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Reinold Hagen gründete 1935 in Siegburg die Galvanischen Werkstätten und verlagerte sie bei Kriegsende zunächst nach Hangelar (heute Stadt Sankt Augustin), kurz darauf in unmittelbarer Nähe nach Holzlar (heute Stadt Bonn). Nach einer Umbenennung in „Kautex-Werke“ und einem programmatischen Richtungswechsel gelang es Hagen, das Unternehmen zu einem der führenden Kunststoffverarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland zu expandieren. Das Extrudieren von Hohlkörpern wurde zu seiner Spezialität, ebenso wie die Entwicklung und der Bau dazu benötigter Maschinen, die ebenfalls weltweit exportiert wurden. Darüber hinaus war Hagen als sozial engagierter Christ in seiner Gemeinde aktiv.
Reinold Hagen wurde am 1.1.1913 als ältester Sohn der Eheleute Theodor Hagen (1875-1943) und Magdalene Hagen geborene Goergens (1887-1964) in Siegburg geboren. Die Familie bekam bis 1926 sieben weitere Kinder, obwohl die wirtschaftliche und familiäre Situation während des Ersten Weltkrieges schwierig war. So war Theodor Hagen zum Kriegsdienst eingezogen; es gelang ihm aber, sein Architekturbüro nach dem Krieg weiterzuführen. Rastlos arbeitende Eltern und eine große Familie - das waren die Bilder, die sich Reinold Hagen von frühester Jugend an einprägten. Reinold Hagen entwickelte früh den Wunsch, Ingenieur zu werden. Nach dem Abschluss der Volksschule und des Realgymnasiums in Siegburg begann er ein Volontariat bei den Klöckner-Mannstaedt-Werken in Troisdorf. Da der Verdienst mit 10,40 RM sehr gering war, verdiente er zusätzlich Geld mit dem Verkauf von selbst Gebasteltem. Er war ein Tüftler. Im April 1933 wechselte er an die Staatliche Höhere Fachschule für Edelmetallindustrie in Schwäbisch Gmünd, die er nach zwei Semestern mit einem Abschluss im Galvaniseurgewerbe (Metallveredelung) verließ. Für ein weiteres Studium fehlten die finanziellen Mittel. Im August 1934 nahm er seine erste Stelle im Labor für Oberflächentechnik der Robert Bosch AG in Stuttgart an. Ein Drittel seines Monatslohnes in Höhe von 240 RM legte er zurück, weil sein langfristiges Ziel die Selbstständigkeit mit einer eigenen Fabrik war. Der Lebensplan wurde jedoch jäh durch den Tod seines Vaters 1934 beschleunigt. Reinold Hagen zog zurück nach Siegburg, um Verantwortung für seine Mutter und seine jüngeren Geschwister zu übernehmen. Der 22-Jährige machte sich sofort selbstständig, auch wenn das ein enormes Risiko bedeutete.
Ab August 1935 baute er sich eine kleine Fabrik an der Wilhelmstraße 165 auf, die „Galvanischen Werkstätten Reinold Hagen“, die mit 20 Fachkräften auf 2.400 Quadratmetern hoffnungsvoll anliefen. Die Fabrik war spezialisiert auf metallische Oberflächenbehandlung, Verchromungen, Emaillierungen, Metallüberzüge etc. Im März 1936 wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Nach seiner Entlassung konzentrierte er sich auf den technischen Ausbau, während die Buchhaltung seine spätere Frau Änne Lütz (1904-1987) übernahm. Dank ihrer Hilfe hielt die innere Organisation des expandierenden Betriebes Schritt mit dem technischen Ausbau. Sie heirateten 1938 und bekamen in den Jahren zwischen 1939 und 1945 drei Töchter und zwei Söhne: Marlene, Reinold, Rita, Irmgard und Winfried. Der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt der Familie Hagen war seit Kriegsende Holzlar.
Da die Galvanischen Werkstätten als kriegswichtiger Betrieb eingestuft wurden, war Reinold Hagen nicht zum Kriegsdienst verpflichtet und produzierte auch mit Hilfe von Zwangsarbeitern. Neben der Metallverarbeitung experimentierte Hagen mit PVC und stellte Halbzeuge aus Kunststoff her, beispielsweise Dichtungen, Manschetten, Schläuche und Profile. Am 6.3.1945 wurde das Siegburger Werk durch einen Luftangriff vollständig zerstört und in den folgenden Monaten in Hangelar wieder aufgebaut. Mit der Umbenennung von „Galvanischen Werke“ in „Kautex“ demonstrierte Hagen einen Neuanfang nach dem Krieg. Sein Ideenreichtum und sein Aufbauwille waren unerschütterlich. 1947 beschäftigte er schon wieder 47 Mitarbeiter. 1949 ging der Schrumpfschlauch in Produktion, nachdem Reinold Hagens Bruder Norbert ein Verfahren entwickelt hatte, mit dem fest anliegende Überzüge oder Ummantelungen aus Kunststoff auf Profile gezogen werden konnten. Durch einen Verarbeitungsfehler kam Reinold Hagen auf die Idee, den Kunststoff gezielt aufzublasen, so wie man es mit Glas seit Jahrhunderten machte. Sein Bruder Norbert griff den Gedanken auf und entwickelte 1950 den ersten 10-Liter-Ballon aus Polyethylen, den ersten nahtlos geblasenen Großbehälter der Welt. Die Blasformtechnik von Glas auf Kunststoff übertragen zu haben, war die größte Innovation der Hagen-Brüder. Sie erreichten sie durch Improvisation, Initiative und Ideen und verkörperten damit ein Stück weit die für Deutschland typische Bastlerinnovation.
Die Mitarbeiterzahl von Kautex stieg von 47 (1947) bis auf 1.400 (1966), die Fertigung konnte mit der steigenden Nachfrage kaum Schritt halten. Kautex-Werke in Bonn-Holzlar und Bonn-Duisdorf für die Hohlkörperproduktion als auch den dazugehörigen Maschinenbau wurden nach und nach ausgebaut. Die Maschinen für die Hohlkörperproduktion wurden bei Kautex-Maschinenbau produziert, dieser Teil des Unternehmens allerdings 1976 an die Firma Krupp verkauft. 1963 besaß Hagens Unternehmen 120 Patente im In- und Ausland, wozu unter anderem der 1963 erstmals amtlich zugelassene Benzinkanister aus Kunststoff gehörte. Auch Batterietanks aus Kunststoff, die sich ab 1968 aufgrund ihrer Korrosionsbeständigkeit flächendeckend in deutschen Haushalten durchsetzten, gehen auf Reinold Hagen zurück. 1973 wurde erstmals serienmäßig der VW Passat mit einem Kautex-Benzintank ausgestattet. Damit begann eine neue und für die Automobilindustrie wegweisende Entwicklung. Daneben wurden auch technische Hohlkörper für elektrische Haushaltsgeräte entwickelt und produziert.
Das Unternehmen Kautex erfuhr im Laufe der Zeit mehrere gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen. 1972 als GmbH eingetragen, wurde es 1982 zur AG mit Reinold Hagen als Aufsichtsratsvorsitzendem. Auch sein Sohn Reinold Hagen jun. arbeitete als Wirtschaftsingenieur im väterlichen Unternehmen. Um sein Lebenswerk über den Tod hinauszuführen, verkaufte Reinold Hagen jedoch 1989 das Unternehmen (heute Kautex-Textron) und gründete die Dr. Reinold Hagen Stiftung, deren Gemeinnützigkeit 1990 anerkannt wurde. Die Stiftung initiiert Vorhaben im Bildungs- und Forschungsbereich, speziell in der Kunststofftechnik mit dem Schwerpunkt Blasformen und Maschinenbau, gewerblich-technische Aus- und Weiterbildung sowie Projekten zur Berufswahlorientierung.

Werbung für KAUTEX Benzinkanister. (Dr. Reinold Hagen Stiftung)
Reinold Hagen führte sein Unternehmen patriarchalisch und bodenständig zugleich. Fleiß, Ehrlichkeit und Bescheidenheit waren Tugenden, die er selbst verkörperte und daher auch bei anderen besonders schätzte. Distanziert war sein Verhältnis zu Gewerkschaften, gleichwohl er in seinem Betrieb vielfältige Sonderleistungen anbot und soziale Fürsorge gegenüber seinen Mitarbeitern praktizierte. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Ausbildung von Lehrlingen. Privat zog er das Naherholungsgebiet Eifel weiten Geschäftsreisen zu seinen Dependancen in den USA und Spanien vor. In Stahlhütte an der Ahr erwarb er ein Gut und baute es nach seinen Vorstellungen um, initiierte einen dort noch heute existierenden Campingplatz und legte Fischteiche an.
Ehrenamtlich widmete sich Reinold Hagen der Kommunalpolitik und folgte damit dem Beispiel seiner Eltern. Sein Vater Theodor Hagen war von 1910-1916 Stadtverordneter in Siegburg, die Mutter 1933 als Mitglied der Zentrumspartei in den Kreistag gewählt worden; daneben war sie Geschäftsführerin des Kreisverbandes Sieg des Bundes der Kinderreichen. Reinold Hagen gehörte zu den Mitbegründern der CDU des Siegkreises und war von 1948-1964 Bürgermeister der Gemeinde Holzlar, von 1961-1964 auch des Amtes Menden. Dem Bundestagsabgeordneten Gustav Stein (CDU, MdB 1961-1972) galt er als geschätzter Ratgeber und Gesprächspartner bei wirtschaftspolitischen Themen. In seiner Gemeinde Holzlar unterstützte er in vielfältiger Weise das Vereinswesen, beispielsweise den Fußballverein und die Feuerwehr. Sein vielschichtiges soziales Engagement in der Kirchengemeinde geht auf die Prägung in der Großfamilie zurück, in der er nach christlichen Maßstäben erzogen worden war. Seine Frau Änne und er waren tief im katholischen Glauben und Gemeinwesen verwurzelt und unterstützten großzügig die Styler Mission. 1951 wurde Reinold Hagen als Gemeindebürgermeister Holzlars Vorsitzender einer Arbeitsgemeinschaft zum Bau der Kirche Christ König, die sein Bruder Hermann Hagen entwarf und umsetzte. Nach der Gründung der neuen Kirchengemeinde wurde Reinold Hagen 1955 Zweiter Vorsitzender des Kirchenvorstandes. 1956 wurde er wegen seiner Verdienste um die Kirche zum Ritter des päpstlichen Sylvesterordens ernannt. In Anerkennung seiner Leistungen in der Wirtschaft, seiner internationalen Arbeit und der Förderung humanitärer Aufgaben in Übersee verlieh ihm 1966 die San-Carlos-Universität der Philippinen die Ehrendoktorwürde. Ihr waren bereits zahlreiche fachbezogene Auszeichnungen der Industrie vorausgegangen. Reinold Hagen starb 1990 an den Folgen eines Herzinfarktes. Die Fertigstellung der Stiftungsgebäude seiner Stiftung erlebte er nicht mehr. Auch gelang es ihm nicht mehr, in Siegburg ein Alten- und Pflegeheim zu errichten.
Literatur
Hillen, Barbara, Dr. Reinold Hagen. Visionär und Gestalter, in: Siegburger Blätter 42 (2013).

Reinold Hagen, 1960er Jahre, Porträtfoto. (Dr. Reinold Hagen Stiftung)
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Hillen, Barbara, Reinold Hagen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reinold-hagen-/DE-2086/lido/57c825a5f34799.60202662 (abgerufen am 02.12.2023)