Ab 1945 - Die Geschichte Nordrhein-Westfalens von 1945 bis 2017
Zu den Kapiteln
1. „Operation Marriage“ – die Gründung des Landes
Mit dem 8.5.1945 war das nationalsozialistische „Dritte Reich“ endgültig besiegt und die Siegermächte übernahmen mit der Berliner Erklärung vom 5.6.1945 die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in Deutschland. Es wurden vier Besatzungszonen gebildet, nachdem im Anschluss an die Potsdamer Konferenz vom 17.7.-2.8.1945 zu den Briten, Amerikanern und Sowjets die Franzosen hinzukamen. Ein Alliierter Kontrollrat der vier Mächte sollte die Oberaufsicht bezüglich aller Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen regeln. Dieses zentrale Steuerungsorgan verlor aber in dem Maße rasch an Funktion, indem sich die drei westlichen Siegermächte mit der sowjetischen in einem sich mehr und mehr zuspitzenden Ost-West-Gegensatz befanden und ein Kalter Krieg begann, dessen Frontlinie mitten durch Deutschland verlief und das Land sowie die Hauptstadt Berlin immer weiter auseinanderriss. Daher agierten die Besatzungsmächte in ihren jeweiligen Zonen zunächst einmal eigenverantwortlich. Zur britischen Besatzungszone gehörten neben den Vorgängerterritorien des heutigen Niedersachsen und Schleswig Holstein unter anderem die preußische Provinz Westfalen, das Land Lippe sowie von der bisherigen preußischen Rheinprovinz nur der Nordteil, die Regierungsbezirke Aachen, Köln und Düsseldorf, die nun eine Nordrhein-Provinz bildeten. Der Südteil gehörte zur französischen Besatzungszone und ging später im Land Rheinland-Pfalz auf.
In den Städten an Rhein und Ruhr sowie in Westfalen und darüber hinaus bot sich der britischen Besatzungsmacht ein Bild der Verwüstung und eine katastrophale Versorgungslage. Wohnungen und Infrastrukturen waren insbesondere in den von Bombenangriffen schwer betroffenen industriellen Zentren des Landes weitgehend zerstört. Die Bevölkerung in den urban verdichteten Gebieten wie dem Ruhrgebiet hatte kaum eine Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. Hunger und Elend, verstärkt durch den harten Hungerwinter 1946/1947, ließen die oftmals zur Improvisation gezwungene Bevölkerung Überlebensstrategien erfinden – Begriffe wie „Schwarzmarkt“, „hamstern“ und „fringsen“ gingen schnell in den Wortschatz ein. Der populäre Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings rechtfertigte in seiner berühmten Silvesterpredigt 1946 den sich aus Not ergebenden Kohlenklau, fortan - wie andere kleine Diebstähle auch - als „fringsen“ bezeichnet. Bis 1950 kamen zudem 1,7 Millionen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten in den Westen.
Die Briten sahen eine ihrer hauptsächlichen Aufgaben im Aufbau der Demokratie von unten, von der Ebene der Kommunen her. Der nächste Schritt war die Bildung von Ländern, um den föderalen Aufbau eines neuen deutschen Staates voranzutreiben. So wurde am 23.8.1946 im Stahlhof in Düsseldorf das Land Nordrhein-Westfalen offiziell gegründet.
Es handelte sich um eine Länderneugründung, einen Vorgängerstaat gleichen Gebiets oder ein identitätsstiftendes Territorium gingen dem neuen Land an Rhein und Ruhr nicht voraus, unabhängig davon, wie geschichtsträchtig die verschiedenen Gebietsteile des neu zugeschnittenen Landes auch waren. Der britischen Besatzungsmacht kam es nicht darauf an, an historisch-kulturelle Bezüge in einem homogenen Raum anzuknüpfen, sondern Nordrhein-Westfalen entstand vor allem aus geopolitisch-geostrategischen Überlegungen. Ein wesentlicher Grund war für die Briten das Einhegen des Ruhrgebiets. Weder Wünsche Frankreichs nach einem staatlichen Sonderstatus des Montanreviers noch Josef Stalins (1879-1953) während der Potsdamer Konferenz geäußerte Idee eines Viermächtestatus für das Ruhrgebiet sollten weiter verfolgt werden können. Bereits am 21.6.1946 war intern der Beschluss zur Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen gefallen, am 17.7.1946 teilte der britische Militärgouverneur Sholto Douglas (1893-1969) auf einer Konferenz beim Alliierten Kontrollrat in Berlin mit, dass das nördliche Rheinland mit Westfalen zusammengelegt werde. Am 20.7.1947 wurde Düsseldorf zur künftigen Landeshauptstadt bestimmt.
Das Land Nordrhein-Westfalen setzte sich nach seiner staatsrechtlichen Grundlage, der Militärverordnung Nr. 46 der britischen Militärregierung vom 23.8.1946 zur „Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der Britischen Zone und ihre Neubildung als selbständige Länder“, zunächst zusammen aus dem Nordteil der preußischen Rheinprovinz sowie der preußischen Provinz Westfalen. Am 21.1.1947 kam das Gebiet des ehemaligen Fürstentums Lippe hinzu, was die Militärverordnung Nr. 77 mit der Eingliederung des eigenständigen Landes Lippe (Freistaat seit 1918) in das Land Nordrhein-Westfalen regelte. Damit waren die territorialen Grenzen des neuen Landes weitestgehend umschrieben - später gab es mit Belgien und den Niederlanden noch einige kleinere Grenzklärungen -, wie sie bis heute gelten. Am 25.2.1947 kam es durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 zur formellen Auflösung des Landes Preußen, das aus Sicht der Briten als Träger des Militarismus und der Reaktion gebrandmarkt war und seine Existenzberechtigung verwirkt hatte. Bis dahin waren auch die neuen Länder Schleswig-Holstein (ebenfalls am 23.8.1946) und Niedersachsen (1.11.1946) in der britischen Besatzungszone geschaffen worden.
Das Land Nordrhein-Westfalen trat die Rechtsnachfolge des aufgelösten Freistaats Preußen an. Die Menschen in den neuen Grenzen des gerade geschaffenen Landes einte noch am ehesten, dass sie sich mit dem ungeliebten Preußen als Vorgängerstaat so gut wie nicht identifizieren konnten – eine Aversion, die besonders die Rheinländer in ihrem Bewusstsein seit 1815 geprägt hatte. Ansonsten lief die Gründung des neuen Landes bei den Briten nicht völlig zu Unrecht unter dem Codenamen „Operation Marriage“ wegen der eigentlich doch sehr unterschiedlichen Landesteile Rheinland und Westfalen, die hier vereint wurden.
2. Zwischen Bizone und Bundesrepublik – die ersten Jahre 1946-1949
Der Regional Commissioner für die Provinz Nordrhein, William Asbury (1889-1961), bot am 24.7.1946 dem Oberpräsidenten der preußischen Provinz Westfalen, Rudolf Amelunxen, an, erster Ministerpräsident des neuen Landes Nordrhein-Westfalen - freilich unter britischer Kontrolle - zu werden und in Düsseldorf ein Kabinett zu bilden, nachdem sich die britische Militärregierung in einer Besprechung zwei Tage zuvor auf ihn geeinigt hatte. Die Briten wollten wohl mit der Ernennung des westfälischen Oberpräsidenten zum Ministerpräsidenten der Enttäuschung vieler Westfalen, die auf die Errichtung eines selbständigen Landes Westfalen mit der Hauptstadt Münster gehofft hatten, entgegenwirken. Die Ernennung Amelunxens wurde bereits am Abend des 26.7.1946 bekanntgegeben. Seit März 1946 hatte Rudolf Amelunxen der britischen Besatzungsmacht schon als Mitglied des Zonenbeirats gedient. Vor 1933 hatte er der katholischen Zentrumspartei angehört, in die er 1947 zurückkehrte. Die Briten gaben dem damals noch Parteilosen den Vorzug gegenüber rheinischen Christdemokraten wie Karl Arnold oder Hermann Pünder, die bereits in der Gründungsphase der Christlich Demokratischen Union den Weg in die neue – im Unterschied zum Zentrum – überkonfessionell christlich ausgerichtete Partei gefunden hatten.
Die Wahl Düsseldorfs als Landeshauptstadt kam unerwartet, obwohl die Verlegung des Verwaltungssitzes der Provinz Nordrhein von Bonn nach Düsseldorf im Oktober 1945 bereits gezeigt hatte, dass die Briten Düsseldorf bevorzugten. Am 1.5.1946 siedelten sie eine wichtige zivile Verwaltungsbehörde, den Regional Commissioner (Zivilgouverneur für Nordrhein), ebenfalls in Düsseldorf an, der seinen Sitz im Stahlhof nahm. Düsseldorf bot ein gewisses Potenzial an Büro- und Verwaltungskapazitäten, weil es schon vor dem Zweiten Weltkrieg Sitz großer Unternehmen und wichtiger industrieller Interessenvereinigungen gewesen war, andererseits blieb die Ansiedlung der Behörden und politischen Institutionen des neu gegründeten Landes in der stark kriegszerstörten Stadt lange Zeit nur provisorisch.
So wie der Ministerpräsident wurde auch die erste Landesregierung ernannt. Amelunxens erstes Kabinett tagte erstmals am 30.8.1946 und bestand aus Parteilosen sowie aus Mitgliedern des Zentrums, der FDP, der SPD und der KPD. Die neu entstandene CDU unter dem zunächst als Fraktionsvorsitzender in den neuen Landtag eingezogenen Landtagsabgeordneten Konrad Adenauer zog die Opposition vor, nachdem sie das Innen- und Kultusministerium nicht erlangen konnte. Nach einer Kabinettsumbildung Ende 1946 und nach der für die CDU günstig verlaufenen ersten Kommunalwahl im Oktober 1946, bei der sie landesweit 46 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatte, stellte im zweiten Kabinett Amelunxens auch die CDU erstmals Landesminister. Von August 1946 bis zum 1.4.1953 bezog die Landesregierung das Mannesmann-Haus am Rheinknie als Staatskanzlei und Amtssitz des Ministerpräsidenten.
Die Eröffnungssitzung des ersten Landtags fand am 2.10.1946 in der Düsseldorfer Oper. statt. Die 200 Abgeordneten waren ernannt und hatten zuvor im Wesentlichen den beiden Provinzialräten angehört; vertreten waren SPD, KPD, CDU, Zentrum und FDP, dazu waren einige Abgeordnete parteilos. Die Kompetenzen des Landtags und der Landesregierung waren gegenüber den Rechten der Besatzer noch stark beschränkt. Sitzungen fanden zunächst in Provisorien statt. Erst 1949 war das im Krieg schwer beschädigte Ständehaus soweit in Stand gesetzt, dass der Landtag dort für die nächsten Jahrzehnte seine Heimat fand.
Das vormalige eigenständige Land Lippe musste 1947 auf Betreiben der Briten seine Selbstständigkeit aufgeben. Das kleine Land sollte zunächst mit Niedersachsen vereinigt werden, was der Mentalität der Bevölkerung wohl auch eher entsprochen hätte. Doch die lippische Regierung unter Landespräsident Heinrich Drake (1881-1970) entschied sich nach Verhandlungen für den Anschluss an Nordrhein-Westfalen. Das Land Lippe ließ sich von der Düsseldorfer Regierung umfassende politische Zusagen geben (Lippische Punktationen). Sein Landesvermögen etwa wurde größtenteils nicht nordrhein-westfälischer Staatsbesitz, sondern dem eigens gegründeten Landesverband Lippe übertragen. Zusätzlich musste die Bezirksregierung aus Minden ihren Sitz für den neuen Regierungsbezirk Minden-Lippe (später Regierungsbezirk Detmold) in der ehemals lippischen Landeshauptstadt Detmold nehmen. Den Lippern wurde außerdem gestattet, ihre Gemeinschaftsschulen beizubehalten, während in Westfalen und im Rheinland die Konfessionsschule („Bekenntnisschule“) bis in die 1960er Jahre die Regelschule war. Die Briten versprachen den Lippern eine Volksabstimmung innerhalb von fünf Jahren, in der sie über den Beitritt abschließend abstimmen sollten. Die bis 1952 vorgesehene Abstimmung fand jedoch nie statt. Am 5.11.1948 wurde mit Verabschiedung des „Gesetzes über die Vereinigung des Landes Lippe mit Nordrhein-Westfalen“ die Eingliederung Lippes durch den Landtag Nordrhein-Westfalen rechtlich abschließend geregelt.
Am 20.4.1947 fanden die ersten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen statt. Die CDU wurde mit 37,6 Prozent stärkste Partei und stellte fortan mit dem CDU-Politiker Karl Arnold, der dem linken Parteiflügel zugeordnet wurde, den zweiten Ministerpräsidenten. Der gebürtige Oberschwabe Arnold scheute sich nicht, in der für das Land wirtschaftlich und politischen schweren Zeit, neben dem naheliegenden politischen Partner, der Zentrumspartei (9,8 Prozent), auch die SPD (32,0 Prozent), bis 1948 sogar die KPD (14,0 Prozent), an seiner ersten Regierung zu beteiligen.
Unter Ministerpräsident Arnold war Nordrhein-Westfalen in dem 1948 einberufenen Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes vertreten, auf dessen Grundlage die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde. In dieser Verfassung wurde – als Konsequenz aus den negativen Erfahrungen mit dem totalitären NS-Regime und dessen Gleichschaltungspolitik der Länder – der föderale Charakter der neuen Staatsordnung festgeschrieben. Nordrhein-Westfalen war und blieb das bevölkerungsreichste Land der neuen Republik, die in der Anfangsphase niemand mehr prägte als der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der von 1949 bis 1963 erster Bundeskanzler wurde. Bonn, das bereits als Tagungsort für den Parlamentarischen Rat gedient hatte und wo auch das Grundgesetz von den Ministerpräsidenten der Länder unterzeichnet worden war, wurde Bundeshauptstadt und gab – trotz des provisorischen Charakters – der Geschichte der Bundesrepublik bis zum Jahre 1990 mit der Bezeichnung „Bonner Republik“ ihren prägenden Namen.
Gut ein Jahr nach Kriegsende gab es bereits wieder 19 lizenzierte Zeitungen in Nordrhein-Westfalen. 1946 wurde der Vorläufer der späteren Hochschule für Musik Detmold gegründet und die Kunstakademie Düsseldorf wiedereröffnet. Ein Jahr später wurde die Sporthochschule Köln als erste neue Hochschule errichtet. Im Jahr 1947 fanden auch die ersten Ruhrfestspiele unter dem Motto „Kunst gegen Kohle“ statt. Die Hamburger Bühnen dankten so den Kumpeln in Recklinghausen, die ihnen heimlich Kohle für ihre Schauspielhäuser geschenkt hatten. Inmitten der Ruinen des kriegszerstörten Kölns fand 1949 der erste Kölner Rosenmontagszug nach dem Krieg statt. In ihrer stets zum Optimismus neigenden Art besangen sich die Kölner in dieser Session als die „Eingeborenen von Trizonesien“, da kurz vor Gründung der Bundesrepublik die amerikanisch-britische Bizone um die französische Besatzungszone zur Trizone vereinigt worden war.
Der besonderen wirtschafts- und rüstungspolitischen Bedeutung des Ruhrgebiets trug das am 29.4.1949 beschlossene Ruhrstatut Rechnung. Im nachfolgenden Petersberger Abkommen akzeptierte die junge Bundesrepublik die zur Umsetzung des Ruhrstatuts vorgesehene internationale Behörde, die die Montanindustrie der Region kontrollieren sollte. Die Kontrollbehörde, zu deren Sitz das Atlantikhaus im heutigen Regierungsviertel Düsseldorfs bestimmt wurde (heute Sitz des nordrhein-westfälischen Bauministeriums), war allerdings nur bis zum Inkrafttreten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1952 tätig. Produktionsbeschränkungen wurden nach kurzer Zeit gelockert, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu fördern und nicht zuletzt auch die französische Stahlindustrie mit deutscher Kohle zu versorgen. Gleichzeitig beendete das Petersberger Abkommen die Demontage wichtiger Industrieanlagen im Ruhrgebiet.
3. Die Regierungen Arnold, Steinhoff und Meyers bis 1966
Die zweite Landtagswahl am 18.6.1950 bestätigte Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) im Amt. Die CDU wurde mit 36,9 Prozent wieder die stärkste Kraft im Parlament, gefolgt von der SPD mit 32,3 Prozent; letztmals gelang der KPD mit 5,5 Prozent der Einzug. Gewinner war die FDP mit 12,1 Prozent, das Zentrum verlor leicht und kam auf 7,5 Prozent. Wichtige Themen waren die Vorschläge der SPD zur Einführung der Allgemeinschulen und die Montanmitbestimmung. Letztere fiel zwar vor allem in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, hatte aber für Nordrhein-Westfalens Industrie naturgemäß eine besondere Bedeutung. Die CDU, die bisher eine Koalition mit SPD und Zentrum angeführt hatte, ging nach der Wahl eine Koalition mit der Zentrumspartei ohne die SPD ein, was ihr aufgrund einiger Überhangmandate möglich war. Karl Arnold galt als katholischer Sozialpolitiker, der den Forderungen nach einer Mitbestimmung der Arbeiter und sogar nach Einführung konfessionsloser Schulen relativ unvoreingenommen gegenüberstand – im Gegensatz zu Konrad Adenauer. Dieser stellte sich gegen Arnold und wirkte massiv auf die Bildung einer Regierungskoalition ohne Beteiligung der SPD hin.
Mit der Landtagswahl 1950 wurde auch über die Annahme der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen abgestimmt, deren Entwurf vom Landtag kurz zuvor mit 110 Stimmen von CDU und Zentrum gegen 97 von SPD, FDP und KPD beschlossen worden war. Am umstrittensten war die von CDU und Zentrum durchgesetzte Konfessionsschule. Bei der Volksabstimmung stimmten 57 Prozent mit Ja, 35,2 Prozent mit Nein, 7,8 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig. In den überwiegend katholischen Gebieten ergab sich überall eine deutliche Mehrheit für die Verfassung, während in den mehrheitlich protestantischen Landesteilen häufig die Nein-Stimmen überwogen. Die stärkste Ablehnung gab es im ehemaligen Land Lippe (58,6 Prozent Ablehnung). Die damit ausgedrückte kritische Haltung der Lipper zu ihrem neuen Land veranlasste die Landesregierung möglicherweise, die erwartete Volksabstimmung über den Anschluss des Landes Lippe nicht abzuhalten. Die Kreise Detmold und Lemgo, die gegen diese Behandlung vor das Bundesverfassungsgericht gezogen waren, setzten sich mit ihrer Rechtsauffassung dort am 28.7.1955 allerdings nicht durch.
Arnold wirkte als Ministerpräsident in der ersten Legislaturperiode auf die Montanmitbestimmung hin, die 1951 im Montan-Mitbestimmungsgesetz verankert wurde und zum Vorbild für weitere Mitbestimmungsgesetze in der Sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik wurde. Alliierte Pläne zur Neuordnung der Besitzverhältnisse der deutschen Montanunternehmen und einer Kontrolle der gesamten Stahlindustrie, dem Ruhrstatut als Idee zugrunde liegend, wurden im Zuge der Gründung der Montanunion aufgegeben. Durch das Montan-Mitbestimmungsgesetz war die Gewerkschaftsbewegung ohnehin als Gegenpol zum Großkapital in den Montanunternehmen aufgestiegen.
Der Landtag beschloss 1952 auch die von den Briten bereits 1945 per Beschluss in Grundzügen eingeführte Gemeindeordnung. Die neue Gemeindeordnung war nach den Prinzipien der Norddeutschen Ratsverfassung aufgebaut und wies dem Gemeinderat, das als einziges Organ direkt gewählt wurde, eine wesentliche Stellung zu. Diese Gemeindeordnung wurde erst 1994 grundlegend geändert. Die Kommunen im Landesteil Rheinland sowie in Westfalen-Lippe erhielten 1953 in Nachfolge der preußischen Provinzialverbände zur besseren Erfüllung ihrer kommunalen Aufgaben Landschaftsverbände, die in besonderem Maße den kulturellen Eigenarten der Rheinländer und den Westfalen (LVR und LWL) gerecht werden sollten. 1953 wurden auch die Landesflagge und das Landeswappen festgelegt. Das Wappen zeigt die Symbole der drei Landesteile Rheinland (den Rhein), Westfalen (das Westfalenross) und Lippe (Lipper Rose).
Bei der Landtagswahl 1954 erhielt die CDU (wie schon bei der Bundestagswahl 1953) mit deutlichem Abstand die meisten Stimmen mit 41,3 Prozent, die SPD kam auf 34,5 Prozent und die FDP auf 11,5 Prozent. Die KPD verpasste den Einzug in den Landtag. Karl Arnold gelang es, die FDP in eine Regierung einzubinden. In seinem dritten Kabinett war neben den FDP-Ministern weiterhin auch der ehemalige Ministerpräsident, jetzige Landesjustizminister und immer noch dem Zentrum angehörende Rudolf Amelunxen vertreten, dessen Partei mit einer einmaligen Ausnahmeregelung knapp im Landtag noch vertreten war, obwohl sie an der 5-Prozent-Hürde gescheitert war.
Die Lufthansa mit Hauptsitz in Köln wurde 1955 neu gegründet, an der auch das Land Nordrhein-Westfalen direkte Kapitalbeteiligungen hielt. Infolge des 1955 geschlossenen Anwerbeabkommen mit Italien kamen viele Italiener ins Land, um den Arbeitskräftemangel in der nordrhein-westfälischen Industrie abzufedern. Bis heute stellen die Italiener nach den Türken die zweitgrößte Ausländergruppe im Land. Mit der Türkei schloss Nordrhein-Westfalen 1961 ein Anwerbeabkommen, das ab den 1960er Jahren zu einem noch stärkeren Zuzug türkischer Arbeiter führte. Insbesondere die Industrien im Ballungsraum Rhein-Ruhr erhielten so die im Wirtschaftswunder gesuchten zusätzlichen Arbeitskräfte.
Durch deutsch-belgischen Grenzvertrag wurden 1956 die Grenzen zwischen Nordrhein-Westfalen und Belgien endgültig festgelegt. Dabei wurden unter anderem auch von Belgien beanspruchte Gebiete wieder nordrhein-westfälisch.
Bereits nach zwei Jahren zerbrach 1956 die CDU/FDP-Koalition, da die FDP aus Protest gegen eine von Bundeskanzler Konrad Adenauer angestrebte Wahlrechtsreform, die sich zu Lasten kleiner Parteien ausgewirkt hätte, die Koalition aufkündigte. Im Landtag wählten FDP und SPD per konstruktivem Misstrauensvotum den ehemaligen Bergmann Fritz Steinhoff (1897-1969) (SPD) zum neuen Ministerpräsidenten, der eine SPD-FDP-Regierung mit abermaliger Beteiligung Amelunxens vom Zentrum formte, deren Amtszeit aber nur ein kurzes Intermezzo bleiben sollte.
1956 spaltete sich der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) in den Norddeutschen Rundfunk (NDR) und den Westdeutschen Rundfunk (WDR). Das Sendegebiet des WDR umfasste das Land Nordrhein-Westfalen, während der NDR für die norddeutschen Länder produzierte. Seit 1955 durften die Bürger des Landes wieder Lotto spielen, 1957 wurde die landeseigene Westdeutsche Lotterie eigenständig. Die römisch-katholische Kirche errichtete 1958 mit dem Bistum Essen ein eigenes Bistum für das bevölkerungsreiche Ruhrgebiet.
Die Landtagswahl 1958 beendete die sozialliberale Koalition nach nur zwei Jahren. Der 1956 aus dem Amt gedrängte und recht beliebte ehemalige Ministerpräsident Karl Arnold trat 1958 erneut als Spitzenkandidat der CDU an. Kurz vor der Landtagswahl starb Arnold jedoch unerwartet im Alter von nur 57 Jahren. Die CDU gewann die Landtagswahlen dennoch erstmals mit absoluter Mehrheit (50,5 Prozent, SPD 39,2 Prozent und FDP 7,1 Prozent), wobei ihr wiederum der Bundestrend half und die große Popularität Adenauers, der ein Jahr zuvor ebenfalls eine absolute Mehrheit für die Union bei den Bundestagswahlen erreicht hatte. Arnolds Erbe und neuer Ministerpräsident wurde sein rheinischer Parteifreund Franz Meyers. Das Zentrum verpasste 1958 erstmals den Einzug in den Landtag.
Ende des Jahrzehnts geriet die Montanindustrie des Landes in ihre erste große Krise. Die Kohlekrise hatte verschiedene technische, ökonomische und politische Ursachen und führte zum Ausfall von Schichten und zu Entlassungen. Eine der ersten Zechen im Revier, die wegen der Kohlekrise ihren Betrieb 1959/1960 stilllegen musste, war die Zeche Prinz Regent in Bochum. Die Kohlekrise, die später auch auf die Stahlindustrie überschlug, läutete den andauernden Strukturwandel im Revier ein, der zum großen politischen Thema der kommenden Jahrzehnte wurde.
Am 8.4.1960 wurde der Holland-Vertrag („Algemeen Verdrag“) abgeschlossen. Dieser deutsch-niederländische Grenzvertrag regelte die Rückgabe unter niederländischer Auftragsverwaltung stehender Gebiete an Deutschland bis 1963 und stellte einen ersten Schritt zur Verbesserung der deutsch-niederländischen Beziehungen dar. Gebiete wie der Selfkant, Elten (heute Stadt Emmerich) und Suderwick-West kamen im August 1963 zu Nordrhein-Westfalen, während der Wylerberg unter niederländische Souveränität fiel.
In Jülich nahm 1962 der Forschungsreaktor seinen Betrieb auf. Heute gilt das daraus erwachsene Forschungszentrum Jülich als eine der größten Forschungseinrichtungen des Landes.
Bei der Landtagswahl 1962 verlor die CDU zwarihre absolute Mehrheit und erreichte nur noch 46,4 Prozent der Stimmen, während die SPD mit 43,3 Prozent den Abstand zur Union deutlich verkürzte. . Ministerpräsident Franz Meyers (CDU) gelang aber die Bildung einer schwarz-gelben Koalition (FDP 6,8 Prozent) und konnte weitere vier Jahre Ministerpräsident bleiben.
Bereits während des Bundestagswahlkampfes 1957 hatte Franz Meyers den jungen aufstrebenden Wissenschaftler und Politiker Paul Mikat kennen- und schätzen gelernt. Nun berief er den knapp 38-Jährigen als Kultusminister in sein neues Kabinett. Mikat machte sich in den nur vier Jahren seiner Amtszeit einen bleibenden Namen als wichtiger Wissenschaftsorganisator und Schulpolitiker. Allein vier Universitäten wurden während seiner Amtszeit gegründet: in Bochum, Düsseldorf, Bielefeld und Dortmund. Seine Maßnahmen zur Behebung des Lehrermangels in Nordrhein-Westfalen machten ihn schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt: etwa 4.500 fehlende Lehrerstellen im Volksschulbereich ließen ihn gleich nach Amtsübernahme zu einer ungewöhnlichen Maßnahme greifen. Es sollten Aushilfskräfte, die zumindest das Abitur hatten, nach einem einjährigen Lehrgang auf den Volksschuldienst vorbereitet werden. Absolventen dieses Schnellverfahrens hießen im Volksmund bald „Mikätzchen“ und „Mikater“. Zusätzliche Weiterbildungen sollten diese Quereinsteiger allmählich auf den Stand ihrer studierten Kollegen bringen. Fast 2.500 Frauen und Männer in Nordrhein-Westfalen begannen 1963 ihre Lehrgänge und unterrichten schon ab Januar 1964.
4. Politischer Wechsel und beginnender Strukturwandel – die lange Ära Kühn und Rau bis 1998
Nach der Landtagswahl 1966 konnte sich die CDU/FDP-Koalition, wenn auch nur knapp, zunächst behaupten; nur hauchdünn verpasste die SPD mit 49,5 Prozent eine eigene absolute Mehrheit, die CDU erreichte 42,8 Prozent und die FDP kam auf 7,4 Prozent. Die beginnende Rezession, die besonders das Ruhrgebiet hart traf, ließ die oppositionellen Sozialdemokraten jedoch deutlich profitieren und an Zustimmung gewinnen.
CDU und FDP, die nur noch über 101 der 200 Sitze verfügten, einigten sich zunächst auf eine Fortsetzung ihrer Koalition. In der konstituierenden Sitzung des Landtags am 25. Juli schaffte Franz Meyers die Wiederwahl als Ministerpräsident aber erst im zweiten Wahlgang mit 100 zu 99 Stimmen gegen Kühn, wobei ihm hier die einfache Mehrheit reichte. Die neue CDU/FDP-Regierung hielt sich aber nur kurz. Nachdem die SPD am 5.11.1966 ein Misstrauensvotum angekündigt hatte, beschloss die CDU, Koalitionsverhandlungen mit der SPD aufzunehmen. Dies veranlasste die FDP dazu, ebenfalls eine Koalition mit der SPD anzustreben. Am 1.12.1966 entschied sich die SPD-Fraktion mehrheitlich für eine Koalition mit der FDP. Am 8.12.1966 wurde Heinz Kühn (1912-1992) durch ein zweites konstruktives Misstrauensvotum (nach 1956) mit 112 zu 85 Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Wenige Tage vorher hatte die SPD auch bundesweit nach dem Ende der CDU/CSU/FDP-Koalition unter Bundeskanzler Ludwig Erhard (1897-1977) als Teil der erstmals unter dem neuen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (1904-1988) gebildeten Großen Koalition von CDU/CSU und SPD nach 1945 Regierungsverantwortung übernommen.
Die Volksschulen wurden Mitte der 1960er Jahre gemäß dem Hamburger Abkommen landesweit durch ein Schulsystem mit Grundschulen und Hauptschulen als Regelschulen ersetzt. Daneben existierten weiter die Gymnasien. 1968 verständigten sich SPD und CDU auf die Einführung der Gemeinschaftsschule als Regelschule. Eine Konfessionsschule (Haupt- oder Realschule) konnte nach dieser Verständigung in Nordrhein-Westfalen auf Wunsch der Eltern und bei ausreichend gewährleisteter Schulgröße gleichwohl weiter in staatlicher Trägerschaft eingerichtet beziehungsweise beibehalten werden.
Das Zechensterben weitete sich 1966 mit der Stilllegung der Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen auch auf bisher rentable Zechen aus. Stilllegungen aus mutmaßlich ökonomischen Gründen, um hohe Stilllegungsprämien zu erhalten, waren besonders umstritten. Die Bundesregierung griff mit Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (1911-1994) 1967 in die Krise des Bergbaus ein und initiierte eine konzertierte Aktion. Die Regierung drohte mit Streichung der Subventionen, falls sich Tarifpartner und Regierung nicht auf ein neues Kohlegesetz einigen würden. Dieses Gesetz trat 1968 in Kraft. Auf den Druck der Bundesregierung hin schlossen sich die meisten der Bergbauunternehmen zur Ruhrkohle AG zusammen. Dieses Großunternehmen sollte im Wettbewerb mit ausländischer Kohle schlagkräftiger sein, konnte das Zechensterben letztlich aber nur verzögern.
Die Landtagswahl 1970 ermöglichte SPD-Ministerpräsident Heinz Kühn mit 46,1 Prozent die Fortsetzung seiner Regierung. Sein Koalitionspartner FDP schaffte aber mit 5,5 Prozent nur knapp den Einzug in den Landtag, und die CDU wurde mit knappem Vorsprung mit 46,3 Prozent stärkste Partei. Die Wahl war die erste Landtagswahl nach Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre und die Wahlperiode wurde von vier auf fünf Jahre angehoben. Die SPD gründete 1970 als erste der großen Volksparteien einen Landesverband, der das gesamte Land Nordrhein-Westfalen umfasste. Die beiden CDU-Parteiverbände für das Rheinland und für Westfalen-Lippe zur CDU Nordrhein-Westfalen fusionierten erst 1986.
Das Inkrafttreten der 1969 bereits begonnenen, aber heftig umstrittenen kommunalen Gebietsreform war in dieser Legislaturperiode eines der wichtigsten Projekte, das nach dem Scheitern eines Volksbegehrens im Jahr 1974 bis 1975 abgeschlossen werden konnte. Aus über 2.300 kreisangehörigen Gemeinden wurden rund 373 Gemeinden. Durch die Kreisreform wurden aus 57 (Land-) Kreisen im Jahr 1966 bis 1975 31 Kreise; die Anzahl der kreisfreien Städte wurde von 38 im Jahr 1966 auf 23 im Jahr 1975 reduziert. Nordrhein-Westfalen ordnete damit in nur wenigen Jahren wie kein zweites Land seine Gemeindezuschnitte radikal neu. Im Bundesvergleich hat bis heute kein anderes Flächenland ähnlich bevölkerungsreiche Gemeinden. 1972 wurde auch der Regierungsbezirk Aachen aufgelöst und sein Gebiet dem Regierungsbezirk Köln zugeschlagen.
Ab 1971 wurden die Fachschulen in Nordrhein-Westfalen in 15 Fachhochschulen umgewandelt; 1972 folgten fünf Gesamthochschulen. Die in Deutschland einzigartige Fernuniversität Hagen wurde 1975 gegründet.
Bei der Landtagswahl 1975 trat Ministerpräsident Kühn erneut als Spitzenkandidat der SPD an - die SPD konnte mit 45,1 Prozent die Regierung mit der FDP (6,7 Prozent) fortsetzen. Stärkste Kraft wurde aber wieder die CDU mit 47,1 Prozent. Die Regierung kündigte 1976 die Einführung der Kooperativen Schule an und stieß damit auf großen Widerspruch in der Bevölkerung. Das bislang einzige erfolgreiche Volksbegehren gegen die Einführung wurde organisiert und erhielt die nötige Unterstützung der Bürger. Die Einführung der neuen Schulform wurde 1978 daraufhin gestoppt. Die Gesamtschulen wurden schließlich 1981 nach ausgiebiger Testphase endgültig ins nordrhein-westfälische Schulsystem integriert. Wegen dieser Niederlage und einer Verwicklung in der WestLB-Affäre trat der mehr und mehr amtsmüde wirkende Heinz Kühn 1978 vorzeitig von seinem Amt zurück. An seine Stelle wählte der Landtag den bisherigen Wissenschaftsminister Johannes Rau zum neuen Ministerpräsidenten.
Bis Mitte der 1970er Jahre war die Stahlindustrie konkurrenzfähig. Sie erzielte noch 1974 einen Rekordausstoß, geriet dann aber zunehmend, wie zuvor schon der Steinkohlenbergbau, in eine große Krise, die teils der aufkommenden ausländischen Konkurrenz, teils der Ölkrise, die zu hohen Energiepreisen geführt hatte, geschuldet war. Die Milderung der Auswirkungen dieser Strukturkrise und die Gestaltung des Strukturwandels blieben ein zentrales Thema aller folgenden Landesregierungen.
1979 startete die Landesregierung das Aktionsprogramm Ruhr. Das durch Luftverschmutzung immer stärker belastete Ruhrgebiet sollte sauberer und die Bewohner sollten durch Bildung in die Lage versetzt werden, andere Tätigkeiten außerhalb der Montanindustrie auszuüben. Die Landesregierung verwandte dafür große Teile des Haushaltes, wobei sich das Land jedoch immer stärker verschuldete. Die Ertragskraft des Landes war Ende der 1970er Jahre durch Stahl- und Kohlenkrise soweit gefallen, dass Nordrhein-Westfalen 1979 erstmals kein Geberland im Länderfinanzausgleich mehr war. Auch im folgenden Jahrzehnt sollte es unter den Nettoempfängern im Finanzausgleich bleiben. Ende der 1980er Jahre arbeiteten nur noch rund 4 Prozent der Beschäftigten in der Montanindustrie.
Der 1980 unterzeichnete „Jahrhundertvertrag“ sollte die heimische Steinkohle gegenüber importierter Steinkohle zur Verstromung bevorteilen. Der 1980 eingeführte „Kohlepfennig“ diente der Finanzierung dieser Subvention heimischer Steinkohle. 1986 wurde der „Kohlepfennig“ wegen verfassungsrechtlicher Bedenken aber wieder abgeschafft; die nordrhein-westfälischen Zechen wurden seitdem durch direkte staatliche Subventionen in die Lage versetzt, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. 1982 erreichte die Stahlkrise ihren Höhepunkt. Die Krupp Stahl AG kündigte die Schließung des Stahlwerkes in Rheinhausen (Stadt Duisburg) an, weil die heimische Stahlproduktion gegenüber ausländischer Importware nicht konkurrenzfähig sei. Die Schließung sollte 1988 erfolgen. Durch massive Proteste und Arbeitskämpfe im Jahr 1987 wurde das Überleben des Werkes noch einmal verlängert, aber 1993 letztlich doch stillgelegt.
Die Landtagswahl 1980 führte zu einem Landtag, der ausschließlich aus den Fraktionen CDU und SPD bestand, da die FDP knapp an der 5-Prozent-Hürde scheiterte. Als größere Fraktion hatte die SPD (48,4 Prozent) zwangsläufig eine absolute Mehrheit im Landtag. Die Union hatte mit 43,2 Prozent leichte Verluste zu verzeichnen. Ihr Spitzenkandidat Heinrich Köppler (1925-1980), der zum dritten Mal infolge angetreten war, starb drei Wochen vor dem Wahltermin (wie schon 1958 Karl Arnold). Für ihn sprang kurzfristig der CDU-Generalsekretär der Bundespartei, Kurt Biedenkopf (geboren 1930), ein. Zum Ministerpräsidenten wählte die SPD-Fraktion abermals Johannes Rau. Seine Popularität sicherte der NRW-SPD für insgesamt drei Legislaturperioden eine absolute Mehrheit. 1985 erzielte die SPD nach dem hohen Unionssieg bei der Bundestagswahl 1983 ihr bestes Ergebnis im Land mit 52,1 Prozent (CDU 36,5 Prozent, FDP 6,0 Prozent). Das Land wurde in der Folge oftmals als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ oder als „Stammland der SPD“ bezeichnet, deren Basis die Arbeitermilieus des Ruhrgebietes bildeten. Dies führte 1987 zur Kanzlerkandidatur von Johannes Rau bei der Bundestagswahl, doch unterlag er hier deutlich gegen Bundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017).
Der neue Landtag des Landes wurde 1988 am Rheinufer in Düsseldorf eingeweiht. Das Landesparlament erhielt damit ein erstmals für seine Bedürfnisse konzipiertes Gebäude. Mit ihm wurde auch der Grundstein für die Entwicklung eines Regierungsviertels am Düsseldorfer Rheinknie gelegt.
Die Kernreaktoren in Jülich und der Schnelle Brüter THTR 300 in Hamm wurden 1989 stillgelegt. Bei Letzterem kam es zu erheblichen Betriebsstörungen bis hin zu einem Austritt von Radioaktivität im Jahr des Tschernobyl-Unglücks 1986.
Die Landtagswahl 1990 bescherte der SPD mit Ministerpräsident Johannes Rau mit 50,0 Prozent erneut eine absolute Mehrheit (CDU 36,7 Prozent). Die Grünen schafften mit 5,0 Prozent erstmals den Einzug in das Landesparlament. 1991 beschloss der Bundestag den Umzug der Regierung und des Parlaments von Bonn nach Berlin. Dennoch verblieben Teile der Regierung und andere Bundeseinrichtungen in Bonn, das für den Verlust seiner Hauptstadtfunktion den Titel „Bundesstadt“ erhielt. Als Standort bedeutender (ehemaliger) Staatsunternehmen wie die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost und durch den Zuzug wichtiger UN-Einrichtungen konnte der Wegzug der Regierung und des Parlaments weitgehend kompensiert werden. Neubauten bedeutender staatlicher Museen – Bundeskunsthalle und Haus der Geschichte – schufen im alten Regierungsviertel zusammen mit der Kunstsammlung Bonn eine neue Museumsmeile.
Das bereits 1985 fast fertiggestellte Kernkraftwerk Kalkar wurde nicht in Betrieb genommen, 1991 wurde das Projekt endgültig aufgegeben. 1994 wurde mit dem Kernkraftwerk Würgassen auch das letzte nordrhein-westfälische Kernkraftwerk stillgelegt. Die von der anhaltenden Stahlkrise schwer angeschlagenen Stahlkonzerne des Landes konsolidierten in den 1990er Jahren ihre Unternehmen. Zunächst wurde aus der Hoesch AG und Krupp 1992 die Friedrich Krupp AG Hoesch-Krupp geformt, die ihrerseits 1997 mit Thyssen in der ThyssenKrupp AG aufging.
Die SPD verfehlte 1995 erstmals seit 1980 mit 46,0 Prozent die absolute Mehrheit (CDU 37,7, Grüne 10,0 Prozent). Johannes Rau konnte Ministerpräsident bleiben, war aber auf eine Koalition der Fraktionen SPD und Grüne angewiesen. Die Genehmigung des Tagebaus Garzweiler II führte die sich nur schwer zusammenfindende rot-grüne Koalition bereits 1996 an den Rand des Scheiterns.
5. Die Kabinette Clement, Steinbrück und Rüttgers bis 2010
Nach 20 Jahren trat 1998 Johannes Rau als einer der am längsten amtierenden Ministerpräsidenten Deutschlands zurück. 1999 wählte ihn die Bundesversammlung schließlich zum achten Bundespräsidenten. Nachfolger als Ministerpräsident wurde Landeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (geboren 1940). Er verlegte die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen in das Bürohochhaus Stadttor. Die Entscheidung Clements, das Justiz- und Innenministerium zusammenzulegen, provozierte erheblichen Widerspruch, schließlich beendete 1999 der Verfassungsgerichtshof die Fusion. Die Kommunalwahlen 1999 brachten gleich mehrere Neuerungen mit sich: Das Wahlalter sank auf 16 Jahre, die 5-Prozent-Hürde wurde für ungültig erklärt und die Doppelspitze abgeschafft, so dass die nun hauptamtlichen (Ober-) Bürgermeister und Landräte erstmals direkt zu wählen waren.
Die Landtagswahl 2000 konnte trotz Verlusten die SPD mit 42,8 Prozent gewinnen, während die CDU trotz der bundesweiten Spendenaffäre stabil bei 37,0 Prozent blieb. Der Gewinner der Wahl war die FDP mit 9,8 Prozent und über 5 Prozent Zuwachs. Mit den Grünen (7,1 Prozent) konnte Ministerpräsident Clement knapp die rot-grüne Koalition fortsetzen, doch wechselte er schon nach der Bundestagswahl 2002 als Minister für Arbeit und Wirtschaft in das Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder (geboren 1944) nach Berlin in die Bundesregierung. Der Landtag wählte daraufhin den bisherigen Landesfinanzminister Peer Steinbrück (geboren 1947) zu seinem Nachfolger als Ministerpräsidenten. 2003 wurden die Gesamthochschulen in reguläre Universitäten überführt.
Zur Landtagswahl 2005 trat Steinbrück erstmals als SPD-Spitzenkandidat an. Aufgrund der hohen Zahl an Wahlberechtigten schon immer als „kleine Bundestagswahl“ angesehen, erhielt diese Landtagswahl eine erhebliche bundespolitische Bedeutung. Die Wähler ermöglichten ein schwarz-gelbes Bündnis (FDP und Grüne kamen beide auf 6,2 Prozent) und die Wahl des bereits im Jahr 2000 angetretenen ehemaligen Bundesministers Jürgen Rüttgers (geboren 1951) (CDU mit 44,8 Prozent) zum Ministerpräsidenten. Damit war die SPD (37,1 Prozent) in ihrem als Stammland angesehenen Nordrhein-Westfalen erstmals seit fast 40 Jahren auf die Oppositionsbänke verwiesen. Die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder entschloss sich aufgrund dieser Niederlage und des deutlich schwindenden Rückhalts in der Bevölkerung noch im Herbst 2005 dazu, vorgezogene Bundestagswahlen anzustreben, was schließlich deren vorzeitige Abwahl herbeiführte.
Die neue CDU/FDP-Regierung ermöglichte 2006 den Hochschulen des Landes die Erhebung von Studiengebühren. In mehreren ländervergleichenden PISA-Studien belegte Nordrhein-Westfalens Schulsystem im Bundesvergleich in vielen Fächern nur untere Plätze, was Diskussionen um die Qualität des nordrhein-westfälischen Schulsystems auslöste. Als eine Konsequenz führte die Landesregierung 2007 erstmals das Zentralabitur im Land ein.
Der 2007 vereinbarte Ausstieg aus der Subventionierung des Steinkohlebergbaus führte bis 2018 zur Schließung der wenigen noch im Land bestehenden Zechen, die sich alle im Besitz der RAG Deutsche Steinkohle AG befinden. Die neu gegründete RAG-Stiftung als Besitzer der Deutschen Steinkohle soll die Begleichung der Ewigkeitskosten sichern. Voraussichtlich wirtschaftlich weiter betrieben werden kann nach dieser Vereinbarung der Braunkohlenabbau im Tagebauverfahren im Rheinischen Braunkohlerevier. 2006 wurde mit der Förderung im jahrelang stark umstrittenen Revier Garzweiler II begonnen.
Zum ersten Mal seit den 1970er Jahren wurde 2009 wieder eine Kreisreform im Land durchgeführt. Die Stadt Aachen und der Kreis Aachen wurden in der Städteregion Aachen zusammengefasst, um damit ein neuartiges Regionsmodell zu erproben.
6. Der Regierungswechsel 2010 unter Hannelore Kraft
Im Mai 2010 wurde die bisherige CDU/FDP-Regierung nicht wieder bestätigt, beide großen Volksparteien waren etwa gleich stark (CDU 34,6 Prozent und SPD 34,5 Prozent), Grüne (12,1 Prozent) und FDP (6,7 Prozent) zogen ebenso in das Parlament ein wie die Linke mit 5,6 Prozent. SPD und Grüne bildeten nach wochenlangen Verhandlungen unter Hannelore Kraft (geboren 1961) (SPD) eine Minderheitsregierung ohne eine Tolerierungsvereinbarung mit anderen Fraktionen zu schließen. Die rot-grüne Koalition schaffte im Februar 2011 die Studiengebühren zum kommenden Wintersemester wieder ab. In einem bisher im Land beispiellosen Vorgang erklärte der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen am 15.3.2011 den von der rot-grünen Koalition verabschiedeten Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2010 für verfassungswidrig. Auch der Haushalt für 2011 wurde im März 2013 für verfassungswidrig erklärt. Als Begründung wurde in beiden Urteilen vom Gericht die unzulässig hohe Verschuldung angeführt. Bereits im Jahr 2012 kam es zu einer vorgezogenen Landtagswahl, nachdem sich der Landtag erstmals in seiner Geschichte selbst aufgelöst hatte, weil der Haushaltsentwurf im Parlament keine Mehrheit finden konnte. Die Landtagswahl 2012 bestätigte die rot-grüne Regierung allerdings deutlich im Amt, die fortan mit einer eigenen Mehrheit regieren konnte (SPD 39,1 Prozent und Grüne 11,3 Prozent). Die CDU stürzte mit ihrem Spitzendkandidaten Norbert Röttgen (geboren 1965) auf ihren historischen Tiefststand mit 26,3 Prozent ab, die FDP erreichte 8,6 Prozent. Die Linke verfehlte den Einzug in den Landtag, wohingegen die Piraten erstmals mit 7,8 Prozent den Einzug in den Landtag schafften.
Bis Mitte 2011 konnte die sich spätestens seit der Finanzkrise ab 2007 in existenzbedrohenden Turbulenzen befindliche zum Teil landeseigene WestLB nicht saniert werden. Ein angestrebter Verkauf oder eine in Erwägung gezogene Fusion mit einer anderen Landesbank scheiterten. Im Juni 2011 entschlossen sich die Eigentümer daher, die WestLB – als erste Landesbank in Deutschland – zu zerschlagen. Die seit 2002 zur Stützung der Bank aus dem Landeshaushalt geflossenen Mittel in Milliardenhöhe sind damit weitgehend verloren.
Das Ruhrgebiet war 2010 Kulturhauptstadt Europas. Unter dem Motto „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas“ stand die Entwicklung einer der größten Industrieregionen der Welt zu einer kulturell lebendigen Metropolregion im Vordergrund. Der Kulturhauptstadttitel war erstmals nach Nordrhein-Westfalen vergeben worden. In diesem Zusammenhang erhielt das bedeutende Essener Museum Folkwang einen Neubau.
Am 23.8.2016 feierte das Land Nordrhein-Westfalen seinen 70. Geburtstag, unter anderem mit einem Festakt in der Tonhalle in Düsseldorf, in dem eine durchweg positive Gesamtbilanz des Zeitabschnittes von 1946 bis zur Gegenwart gezogen wurde. Der Landtag kam am 5.10.2016 zu einer Feierstunde zusammen, um des 70. Jahrestages seines ersten Zusammentritts am 2.10.1946 zu gedenken.
7. Der Regierungswechsel 2017 unter Armin Laschet
Der gegenwärtige Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde am 14.5.2017 gewählt und führte in seiner Zusammensetzung abermals zu einem Regierungswechsel, nachdem die rot-grüne Landesregierung eine erhebliche Niederlage hinnehmen musste. Die CDU trat erstmals mit ihrem Landes- und Fraktionsvorsitzenden Armin Laschet (geboren 1961) an, mit dem sie ein Ergebnis von 33,0 Prozent erreichte, was zwar das zweitschlechteste in der Geschichte des Landes war, aber im Vergleich zum Ergebnis der letzten Wahl einen Zugewinn von 6,7 Prozent bedeutete. Damit wurde die Union stärkste Partei, wohingegen die SPD unter Hannelore Kraft auf ihr bisher schlechtetes Ergebnis seit 1947 abstürzte und nur noch 31,2 Prozent erhielt. Auch die Grünen verloren erheblich und erreichten nur noch 6,4 Prozent der Stimmen, die Piraten zogen nicht mehr in den Landtag ein und die Linke verpasste mit 4,9 Prozent knapp den Einzug. Durch das historisch beste Ergebnis der FDP mit 12,6 Prozent reichte es zu einer parlamentarischen Ein-Stimmen-Mehrheit für eine erneute schwarz-gelbe Koalition (insgesamt 100 von 199 Mandaten) und mit dieser Mehrheit wählte der nordrhein-westfälische Landtag am 27.6.2017 Armin Laschet zum elften Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen.
Literatur
Briesen, Detlef/Brunn, Gerhard/Elkar, Rainer S./Reulecke, Jürgen, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte Rheinlands und Westfalens, Köln 1995.
Brunn, Gerhard/Reulecke, Jürgen, Kleine Geschichte von Nordrhein-Westfalen 1946-1996, Köln [u.a.] 1996.
Engelbrecht, Jörg, Nordrhein-Westfalen in historischer Perspektive, in: Künzel, Werner/Relleke, Werner (Hg.), Geschichte der deutschen Länder. Entwicklungen und Traditionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Münster 2005, S. 255–278.
Gösmann, Sven, Unsere Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen. Neun Portraits von Rudolf Amelunxen bis Jürgen Rüttgers, Düsseldorf 2008.
Handbuch der Historischen Stätten, Band 3: Nordrhein-Westfalen. 3. Auflage, Stuttgart 2006.
Nonn, Christoph, Geschichte Nordrhein-Westfalens, München 2009.
NRW-Lexikon. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Recht, Kultur, 2. Auflage, Leverkusen 2000.
Steininger, Rolf, Ein neues Land an Rhein und Ruhr. Die Entstehungsgeschichte Nordrhein-Westfalens 1945/46, Stuttgart 2016.
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Burtscheidt, Andreas, Ab 1945 - Die Geschichte Nordrhein-Westfalens von 1945 bis 2017, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/ab-1945---die-geschichte-nordrhein-westfalens-von-1945-bis-2017/DE-2086/lido/57ab2615284a73.54609767 (abgerufen am 12.12.2024)