Heilmittel für Körper und Seele: Heiligenverehrung, Schenkungen für das Seelenheil und Klostereintritte im Rheinland der Karolingerzeit

Maria Schäpers (Aachen)

Lothar I., dargestellt in einem Evangeliar, Tours, zwischen 849 und 851, heute in Paris Bibliotheque Nationale de France, Ms. lat. 266, fol. 1v.

1. Einleitung

Im 8. und 9. Jahr­hun­dert wa­ren die Rhein­lan­de Teil des Fran­ken­reichs, das mit dem Dy­nas­tie­wech­sel von 751 von den Me­ro­win­gern an die Ka­ro­lin­ger ge­lang­te. Die Ka­ro­lin­ger hat­ten ein theo­kra­ti­sches Herr­schafts­ver­ständ­nis. Die Le­gi­ti­ma­ti­on der Herr­schaft durch Gott wur­de be­son­ders sinn­fäl­lig mit der Ver­wen­dung der For­meln gra­tia dei (durch die Gna­de Got­tes) oder di­vina or­di­nan­te pro­vi­den­tia (durch die An­ord­nung der gött­li­chen Vor­se­hung) ab 768/769 in ih­ren Ur­kun­den zum Aus­druck ge­bracht. Die ka­ro­lin­gi­schen Kö­ni­ge und Kai­ser emp­fan­den es als be­son­de­re Pflicht, den christ­li­chen Glau­ben zu ver­brei­ten und zu schüt­zen. Mis­sio­nie­run­gen wie die (ge­walt­sa­me) Sach­sen­mis­si­on und theo­lo­gi­sche Kon­tro­ver­sen wie der Streit über die Leh­re der dop­pel­ten Prä­des­ti­na­ti­on[1], in die die Ka­ro­lin­ger sich ein­schal­te­ten, zeu­gen da­von. Aber die ka­ro­lin­gi­schen Herr­scher fürch­te­ten nicht nur hä­re­ti­sche Leh­ren, auch ge­gen un­ge­nü­gen­des Wis­sen in Glau­bens­din­gen, fal­sches Be­ten und aber­gläu­bi­sche Prak­ti­ken der Un­ter­ta­nen galt es vor­zu­ge­hen, denn nach ih­rem Ver­ständ­nis ob­lag ih­nen nicht nur die Sor­ge für das ei­ge­ne See­len­heil, son­dern auch für das der ih­nen An­ver­trau­ten.

 

Ei­ne tie­fer­ge­hen­de Be­fas­sung mit dem Glau­ben wur­de von der brei­ten Be­völ­ke­rung kaum er­war­tet; sie wur­de er­mahnt, das Glau­bens­be­kennt­nis und Va­ter­un­ser, die auch in die „Volks­spra­che“ über­setzt wur­den, zu ler­nen und auf Gott zu ver­trau­en statt sich aber­gläu­bi­schen Prak­ti­ken hin­zu­ge­ben. Zwar lehr­ten schon Glau­bens­be­kennt­nis und Va­ter­un­ser die Hoff­nung auf Sün­den­ver­ga­be und das Ewi­ge Le­ben, doch droh­te das Jüngs­te Ge­richt ei­nem je­den. Schreck­lich wa­ren die Bil­der, die in ka­ro­lin­gi­scher Zeit über jen­sei­ti­ge Stra­fen in Jen­seits­vi­sio­nen ent­wor­fen wur­den. Sor­ge, ja Angst um das See­len­heil dürf­te vie­le er­füllt ha­ben. Hil­fe ver­spra­chen den Gläu­bi­gen – ne­ben dem Got­tes­dienst und dem Emp­fang der Sa­kra­men­te – die Für­spra­che der Hei­li­gen, Schen­kun­gen für das See­len­heil bis hin zu der Ent­schei­dung, ein gott­ge­fäl­li­ges Le­ben im Klos­ter zu füh­ren. Aber nicht nur für das Jen­seits er­hoff­ten sich die Men­schen Hil­fe, schon im Hier und Jetzt such­ten sie Hei­lung von ih­ren kör­per­li­chen Ge­bre­chen durch die Für­spra­che der Hei­li­gen bei Gott zu er­wir­ken. 

2. Heiligenverehrung

Wer heu­te den nie­der­rhei­ni­schen Ma­ri­en­wall­fahrts­ort Keve­la­er be­sucht, kommt nicht um­hin, das Ker­zen­meer vor der Ma­ri­en­ba­si­li­ka und in der Ker­zen­ka­pel­le zu be­stau­nen. Ent­zün­det wer­den die Ker­zen von Men­schen, die ent­we­der die Hil­fe der Got­tes­mut­ter in ei­ner be­stimm­ten (Not-)Si­tua­ti­on er­bit­ten, ihr für Hil­fe dan­ken oder ein­fach ih­re Ver­eh­rung aus­drü­cken wol­len.

Altarraum der Kevlaer Kerzenkapelle.

 

Ker­zen­op­fer sind je­doch kei­ne neu­zeit­li­che Er­schei­nung. Be­reits in der An­ti­ke wur­den Ker­zen für die To­ten­ver­eh­rung ent­zün­det. Die frü­hen Chris­ten über­nah­men den Brauch: Ker­zen wur­den im To­ten­kult, auf Hei­li­gen­grä­bern und Al­tä­ren so­wie bei Pro­zes­sio­nen ver­wen­det. Wie wich­tig auch in ka­ro­lin­gi­scher Zeit den Chris­ten Ker­zen­op­fer wa­ren, mö­ge ein rhei­ni­sches Bei­spiel aus der Mit­te des 9. Jahr­hun­derts zei­gen, das sich in den Mi­ra­kel­be­rich­ten um die Mär­ty­rer Chry­san­thus und Daria fin­det. Dort wird von ei­ner Ker­ze be­rich­tet, die zu ih­rem Grab in Müns­ter­ei­fel ge­bracht wor­den war. Die Ker­ze war für die bei­den Mär­ty­rer, die um 304 auf­grund ih­res Glau­bens an der Via Sala­ria in Rom le­ben­dig be­gra­ben wor­den sein sol­len, zu­vor ei­gens her­ge­stellt wor­den. In die­se Ker­ze war ein Stück Wachs ge­mischt ge­wor­den, das ei­ne Frau, die un­ter Krät­ze litt, ge­stif­tet hat­te. Sie hoff­te so auf Hei­lung – und ihr Ver­trau­en wur­de nicht ent­täuscht: Sie er­hob sich vom La­ger und er­hielt ih­re frü­he­re kör­per­li­che Ge­sund­heit zu­rück[2], hei­ßt es in dem Wun­der­be­richt, der wohl Abt Mark­ward von Prüm (ge­stor­ben zwi­schen 853 und 859/860) zu ver­dan­ken ist. Er hat­te die Re­li­qui­en der Hei­li­gen aus Rom ge­holt und zu­nächst in das Klos­ter Prüm brin­gen las­sen; von dort aus ge­lang­ten sie in das Prü­mer Fi­li­al­k­los­ter (cel­la) Müns­ter­ei­fel, wo sie am 25.10.844 fei­er­lich be­stat­tet wur­den. Mark­ward selbst war 844 mit Er­laub­nis Kai­ser Lo­thars I. (ab 817 Mit­kai­ser, 840-855 Kai­ser) zum Papst ge­reist, um den Leich­nam ei­nes aus­ge­zeich­ne­ten Mär­ty­rers von gro­ßer Be­kannt­heit zu er­lan­gen.[3]

Der Glau­be an das Wir­ken der Hei­li­gen auch über ih­ren Tod hin­aus war in al­len Be­völ­ke­rungs­schich­ten der Zeit ver­brei­tet. Re­li­qui­en spiel­ten in der Kir­che ei­ne her­aus­ra­gen­de Rol­le, kein Al­tar soll­te oh­ne Re­li­qui­en ge­weiht wer­den. Das An­se­hen ei­nes Or­tes stieg durch den Er­werb von wirk­mäch­ti­gen Hei­li­gen, was in nicht un­er­heb­li­chem Ma­ße auch zum wirt­schaft­li­chen Ge­dei­hen bei­tra­gen konn­te. Da­her such­ten Bi­schö­fe, Äb­te und an­de­re Per­so­nen für ih­re Kir­chen Re­li­qui­en zu er­wer­ben. Vie­le Trans­la­tio­nen von Rom in al­le Tei­le des Fran­ken­rei­ches fan­den in die­ser Zeit statt. Nicht je­der aber konn­te sich wie Mark­ward di­rekt an den Papst wen­den. Ein­hard (um 770-840), der Bio­gra­ph Karls des Gro­ßen (Vi­ta Ka­ro­li Ma­gni), bat ei­nen „Re­li­qui­en­händ­ler“ um Hil­fe. Tat­säch­lich konn­ten Ein­hards Män­ner 827 aus Rom die Ge­bei­ne der Mär­ty­rer Mar­cel­li­nus und Pe­trus über die Al­pen brin­gen. Zu­nächst brach­ten sie sie nach Aa­chen. Dort ge­riet Ein­hard bald mit Erz­ka­plan Hil­du­in (ge­stor­ben wohl 855/859) in Streit um Tei­le der Über­res­te der Hei­li­gen, die zu­vor von ei­nem Pries­ter Hil­du­ins den Hel­fern Ein­hards ent­wen­det wor­den wa­ren. Hil­du­in gab Ein­hard schlie­ß­lich die Re­li­qui­en zu­rück. Die­ser brach­te sie nach Mulin­heim su­pe­ri­or (das heu­ti­ge Se­li­gen­stadt), mit dem er 815 von Lud­wig dem From­men (Kö­nig in Aqui­ta­ni­en 781, Mit­kai­ser 813, Kai­ser 814-840) be­dacht wor­den war.

Luftaufnahme der Abtei Prüm, 2015. (Wolkenkratzer / CC BY-SA 4.0)

 

Lan­ge Zeit gal­ten ha­gio­gra­phi­sche Tex­te wie der Mi­ra­kel­be­richt Mark­wards in der For­schung als „his­to­risch un­brauch­ba­res Zeu­g“ oder „ganz wert­lo­se Wun­der­er­zäh­lun­gen“. Mehr und mehr wur­de dann aber ihr Wert für die Er­for­schung von Men­ta­li­tät und Le­bens­welt der Men­schen er­kannt. Die Mär­ty­rer wa­ren nach den Wor­ten der Jo­han­nes-Of­fen­ba­rung (20,4 und 6,9) nach ih­rem Tod schon bei Gott, ih­re Ver­diens­te, so die Hoff­nung, konn­ten auch den Le­ben­den zu­gu­te­kom­men. Sie wur­den für die Ver­ge­bung der Sün­den als Für­spre­cher bei Gott an­ge­ru­fen, vor al­lem aber für die Hei­lung von Krank­heit, wie es sich in der Wun­der­ge­schich­te, die Mark­ward über die kran­ke Frau zu be­rich­ten weiß, wi­der­spie­gelt. Die ein­fa­chen Gläu­bi­gen dürf­ten da­bei oft da­von aus­ge­gan­gen sein, dass die Hei­li­gen selbst die Hei­lung er­wirk­ten. Aus theo­lo­gi­scher Sicht war es aber Gott, der auf die Für­bit­ten der Mär­ty­rer die Ge­ne­sung her­bei­führ­te, was auch im­mer wie­der in den Mi­ra­kel­be­rich­ten be­tont wird. So hei­ßt es auch öf­ters in den Be­rich­ten über die Wun­der, die am Grab der Hei­li­gen Chry­san­thus und Daria pas­sier­ten, dass sie auf de­ren Für­spra­che bei Gott ge­sche­hen sei­en: Ihn [ei­nen Ge­lähm­ten] stell­te die gött­li­che Barm­her­zig­keit in kur­zer Zeit auf Für­spra­che der Mär­ty­rer wie­der her [...]. Lob und Dank zoll­te da­her auch ein an­de­rer von sei­ner Läh­mung ge­heil­ter Mann Gott, der ihn durch sei­ne Hei­li­gen so ge­heilt hat­te.[4] 

Ins­ge­samt sind 27 Wun­der, die Chry­san­thus und Daria be­wirkt ha­ben sol­len, über­lie­fert. Da­bei han­delt es sich mehr­heit­lich um Hei­lungs­wun­der: Läh­mung, Ver­krüp­pe­lun­gen, Blind­heit und Taub­heit – all das wur­de auf die Für­spra­che der Hei­li­gen von Gott ge­heilt. Aber nicht nur Men­schen aus Müns­ter­ei­fel such­ten Hei­lung bei den Mär­ty­rern, son­dern auch aus der nä­he­ren und wei­te­ren Um­ge­bung, aus dem Zül­pich­gau, aus Üx­heim, El­ve­nich, Sin­zig, Vett­weiß, Bins­feld (bei Dü­ren oder bei Clerf/Lu­xem­burg) oder Bonn ka­men sie. Das so­zia­le Spek­trum der Men­schen, die die Hei­li­gen auf­such­ten, war breit ge­fä­chert. Ei­ne un­freie Frau aus Bins­feld ha­be zu­nächst ih­re Her­rin um Er­laub­nis bit­ten müs­sen, um in Müns­ter­ei­fel bei den Mär­ty­rern be­ten zu dür­fen.[5] Auch der rei­che Händ­ler Freos­bald aus Bonn wird er­wähnt.[6] Ob­wohl er in Müns­ter­ei­fel kei­ne Hei­lung er­fuhr, zwei­fel­te er nicht an der der Wun­der­kraft Chry­san­thus’ und Dari­as und woll­te zu ei­nem an­de­ren Zeit­punkt zu ih­nen zu­rück­keh­ren. Doch schon auf dem Rück­weg wur­de er von sei­nen Lei­den ge­heilt. Schlie­ß­lich ist auch die Re­de von ei­nem ad­li­gen Mann, der die Hei­li­gen be­su­chen woll­te.[7] Sei­ne Frau ha­be sich ge­wei­gert mit­zu­zie­hen, wes­halb sie vom Pferd ab­ge­wor­fen wor­den sei und seit­dem ihr Arm nicht mehr hei­len woll­te. Den Hei­li­gen die Ver­eh­rung zu ver­sa­gen, so wird nicht nur hier ge­zeigt, konn­te schlim­me Kon­se­quen­zen nach sich zie­hen.

In der Er­zäh­lung über die an Krät­ze er­krank­ten Frau wer­den auch Ärz­te er­wähnt (me­di­ci), de­ren Kunst ha­be aber ver­sagt. Auch Ein­hard schreibt in sei­nem Be­richt über die Über­füh­rung der Hei­li­gen Mar­cel­li­nus und Pe­trus aus Rom nach Se­li­gen­stadt über de­ren Wun­der­ta­ten, die sie auf dem Weg dort­hin wirk­ten. Hier­bei er­wähnt er auch mehr­mals Ärz­te. Ein Bei­spiel stammt aus Eschwei­ler.[8] Ein Arzt soll­te ei­nen Mann dort mit ei­ner schmerz­haf­ten The­ra­pie be­han­deln. Glück­li­cher­wei­se wur­de ei­ner eben­falls in Eschwei­ler wohn­haf­ten Frau in ei­nem Traum er­öff­net, dass der Kran­ke zu Mar­cel­li­nus und Pe­trus nach Aa­chen ge­bracht wer­den sol­le. Hier wur­de er dann auch ge­heilt. Ärz­te, so ist vor al­lem von den ka­ro­lin­gi­schen Kö­ni­gen und Kai­sern be­kannt, wur­den im Krank­heits­fall oder bei Un­fäl­len im­mer wie­der be­müht. Der As­tro­no­mus be­rich­tet in sei­ner Vi­ta Lud­wigs des From­men über sol­che Män­ner. So ge­nas Lud­wig 817 in Aa­chen, nach­dem ein höl­zer­ner Gang beim Ver­las­sen der Kir­che über ihm zu­sam­men­ge­stürzt war, mit Hil­fe von Ärz­ten schnell von sei­nen Ver­let­zun­gen.[9] Ei­ni­ge Ärz­te sind so­gar na­ment­lich be­kannt: Lo­thar I. be­dach­te 852 den Geist­li­chen und Arzt (cle­ri­cus ac me­di­cus) Os­sard mit Land­be­sitz im Hen­ne­gau.[10] Den­noch ver­trau­ten auch die Herr­scher auf die Hei­li­gen bei der Su­che nach Ge­ne­sung, so soll Lud­wig der From­me um 836 von der Gicht, die ei­nen sei­ner Fü­ße be­traf, in St. Goar nach lan­gem Ge­bet am Grab des hei­li­gen Goar ge­heilt wor­den sein. Der Mönch Wan­dal­bert von Prüm (813-um 870) er­zählt die­se Be­ge­ben­heit in sei­ner in den spä­ten 830er Jah­ren ver­fass­ten Vi­ta et Mi­ra­cu­la s. Goaris.[11] 

3. Schenkungen für das Seelenheil

Die Sor­ge um das See­len­heil war stets prä­sent. Im­mer wie­der ist in Ur­kun­den der Zeit da­von die Re­de, dass Gü­ter für das See­len­heil, für die Sün­den­ver­ge­bung und um beim Jüngs­ten Ge­richt zu be­ste­hen, an Kir­chen und Klös­ter ge­schenkt wur­den. Die Men­schen hat­ten die Hoff­nung, dass die Ga­ben von Gott di­rekt be­lohnt wür­den ge­mäß dem Bi­bel­wort: Ge­bet, so wird Euch ge­ge­ben (date et da­bitur vo­bis, Luk 6:38). Der Schen­ker, so die theo­lo­gisch nicht ganz un­pro­ble­ma­ti­sche Vor­stel­lung, trat da­durch mit Gott in ei­nen Ga­ben­han­del.

Stiftskirche St. Chrysanthus und Daria in Bad Münstereifel. (Putput / CC BY-SA 3.0)

 

Die Kir­chen und Klös­ter pro­fi­tier­ten von die­sen Schen­kun­gen un­ge­mein; wie ei­ni­ge Bei­spie­le ex­em­pla­risch zei­gen sol­len. So wur­de da­s Klos­ter Wer­den an der Ruhr von vie­len Men­schen be­dacht. Am 18.1.799 schenk­te in Wer­den ein ge­wis­ser Hlud­win, Sohn des Thia­ther, sein Erb­gut in Wer­den den Sal­va­tor­re­li­qui­en und dem Abt Li­ud­ger (um 742-809) für das Heil sei­ner See­le und für ewi­gen Lohn (pro re­me­dio ani­me mee et pro eter­na re­tri­bu­tio­ne).[12] Es ist gleich­zei­tig die frü­hes­te Er­wäh­nung des Or­tes Wer­den. Zu­vor hat­te der Frie­se Li­ud­ger schon an­de­re Or­te für die Grün­dung ei­nes Klos­ters und Auf­be­wah­rungs­ort der Re­li­qui­en, die er im­mer bei sich trug, ins Au­ge ge­fasst. Das jun­ge Klos­ter wur­de auch in der Fol­ge­zeit reich be­dacht, wo­bei viel­fach Gläu­bi­ge au­ßer­halb des en­ge­ren rhei­ni­schen Raums ih­re Gü­ter an den hei­li­gen Ort an der Ruhr schenk­ten. Aber auch die „Rhein­län­der“ blie­ben dem Klos­ter ge­wo­gen. So schenk­ten vor 834 ein ge­wis­ser Me­gin­hard und ein ge­wis­ser Gunthard für ihr See­len­heil (pro re­me­dio ani­ma­rum nostrar­um) dem Klos­ter von ih­rem Erb­gut in Oef­te (bei Es­sen-Kett­wig) Wei­de­recht für 20 Schwei­nen.[13] Eben­falls in Oef­te be­saß ein ge­wis­ser Ever­win ein Er­be, wo­von er am 17.6.844 zwei Mor­gen Land, die er für sein See­len­heil und ewi­gen Lohn (pro re­me­dio ani­me mee et pro eter­na re­tri­bu­tio­ne) dem Klos­ter ver­mach­te.[14] 

Auch die ka­ro­lin­gi­schen Kö­ni­ge und Kai­ser schenk­ten ganz selbst­ver­ständ­lich für ihr See­len­heil. Als Kö­nig Pip­pin am 13.8.762 dem Klos­ter Prüm un­ter an­de­rem ver­schie­de­ne Be­sit­zun­gen schenk­te und al­le frü­he­ren Schen­kun­gen be­stä­tig­te, hei­ßt es in der Ur­kun­de: Wir glau­ben, daß nur das uns zum Heil un­ser See­le nutzt, was wir mit de­mü­ti­gen Sinn von un­se­ren ver­gäng­li­chen Gü­tern dem Herrn schen­ken.[15] Gut 15 Jah­re spä­ter be­dach­te Karl der Gro­ße das Klos­ter Ech­ter­nach mit der Rhein­in­sel Bre­cke­ra-We­tri­da zwi­schen Brie­nen und Rin­dern im Ver­trau­en auf die ewi­ge Se­lig­keit be­zie­hungs­wei­se als Heil­mit­tel der See­le (hoc no­bis ad eter­nam bea­ti­tu­di­nem vel re­me­di­um ani­me nost­re per­ti­ne­re con­fi­di­mus).[16] Lud­wig der From­me schenk­te der zu Prüm ge­hö­ren­den Zel­le St. Goar am 30.1.820 ei­nen Teil des Wal­des zwi­schen Ober­we­sel und Bop­pard samt der vil­la Bi­ern­heim für sein See­len­heil be­zie­hungs­wei­se zum Nut­zen für sei­ne See­le (ob ani­me nostrae sa­lu­tem und ob emo­lu­men­tum animę).[17] Kai­ser Lo­thar gab 846 dem Klos­ter Prüm drei­ein­halb Man­sen (Hof­stel­len) zu Gils­dorf im Ei­fel­gau pro re­me­dio animę nostrę.[18]

Innenhof des Kloster Werden in Essen, Blick auf das ehemalige Hauptgebäude. (CC BY-SA 3.0)

 

Der durch die Schen­kun­gen und an­de­re Ein­nah­me­quel­len teils gro­ße Reich­tum der Klös­ter und Kir­chen wur­de trotz der all­ge­mei­nen Ver­ur­tei­lung von Ge­winn­stre­ben kaum als pro­ble­ma­tisch emp­fun­den. Die Kir­chen­ver­tre­ter wa­ren letzt­lich nur Ver­wal­ter des Be­sit­zes für den je­wei­li­gen Hei­li­gen be­zie­hungs­wei­se für Gott, und die­ses Gut kam den Men­schen wie­der zu­gu­te in Form von Ge­bet und Got­tes­dienst, Ar­men- und Kran­ken­für­sor­ge und Ähn­li­chem mehr. Aber nicht je­der konn­te rei­che Schen­kun­gen an geist­li­che In­sti­tu­te ma­chen. Es blieb die Mög­lich­keit des Al­mo­sen­ge­bens, das von al­len, die Herr­scher ein­ge­schlos­sen, stets er­war­tet wur­de. Der Trie­rer Chor­bi­schof The­gan (vor 800-849/853) schreibt in sei­nen Ges­ta Hlu­do­wi­ci im­pe­ra­to­ris, ver­fasst wohl ab Herbst 836, wie Lud­wig der From­me die­se For­de­rung er­füllt ha­be: Täg­lich vor dem Es­sen ha­be er Al­mo­sen an die Ar­men aus­ge­teilt.[19] Auch der so­ge­nann­te As­tro­no­mus, der sei­ne Vi­ta Hlu­do­wi­ci im­pe­ra­to­ris in den Win­ter­mo­na­ten 840/841 nie­der­schrieb, er­wähnt die Al­mo­sen Lud­wigs: Er ha­be durch Al­mo­sen­ga­ben sei­ne und die Sün­den sei­nes Va­ters zu süh­nen ver­sucht.[20] Wie Was­ser das Feu­er löscht, so Al­mo­sen die Sün­den (Ig­nem ar­den­tem extin­guit aqua et ele­mosi­na re­sis­tit pec­ca­tis, Eccl. 3,33) lehrt schon die Bi­bel. Al­mo­sen an die Ar­men zu ver­tei­len ver­sprach al­so Hil­fe. Die Ar­men er­füll­ten ei­ne wich­ti­ge Funk­ti­on: Ar­mut wur­de als von Gott ge­wollt er­klärt. Die Ar­men sei­en da­zu da, da­mit die Rei­chen, die nur schwer das See­len­heil er­lang­ten, sich durch Al­mo­sen den Him­mel ver­die­nen könn­ten.[21] Die­se Auf­fas­sung des Bi­schofs Eli­gius von No­yon (ge­stor­ben cir­ca 659) wur­de auch in ka­ro­lin­gi­scher Zeit re­zi­piert.

4. Klostereintritte

Ein Le­ben als Mönch oder Non­ne war nach Auf­fas­sung der Zeit wohl die vor­nehms­te Art und Wei­se, ein gott­ge­fäl­li­ges Le­ben zu füh­ren. Schon im 4. Jahr­hun­dert stell­te man die­se Selbst­hin­ga­be an Gott mit ei­nem Mar­ty­ri­um gleich. Die Mön­che wur­den in di­rek­ter Chris­tus­nach­fol­ge ge­se­hen, und die­se galt als ei­ne zwei­te Tau­fe, mit der die Ver­ge­bung der Sün­den er­reicht wer­den konn­te. Als cul­mi­na vi­tae be­zeich­net der As­tro­no­mus in sei­ner Le­bens­be­schrei­bung Lud­wigs des From­men denn auch die­se Art der Le­bens­form, der Lud­wig sehr zu­ge­neigt ge­we­sen sein soll.[22] Er ha­be selbst mit dem Ge­dan­ken ge­spielt, Mönch zu wer­den.

Die Wert­schät­zung der Ka­ro­lin­ger für das klös­ter­li­che Le­ben war hoch; die Kö­ni­ge und Kai­ser so­wie ih­re Ehe­frau­en grün­de­ten selbst Klös­ter und be­schenk­ten sie reich. Gleich­zei­tig pro­fi­tier­ten sie von die­sen. Die Klös­ter si­cher­ten ih­nen nicht nur das im­mer wie­der for­mel­haft in den Ur­kun­den her­vor­ge­ho­be­ne Ge­bet für sich selbst und die Sta­bi­li­tät des Rei­ches, son­dern ver­sorg­ten sie auch mit ma­te­ri­el­len Din­gen wie der Stel­lung von Män­nern und Pfer­den. Äb­te wur­den von den Ka­ro­lin­gern nicht sel­ten als Be­ra­ter und Ge­sand­te in den Dienst ge­nom­men. Da­bei war den Herr­schern dar­an ge­le­gen, dass das Le­ben im Klos­ter wohl ge­re­gelt war. In den Klös­tern soll­te von den Mön­che be­zie­hungs­wei­se Non­nen die Be­ne­diktsre­gel (re­gu­la Be­ne­dic­ti), ver­fasst vom hei­li­gen Be­ne­dikt von Nur­sia (um 480-547), ein­ge­hal­ten wer­den. Auf der Aa­che­ner Reichs­ver­samm­lung von 816 wur­de für die Kle­ri­ker­ge­mein­schaf­ten ein ei­gens Re­gel­werk, die In­sti­tu­tio ca­no­ni­co­rum Aquis­gra­nen­sis, für das gan­ze Ka­ro­lin­ger­reich fest­ge­legt. Zu­dem wur­de in Aa­chen die In­sti­tu­tio sanc­ti­mo­nia­li­um Aquis­gra­nen­sis als Re­gel für das Le­ben der Frau­en in den Ka­no­nis­sen­ge­mein­schaf­ten be­schlos­sen.

Das Goldene Buch (liber aureus) von Prüm, Schatzkammer der Stadtbibliothek Trier. (Paulauenc05 / CC BY- SA 4.0)

 

Vie­le Mön­che und Non­nen wur­den schon als Kind von ih­ren El­tern ins Klos­ter ge­ge­ben, mit der fes­ten Ab­sicht, dass die­se dort ihr gan­zes Le­ben ver­brin­gen soll­ten. Die Kin­der wa­ren noch sehr jung, wohl kaum mehr als sie­ben Jah­re alt, wenn sie ins Klos­ter ge­ge­ben wur­den. Für die El­tern war die Dar­brin­gung ih­rer Kin­der ein gro­ßes Op­fer an Gott, das aber ih­rem ei­ge­nen See­len­heil för­der­lich sein konn­te. Die­se pue­ri ob­la­ti (und auch pu­el­lae ob­la­tae) ha­ben auch ei­nen Platz in der Be­ne­diktsre­gel, die ih­re Auf­nah­me ge­nau re­gelt.[23] Für ein­tritts­wil­li­ge Er­wach­se­ne sah die Be­ne­diktsre­gel ein Jahr als Pro­be­zeit vor[24] – doch für den Kai­ser galt ei­ne Aus­nah­me: Als Lo­thar I. 855 als Mönch in das Klos­ter Prüm ein­trat, küm­mer­te die­se Be­stim­mung Abt Ei­gil (Amts­zeit 853-860) of­fen­kun­dig we­nig, denn nur we­ni­ge Ta­ge lie­gen zwi­schen Lo­thars Mönchs­wer­dung und sei­nem Tod. Tat­säch­lich ist zu be­zwei­feln, dass die Re­gel im­mer buch­sta­ben­ge­treu ein­ge­hal­ten wur­de, zu­mal es ins­ge­samt trotz der von höchs­ter Ebe­ne ge­mach­ten Vor­ga­ben zu Wi­der­stand ge­gen die all­ge­mei­ne Ein­füh­rung kam. Letzt­lich war die Ent­schei­dung des Ab­tes aus­schlag­ge­bend, er re­gel­te nach sei­nen Er­fah­run­gen und den ört­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten das Le­ben der Ge­mein­schaft und auch die Auf­nah­me in die­se.

Die Ent­schei­dung Lo­thars I., so kurz vor sei­nem Tod Mönch zu wer­den, dürf­te vor al­lem dem Wunsch ge­schul­det sein, in ei­nem mög­lichst ge­läu­ter­ten Zu­stand zu ster­ben. Die Mönchs­wer­dung ver­sprach Sün­den­ver­ga­be. Doch nen­nen die Quel­len sel­ten hoch­ge­stell­te Per­sön­lich­kei­ten, die ins Klos­ter ein­tra­ten. Im­mer­hin wur­de Lai­en, die sich in Amt und Wür­den be­fan­den, im­mer wie­der Hoff­nung ge­macht, dass auch sie zum Heil kom­men könn­ten. Auch ein Graf, der sich um ei­ne christ­li­che Le­bens­wei­se be­mü­he, ver­si­cher­te der Ge­lehr­te Al­ku­in (um 730-804) ei­nem Zeit­ge­nos­sen, kön­ne das himm­li­sche Le­ben er­rei­chen.[25] Von Män­nern aus Lo­thars Um­ge­bung ist be­kannt, dass der Ober­tür­hü­ter Ge­rung (zu­erst 822 be­zeugt) eben­falls ins Klos­ter Prüm ein­trat. Er war Lo­thar 822 von sei­nem Va­ter Lud­wig als Be­ra­ter in Ita­li­en an die Sei­te ge­stellt wor­den. Un­ter wel­chen Um­stän­den er sich für das Klos­ter­le­ben ent­schied, ist nicht ganz ge­klärt. Viel­leicht ge­hör­te er zu den Män­nern, die Lud­wig der From­me nach ei­ner Re­bel­li­on ge­gen ihn ab­ge­setzt und ins Klos­ter ver­wie­sen hat­te. Ge­rung könn­te sich dann, als Lud­wig die Re­bel­len be­gna­dig­te, ent­schie­den ha­ben, im Klos­ter zu blei­ben. Er wird in ei­ner Ur­kun­de Lo­thars für Prüm vom 12.11.842 als Mönch er­wähnt.[26] 

Prin­zi­pi­ell be­stand die Mög­lich­keit oder sie wur­de zu­min­dest ge­for­dert, dass auch al­te und kran­ke Be­wer­ber ins Klos­ter auf­ge­nom­men wer­den konn­ten. Bei­spie­le für den Ein­tritt als Mönch in ein Klos­ter am Le­bens­en­de, zu­mal so kurz vor dem Tod, sind je­doch rar. Der Brauch der pro­fes­sio in ex­tre­mis, des Mönchs­ge­lüb­des im An­ge­sicht des To­des, war erst ein Phä­no­men spä­te­rer Zei­ten. Lo­thars Schritt ist auf­grund sei­ner Stel­lung höchst be­mer­kens­wert: Er war Kai­ser und seit dem Ver­trag von Ver­dun von 843 Herr­scher des so­ge­nann­ten Mit­tel­reichs, zu dem auch das Rhein­land ge­hör­te. Der Blick muss schon über das Fran­ken­reich hin­aus ge­rich­tet wer­den, um an­nä­hernd Ver­gleich­ba­res im an­gel­säch­si­schen und by­zan­ti­ni­schen Raum zu fin­den. Al­len­falls könn­te noch der Klos­ter­ein­tritt des Haus­mei­ers Karl­mann (ge­stor­ben 754) – ein Vor­fah­re Lo­thars – an­ge­führt wer­den, wenn auch die Um­stän­de sei­nes Ein­tritts um­strit­ten sind.

Die Er­klä­rung für den au­ßer­ge­wöhn­li­chen Schritt des Kai­sers hat die For­schung häu­fig in der be­son­ders schwe­ren Sün­den­schuld ge­sucht. Lo­thar re­bel­lier­te zwei Mal ge­gen sei­nen Va­ter und trat nach der zwei­ten Re­bel­li­on und Lud­wigs Kir­chen­bu­ße so­gar ganz an des­sen Stel­le. Auch nach dem Tod des Va­ters soll­te er noch mit sei­nen Brü­dern Lud­wig dem Deut­schen (Re­gie­rungs­zeit 817-876) und Karl dem Kah­len (Re­gie­rungs­zeit 838-877) er­bit­tert um das Er­be strei­ten. All das, so lau­tet das Ur­teil, muss schwer auf ihm ge­las­tet ha­ben. Je­doch hat­te er sich noch mit dem Va­ter vor des­sen Tod ver­söhnt, auch mit den Brü­dern, al­ler­dings soll­te das Ver­hält­nis span­nungs­reich blei­ben. Doch muss nicht un­be­dingt ei­ne be­son­de­re Ver­feh­lung Lo­thar be­wegt ha­ben, je­de Sün­de muss­te nach dem Zeit­ver­ständ­nis ge­sühnt wer­den. In spä­te­ren Le­gen­den­er­zäh­lun­gen aus dem Klos­ter Prüm hat Lo­thar die Ret­tung sei­ner See­le auch er­reicht, zu­mal sei­ne Mit­brü­der für ihn be­te­ten.

Das Ge­bet der Mön­che war tat­säch­lich für je­den er­stre­bens­wert. Bis zum Tod konn­te je­der Gläu­bi­ge auf ver­schie­de­ne Ar­ten für sein Heil Sor­ge tra­gen. Aber auch über den Tod hin­aus hoff­ten die Men­schen auf Hil­fe. So konn­te ge­ra­de das Ge­bet zur Läu­te­rung bei­tra­gen. Die me­mo­ria, das Ge­bets­ge­den­ken, hat­te da­her in ka­ro­lin­gi­scher Zeit ho­he Be­deu­tung. Vie­le Klös­ter führ­ten Li­bri Vi­tae, in de­nen oft tau­sen­de von Na­men von Le­ben­den und Ver­stor­be­nen ein­ge­tra­gen wa­ren. Die­se Bü­cher gin­gen auf das Buch des Le­bens, das in der Of­fen­ba­rung des Jo­han­nes (20,15) ge­nannt wird, zu­rück. Nur wer dort ver­zeich­net war, durf­te auf die Er­lö­sung hof­fen. So geht aus ei­ner Schen­kungs­ur­kun­de für das Klos­ter Prüm vom 8.4.804 her­vor[27], dass der Schen­ker, ein ge­wis­ser Hart­wich, in das Buch des Le­bens auf­ge­nom­men wer­den woll­te – viel­leicht ein Hin­weis dar­auf, dass es ein sol­ches im Klos­ter Prüm gab. Wich­tig war dem Schen­ker auch, dass er in Prüm ein wür­di­ges Grab er­hielt. Im Klos­ter be­gra­ben zu wer­den, war ein oft ge­heg­ter Wunsch. Die be­son­de­re Nä­he zu den Hei­li­gen, auf de­ren Für­spra­che ge­hofft wur­de, war da­mit ge­ge­ben. Al­ler­dings wur­de zu­neh­mend in ka­ro­lin­gi­scher Zeit ge­gen ei­ne Be­er­di­gung in­ner­halb der Kir­chen Ein­spruch er­ho­ben, nur Pries­ter und ge­rech­te Men­schen, so lau­tet ei­ne For­de­rung kurz nach 800[28], soll­ten ih­ren Platz hier fin­den. Lo­thar selbst fand in­ner­halb der Kir­che sei­ne letz­te Ru­he­stät­te; noch heu­te be­steht sein Grab in der Prü­mer Klos­ter­kir­che. Wie Hart­wich hat­te er den Wunsch ge­äu­ßert, noch be­vor er Mönch wur­de, hier be­stat­tet zu wer­den. In ei­ner Ur­kun­de vom 19.9.855 – zu­gleich die letz­te er­hal­ten­de Ur­kun­de des Kai­sers – schenk­te er dem Klos­ter die vil­la El­ve­nich im Ri­pua­ri­er­gau.[29] Prüm wird als Ort be­zeich­net, wo er – frei über­setzt – wenn Gott es be­schlie­ßt, be­gra­ben wer­den möch­te (ubi do­mi­no iuben­te cor­po­re iace­re vo­lu­mus). Auch an­de­re Ka­ro­lin­ger wünsch­ten, ih­re letz­te Ru­he­stät­te in ei­ner Kir­che zu fin­den. Für Karl den Gro­ßen ist über­lie­fert, dass er ger­ne in Saint-De­nis be­er­digt wor­den wä­re. Als er Jah­re spä­ter ver­starb, bet­tet man ihn dann aber in Aa­chen zur letz­ten Ru­he.

Für Lo­thar be­deu­te­te die Ru­he­stät­te in Prüm, dass er hier mit ei­ner Viel­zahl von Re­li­qui­en zu­sam­men­kam. Er selbst hat­te in er­heb­li­chem Ma­ße den Klos­ter­schatz mit Re­li­qui­en und an­de­ren Kost­bar­kei­ten be­rei­chert. Ein Schatz­ver­zeich­nis aus dem Jahr 1003 lis­tet sie al­le auf.[30] 1721 wur­den Lo­thars Ge­bei­ne zu­sam­men mit den Über­res­ten der Mär­ty­rer Pri­mus und Fe­li­cia­nus we­gen des Um­baus der Kir­che in ei­ne Holz­kis­te ge­legt, spä­ter war ei­ne Un­ter­schei­dung nicht mehr mög­lich, so dass Lo­thars sterb­li­che Über­res­te seit­dem mit de­nen der Hei­li­gen ver­ei­nigt sind.

5. Fazit

Vom ein­fa­chen Hö­ri­gen bis hin zum Kai­ser er­grif­fen die Men­schen des Fran­ken­rei­ches und da­mit auch des Rhein­lands im 8. und 9. Jahr­hun­dert ei­ne Viel­zahl von Maß­nah­men, um Heil­mit­tel für Kör­per und See­le zu er­lan­gen. Sie such­ten die Grä­ber von Mär­ty­rern und an­de­ren Hei­li­gen auf, um durch de­ren Für­spra­che bei Gott Hei­lung von kör­per­li­chen Ge­bre­chen zu fin­den. Zwar stan­den auch Ärz­te vor al­lem für die ka­ro­lin­gi­schen Kö­ni­ge und Kai­ser zur Ver­fü­gung, doch hal­fen ih­re Küns­te nicht im­mer. Im Hin­blick auf das See­len­heil und den Lohn im Him­mel ver­spra­chen Schen­kun­gen an die Kir­che und Al­mo­sen an die Ar­men im be­son­de­ren Ma­ße Hil­fe. Vie­le Klös­ter und Kir­chen wur­den da­her gro­ßzü­gig von den Gläu­bi­gen mit dem Wunsch be­dacht, dass die je­wei­li­ge Schen­kung für das See­len­heil ih­re Wir­kung nicht ver­feh­le. Ein Le­ben als Mönch oder Non­ne war der bes­te Weg, ein gott­ge­fäl­li­ges Le­ben zu füh­ren. Schon die Mönchs­wer­dung, ver­stan­den als zwei­te Tau­fe, ver­sprach die Rein­wa­schung von den Sün­den. Selbst ein Kai­ser konn­te am En­de sei­nes Le­bens hier­in sei­ne Ret­tung er­ken­nen. Aber die meis­ten Wür­den­trä­ger ver­trau­ten doch in an­de­re Mit­tel und We­ge, um den himm­li­schen Lohn zu er­lan­gen. Ei­ne gu­te Le­bens- und Amts­füh­rung, Ge­be­te und gu­te Wer­ke, Be­stat­tung bei den Hei­li­gen, um sich de­ren Für­spra­che auch über den Tod hin­aus zu ver­si­chern, stan­den ih­nen of­fen. Für die Ärms­ten blieb nur der Trost, dass ih­re Ar­mut von Gott ge­wollt war, um den Rei­chen ei­ne Mög­lich­keit zur Sün­den­ver­ga­be zu schaf­fen, in­dem sie sich ih­rer an­nah­men.

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Kur­si­vie­rung = Kurz­zi­tier­wei­se
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Online

Quel­len zur Ge­schich­te des Klos­ters Wer­den a.d. Ruhr I, übers. u. kommt. Buhl­mann, Mi­cha­el. [on­line]

Lothar I., dargestellt in einem Evangeliar, Tours, zwischen 849 und 851, heute in Paris Bibliotheque Nationale de France, Ms. lat. 266, fol. 1v.

 
Zitationshinweis

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Schäpers, Maria, Heilmittel für Körper und Seele: Heiligenverehrung, Schenkungen für das Seelenheil und Klostereintritte im Rheinland der Karolingerzeit, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/heilmittel-fuer-koerper-und-seele-heiligenverehrung-schenkungen-fuer-das-seelenheil-und-klostereintritte-im-rheinland-der-karolingerzeit/DE-2086/lido/5b4de3d7140638.49638792 (abgerufen am 06.10.2024)