 löste einen Streit um sein Erbe aus, in dem machtpolitische, konfessionelle und dynastische Interessen der führenden europäischen Staaten aufeinander stießen. Während der Kaiser eine Schiedsrichterrolle beanspruchte und die Festung Jülich besetzen ließ, setzten sich die lutherischen Fürsten Johann Sigismund von Brandenburg (Regentschaft 1608-1619) und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, ohne eine rechtliche Entscheidung abzuwarten, in den Besitz der Territorien. Im Vertrag von Dortmund (10.6.1609) verständigten sich die „Possedierenden“ auf eine gemeinsame Verwaltung der Vereinigten Herzogtümer, nachdem sie den Ständen ihre Privilegien und den konfessionellen Status quo zugesichert hatten. Sie fanden Unterstützung bei König Heinrich IV. von Frankreich (Regentschaft 1589-1610) und den Generalstaaten, die ein habsburgisches Übergewicht am Niederrhein nicht dulden wollten. Den Ausbruch eines Krieges verhinderte die Ermordung Heinrichs IV. (1610).
Zunehmende Spannungen zwischen den Possedierenden ließen sie Unterstützung in den rivalisierenden konfessionellen Lagern suchen. 1613 trat Wolfgang Wilhelm zur katholischen Kirche über, Johann Sigismund nahm das reformierte Bekenntnis an. Die allgemeine Scheu vor einem Krieg führte jedoch am 12.11.1614 zu dem von England, Frankreich und den Generalstaaten vermittelten Vertrag von Xanten, der die Verwaltung der Herzogtümer aufteilte: Brandenburg erhielt Kleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein, Pfalz-Neuburg Jülich und Berg. Die Abmachung sorgte dafür, dass die politische Struktur des Rheinlands von mittleren und kleineren Territorien geprägt blieb.
1.2 Das Rheinland im Dreißigjährigen Krieg
Keines dieser Länder hat in dem schon seit 1648 so bezeichneten Dreißigjährigen Krieg eine aktive Rolle gespielt. Von seinen Auswirkungen wurde das Rheinland zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Maße betroffen. Noch bevor der 1609 abgeschlossene zwölfjährige Waffenstillstand zwischen Spanien und den Generalstaaten 1621 ausgelaufen war, waren Truppen der Kriegsparteien in die niederrheinischen Lande eingedrungen. 1614 setzten sich die Spanier in Wesel und die Generalstaaten in Emmerich und Rees fest. Die Spanier nahmen 1622 die von den Holländern besetzte Festung Jülich ein, die Generalstaaten vertrieben die Spanier 1629 aus Wesel. Obwohl Pfalz-Neuburg und Kurköln zwischen den Konfliktparteien neutral zu bleiben suchten, vermochten sie ihre Lande nicht wirksam vor Truppendurchzügen, Einquartierungen und Kontributionserpressungen zu schützen.
1632 besetzten dann Schweden und kaiserliche Truppen Teile von Berg und Kurköln und drangsalierten vor allem die ländliche Bevölkerung. Deren Leiden erreichte seinen Höhepunkt im so genannten Hessenkrieg. 1641 rückte ein Heer der mit Frankreich und Schweden verbündeten Landgräfin Amalie von Hessen-Kassel (1602-1651) zur Bekämpfung der Kaiserlichen an den Niederrhein. Es zog vom Herzogtum Kleve über Berg in das Kurfürstentum Köln, wo es am 17.1.1642 bei Kempen seine Gegner besiegte.
Einigermaßen sicher blieb im Dreißigjährigen Krieg nur die Reichsstadt Köln. Ihr Glaube legte eigentlich den Anschluss an die katholische Seite nahe, ihre Handelsinteressen verboten jedoch eine offene Parteinahme gegen die Generalstaaten. Meist gelang ihr die Bewahrung einer bewaffneten Neutralität. So konnte sie zahlreichen Flüchtlingen aus allen Ständen Zuflucht bieten.
Zwischen die Fronten der Kriegsparteien geriet auch das Kurfürstentum Trier unter der Regierung Philipp Christoph von Söterns. Hatte er zunächst die spanische Offensive gegen die Kurpfalz begrüßt, wandte er sich seit 1627 erbittert von den seine Interessen missachtenden Habsburgern ab und Frankreich zu. 1632 schloss er mit diesem und Schweden Schutz- und Neutralitätsverträge, in denen er die Aufnahme französischer Garnisonen in seine Festungen Ehrenbreitstein und Philippsburg zugestand. Im Jahr nach der schwedischen Niederlage bei Nördlingen (1634) nahmen die Spanier die Stadt Trier ein; Sötern musste für fast zehn Jahre in kaiserlichem Gewahrsam bleiben. Kriegsbedingte hohe Steuerforderungen der Fürsten an ihre Untertanen, aber auch das autoritäre Verhalten des Kurfürsten von Trier und Herzog Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg führten zu Konflikten mit ihren Landständen, ohne allerdings deren Stellung in der Territorialverfassung zu erschüttern.
1.3 Das Rheinland im Spannungsfeld des französisch-habsburgischen Gegensatzes (1648-1715)
Der Westfälische Frieden 1648 führte nicht zu territorialen Veränderungen im Rheinland. Er unterstrich aber durch die Anerkennung des Kriegs- und Bündnisrechts der Reichsstände deren außenpolitische Handlungsfreiheit. Die Festlegung des kirchlichen Besitzstands auf das Jahr 1624 sicherte die Existenz konfessioneller Minderheiten. Der bis 1659 andauernde Kriegszustand zwischen Spanien und Frankreich zog das Rheinland weiterhin in seinen Bann. So blieben Städte und Festungen von fremden Truppen besetzt. Aus Jülich zogen die Spanier erst 1660 ab; die Generalstaaten mussten die von ihnen besetzten niederrheinischen Plätze erst 1672 räumen. Die Bevölkerung litt vor allem unter der Soldateska des in spanischen Diensten stehenden Herzogs Karl von Lothringen (1604-1675).
Seit 1651 versuchten rheinische Fürsten, den Frieden durch die Bildung von Unionen oder Assoziationen zu sichern. Aus der 1654 zwischen Kurköln, Kurtrier, Münster und Pfalz-Neuburg vereinbarten „Rheinischen Allianz“ ging der später so bezeichnete Rheinbund hervor, an dessen Spitze sich der Mainzer Kurfürst Johann Philipp von Schönborn (Episkopat 1647-1673) setzte. Da seine Initiatoren sich vor allem durch die Habsburger bedroht glaubten, suchten sie 1658 Anlehnung an Frankreich als Garanten des Westfälischen Friedens. Der Angriff Ludwigs XIV. (Regentschaft 1643-1715) auf die Spanischen Niederlande im Jahre 1667 leitete jedoch eine politische Neuorientierung im Rheinland ein. 1668 wurde der auf zehn Jahre abgeschlossene Rheinbund nicht erneuert. Die französische Aggression gegen Holland führte zum Anschluss auch rheinischer Fürsten, des Kurfürsten von Trier und Philipp Wilhelms von Pfalz-Neuburg (Regentschaft 1653-1690), an den Kaiser. Der 1679 in Nimwegen abgeschlossene Frieden stellte den Vorkriegszustand am Rhein wieder her. Für die Zerstörungen und die der Bevölkerung auferlegten Kontributionen gab es keine Entschädigung.
Von der 1680 einsetzenden Reunionspolitik, das heißt der Annexion lehnrechtlich von Frankreich abhängiger Gebiete, war auch das Kurfürstentum Trier betroffen, dessen Hauptstadt gewaltsam entfestigt wurde. Eine schwere Leidenszeit für das Rheinland begann mit dem 1688 ausbrechenden Krieg um die Nachfolge auf dem Kölner Erzstuhl und das pfälzische Erbe, das 1685 die in Düsseldorf residierenden Pfalz-Neuburger angetreten hatten. Die französische Politik der verbrannten Erde führte 1689 zur Zerstörung zahlreicher Städte und Schlösser. Die Stadt und das Oberstift Trier blieben bis 1698 in französischer Hand. Die von Truppen Ludwigs XIV. besetzten Plätze Bonn und Kaiserswerth wurden bei der Rückeroberung durch seine Gegner weitgehend zerstört. Der 1697 in Rijswijk geschlossene Frieden, der dem Hegemoniestreben des Sonnenkönigs Einhalt gebot, brachte für das Rheinland keine grundlegenden Veränderungen.
Im 1701 ausbrechenden Spanischen Erbfolgekrieg hatte die Bevölkerung erneut unter Kampfhandlungen, Einquartierungen und Kontributionen zu leiden. Der Anschluss des Kölner Kurfürsten Joseph Clemens an Ludwig XIV. öffnete diesem die Festungen des Kurstaates. 1702 musste Kaiserswerth von Truppen des fest an der Seite seines kaiserlichen Schwagers stehenden Johann Wilhelms von der Pfalz und Brandenburgs, 1703 Bonn von den Holländern erobert werden. Schwerer traf der Krieg Trier und das Oberstift, die nur zeitweise von den 1702 wieder eingedrungenen Franzosen befreit werden konnten. Über den 1714 abgeschlossenen Frieden war vor allem Kurfürst Johann Wilhelm erbittert. Auf die 1708 wieder gewonnene fünfte Kurwürde und die Oberpfalz, die ihm nach der Ächtung der mit dem Sonnenkönig verbündeten Wittelsbacher Joseph Clemens und Max Emanuel (Regentschaft 1662-1726) zugefallen waren, musste er ebenso verzichten wie auf die ersehnte Königswürde. Territoriale Verbesserungen von einiger Bedeutung erreichte nur sein brandenburgischer Rivale. Diesem sprach der schon 1713 zwischen Frankreich und den Seemächten abgeschlossene Frieden von Utrecht einen Teil des Oberquartiers Geldern aus der Erbschaft Wilhelms von Oranien (1650-1702) zu, aus der er 1702 bereits die 1707 zum Fürstentum erhobene Grafschaft Moers an sich genommen hatte.
1.4 Fürsten und Stände
Ob man die Jahrzehnte zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Ausbruch der Französischen Revolution als Zeitalter des Absolutismus bezeichnen kann, in dem die Fürsten sich zu unumschränkten Herrschern aufzuschwingen vermochten, wird in der neueren Forschung zunehmend bezweifelt. Denn in keinem rheinischen Territorium wurden ständische Institutionen und Privilegien völlig beseitigt. Dies gilt gerade auch für das brandenburgische Kleve. Zwar konnte Kurfürst Friedrich Wilhelm die Stände in Landtagsrezessen von 1660/ 1661 zwingen, auf Mitwirkung in militärischen und außenpolitischen Angelegenheiten zu verzichten, ihr Steuerbewilligungsrecht und das Indigenat, das heißt die Verpflichtung des Landesherrn, bestimmte Ämter nur an Landeskinder zu vergeben, blieben jedoch erhalten.
Der fürstlichen Position kam es auch zugute, dass 1666 eine Einigung über die endgültige Teilung der niederrheinischen Territorien mit Jülich-Berg erreicht wurde. Auch dort verschob sich das politische Gewicht zwar zugunsten des Landesherrn, denn in Rezessen von 1672 und 1675 mussten die Stände zugestehen, „erklecklich“ zur Landesverteidigung und zur Erfüllung von Bündnispflichten beizutragen. Ihr Steuerbewilligungsrecht und das Indigenat blieben jedoch grundsätzlich erhalten. Die Einigung auf diese als Staatsgrundgesetz geltenden Beschlüsse wurde möglich, weil es Herzog Philipp Wilhelm gelang, die kampfesmüden Städte durch Zugeständnisse von der weniger kompromissbereiten Ritterschaft zu trennen.
Innerständischer Dissens trug auch in anderen Territorien zur Schwächung der Landesvertretung bei. So suchte die vom Adel beherrschte Moerser Regierung der Stadt Moers die Landtagsberechtigung streitig zu machen; zu Anfang der 1690er Jahre des 18. Jahrhunderts gab es hier wie in Kurköln Auseinandersetzungen über die die privilegierten Stände begünstigende Verteilung der Abgabenlast.
Zur Stärkung der fürstlichen Gewalt trugen schließlich Verwaltungs- und Steuerreformen bei. Wenn Johann Wilhelm von der Pfalz mit der Einrichtung neuer nur dem Landesherrn unterstehender Kommissariatsbehörden und der Einführung einer das Steuerbewilligungsrecht des Landtags aushöhlenden Verbrauchssteuer keinen dauernden Erfolg hatte, so führten die Reformen König Friedrich Wilhelms I. (Regentschaft 1713-1740) in Kleve zu verstärkter staatlicher Kontrolle durch die 1723 dort eingerichtete Kriegs- und Domänenkammer sowie den 1753 nach dem Vorbild der östlichen Provinzen bestellten Landrat, während die überkommene ständisch beherrschte Regierung sich auf Hoheits-, Justiz- , Kirchen- und Schulangelegenheiten beschränkt sah. Die gegen heftigen Widerstand in den westlichen Provinzen durchgesetzte Umwandlung der städtischen Verbrauchssteuern in eine in die staatlichen Kassen fließende „königliche Akzise“ führte zu einer empfindlichen Einschränkung der kommunalen Autonomie.
In den geistlichen Territorien stießen die „absolutistischen“ Neigungen der gewählten Landesherren auf den Widerstand der Domkapitel und der Stände. So scheiterten an diesen Versuche des Kölner Kurfürsten Joseph Clemens, unbewilligte Steuern zu erheben und ein stehendes Heer aufzustellen. Wo sich der geistliche Landesherr wie in Trier 1729 nach heftigen Auseinandersetzungen über die Rechtsverhältnisse der Ritterschaft mit dem Domkapitel und den ihr Steuerbewilligungsrecht behauptenden Ständen arrangierte, gewann er Spielraum für die nach dem Spanischen Erbfolgekrieg erforderlichen Aufbau- und Reformmaßnahmen.
2. Politische Geschichte des 18. Jahrhunderts (1715-1794)
2.1 Das Rheinland im Windschatten des Weltgeschehens (1715-1763)
Weniger denn je verfügte das territorial zersplitterte Rheinland im 18. Jahrhundert über politisches Gewicht, zumal die Geschicke der niederrheinischen Lande aus dem fernen Berlin beziehungsweise aus Mannheim, dem Sitz der Pfalz-Neuburger seit 1716, bestimmt wurden. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg profitierte es zunächst zwei Jahrzehnte lang von der Kriegsmüdigkeit der europäischen Mächte, die es vorzogen, ihre Konflikte am Konferenztisch zu lösen.
Erst der 1733 ausbrechende Polnische Thronfolgekrieg zwischen dem Kaiser und Frankreich, in dem die rheinischen Staaten eine Parteinahme vermieden, brachte preußische und dänische Truppen zum Leidwesen der Bevölkerung an den Niederrhein, während Trier von 1734 bis 1737 von französischen Einheiten besetzt war. Nicht zum Austrag kamen die Streitigkeiten zwischen Preußen und den Wittelsbachern um die Erbfolge in den Herzogtümern Jülich und Berg, die Friedrich Wilhelm I. nach dem zu erwartenden Aussterben der Pfalz-Neuburger beanspruchte. Unter dem Druck der westeuropäischen Großmächte wich er 1738 zurück, und als sein Sohn 1740 als Bündnispartner Frankreichs den Krieg um die österreichische Erbfolge eröffnete, konnte Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach mit Unterstützung aus Paris die Regierung am Niederrhein und in der Pfalz antreten. Obwohl die rheinischen Fürsten sich aus dem Konflikt herauszuhalten suchten, schützte dies ihre Territorien nicht vor Truppendurchzügen und Einquartierungen.
Schwerer belastete der 1756 mit Friedrichs II. von Preußen (Regentschaft 1740-1786) Einfall in Sachsen beginnende Siebenjährige Krieg die rheinische Bevölkerung. Nachdem der „Umsturz der Allianzen“ 1756 England an die Seite Preußens geführt und die Franzosen zu Verbündeten Österreichs und zu Gegnern Preußens gemacht hatte, besetzten sie und die Österreicher 1757 das Herzogtum Kleve und das Fürstentum Moers. Als Verbündete Maria Theresias (Regentschaft 1740-1780) rückten die Franzosen in die Reichsstadt Köln ein, während Karl Theodor ihnen Düsseldorf als Waffen- und Materialplatz überließ. Sie mussten die Stadt 1758 nur für wenige Monate nach ihrer Niederlage in der Schlacht bei Krefeld gegen den in englisch-hannoverschen Diensten stehenden Herzog Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg (1721-1792) räumen.
Ein Angriff des braunschweigischen Erbprinzen gegen ein französisches Korps scheiterte 1760 bei Kloster Kamp und damit auch der Versuch die Festung Wesel zu erobern. Der 1763 im sächsischen Jagdschloss Hubertusburg unterzeichnete Frieden stellte im Rheinland den Vorkriegszustand wieder her. Er läutete dort eine fast drei Jahrzehnte dauernde Friedenszeit ein.
2.2 Die Friedensjahrzehnte bis zum Ausbruch der Französischen Revolution
Abgesehen von einigen Grenzbereinigungsverträgen, die Frankreich nach dem endgültigen Anfall Lothringens 1766 mit einigen rheinischen Fürsten, vor allem mit Kurtrier, schloss, ließen sich vor dem Ende des Jahrhunderts keine territorialen Veränderungen durchsetzen. So scheiterte der Versuch Karl Theodors von der Pfalz, der 1777 die bayerischen Wittelsbacher beerbt hatte, das ungeliebte Kurfürstentum gegen die Österreichischen Niederlande einzutauschen, 1778/1779 an Preußen, das den Machtzuwachs des kaiserlichen Rivalen im Bayerischen Erbfolgekrieg zu verhindern wusste. Die Wiederaufnahme des Tauschprojekts, das dem Pfälzer den Weg zu einem Königreich am Niederrhein bahnen sollte, scheiterte 1785 erneut, weil Frankreich seinem österreichischen Verbündeten die erforderliche Unterstützung verweigerte.
Mehr Erfolg hatten die Habsburger bei der Besetzung des Trierer und des Kölner Erzstuhls. 1768 wurde Clemens Wenzeslaus von Sachsen unter anderem mit Hilfe Österreichs und Frankreichs Erzbischof von Trier; 1780 gelang es, den jüngsten Sohn Maria Theresias, Maximilian Franz, gegen den Widerstand Preußens und Hollands zum Koadjutor der Bistümer Köln und Münster wählen zu lassen.
Die lange Friedenszeit begünstigte auch im Rheinland die Inangriffnahme modernisierender Reformen, die die ältere Forschung unter der inzwischen umstrittenen Epochenbezeichnung „Aufgeklärter Absolutismus“ subsumierte. So betrieb der als einer seiner Exponenten in Anspruch genommene kurkölnische Minister Caspar Anton Belderbusch eine auf Einsparungen am Hof und in der Verwaltung zielende Finanz- und Wirtschaftspolitik. Der allem Prunk abholde Kurfürst Maximilian Franz von Österreich bekämpfte die Korruption und arbeitete an der Verbesserung des Justizwesens durch die Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung. Auch in Trier ließ Clemens Wenzeslaus Reformen in Staat und Wirtschaft durchführen.
Tiefgreifender waren die Veränderungen in einigen weltlichen Territorien, vor allem in Kleve und Moers. Dort wurde schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts das Justizwesen neu geordnet; die Wirtschaft, insbesondere die Seidenindustrie, erfuhr staatliche Unterstützung, aber auch Reglementierung, nicht immer zum Vorteil des Landes. Die zollpolitische Isolierung der niederrheinischen von den preußischen Kernprovinzen wurde im Westen als Wachstumshemmnis beklagt. In Jülich-Berg verband sich staatliche Reformpolitik mit dem Namen des vom Gedankengut der Aufklärung geprägten Statthalters Graf Johann Ludwig Franz von Goltstein (1719-1776). Er sorgte für Verwaltungsreformen, sanierte die Finanzen und suchte die von merkantilistischen Beschränkungen weitgehend freie Wirtschaft zu fördern.
In der Bevölkerung stießen die von wohlmeinenden Landesherren und Ministern durchgeführten modernisierenden Reformen nicht selten auf Widerstand. Wenn sich feststellen lässt, dass es im Rheinland des späten 18. Jahrhunderts häufiger als je zuvor zu städtischen Unruhen kam, so kam darin nicht selten die Furcht vor dem Verlust von althergebrachten Rechten und Privilegien zum Ausdruck, die aufgeklärte Politiker als „Missbräuche“ beseitigen oder einschränken wollten. Vor allem die Zünfte sahen sich durch Versuche, mehr Gewerbefreiheit zuzulassen oder Andersgläubigen Toleranz zu gewähren, bedroht. Dies gilt etwa für die Reichsstadt Köln, wo die Zünfte oder Gaffeln sich gegen die Errichtung eines Bethauses für die ihnen wirtschaftlich meist überlegenen Protestanten wehrten.
Widerstand riefen auch Pläne hervor, Pfarrkirchhöfe zum Schutz der Gesundheit durch außerstädtische Friedhöfe zu ersetzen. Im Grunde richteten sich die gelegentlich sogar von Tätlichkeiten begleiteten Protestaktionen gegen die Bedrohung traditionsgeheiligter Lebensformen. Hierzu gehörten auch altüberkommene Mitwirkungsrechte der Bürger, die man von oligarchischen Stadtobrigkeiten oder von bevormundenden staatlichen Instanzen eingeschränkt sah. Wenn solche Unruhen über 1789 hinaus andauerten, ist zu fragen, ob sie von den revolutionären Ideen von jenseits des Rheins beeinflusst wurden.
2.3 Der Widerhall der Französischen Revolution im Rheinland (1789-1794)
Über die Vorgänge in Frankreich wurde vor allem die lesekundige Bevölkerung durch zahlreiche Presseorgane sowie durch Flugschriften gut informiert. Im „Politischen Merkur“ des Aachener Journalisten Franz Dautzenberg wurde ihr die Revolutionsverfassung von 1791 als „Triumph der Vernunft und der Menschenrechte“ vorgestellt. Dies war allerdings die Stimme einer der Aufklärung zugetanen Minderheit unter den rheinischen Revolutionsbeobachtern. Auf die Radikalisierung des Umsturzes in Frankreich reagierte auch sie schließlich mit zunehmender Kritik. In Städten, in denen es seit den 1780er Jahren zu Unruhen gekommen war, wie in Trier oder in Köln, wurden zwar revolutionäre Parolen laut, nahm auch die Gewaltbereitschaft zu, aber die Zielrichtung ihrer für die Erhaltung der überkommenen Verhältnisse kämpfenden Träger blieb unverändert.
Obwohl von einer revolutionären Situation im Rheinland somit keine Rede sein konnte, reagierten die von Umsturzangst erfüllten Obrigkeiten mit der Einstellung ihrer Reformpolitik und mit Unterdrückungsmaßnahmen gegen alle Regungen von Widerstand. Als nach dem Ausbruch des bewaffneten Kampfes zwischen Frankreich und den Mächten der alten Ordnung Revolutionstruppen Ende 1792 Teile des Rheinlandes eroberten und nach militärischen Rückschlägen 1794 erneut einnahmen, verhielt sich die von Krieg und Besatzung geplagte Masse der Bevölkerung gleichgültig oder ablehnend.
3. Wirtschafts- und Sozialgeschichte
3.1 Bevölkerungsentwicklung
Nach dem Bevölkerungsanstieg während des 16. Jahrhunderts entwickelte sich die Einwohnerzahl je nach Betroffenheit der Regionen durch Kriege und Epidemien im 17. und früheren 18. Jahrhundert sehr unterschiedlich. Starke Bevölkerungsverluste traten im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges vor allem im Kurfürstentum Trier, aber auch in Jülich und Berg auf. Pest und rote Ruhr verhinderten vielerorts eine rasche Erholung. So dürfte erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts der Vorkriegszustand wieder erreicht worden sein. Das 18. Jahrhundert stand dann wie überall in Europa im Zeichen einer beträchtlichen Bevölkerungszunahme, insbesondere in Territorien, in denen die Wirtschaft florierte.
3.2 Die Landwirtschaft
Von Truppendurchzügen und Einquartierungen waren die ländlichen Regionen am stärksten betroffen; nicht selten wurden dort die Felder verwüstet und wurde das Vieh weggeführt. In der von manchen Regierungen und Feudalherren geförderten Wiederaufbauphase nach 1648 besserte sich allmählich die Lage der bäuerlichen Grundbesitzer und der im Rheinland besonders zahlreichen Pächter. Im 18. Jahrhundert setzte dann ein durch steigende Nachfrage einer wachsenden Bevölkerung in Gang gesetzter Aufschwung ein. Steigende Preise ermutigten zur Erweiterung der Anbauflächen und zur Intensivierung der Bodennutzung durch verbesserte Düngung. Die Brache wich vielerorts der Fruchtwechselwirtschaft. In agrarisch weniger begünstigten Gebieten wurde zunehmend die Kartoffel angebaut, die für das Überleben der wachsenden Bevölkerung immer größere Bedeutung gewann.
3.3 Das Gewerbe
Die Kriege des 17. Jahrhunderts haben die gewerbliche Wirtschaft in den betroffenen Gebieten zwar zurückgeworfen, den Absatz von Rüstungsgütern aus den Metall verarbeitenden Betrieben in der Eifel und im Bergischen Land aber auch gefördert. In der sich vor allem nach dem Siebenjährigen Krieg belebenden Wirtschaftskonjunktur, die fast alle Landesteile erfasste, verstärkte sich die Verlagerung von Gewerben in die ländlichen Regionen. Dieser Prozess hatte im 17. Jahrhundert im Aachener Raum mit der Entstehung neuer Standorte der Tuchherstellung und der Metallverarbeitung in Burtscheid, Vaals, Kornelimünster, Monschau, Imgenbroich und Stolberg begonnen. Am Niederrhein expandierte das Krefelder Seidengewerbe in die ländliche Umgebung. Im Bergischen prosperierten Textil- und Kleineisengewerbe, auch beflügelt von der relativ freien Wirtschaftsverfassung, im Zeichen der so genannten Protoindustrialisierung. Wirtschaftlicher Aufschwung war vor allem dort zu verzeichnen, wo sich Manufakturen und Verlage, die von ihnen abhängige ländliche Heimarbeiter beschäftigten, etablieren konnten. In zünftig dominierten Städten, insbesondere in Köln, konnten neue Betriebformen und Verfahrensweisen hingegen nur schwer Eingang finden.
3.4 Der Handel
Vom Aufschwung in den alten und mehr noch in den neuen Gewerberegionen profitierte der Handel. Obwohl Stapelrechte und Zölle den Warentransport auf dem Rhein behinderten, wuchs der Transithandel vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. So nahm der Wert der von tonangebenden Amsterdamer Kaufleuten verschickten Kolonialwaren zwischen 1753 und 1790 von 4,7 auf 23,7 Millionen Gulden zu. Auch der blühende Holzhandel wurde von den Holländern dominiert. Versuchten deren Flöße mit einigem Erfolg, den Kölner Stapel zu umgehen, so vermochte die Reichsstadt ihre Position im Speditions- und Kommissionsgeschäft sowie im Wein- und Tabakhandel weitgehend zu behaupten. Auch kleinere Städte wie Düsseldorf, dessen Händler die wachsende Nachfrage des Bergischen Landes nach Getreide befriedigten, profitierten von der Handelskonjunktur des 18. Jahrhunderts. Den lokalen Warenaustausch behinderten jedoch weiterhin die schlechten Straßen. Anstrengungen zu deren Ausbau unternahm man vor allem im Herzogtum Berg nach 1750.
3.5 Sozialgeschichtliche Entwicklungen
Die Struktur der ländlichen Gesellschaft veränderte sich im 17. und 18. Jahrhundert nicht grundlegend. Fortgesetzt haben sich das Eindringen städtischen Kapitals und der Trend zur Besitzzersplitterung in Realteilungsgebieten. Dies begünstigte das für viele Zeitgenossen beängstigende Anwachsen der ländlichen Unterschicht. Kleinbauern und Tagelöhner, denen die Agrarwirtschaft keine ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten mehr bot, verdingten sich und häufig auch ihre Familien als Heimarbeiter im sich ausbreitenden Verlagswesen. Auch in den Städten beobachtet man eine Zunahme der Unterschicht, der am Ende des 18. Jahrhunderts fast die Hälfte der Bevölkerung angehören konnte. Sie stellte die Obrigkeiten in Krisenzeiten vor kaum zu lösende Probleme, zumal wenn auch Teile der ängstlich an ihren Privilegien festhaltenden zünftigen Mittelschicht vom sozialen Abstieg bedroht waren.
Das überkommene politische und soziale System verteidigten auch die meisten Angehörigen der besser gestellten Mittel- und der Oberschicht. Neben und im Gegensatz zum alten Stadtbürgertum entwickelte sich jedoch vor allem seit dem 18. Jahrhundert ein nicht mehr ständisch eingebundenes Bürgertum, dem so unterschiedliche Gruppen zugerechnet werden wie staatliche Verwaltungsbeamte, akademisch gebildete Lehrer, Schriftsteller und vor allem Unternehmer neuen Typs, das heißt Manufakturbesitzer und Verleger. Diese besaßen oft nicht das Bürgerrecht, besonders wenn sie wie in Aachen oder in Köln als „Beisassen“ nur geduldeten konfessionellen Minoritäten angehörten. Viele dieser Unternehmer waren Träger der wirtschaftlichen Dynamik des Jahrhunderts. Hinzuweisen ist beispielhaft auf die dem Mennonitentum angehörende Familie von der Leyen, die das Krefelder Seidengewerbe beherrschte, des Weiteren auf die Unternehmer der Textil und Nadelfabrikation im Großraum Aachen sowie des bergischen Kleineisengewerbes.
3.6 Migration ins Rheinland
Vorangetrieben wurde die ökonomische Entwicklung nicht zuletzt durch seit dem 16. Jahrhundert aus den Niederlanden, dann aus Frankreich einwandernde protestantische Glaubensflüchtlinge, die häufig dem einheimischen Handwerk überlegene technische Verfahren mitbrachten. Bedeutenden Anteil an der Migration ins Rheinland hatten seit dem 17. Jahrhundert auch Italiener, die dort ihre Waren absetzten, dann sesshaft wurden und mit zunftfreien Produkten wie Luxuswaren oder Kölnisch Wasser Handel trieben. Erwähnt sei nur die weit verzweigte Familie Farina, die in Düsseldorf und in Köln ansässig war.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg förderten viele Landesherren die Zuwanderung in entvölkerte Städte und Dörfer. Diese „Peuplierungspolitik“ kam auch jüdischen Migranten zugute. Reste jüdischer Bevölkerung hatten sich nach den Vertreibungen des Spätmittelalters und des frühen 16. Jahrhunderts hauptsächlich auf dem Lande gehalten. Um 1600 gab es im Kurfürstentum Köln aber noch jüdische Gemeinden in der Residenzstadt Bonn und in der Freiheit Deutz (heute Stadt Köln). Seit dem 17. Jahrhundert erteilten die Landesherrn, allen voran die Brandenburger im Herzogtum Kleve, aber auch die Kölner und die Trierer Kurfürsten vor allem aus wirtschaftlichen und fiskalischen Gründen wieder häufiger Judenschutzbriefe und allgemeine Geleitkonzessionen. Sie taten dies häufig gegen den Widerstand der Stände, insbesondere der kommerzielle Konkurrenz fürchtenden Städte. Judenordnungen regelten in häufig sehr restriktiver Weise die Rechtsverhältnisse.
Die soziale Lage der meisten unter hohem Abgabendruck stehenden Juden blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts prekär. Einer kleinen Minderheit gelang es jedoch als Heereslieferanten, Luxuswarenhändler und Kreditgeber der Fürsten reich zu werden. Diese „Hofjuden“ übernahmen häufig die Führung der auf territorialer Ebene gebildeten „Landjudenschaften“, die unter anderem für die Beitreibung der zahlreichen Steuern verantwortlich waren.
4. Kirchengeschichte
4.1 Konfessionalisierung
Die kirchengeschichtliche Entwicklung der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stand im Zeichen der Verfestigung der alten Kirche und der im Reformationszeitalter entstandenen neuen Glaubensgemeinschaften. Dieser von der neueren Forschung so bezeichnete Prozess der Konfessionalisierung wurde aus Glaubenseifer, aber auch aus Machtstreben von den über die Konfession ihrer Untertanen bestimmenden Territorialfürsten vorangetrieben. In Jülich-Kleve-Berg allerdings setzten die 1609 von Brandenburg und Pfalz-Neuburg den Ständen ausgestellten Reversalien, durch die die Possedierenden sich verpflichteten, den konfessionellen Status quo aufrecht zu erhalten, der Ausübung des landesherrlichen Reformationsrechts Grenzen. Den dennoch immer wieder aufbrechenden Konflikten machte erst der 1672 abgeschlossene Religionsvergleich ein Ende. Anders als der Westfälische Friede, der das Jahr 1624 als „Normaljahr“ festlegte, bezeichnete er genau die Orte, in denen ein vom Glauben des Landesherrn abweichender Kultus stattfinden durfte.
4.2 Die katholische Kirche
Die Konsolidierung der Konfessionen ging einher mit verstärkten Bemühungen um eine bessere religiöse Versorgung der Untertanen. Auf katholischer Seite setzten die Dekrete des Konzils von Trient (1545-1563) die Maßstäbe für eine entsprechende Reform der Kirche. Die Bereitschaft, sie umzusetzen, war in Trier größer als in Köln, wo sie nur teilweise publiziert wurden. Doch die hier wie dort mit oft gegenreformatorischem Eifer betriebene Erneuerung erfolgte weitgehend in ihrem Geiste. Besonders erfolgreich war die Reform des Pfarrklerus, in dem das Zölibat zunehmend beachtet wurde. In seinen Anstrengungen für eine Verbesserung der Seelsorge wurde er unterstützt von den Orden, allen voran den Jesuiten, sowie von den die Volksfrömmigkeit pflegenden Bruderschaften. Im 18. Jahrhundert suchten dann von der katholischen Aufklärung beeinflusste Kirchenobere deren Einfluss zu beschneiden. Im Zeichen eines für die Rechte der Bischöfe eintretenden Episkopalismus versuchten seit 1769 die rheinischen Erzbischöfe die Jurisdiktionsgewalt von Päpsten und Nuntien zu begrenzen. Ihre Bestrebungen scheiterten 1790.
4.3 Die protestantischen Kirchen
Auch die evangelischen Gemeinden haben sich im 17. Jahrhundert konsolidiert. Dabei gewannen die städtischen und vor allem die territorialen Obrigkeiten zunehmenden Einfluss auf die presbyterial-synodalen Organisationen der Reformierten. Dies gilt insbesondere in Kleve und Moers. In Jülich-Berg konnten sie unter konfessionsverschiedenen Landesherren einen größeren Freiraum behaupten. Konsistorial-synodale Formen kennzeichnen auch das Gemeindeleben der im Rheinland des 17. und 18. Jahrhunderts weniger zahlreichen Lutheraner. Seit dem späteren 17. Jahrhundert wurden Gemeinden beider Glaubensrichtungen vom Pietismus beeinflusst, der für eine vertiefte, die gesamte Lebenspraxis prägende Frömmigkeit eintrat. Hingewiesen sei nur auf den kurzzeitig in Düsseldorf wirkenden Joachim Neander sowie auf Gerhard Tersteegen, der vor allem am Niederrhein als Wanderprediger tätig wurde. Beide gewannen bleibenden Einfluss als Liederdichter.
4.4 Hexenverfolgungen
Sie sind zwar ohne den von den Kirchen genährten Teufels- und Hexenglauben nicht zu erklären, stellen aber dennoch keine nur theologisch verständlich zu machende Erscheinung dar. Höhepunkte erreichten die Verfolgungen im letzten Viertel des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Zu den sie verursachenden Faktoren zählt die neuere Forschung Teuerungskrisen und Hungersnöte, die die geängstigten Menschen nach Schuldigen suchen ließen. Oft meinten sie diese in am Rande der Gesellschaft lebenden einsamen alten Frauen zu finden, denen sie Schadenzauber gegen Vieh oder Menschen vorwarfen. Die Folter sorgte dann dafür, dass die Beklagten vermeintliche Mitschuldige „besagten“. Dadurch konnte eine regelrechte Prozesslawine entstehen, von der Frauen und Männer sowie Angehörige unterschiedlichster sozialer Milieus erfasst werden konnten.
Die Hexenprozesse waren ein europäisches Phänomen, allerdings mit regionalen Schwerpunkten. Zentren des „Hexenwahns“ im Rheinland bildeten die Kurfürstentümer Trier und Köln, während die nördlicher gelegenen Territorien weitaus weniger betroffen waren. Als Auslöser hat man häufig denunzierende Bittschriften der Untertanen an ihre Landesfürsten als Gerichtsherren identifiziert, in denen sich nicht selten innerörtliche Spannungen niederschlugen. Wenn diese wie im Kurköln Kurfürst Ferdinands von Bayern einer besonders verfolgungswilligen Obrigkeit vorgelegt wurden, konnte eine sich über viele Jahre erstreckende Prozesswelle entstehen, wie sie dort von 1626 bis 1631 nachweisbar ist.
Unwidersprochen blieben die Verfolgungen nicht. Ihr einflussreichster Kritiker war im 17. Jahrhundert der Jesuit Friedrich von Spee. Zwar bestritt er die Hexenlehre nicht, bemängelte aber die Anwendung der Folter und entlarvte die niederen Beweggründe hinter den Beschuldigungen. Nach 1648 verstanden es die rheinischen Obrigkeiten die Entstehung neuer Verfolgungswellen zu verhindern.
5. Bildungs- und Kulturgeschichte
5.1 Das Bildungswesen
Die Konfessionalisierung gab auch dem Schulwesen einen neuen Schub. Mehr denn je erkannten die verantwortlichen kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten die Notwendigkeit, die Untertanen durch die Vermittlung religiöser Bildung gegen Beeinflussung durch konkurrierende Glaubensrichtungen zu immunisieren. Kirchenordnungen und Statuten verlangten nun die Einrichtung von Schulen, die dann mehr oder weniger häufig durch Visitationen überprüft wurden. So hat sich das protestantische wie das katholische Schulnetz im 17. Jahrhundert deutlich verdichtet. Im Vordergrund des Unterrichts stand die religiöse Erziehung. Nicht selten wurden Lesen und Schreiben anhand der Bibel oder der Katechismen gelehrt. Rechnen spielte meist eine untergeordnete Rolle. Die Elementarschulen scheinen in der Regel Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet zu haben. In einigen Städten, so in Köln, gab es allerdings Pfarrschulen für Mädchen.
Schulträger waren die Pfarreien oder die Kommunen. Daneben existierte in den Städten ein von den Obrigkeiten meist argwöhnisch beobachtetes Privat- oder Winkelschulwesen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gelang es nicht, alle schulfähigen Kinder ganzjährig zu unterrichten und alle Schulen mit geeigneten und angemessen besoldeten Lehrern zu versorgen. Fortschritte, die sich nur schwer quantifizieren lassen, sind aber unverkennbar. Hierauf verweisen die für die Zeit um 1800 ermittelten gestiegenen Alphabetisierungsraten. Hierzu dürfte nicht zuletzt die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende landesherrliche Reformpolitik beigetragen haben. Lehrerseminare oder Normalschulen, wie sie in Bonn und Koblenz entstanden, in denen die pädagogischen und didaktischen Erkenntnisse des Aufklärungszeitalters vermittelt wurden, verbesserten die Ausbildung. Vorsichtig erweitert wurde in katholischen wie protestantischen Schulen der Fächerkanon.
Einen Aufschwung hatten seit dem 16. Jahrhundert auch die manchmal aus Lateinschulen hervorgegangenen Gymnasien zu verzeichnen. Sie waren in der Regel ebenfalls streng konfessionell ausgerichtet, vor allem seit die Jesuiten sowie einige Bettelorden die höhere Bildung in die Hand genommen hatten. Der höheren Mädchenbildung kamen die von den Ursulinen in einer Reihe von Städten ins Leben gerufenen Einrichtungen zugute. Protestantische Gymnasien gab es vor allem im Herzogtum Kleve und in der Grafschaft Moers.
In Duisburg gründete der Große Kurfürst 1655 eine Landesuniversität reformiert-konfessioneller Prägung, deren Bedeutung allerdings hinter den holländischen Hochschulen und auch der Kölner streng gegenreformatorisch orientierten Institution zurückblieb. Deren Beharrungswillen setzte Kurfürst Max Franz mit der 1786 eröffneten Bonner Universität eine dem Geist der katholischen Aufklärung verpflichtete Hohe Schule entgegen. In kirchlich konservativen Kreisen verdächtigte man ihre Professoren mangelnder Rechtgläubigkeit. Auch die Trierer Universität öffnete sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts modernen Lehrmethoden, die der Praxis mehr Gewicht gaben.
In der verlassenen Residenzstadt Düsseldorf entstand 1775 nach einer sich länger hinziehenden Gründungsphase eine von dem Galerieinspektor Lambert Krahe (1712-1790) geleitete Kunstakademie. Über die bloße Lehrtätigkeit hinaus verfolgte sie auch das Ziel, im Publikum die Regeln guten Geschmacks zu verbreiten.
5.2 Höfische Kultur
Bedeutende kulturelle Leistungen gingen im 17. und 18. Jahrhundert vor allem von den geistlichen und weltlichen Höfen aus. Es erscheint bezeichnend, dass auch städtische Kirchenbauten wie die barocke Jesuitenkirche St. Mariä Himmelfahrt in Köln oder die Jesuiten- und Hofkirche St. Andreas in Düsseldorf durch fürstliche Geldgeber, Erzbischof Ferdinand von Köln beziehungsweise Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, gefördert wurden.
Von einem wahren Baufieber erfasste Herrscher ließen Prachtbauten errichten, von denen einige noch heute an eine längst vergangene Epoche rheinischer Kulturgeschichte erinnern. Schlösser sollten der Machtrepräsentation dienen und den Rang dokumentieren, den die Auftraggeber in der europäischen Fürstengesellschaft einnahmen oder beanspruchten. So orientierte sich das von dem Venezianer Matteo Alberti (1647- circa 1735) für den ehrgeizigen Johann Wilhelm von der Pfalz entworfene Jagdschloss Bensberg an Ludwigs XIV. Versailles und Karls II. (Regentschaft 1660-1685) Winchester Castle.
Das den Anspruch auf Stadtherrschaft versinnbildlichende Reiterstandbild des Kurfürsten auf dem Düsseldorfer Marktplatz schuf der Niederländer Gabriel Grupello (1644-1730). Auch die berühmte Kunstsammlung, die der Fürst mit ebensoviel Sachverstand wie Leidenschaft zusammentrug und für die er ein 1714 fertig gestelltes Galeriegebäude, einen der ersten Museumsbauten in Europa, errichten ließ, stand im Dienst der Selbstdarstellung. Bedeutende Bauwerke entstanden auch noch nach dem Tode Johann Wilhelms (1716), als die Stadt zur Nebenresidenz abgesunken war. Kurfürst Karl Theodor beauftragte 1747 den Aachener Baumeister Johann Joseph Couven mit dem Bau eines neuen Jägerhauses. 1763 wurde Schloss Jägerhof fertig gestellt. Damals war die „Maison de Plaisance“ des Lothringers Nicolas de Pigage (1723-1796) in Benrath noch im Bau. Er konnte erst 1770 abgeschlossen werden.
Dominierte am Düsseldorfer Hof im frühen 18. Jahrhundert niederländischer, deutscher und italienischer Kunstgeschmack, so waren die Kölner Kurfürsten Joseph Clemens und Clemens August Anhänger französischer Kunststile. Die bedeutendsten Zeugnisse ihrer Bautätigkeit, das Bonner Residenz- und das Poppelsdorfer Lustschloss sowie die Sommerresidenz Augustusburg in Brühl gingen im Wesentlichen auf die Planungen französischer Architekten zurück. Den Innenausbau von Schloss Brühl vertraute Clemens August allerdings dem genialen Balthasar Neumann an.
Dieser und andere deutsche Künstler beeinflussten auch die Schlösser der Trierer Kurfürsten Franz Georg von Schönborn und Johann Philipp von Walderdorff. Von ihnen ist freilich nur das rechtsrheinische Schloss Engers erhalten. War der Stil dieser Bauten noch von Barock und Rokoko geprägt, so stand das 1786 unter dem letzten Trierer Kurfürsten, Clemens Wenzeslaus von Sachsen, fertig gestellte Koblenzer Residenzschloss bereits unter dem Einfluss des französischen Klassizismus.
5.3 Städtische Kultur
Unter den literarisch bedeutenden Gestalten des 17. Jahrhunderts ist vor allem auf den Barockdichter Friedrich von Spee und seine „Trutznachtigall“, eine Sammlung geistlicher Lieder, zu verweisen. Literaten seines Ranges sucht man im Rheinland des 18. Jahrhundert vergebens. Zu nennen wären allenfalls der Kölner Satiriker Heinrich Lindenborn oder der Kunstsammler und Autor Baron Hüpsch.
Dem im 18. Jahrhundert wohlhabender werdenden Bürgertum ist eine Reihe prächtiger Wohnhäuser zu verdanken. Zu verweisen ist auf die zum Teil noch erhaltenen Häuser in Aachen und Monschau, die Baumeister Couven und sein Sohn Jakob errichteten. In Krefeld ließ der Seidenfabrikant Conrad von der Leyen von Martin Leydel (1783-1838) Ende des 18. Jahrhunderts sein Stadtpalais bauen, das heute als Rathaus genutzt wird.
Zu den kulturellen Leistungen des Bürgertums gehören auch die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstehenden Lesegesellschaften, in denen sich ein literarisch interessiertes aufgeklärtes Publikum zu Lektüre und Diskussion zusammenfand. Wichtig für die Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts waren des Weiteren die Freimaurerlogen, in denen sich wie in den Lesegesellschaften eine überständische Elite versammelte. Daneben gab es zahlreiche informelle Zirkel, deren bekanntester der Kreis um die Brüder Friedrich Heinrich und Johann Georg Jacobi in Düsseldorf war. Dieser publizierte von 1774 bis 1776 die Zeitschrift „Iris“, zu deren Beiträgern auch Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) gehörte.
Zum Aufleben des deutschen Zeitschriftenmarktes trugen auch andere Rheinländer bei. Hingewiesen sei nur auf den Aachener Franz Dautzenberg und den Kölner Priester Johann Baptist Geich. Diese zählten zu dem kleinen Kreis von Aufklärern, die sich auch nach dem Einmarsch der Franzosen für die Revolution begeisterten und in ihrem Sinne wirkten.
Quellen
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Müller, Klaus, 1609 bis 1794 - Vom jülisch-klevischen Erbfolgestreit bis zum Ende des Ancien Regime, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1609-bis-1794---vom-juelisch-klevischen-erbfolgestreit-bis-zum-ende-des-ancien-regime/DE-2086/lido/57ab23395bb740.19018833 (abgerufen am 06.10.2024)