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Stadt und Kurfürstentum Köln waren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keineswegs gefestigte Bollwerke des alten Glaubens, sondern Schauplatz teilweise heftiger Kämpfe zwischen den sich ausdifferenzierenden Konfessionsparteien. Vor allem die der überkommenen scholastischen Lehre verpflichtete Universität bezog massiv Stellung gegen jeden Reformationsversuch, wenngleich die meisten Gelehrten durchaus die Notwendigkeit zur Reform erkannten – genannt seien hier beispielsweise Johannes Gropper oder Bernhard von Hagen. Auch der aus Aachen stammende Matthias Kremer gehört zu dieser Gruppe von Theologen.
Geboren wurde Kremer im Jahr 1465 als Sohn des Wollhändlers Jakob Kremer (geboren 1435) und seiner Frau Margarethe Peltzer. Kremer führte zunächst beide Namen und nannte sich zuweilen auch nach seiner Mutter, wie auch sein jüngerer Bruder Hermann (1466-1537), der Vater des späteren Aachener Bürgermeisters Matthias Peltzer (1508-1591). An der Kölner Universität immatrikulierte Kremer sich 1482 als Matthäus Aquensis und begann sein philosophisches Grundstudium an der Montanerburse, einer von drei Schulen, die zusammen die Artistenfakultät der Universität bildeten und auf die eigentlichen Studien der Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin hinführten.
Hier zeichnete sich Kremer durch besondere Gelehrsamkeit aus und konnte nach dem Erwerb des Magistergrads im Jahr 1505 eine Anstellung als Lektor erhalten; 1507 promovierte er sich zum Doktor der Theologie. Valentin Engelhard von Geldersheim (gestorben 1526), der durch großzügige Stiftungen eine erhebliche Vergrößerung der Burse ermöglicht hatte, förderte den jungen Akademiker und bestimmte ihn testamentarisch zu seinem Nachfolger als Regens. Dazu kam es jedoch erst nach Engelhards Tod; zunächst stieg Kremer in der Universitätshierarchie auf und wurde 1510 und ein zweites Mal 1516 zum Dekan der philosophischen Fakultät gewählt. Im gleichen Jahr promovierte er sich zum Doktor der Theologie und erhielt zur materiellen Absicherung seines Standes eine Stiftsherrenstelle an St. Andreas in Köln.
In diesen Jahren litt das Ansehen der Kölner Universität unter der Auseinandersetzung zwischen reformwilligen, vom Humanismus beeinflussten Gelehrten wie Pietro Tomasi aus Ravenna (um 1448-1508) oder Johannes Caesarius (1468-1550) auf der einen und den auf einer starren Auslegung der scholastischen Lehre beharrenden Kräfte auf der anderen Seite, zu denen als Wortführer Jakob von Hoogstraten und in dessen Umfeld auch Matthias Kremer gehörte. Die Affäre um die Dunkelmännerbriefe, welche die Scholastiker und insbesondere die Dominikaner verspotteten und von den Humanisten als geistreiche Satire gelobt wurden, ist ein bleibendes und sichtbares Zeichen dieses Streits, durch den die Universität zahlreiche Studenten verlor, die in Scharen zu den neuen und modernen Bildungszentren abwanderten. Zwei von Kremer im Jahr 1520 herausgegebene Studienbücher dokumentieren, wie sehr er im alten Denken verhaftet war, wenn sie auch inhaltlich stark von Hoogstraten beeinflusst waren, der seit 1519 den Kampf gegen die lutherische Lehre aufgenommen hatte.
Immerhin ersparte diese Politik der Kölner Universität vielleicht manchen weiteren Kampf. Zwar beteiligten sich die Professoren weiter am akademischen Diskurs über die richtige und wahrhaftige Religion; nach innen hin aber entwickelte die Universität eine starke Abgrenzung zum neuen Glauben und gewann dadurch auch an Stabilität. In dieser Phase relativer Ruhe erreiche Kremer mit der Übernahme des Rektorats im Jahr 1533 den Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn. Erst, als der Kurfürst und Erzbischof Hermann von Wied mit der Veröffentlichung der stark von dem in Bonn lebenden Reformator Martin Bucer beeinflussten Denkschrift „Einfältiges Bedenken“ ganz offiziell die Reformation in seinem Territorium einführen wollte, setzten die konservativen Kölner Professoren wieder zu einer öffentlichkeitswirksamen Reaktion an. In mehreren Schriften und Gutachten attackierten Kremer und seine Kollegen Bucer, dessen Wirken den Höhe- und Wendepunkt im Kölner Kirchenstreit markiert.
Als einer der ersten erkannte Kremer dabei, dass eine bloße theologische oder juristische Widerlegung Bucers und der neuen Lehre nicht ausreichen würde, um Boden für den alten Glauben gut zu machen, sondern dass es eines aktiven Gegenangebots bedurfte, für welches man sich die schlagkräftige Hilfe des jungen Jesuitenordens zunutze machen wollte. Kremer nahm deshalb noch 1543 Kontakt zu Petrus Canisius (1521-1597) auf, wohl wissend, dass damit auch die traditionalistische Haltung der Universität infrage gestellt werden würde. Denn das Ziel der beiden war, die konservative Montanerburse, Kremers Ausbildungsstätte also, zum Stützpunkt der Jesuiten in Köln zu machen. Dies gelang jedoch nur indirekt, nachdem infolge der Übertragung der Dreikönigenburse an die Jesuiten im Jahr 1556 zahlreiche ehemalige Montaner dorthin wechselten.
In der Zeit des Erzbischofs Adolfs von Schaumburg gehörte Kremer nicht mehr zu den führenden Gelehrten und Beratern in Stadt und Kurfürstentum Köln. Man wird dabei nicht übersehen dürfen, dass er zum Zeitpunkt des Reformationsversuchs Hermanns von Wied bereits etwa 80 Jahre war. Beides, in diesem hohen Alter überhaupt noch eine derart rege intellektuelle Tätigkeit entfaltet zu haben, die darüber hinaus offenbar keineswegs starr war, sondern sich flexibel an den zeitlichen Erfordernissen orientierte, wie die frühe Einbindung der Jesuiten zeigt, deutet auf einen sehr wachen Geist hin, in dem sich überlegtes und entschiedenes Handeln vereinten.
Matthias Kremer erreichte ein für die Zeit erstaunliches Alter und starb am 12.11.1557 mit 92 Jahren. Begraben wurde er auf dem Friedhof in der Stolkgasse nahe der Montanerburse. Durch seine langjährige Tätigkeit, den Besitz von Pfründen und vor allem durch die reiche elterliche Erbschaft war er ein vermögender Mann; nach seinem Tod hinterließ Kremer deshalb insgesamt vier bereits im Jahr 1539 errichtete Stiftungen, zwei für Köln und zwei für seine Heimatstadt Aachen: in Köln begünstigte er den Konvent des Heiligen Ignatius, um eine jährliche Festmesse für die theologische Fakultät zu halten, deren Teilnehmer eine Aufwandsentschädigung erhalten sollten. Auf diese Weise sicherte Kremer dem Jesuitenorden, der überdies die beachtliche Summe von 1.000 Goldgulden erbte, dauerhaften Einfluss auf die theologische Ausbildung in der Domstadt. Je eine weitere Stiftung ging an die Stadt Aachen und das dortige Kloster Marienthal zur Aufnahme und Versorgung bedürftiger Familienmitglieder; die Zahl der potentiell Begünstigten reduzierte sich jedoch noch zu Lebzeiten Kremers, da ein großer Teil seiner Aachener Verwandtschaft, Ironie der Geschichte, protestantisch wurde. Die beiden Kölner Stiftungen sind später im Gymnasial- und Stiftungsfonds aufgegangen.
Werke (Auswahl)
Assertionem Catholicam contra Lutherum, in quarto editam, o. J.
Catholicae ac orthodoxae religionis adversus Lutheranam haeresim, Köln 1542.
Christlich berichtt, waruff zu gruntfestigenn der stanthaftlich will bleiben in dem uffrechtigen Christen glauben: mit widerlägung der principal. articulen den verfürigen lehr M. Buceri im buch zu Bon außgegangen, Köln 1543.
Christlich Bericht, worauf sich diejenigen grundfestigen sollen, die standhaft wollen bleiben im christlichen Glauben, wider die Lehre Martini Buceri …, Köln 1543.
Christiana Ac Pia De Catholicae Fidei Regula Assertio: cum dilucida perniciosorum praecipuè huius calamitosissimi s[a]eculi dogmatum confutatione, Köln 1556.
Catholicae Doctrinae Assertio, Köln 1560 (posthum).
Literatur
Fellmann, Dorothea, Das Gymnasium Montanum in Köln 1550-1798. Zur Geschichte der Artes-Fakultät der alten Kölner Universität, Köln 1999.
Macco, Hermann Friedrich, Matthias Cremerius, in: Aus Aachens Vorzeit 13 (1888), S. 52-58.
Pelzer, H., De familie Pelzer. Vijf eeuwen familiegeschiedenis, Geleen 1996.
Online
Macco, Hermann Friedrich, Geschichte und Genealogie der Familien Peltzer, Aachen 1901, S. 38-42. [Online]
Ramm, Hans-Joachim, „Peltzer, Familie“, in: Neue Deutsche Biographie, Band 20, 2001, S. 168-170. [Online]
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Bock, Martin, Matthias Kremer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/matthias-kremer-/DE-2086/lido/57c939b8507a55.41741914 (abgerufen am 09.12.2024)