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Alfred Haehner war ausgebildeter Militärarzt und diente dem letzten Deutschen Kaiserpaar Wilhelm II. (1859-1941) und Auguste Viktoria (1858-1921), aber auch dem Kronprinzen Wilhelm (1882-1951), im holländischen Exil in den Jahren 1919-1924 als Leibarzt.
Äusserlich war der schlanke, hünenhafte Alfred Haehner mit verhaltenen Bewegungen, stets gut angezogen, eine auffallende männliche Erscheinung. Das Abbild eines Gentleman der guten alten Zeit. (…) Heiter und froh war seine Lebensführung, welche dasselbe Mass zeigte, das ihn so anziehend und vertrauenswürdig machte. (…) Im letzten seines Wesens eine adlige Natur in des Wortes ursprünglicher Bedeutung. Mit diesen wenigen, körperliche Erscheinung und Wesen verbindenden Worten charakterisierte 1949 Leo Schwering, Alfred Haehners Schwager, den gerade verstorbenen früheren Leibarzt der Hohenzollern im niederländischen Exil in einem unveröffentlicht gebliebenen Nachruf.
Dabei stammte Haehner keineswegs aus altem Adel, sondern aus einer katholischen Aufsteigerfamilie, der zielstrebig während des Kaiserreichs der Einstieg in die großbürgerliche Elite des Rheinlandes gelang. Seinem Vater, Hermann Haehner, 1851 in Lohe (Kreis Siegen) als Sohn eines Hüttenbeamten und späteren Rendanten der Sayner Hütte geboren, gelang es, 1868 in die spätere Kaiser Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin aufgenommen zu werden. Als Militärarzt absolvierte Haehner senior zwar eine unspektakuläre, aber keineswegs bescheidene Karriere. 1873, mit 22 Jahren promoviert, wurde er 1874 zum Assistenzarzt befördert und anschließend in die Garnison nach Düsseldorf versetzt. Als er rund 30 Jahre später 1906 aus dem aktiven Dienst ausschied, begleitete er den Rang eines Generaloberarztes und trug den Titel eines Sanitätsrats. Er blieb mit seiner Frau Klara Maria geborene Thissen (1851-1923) in Köln, wo er zuletzt Oberstabsarzt und Regimentsarzt des Fußartillerie-Regiments Nr. 7 war. Als Haehner senior 1918 in Bonn starb, gehörten die angesehensten Kölner Bürgerfamilien zu den gesellschaftlichen Kreisen seiner Kinder. Die älteste Tochter Leonie (geboren 1878) blieb unverheiratet, während die jüngste Tochter Ida (1884-1976) 1915 Leo Schwering geheiratet hatte, den Sohn des Direktors des Kölner Apostelgymnasiums. Sie war zudem seit mindestens 1912 mit der deutlich älteren Sophie Pröbsting (geboren 1872), einer Tochter des Architekten und Kölner Stadtbaumeisters Hermann Josef Stübben bekannt. Haehners Sohn Alfred, das mittlere der drei Kinder, war zwischenzeitlich bereits zum Preußischen Kriegsministerium versetzt und konnte hoffen, in Berlin Karriere zu machen.
Doch mit der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg nahm das Leben seines Sohnes eine unerwartete Wendung. Alfred Haehner war am 27.1.1880 in Düsseldorf zur Welt gekommen. Da der Vater aber bald darauf nach Köln versetzt wurde, besuchte Fred – so der überlieferte Familienspitzname – zuerst das Königliche Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Köln, um nach einer Zwischenstation in Darmstadt auf das Städtische Gymnasium in der Kreuzgasse zu wechseln. Das Abitur legte Alfred Haehner zu Ostern 1898 ab. Zum 1. April trat er in die Kaiser Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen ein und folgte damit seinem Vater. Während der medizinischen Ausbildung in Berlin gehörte er dem 2. Garde-Regiment zu Fuß an. Am 21.2.1900 bestand er die ärztliche Vorprüfung, am 1.10.1902 wurde er zum Unterarzt im Infanterieregiment Lübeck, 3. Hanseat. Nr. 162, ernannt und gleichzeitig bis zum 1.10.1903 zum Charité-Krankenhaus in Berlin abkommandiert. Am 2.4.1904 bestand er die ärztliche Staatsprüfung, vier Tage später wurde er zum Kadettenhaus in Plön versetzt, wo er am 14.6.1904 zum Assistenzarzt befördert wurde. Hier lernte er Mitglieder der kaiserlichen Familie kennen, denen möglichweise aufgefallen war, dass Alfred Haehner am gleichen Tag wie Kaiser Wilhelm II., nämlich am 27. Januar, Geburtstag feierte. Am 5.8.1905 wurde Haehner, auch darin tat er es dem Vater gleich, an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin mit der Dissertation „Über die rationelle Beköstigung der Soldaten in Frieden und im Krieg“ promoviert. Doch damit erschöpften sich die Ähnlichkeiten im Lebenslauf noch immer nicht, denn anschließend kehrte Haehner in seine Geburtsstadt Düsseldorf zurück, wo er Oberarzt beim Ulanen-Regiment Nr. 5 wurde. Seit dem 1.10.1907 war er in dieser Funktion zur Chirurgischen Universitätsklinik in Bonn kommandiert.
Über sein Leben im Ersten Weltkrieg gibt sein bisher nicht ausgewertetes Kriegstagebuch Auskunft. Mit einer Reihe adliger Offiziere, unter ihnen ein von Oertzen, ein von Holtzendorff und ein von Prittwitz und Gaffron, war er an der Westfront eingesetzt. Da er noch während des Krieges dauernd felddienstuntauglich geworden war, bat er schließlich um Versetzung in das Preußische Kriegsministerium, wo er das Kriegsende erlebte.
Angesichts der im Versailler Vertrag erzwungenen Truppenreduzierung muss es Haehner als Chance erschienen sein, als die Berliner Bevollmächtigten des in den Niederlanden exilierten Kaiserpaares nach einem neuen Leibarzt suchten, der bereit sein würde, für längere Zeit dorthin zu gehen. Im November 1919 traf Haehner in Amerongen ein und kümmerte sich bis 1921 vor allem um Kaiserin Auguste Viktoria, die seit 1918 an den Folgen eines Schlaganfalls litt. Haehner blieb bis Februar 1924 im Dienst der exilierten Hohenzollern. Für sein Ausscheiden war letztlich die Wiederverheiratung Wilhelms II. mit Prinzessin Hermine aus dem Haus Reuss ältere Linie (1887-1949) verantwortlich, die Haehner menschlich wie politisch irritierte. In dieser Zeit führte Haehner Tagebuch, worin er seine Erlebnisse in Amerongen und auf Haus Doorn mit einem feinen Sinn für Absurditäten und menschliche Abgründe notierte.
In die niederländischen Jahre fallen zudem zwei wichtige Ereignisse in Haehners Privatleben: Am 20.5.1920 heiratete er in Berlin die acht Jahre ältere Sophie Stübben, deren Ehe mit dem Kölner Professor für Augenheilkunde August Pröbsting (1860-1944) kurz zuvor geschieden worden war. Sophie brachte zwei Töchter mit in die Ehe, von der die jüngere, Dorothee (geboren 1899), zeitweise mit in Doorn lebte, wohin das Kaiserpaar 1920 gezogen war. 1923 starb Haehners Mutter, während der Sohn selbst in Doorn krank darniederlag. Sein Tagebuch zeugt von ihrer Verbundenheit.
Haehner nutzte die Jahre in den Niederlanden, um seine weitere Karriere zu gestalten. So erwarb er zusätzlich die Approbation als Arzt in den Niederlanden, wo er noch bis 1925 praktizierte. Gleichzeitig übersetzte er medizinische Werke aus dem Niederländischen, darunter ein Handbuch zur Zuckerkrankheit, an deren Folgen er vermutlich selbst starb. Am 1. Juni 1925 kehrte er nach Deutschland in den preußischen Staatsdienst zurück. Für die nächsten drei Jahre wurde er Medizinalrat in Waldbröl.
Indes hatte er bereits in den Niederlanden an einer weiteren beruflichen Option gearbeitet. Mit der Übersetzung eines niederländischen Handbuches zur Versicherungsmedizin wandte Haehner sich einem vergleichsweise neuen Arbeitsgebiet für Mediziner zu. Der neuartige Markt für Mikroversicherungen, nicht zuletzt für Kriegsversehrte, lockte ihn nach Frankfurt am Main, wo er ärztlicher Mitarbeiter in der Frankfurter Allgemeinen Versicherungs-AG wurde. Ihr Chefarzt war Professor Hans Lininger (1863-1933), der die neuartige Versicherungsmedizin an der Universität Frankfurt vertrat. Lininger war Gründungsmitglied und 1. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), die am 23.9.1923 in Leipzig als „Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, Versicherungs- und Versorgungsmedizin“ gegründet worden war und deren Mitglied auch Haehner war. Gemeinsam veröffentlichten Haehner und Lininger 1930 einen Ratgeber für Ärzte in der Versicherungsmedizin.
Ende 1942, nach den ersten Luftangriffen auf Frankfurt, ging Haehner nach Seefeld/Tirol, wo er kurz vor Kriegsende noch Frau und Tochter seines verstorbenen Schwagers Oskar Stübben (1877-1943) aufnahm. 1946 kehrte er nach Köln zurück. In Folge einer schweren Operation starb er 1949 im Haus seines Schwagers Leo Schwering. Begraben wurde Haehner im Familiengrab auf dem Kölner Melaten-Friedhof.
Über Haehners politische Haltung vor und nach 1933 lässt sich nur spekulieren. Obwohl auch er, wie seine Tagebücher beweisen, keineswegs frei von antijüdischen Vorurteilen war, lehnte er Äußerungen eines politischen Antisemitismus ab. Allerdings gehörten seine Sympathien auch nicht dem Zentrum, dem er vor allem, solange Matthias Erzberger (1875-1921) lebte, geradezu ablehnend gegenüberstand. Der eingangs erwähnte Nachruf legt nahe, Haehner habe, wenngleich keineswegs unpolitisch, keine parteipolitische Position bezogen: Als Konservativer von Erziehung und Neigung, so der eingangs zitierte Nachrufschreiber, stand er der landläufigen Politik kritisch und distanziert gegenüber, ohne ihre Bedeutung zu verkennen. Vielleicht darf man diese Stelle im zeitlichen Kontext von 1949 auch als nachträgliche Distanzierung vom Nationalsozialismus lesen, dessen Verführungskraft Haehner genauso gespürt, wie er ihre konkrete Homogenisierungs- und Kriegspolitik abgelehnt haben mag. Die Monarchie dürfte er, den Äußerungen in seinem Tagebuch zufolge, zurückersehnt haben; die politischen Chancen auf ihre Restauration beurteilte er jedoch skeptisch. Zudem erkannte er gerade durch seinen persönlichen Umgang mit den Hohenzollern, dass weder der Kaiser noch der von ihm durchaus geschätzte Kronprinz persönlich zur Übernahme der Macht geeignet wären. Insbesondere das unbeherrschte Privat-, um nicht deutlich zu sagen: Sexualleben des Kronprinzen Wilhelm enttäuschte ihn zusehends. Von einer zwischenzeitlich geplanten Werbung für die Hohenzollern sah er ab. Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass Haehner politisch heimatlos war, weil er sich weder mit dem Zentrum noch dem Monarchismus der Weimarer Republik, aber auch nicht dem Nationalsozialismus identifizieren konnte.
Werke
Über die rationelle Beköstigung der Soldaten im Frieden und im Kriege, Berlin 1905.
Lebensversicherungsmedizin: Eine Anleitung für Ärzte und Studierende der Medizin / W. Nolen; A. A. Hymans v. d. Bergh; I. Siegenbeek van Heukelom. Nach der dritten holländischen Auflage ins Deutsche übertragen von A. Haehner in Doorn, Berlin 1925.
Vorlesungen über die Zuckerkrankheit. Von A. A. Hijmans van den Bergh. Unter Mitw. von A. Siegenbeek van Heukelom. Mit e. pathol.-anatom. Kapitel von R. de Josselin de Jong. Ins Deutsche übertr. von A. Haehner, Berlin 1926.
[Gemeinsam mit Hans Lininger], Was muss der Arzt von der privaten Unfallversicherung wissen?, Leipzig 1930.
Quellen
Landesarchiv Berlin, Standesamt Berlin-Grunewald Nr. 42/1920: Heiratsurkunde Dr. Alfred Haehner/Sophie Pröbsting geborene Stübben.
Landesarchiv NRW Personenstandsarchiv Rheinland, Personenstandsregister/Standesamt Köln III/Sterbefälle 1923, Band 1, Nr. 22: Sterbeurkunde Klara Haehner; Personenstandsregister/Standesamt Köln I/Sterbefälle 1948, Band 2, Nr. 648: Sterbeurkunde Leonie Haehner; Personenstandsregister/Standesamt Köln I/Sterbefälle 1949, Band 8, Nr. 3741: Sterbeurkunde Alfred Haehner.
Stadtarchiv Düsseldorf, Signatur 7-0-7-1-0168, Standesamt Düsseldorf-Mitte Nr. 275/1880: Geburtsurkunde Alfred Haehner.
Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 1193a, A 8–A 11: Tagebücher Alfred Haehner aus Amerongen und Doorn 1919–1924; A 18: Dr. Leo Schwering: maschinenschriftlicher Nachruf auf Alfred Haehner.
Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 1114, Nr. A 42: Stammbaum Familie Stübben (1932).
Gemeindearchiv Seefeld/Tirol, Meldeakten, Meldebescheinigungen Dr. Alfred Haehner, Eleonore Stübben und Karin Stübben.
Privatarchiv Stephan Müller (Köln), Totenzettel Alfred Haehner; Photoalbum mit einer Aufnahme Sophie Pröbsting geb. Stübben und Ida Haehner, 1912 in Duinbergen/Belgien.
Lebenslauf, in: Haehner, Alfred, Über die rationelle Beköstigung der Soldaten im Frieden und im Kriege, Berlin 1905, S. 32.
Simon, Hans, Waldbröl von 1924 bis 1928. Aus der Geschichte Waldbröls, Heft 11, Waldbröl 1985, S. 23.
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 66. Tagung, 8.-11. Juni 1949, Berlin 1950, S. LII.
Wätzold, Paul, Stammliste der Kaiser Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. Im Auftrage der Medizinal-Abteilung des Königlichen Kriegsministeriums unter Benutzung amtlicher Quellen, Berlin/Heidelberg 1910, S. 130, Nr. 464: Hermann Haehner, S. 496, Nr. 2230: Alfred Haehner.
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Mangold-Will, Sabine, Alfred Anton Maria Haehner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfred-anton-maria-haehner/DE-2086/lido/625668012c8956.56089603 (abgerufen am 12.12.2024)