Simon Rosenberger

Jüdischer Fußballfunktionär und Fußballjournalist (1885-1931)

Petra Tabarelli (Ockenheim)

Porttrait von Simon Rosenberger, im Artikel anlässlich zu seinem Weggang vom Kicker. (Kicker 8/1925 (24.02.1925))

Si­mon Ro­sen­ber­ger war wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik ein be­rühm­ter Fuß­ball­funk­tio­när und Fuß­ball­jour­na­list. Er en­ga­gier­te sich ins­be­son­de­re für ei­ne deutsch­land­weit ein­heit­li­che Aus­bil­dung der Schieds­rich­ter so­wie ei­ne über­re­gio­na­le ein­heit­li­che Re­gel­aus­le­gung, wor­an es in den 1920er Jah­ren in Deutsch­land ekla­tant ha­per­te. Durch an­ti­se­mi­ti­sche Dam­na­tio me­mo­riae sei­nes Kol­le­gen Carl Kop­pe­hel (1890-1975) wur­de er aus der Er­in­ne­rung ge­tilgt.

Si­mon Ro­sen­ber­ger wur­de am 2.2.1885 als drit­tes Kind ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie in Mün­chen ge­bo­ren. Sei­ne El­tern Max Ro­sen­ber­ger (1859-1910/11) und Eva Em­ma, ge­bo­re­ne Heymann (1860-1942), stamm­ten aus Preu­ßen be­zie­hungs­wei­se dem heu­ti­gen Po­len. Max Ro­sen­ber­ger war zur Zeit von Si­mons Ge­burt Kauf­mann und be­saß ein Kon­fek­ti­ons­ge­schäft für Her­ren und Jun­gen in der Mün­che­ner In­nen­stadt. Spä­ter ar­bei­te­te er in Maxvor­stadt zu­nächst als Im­mo­bi­li­en­agent, dann als Auk­tio­na­tor. Er starb be­reits mit knapp 50 Jah­ren. Sei­ne Frau Eva Em­ma wur­de 1942 in das KZ The­re­si­en­stadt de­por­tiert und dort we­ni­ge Wo­chen spä­ter er­mor­det. Von Si­mon Ro­sen­ber­gers fünf Schwes­tern ist von vie­ren be­kannt, dass sie die Shoah über­leb­ten.[1] 

Si­mon Ro­sen­ber­ger war wäh­rend sei­ner Ju­gend be­geis­ter­ter Sport­ler und be­trieb nach ei­ge­ner Aus­sa­ge Eis­lau­fen, Schwim­men, Ru­dern, Se­geln, Ski­lau­fen und Fuß­ball. Er war aber nicht nur ak­ti­ver Sport­ler, son­dern er­ar­bei­te­te sich ein ver­tief­tes theo­re­ti­sches Wis­sen in Sport­ar­ten und über­nahm Eh­ren­äm­ter in ver­schie­de­nen Ver­ei­nen und de­ren Vor­stän­den. Er en­ga­gier­te sich ins­be­son­de­re für das Fuß­ball­schieds­rich­ter­we­sen. Sein Hei­mat­ver­ein war der MTV Mün­chen von 1897, aus dem 1900 elf Fuß­ball­spie­ler aus­tra­ten und in Nach­bar­schaft von Ro­sen­ber­gers Woh­nung den FC Bay­ern Mün­chen grün­de­ten. Ro­sen­ber­ger lern­te 1907 Walt­her Bense­mann (1873-1934) ken­nen und schrieb von Be­ginn an für Eu­gen Sey­bolds (1880-1943) Zeit­schrift „Fuß­bal­l“, die Ver­bands­zei­tung des Süd­deut­schen Fuß­ball­ver­ban­des. Mit Sey­bold grün­de­te er um 1912 die Baye­ri­sche Schieds­rich­ter-Ver­ei­ni­gung und 1918 die Mün­che­ner Schieds­rich­ter-Ver­ei­ni­gung.

Über den be­ruf­li­chen Le­bens­weg Si­mon Ro­sen­ber­gers ist bis 1913 nichts be­kannt. Nach münd­li­chen Aus­sa­gen sei­ner Toch­ter Eli­sa­beth war er im­mer ein „Le­be­man­n“ – gut mög­lich, dass er die Mün­che­ner Bohè­me vor der hei­mi­schen Haus­tür ge­noss. 1913 mach­te er 28-jäh­rig ei­ne Aus­bil­dung zum Buch­hal­ter und wur­de 1914 ver­be­am­tet.

Zu die­ser Zeit lern­te er sei­ne spä­te­re Frau Mar­ga­re­the (1884-1973) ken­nen und hei­ra­te­te sie 1918. Ih­re ge­mein­sa­men Töch­ter wa­ren Eli­sa­beth (1915-1998) und Do­ro­thea (1925-2004). Al­le drei Frau­en wa­ren pro­tes­tan­ti­scher Kon­fes­si­on und über­leb­ten die Shoah in Süd­bay­ern.

1919 tra­fen sich Bense­mann und Ro­sen­ber­ger als Jour­na­lis­ten beim „Fuß­bal­l“ wie­der, doch Bense­mann blieb nur kurz, zog an­schlie­ßend nach Kon­stanz, um sei­ne ei­ge­ne Zeit­schrift „Der Ki­cker“ zu grün­den. Die Ver­bin­dung der bei­den blieb be­ste­hen; 1921 er­schien Ro­sen­ber­gers ers­ter Ar­ti­kel im „Ki­cker“. Im Ju­li/Au­gust 1921 wag­te Si­mon Ro­sen­ber­ger be­ruf­lich den Sprung ins kal­te Was­ser: Aus dem ver­be­am­te­ten Buch­hal­ter wur­de ein haupt­be­ruf­li­cher Sport­jour­na­list und in nur we­ni­gen Wo­chen avan­cier­te er zum Re­dak­teur für den ge­samt­deut­schen Raum.[2] 

 

Wäh­rend sei­ner Zeit beim „Ki­cker“ (1921-1925) leb­te Ro­sen­ber­ger mit sei­ner Fa­mi­lie in Stutt­gart und über­nahm hier zahl­rei­che eh­ren­amt­li­che Vor­stands­ar­bei­ten, ins­be­son­de­re in Schieds­rich­ter­ver­bän­den. 1924 war er Mit­be­grün­der des DFB-Bun­des­schieds­rich­ter­aus­schus­ses, dem er bis zu sei­nem Tod 1931 an­ge­hör­te. Au­ßer­dem er­schien 1923 das Buch „Der Schieds­rich­ter“, das er mit zu­sam­men mit Al­win Hof­schnei­der ver­fass­te und das sich noch im In­fla­ti­ons­jahr 1923 zum Stan­dard­werk für deut­schen Schieds­rich­ter ent­wi­ckel­te. 

Zum 1.3.1925 wur­de Si­mon Ro­sen­ber­ger Chef­re­dak­teur der Zei­tung „West­deut­scher Spor­t“ und zog da­für mit sei­ner Fa­mi­lie nach Köln. Schon zu die­sem Zeit­punkt stand es um die Wirt­schaft­lich­keit der Zei­tung nicht gut und Ro­sen­ber­ger konn­te den Kon­kurs im No­vem­ber 1925 nicht ab­wen­den.

1925 un­ter­brei­te­te Si­mon Ro­sen­ber­ger dem Deut­schen Fuß­ball-Bund (DFB) das An­ge­bot, ei­ne ei­ge­ne Schieds­richt­er­zei­tung des Ver­ban­des her­aus­zu­ge­ben. Der DFB nahm das An­ge­bot an, wo­mit es zwei Schieds­rich­ter-Zei­tun­gen in Deutsch­land gab: Die DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung des kos­mo­po­li­ti­schen Si­mon Ro­sen­ber­ger und die Deut­sche Schieds­rich­ter-Zei­tung des na­tio­nal­kon­ser­va­ti­ven Carl Kop­pe­hel, mit dem Ro­sen­ber­ger schon zu­vor mehr­fach Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten hat­te.

Von 1927 bis 1931 un­ter­nahm Si­mon Ro­sen­ber­ger von Köln aus die jähr­li­chen Vor­trags­rei­sen in sei­ner Po­si­ti­on als Bei­sit­zer des Bun­des­schieds­rich­ter­aus­schus­ses. Sei­ne Vor­trä­ge wa­ren äu­ßerst be­liebt, da ihm der Ruf vor­aus­eil­te, die Fuß­ball­re­geln ver­ständ­lich und un­ter­halt­sam wie kein zwei­ter ver­mit­teln zu kön­nen. Aber nicht nur im Bun­des­schieds­rich­ter­aus­schuss, son­dern auch in Köln und im West­deut­schen Spiel­ver­ban­des (WSV) über­nahm er mit sei­nem Um­zug nach Köln ver­schie­de­ne Eh­ren­äm­ter.

Doch Si­mon Ro­sen­ber­ger ging es um 1930 ge­sund­heit­lich und fi­nan­zi­ell sehr schlecht. Die Wirt­schafts­kri­se scheint die Fa­mi­lie hart ge­trof­fen zu ha­ben. Ei­ner der Men­schen, die in als letz­tes län­ger spra­chen, war sein Freund und Jour­na­lis­ten­kol­le­ge Bern­hard Gne­gel (1900-1957) aus Frank­furt am Main. Er ver­öf­fent­lich­te im No­vem­ber 1931 ei­ne kur­ze Er­in­ne­rung und Re­mi­nis­zenz an Ro­sen­ber­ger: „Am Ta­ge vor sei­nem To­de be­such­te mich Si­mon Ro­sen­ber­ger noch auf mei­ner Frank­fur­ter Re­dak­ti­on, um mit mir zu be­ra­ten, wie ihm ei­ne neue Exis­tenz zu grün­den sei.“[3] Auch Walt­her Bense­mann er­wähn­te Ro­sen­ber­gers wirt­schaft­li­che La­ge kurz in sei­nem Nach­ruf.

Mög­li­cher­wei­se stand der Herz­in­farkt in Zu­sam­men­hang mit ei­ner Krank­heit, die al­ler­dings nur im Nach­ruf in der DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung er­wähnt wird. Ge­naue­res zu sei­ner Krank­heit ist nicht be­kannt.

Im Ju­li 1931 wur­de Ro­sen­ber­ger ge­gen sei­nen Wil­len aus der Re­dak­ti­on der DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung ge­drängt, wenn­gleich es an­ders in der Zei­tung kom­mu­ni­ziert wur­de. Wäh­rend die neue Re­dak­ti­on der DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung ver­lau­ten ließ, dass Ro­sen­ber­ger freund­schaft­lich im ge­gen­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men aus dem Ver­lag aus­ge­schie­den sei, schrieb Bern­hard Gne­gel mit Ver­weis auf sein Ge­spräch mit Ro­sen­ber­ger: „Die Schieds­rich­ter-Zei­tung hat­te ihm ein Ber­li­ner Ver­lag aus den Hän­den ge­nom­men, und Ro­sen­ber­ger war der Mei­nung, daß dies auf nicht ganz kor­rek­te Wei­se ge­sche­hen sei.“[4] 

We­ni­ge Wo­chen spä­ter, am 5. und 6.9.1931, nahm er als Haupt­re­fe­rent an ei­ner Sit­zung des DFB-Bun­des­schieds­rich­ter­aus­schus­ses in Frank­furt am Main teil. Er kehr­te noch am 6. Sep­tem­ber in sein Zu­hau­se in Köln-Ra­der­berg zu­rück und ver­starb dort in der fol­gen­den Nacht am 7. Sep­tem­ber an Herz­ver­sa­gen und Em­bo­lie.

Am 9.9.1931 wur­de er auf dem jü­di­schen Fried­hof in Köln-Bock­le­münd bei­ge­setzt. Un­ter den zahl­rei­chen Trau­er­red­nern war auch der Köl­ner Kol­le­ge Pe­co Bau­wens.

Al­le Nach­ru­fe zei­gen Ro­sen­ber­gers gro­ße Be­liebt­heit und brei­te An­er­ken­nung. Auch im Rhein­land ge­dach­te man sei­ner, so im Köl­ner Lo­kal­an­zei­ger: „‚Al­len die mich hö­ren wol­len, ste­he ich je­der­zeit zur Ver­fü­gung.‘ – Die­se Wor­te Ro­sen­ber­gers kenn­zeich­nen sei­ne Art, für den Sport zu wir­ken. Er war der bes­te Re­gel­ken­ner, der bes­te Leh­rer am Ka­the­der, der bes­te Red­ner über die Re­geln des Fuß­ball­spiels. Und so half er in ganz Deutsch­land, nicht nur im DFB, son­dern auch in der DJK, den Nach­wuchs der Schieds­rich­ter mit Er­folg för­dern. Die deut­sche Schieds­rich­ter­gil­de al­ler Ver­bän­de trau­ert um ei­nen Mann, der ihn so un­end­lich viel ge­ge­ben hat und – der als Leh­rer zu er­set­zen nur sehr schwer sein wird.“[5] 

Im West­deut­schen Spiel­ver­band be­schwor man im Nach­ruf das ewi­ge An­denken an das ver­stor­be­ne Vor­stands­mit­glied des Ver­bands­schieds­rich­ter­aus­schus­ses und den Au­tor der Ver­bands­zeit­schrift „Fuß­ball und Leicht­ath­le­ti­k“. Doch das Ge­den­ken hat­te kei­nen Be­stand. Ro­sen­ber­ger Ber­li­ner Kol­le­ge Carl Kop­pe­hel be­gann noch vor der NS-Zeit, sich Ro­sen­ber­gers Wer­ke an­zu­eig­nen und als DFB-His­to­rio­graf der NS- und Nach­kriegs­zeit ihn aus der Fuß­ball­ge­schich­te zu til­gen, in­dem er den Na­men Si­mon Ro­sen­ber­ger nicht mehr er­wähn­te. Da­für er­schien „Der Schieds­rich­ter“ von den 1930er Jah­ren bis in die jüngs­te Zeit un­ter den Au­to­ren­na­men Kop­pe­hel/Hof­schnei­der. Au­ßer­dem lie­ßen Kop­pe­hel und DFB die bei­den Schieds­rich­ter-Zei­tun­gen nur ei­ne Wo­che nach Ro­sen­ber­gers Tod zu­sam­men­le­gen. Neu­er Her­aus­ge­ber der neu­en DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung war Carl Kop­pe­hel und auch hier er­wähn­te er sei­nen Schieds­rich­ter­kol­le­gen nie mehr.

Si­mon Ro­sen­ber­gers Schick­sal ist nicht ein­zig­ar­tig, denn Carl Kop­pe­hel tilg­te zwi­schen den 1930er und 1960er Jah­ren zahl­rei­che jü­di­sche Sport­ler und Ver­ei­ne aus der Er­in­ne­rung.

Schriften

[zu­sam­men mit Al­win Hof­schnei­der] Der Schieds­rich­ter, 1923.
DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung 1926-1931. 

Quellen

Bense­mann, Walt­her, Si­mon Ro­sen­ber­ger +, in: Der Ki­cker (15.9.1931), S. 1513.
Gne­gel, Bern­hard, Al­te Leu­te, in: Der Sport. Un­ab­hän­gi­ge kri­ti­sche Zeit­schrift (Mit­te Sep­tem­ber 1931), S. 1-2.
Kop­pe­hel, Carl, Kon­se­quenz?, in: Deut­sche Schieds­richt­er­zei­tung (April 1921), S. 31.
Kop­pe­hel, Carl, Wie steht es mit der Schaf­fung des Bun­des­schieds­rich­ter-Aus­schus­ses?, in: Deut­sche Schieds­richt­er­zei­tung (April 1921), S. 9-11.
[NN], Deut­sche Pfei­fen­män­ner, in: Der Ki­cker (1.7.1924), S. 749-750.
[NN], Ro­sen­ber­gers letz­te Fahrt, in: Lo­kal-An­zei­ger [Köln] (10.9.1931).
[NN], Si­mon Ro­sen­ber­ger +, in: Lo­kal-An­zei­ger [Köln] (8.9.1931).
Ver­bands-Vor­stand, Aus­zug aus der Nie­der­schrift der Sit­zung des Ver­bands­aus­schus­ses am 13. Sep­tem­ber 1931, in: Fuß­ball- und Leicht­ath­le­tik (15.9.1931).
Ver­lag und Re­dak­ti­on der DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung, An un­se­re Le­ser!, in: DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung (31.7.1931). 
Ver­lag und Re­dak­ti­on der DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung, Si­mon Ro­sen­ber­ger +, in: DFB-Schieds­rich­ter-Zei­tung (15.9.1931).
Wel­cker/Boy­mann, Ver­bands-Schieds­rich­ter­aus­schuss, in: Fuß­ball- und Leicht­ath­le­tik (15.9.1931), S. 53. 

Literatur

Eg­gers, Erik, Fuß­ball in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, 2., stark er­wei­ter­te Auf­la­ge, Kel­ling­hu­sen 2018.
Ta­ba­rel­li, Pe­tra, Si­mon Ro­sen­ber­ger. Der ver­ges­se­ne Fuß­ball­pio­nier, Ber­lin 2022. 

Online

Eva Em­ma Ro­sen­ber­ger, in: Ge­denk­buch Mün­chen, zu­letzt ab­ge­ru­fen am 14.02.2023. [On­line]

"Meister ihres Fachs", Simon Rosenberger (1. v. r.) mit weiteren Sportjournalisten). (Kicker 32/1921 (09.08.1921))

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Tabarelli, Petra, Simon Rosenberger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/simon-rosenberger/DE-2086/lido/63eb77f36d4db3.29584826 (abgerufen am 26.04.2024)