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Die Existenz Adalgisel Grimos wird allein durch sein Testament vom 30.12.634 bezeugt, das nur in einer Abschrift des 10. Jahrhunderts überliefert ist. Wie alt Adalgisel Grimo zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung war, ist nicht bekannt. Das Dokument „ist die älteste Urkunde des frühen Mittelalters, deren Inhalt die Rheinlande [= die preußische Rheinprovinz] berührt“. Es ist eine einzigartige Quelle für die Kirchen-, Sozial-, Wirtschafts- und Sprachgeschichte Austriens, des östlichen Teilreichs des merowingerzeitlichen Frankenreiches, im frühen 7. Jahrhundert.
Der Diakon nennt sich nur in der Einleitungsformel seines Testaments, wo er seine Identität rechtskräftig erklären muss, mit seinem verliehenen Rufnamen Adalgisel und seinem erworbenen „Kosenamen“ Grimo (Ego Adalgyselus qui et Grimo). Weiter im Text spricht er von sich nur noch als Grimo. Während der Name Adalgisel für den kundigen Zeitgenossen die Position des Diakons in seiner Sippe und damit auch dessen Anspruch auf einen Vermögensanteil zum Ausdruck brachte, war Grimo der Alltagsname, mit dem er angesprochen wurde und mit dem er sich selbst identifizierte. Adalgisel Grimo ist also kein Doppelname und darf deshalb nicht mit Bindestrich geschrieben werden.
Über den Lebenslauf Grimos kann uns nur sein Testament Auskunft geben. Danach verdankte er Erziehung und Versorgung der Bischofskirche von Verdun, der er als Diakon diente. Auf kirchliche Stipendien war Grimo allerdings nicht angewiesen. Sein Testament dokumentiert einen immensen an Chiers, Saar, Obermosel und Maas nördlich der Ardennen verstreuten Privatbesitz, der zum größten Teil Familienerbe war. Wer seine Eltern waren, verrät Grimo jedoch nicht. Er erwähnt seine verstorbene Schwester Ermengundis, die als Diakonisse (dyacona) ebenfalls ein geistliches Leben geführt hatte. Einen Herzog Bobo bezeichnet er als seinen Neffen. Ob es sich um den Herzog handelt, der 639 an der Seite des jungen Königs Sigibert III. (um 630-656) gegen den Thüringerherzog Radulf (gestorben nach 642) kämpfte, ist nicht sicher. Zwei weitere Neffen nennt Grimo Söhne Ados (seines Bruders?). Bei einer Tante väterlicherseits, die im späteren Georgsstift in Amay bei Huy an der Maas bestattet worden war, dürfte es sich um eine seit dem 11. Jahrhundert als Heilige verehrte Oda (ursprünglich Chrodoara) handeln. Diese soll mit einem aquitanischen Herzog Bodegisel (Boggis) verheiratet gewesen sein. Ob Grimo mit dem Herzog Adalgisel verwandt war, der 633 gemeinsam mit Bischof Kunibert von Köln die Regierungsgeschäfte für den unmündigen König Sigibert III. übernahm, wird in der Forschung noch kontrovers diskutiert. Sicher ist jedoch, dass Grimo einem Geschlecht angehörte, dessen Vertreter mit den mächtigsten Männern der fränkischen Elite Austriens, für die der Begriff Adel streng genommen noch nicht verwendet werden darf, auf Augenhöhe verkehren konnten. Zu dieser Elite zählten Bischof Arnulf von Metz (amtierte 614 – 629, gestorben 643/647) und der Hausmeier Pippin d. Ä. (gestorben 640), deren Kinder Ansegisel (602-679) und Begga (615-693) das Karolingergeschlecht begründeten.
Grimo gehörte zu einer wachsenden Zahl vornehmer Franken, die für den Dienst in der Kirche ausgebildet wurden. In seiner Zeit kamen unter anderem Bischof Kunibert von Köln und Bischof Modoald von Trier (um 614/620 – 645/648) aus diesen Kreisen. Die fränkischen Eroberer, die die auf dem Territorium des römischen Reiches verbliebene Bevölkerung ihrer Herrschafts- und Wirtschaftsweise zu unterwerfen trachteten, blieben ihrerseits nicht unbeeinflusst von der spätantik-römischen Kultur, die sich auf vielen Gebieten zu behaupten wusste. Die christliche Kirche, die in ihrem Kern eine römische Institution war, blieb lange ein Reservat der gebildeten römischen Familien, die in den Städten immer noch den Ton angaben. Grimos Bischof Paulus von Verdun (circa 630 – 647/648) war ein typischer Vertreter dieser traditionellen Elite. Grimo lebte als Kleriker in einer romanisch-fränkischen Gemeinschaft. Er sprach sowohl fränkisch als auch die aus dem Lateinischen entstandene „romanische“ Umgangssprache. Außerdem beherrschte er die lateinische Sprache der Liturgie und der christlichen Literatur.
Grimos Testament lässt erkennen, dass der Diakon seine Amtspflichten sehr ernst nahm. Aus der Apostelgeschichte (Kapitel 6) wusste er, dass in der Urgemeinde in Jerusalem sieben Diakone gewählt worden waren, die die Apostel bei der Armenversorgung entlasten sollten. In der gallischen Kirche waren die Diakone zwar nicht mehr vorrangig Armenpfleger, aber Grimo engagierte sich, zumindest wenn es um die Sicherung seines Seelenheils durch gute Taten ging, in erster Linie in verschiedenen Formen der Armenfürsorge.
Mit seiner Klostergründung in Longuyon verband er ein Hospital (xenodocium) für 16 Arme, das er großzügig ausstattete. Weiterhin schenkte er Grundbesitz an die Matrikel von Huy an der Maas und 600 Solidi an die Matrikel des Klosters des hl. Martin in Tours. Matrikeln waren Ausgabestellen für Unterstützungsleistungen an bei den zuständigen Kirchen registrierte Arme. Auf seinem Gut Mercy an der Chiers richtete Grimo eine eigene Almosenstiftung (elemosina) ein. Güter stiftete er auch für die Versorgung von Leprakranken in Verdun, Maastricht und in der königlichen Residenzstadt Metz.
Das Kloster Longuyon war die bedeutendste Stiftung Grimos. Dieses Kloster setzte er den Bestimmungen des römischen Rechts gemäß zu seinem Haupterben ein. Die Äbte von Longuyon verwalteten den Nachlass. Kurz vor der Testamentserrichtung gründete Grimo ein weiteres geistliches Institut (loca sanctorum) in Tholey, das eine klösterliche Verfassung erhielt.
Grimo besaß ursprünglich mehr Güter, als er in seinem Testament aufführte. In diesem Dokument verweist er auf frühere Schenkungen und Freilassungen von Hörigen. Die großen Landgüter (villae), die Grimo ganz oder anteilig besaß, erwirtschafteten für ihre Besitzer ansehnliche Geldbeträge, die noch in der römischen Goldwährung des solidus beziffert wurden, wenn die verfügbaren Münzen häufig auch nur noch blassgoldene Drittelsolidi waren. Auf den Gütern wurden Ackerbau, Viehzucht und verschiedene Handwerke betrieben. Grimo erwähnt auch Mühlen. Eine eigene Organisation hatten wohl die Weinberge an Mosel und Lieser. Die Naturalwirtschaft, die den Verzehr der Erträge vor Ort erforderte, hatte für Grimo noch geringe Bedeutung. Ihre Ausbreitung hatte jedoch schon eingesetzt. Die Zeit um 600 lässt sich als Übergangsphase von der spätantiken zur frühmittelalterlichen Wirtschaftsverfassung charakterisieren.
Grimo dürfte seinen Lebensmittelpunkt in Verdun gehabt haben. Er verfügte aber auch über ein Haus in Trier. Wie oft er seine zahlreichen Landgüter besuchte, lässt sich nicht ermitteln.
Grimos Stiftungen haben nachhaltig gewirkt. Bis zum 10. Jahrhundert lassen sich ihre Spuren verfolgen. Bertarius (9./10. Jahrhundert), der um 916 eine kurze Geschichte der Bischöfe von Verdun schrieb, erwähnt Grimos Schenkungen an die Kirche von Verdun. Er hielt Grimo für einen Neffen König Dagoberts (I., um 605/610-639 oder 638?). Die im Urkundenbestand des Erzbistums Trier erhaltene Abschrift des Testaments stammt vermutlich aus Longuyon. Der sprunghafte Aufbau des überlieferten Textes könnte das Resultat einer falschen Rekonstruktion des zerfallenen Papyrusoriginals gewesen sein. Weder in Longuyon noch in Tholey wurde Grimo als Klostergründer verehrt. Er hat seine letzte Ruhe vermutlich in Verdun gefunden.
Quellen
Original: Landeshauptarchiv Koblenz Best. 1A Nr. 1.
Jüngste Edition mit Übersetzung Herrmann, Das Grimo-Testament (1975), S. 68-77 = Herrmann, Das Testament (1985), S. 264-275, basierend auf der maßgeblichen Erstveröffentlichung von Levison, S. 73-84.
Literatur
Herrmann, Hans-Walter, Das Grimo-Testament. Die älteste Urkunde des Rheinlandes 634, in: Heyen, Franz-Josef/Janssen, Wilhelm, Zeugnisse rheinischer Geschichte. Urkunden, Akten und Bilder aus der Geschichte der Rheinlande, Neuss 1982, S. 8−10.
Herrmann, Hans-Walter, Das Testament des Adalgisel-Grimo, in: 22. Bericht der staatlichen Denkmalpflege im Saarland (1975), S. 67−89.
Herrmann, Hans-Walter, Das Testament des fränkischen Adligen Adelgisel Grimo. Ein Zeugnis merowingerzeitlichen Lebens an Saar, Mosel und Maas, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 96 (1985), S. 260–276.
Irsigler, Franz, Gesellschaft, Wirtschaft und religiöses Leben im Obermosel-Saar-Raum zur Zeit des Diakons Adalgisel Grimo, in: Hochwälder Geschichtsblätter 1 (1989), S. 5−18; Nachdruck in: Henn, Volker/Holbach, Rudolf/Pauly, Michel /Schmid, Wolfgang (Hg.), Miscellanea Franz Irsigler. Festgabe zum 65. Geburtstag, Trier 2006, S. 247–274.
Levison, Wilhelm, Das Testament des Diakons Adalgiso-Grimo vom Jahre 634, in: Trierer Zeitschrift 7 (1932), S. 69–85, Nachdruck in: Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit. Ausgewählte Aufsätze, Düsseldorf 1948, S. 118–138. Nonn, Ulrich, Zur Familie des Diakons Adalgisel-Grimo, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 1 (1975), S. 11–17.
Pauly, Michel, Von der Fremdenherberge zum Seniorenheim. Funktionswandel in mittelalterlichen Hospitälern an ausgewählten Beispielen aus dem Maas-Mosel-Rhein-Raum, in: Matheus, Michael (Hg.), Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, Stuttgart 2005, S. 101−116.
Stiennon, Jacques, Le sarcophage de Sancta Chrodoara à Saint-Georges d’Amay. Essai d’interprétation d’une découverte exceptionnelle, in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-lettres 123 (1979), S. 10–31.
Werner, Matthias, Der Lütticher Raum in frühkarolingischer Zeit. Untersuchungen zur Geschichte einer karolingischen Stammlandschaft, Göttingen 1980, S. 31–59.
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Groten, Manfred, Adalgisel Grimo, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/adalgisel-grimo/DE-2086/lido/5f71ae51dcdc78.18700302 (abgerufen am 05.10.2024)