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Erwin Albrecht war 1941–1945 als Richter beim Oberlandesgericht Prag an Unrechtsurteilen beteiligt. Nach 1945 war er Mitte bis Ende der 1950er Jahre ein politisches Schwergewicht im Saarland, bis ihn 1960 die Vergangenheit einholte, seine Immunität aufgehoben und ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde, das jedoch ohne Ergebnisse eingestellt wurde.
Erwin Karl Eduard Albrecht wurde am 21.2.1900 in Düsseldorf als Sohn eines Eisenbahn-Bauingenieurs geboren. Nach dem Tod des Vaters musste er als Familienernährer für seine Mutter und seine vier Geschwister einspringen. Er brach die Schulausbildung mit der Mittleren Reife ab. Nach einer Kaufmannslehre arbeitete er bis 1925 als Angestellter in der Industrie und im Bankwesen. Daneben bestand er 1924 in Saarbrücken das Abitur. 1926–1929 arbeitete er beim Presseinstitut des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes (DNHV) in Berlin und Hamburg. In Hamburg war er außerdem DNHV-Gaubildungsobmann Nordmark. Nebenbei studierte er Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft. Im Sommersemester 1926 trat er dem Verein Deutscher Studenten Berlin bei und war im Sommersemester 1927 dessen Vorsitzender. 1929 wechselte er an die Universität Marburg, wo er 1931 das 1. Juristische Staatsexamen ablegte. Im folgenden Jahr promovierte er in Marburg zum Dr. jur. Der Rechtsreferendar trat 1933 der SA und 1936 der NSDAP bei. Ab 1936 war er Assessor bei der Staatsanwaltschaft und den Gerichten Saarbrücken und Koblenz. In den Jahren 1939 bis 1945 war er - abgesehen von seiner Verwendung in Prag und Brünn - Landgerichtsrat in Mönchengladbach.
Aus der am 9.3.1937 mit Eva Ludewig eingegangenen Ehe gingen mindestens eine Tochter, ein Sohn sowie der Sohn Erwin Otfried Detlev (geboren 1941) hervor.
Während der Jahre 1941–1945 war er dem Oberlandesgericht Prag zugewiesen und vom Dezember 1941 bis Mai 1942 Richter am Sondergericht Brünn. Das Sondergericht diente der „Ausschaltung politischer Gegner“. Im Juni 1942 war er Richter am Landgericht Brünn und von Juli 1942 bis Mai 1943 er Beisitzer der II. und IV. Strafkammer am Landgericht Prag. Ab Mitte Mai 1943 bis zu seiner Flucht im April 1945 war er dann Richter am Sondergericht Prag. Ab 1944 wirkte er wiederholt als Einzelrichter und Vorsitzender; insgesamt war er an der Verhängung von mindestens 31 Todesurteilen (Widerstandskämpfer, „Wirtschaftssaboteure“ und Juden) beteiligt. Darunter war die Schauspielerin und Sängerin Marianne Golz (1895–1943), die zu einer Widerstandsgruppe gehörte, die verfolgten Juden zur Flucht verholfen hatte. Die CSSR und die Vereinigten Nationen setzten Albrecht 1945 auf ihre Kriegsverbrecherliste (Nr. A/38/61).
Nach Kriegsende 1945 war Albrecht Anwaltsvertreter in Saarbrücken sowie 1948–1965 Syndikus und Geschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung des Saarlands, des Saarländischen Ärztesyndikats sowie Geschäftsführer des Verbandes der Freien Berufe in Saarbrücken. Daneben war er Aufsichtsratsvorsitzender des Versicherungskonzerns Deutscher Ring. Der Entnazifizierungsausschuss der Justiz für den Landgerichtsbezirk Mönchengladbach hatte ihn am 30.6.1948 als „entlastet“ eingestuft; ein evangelischer Pfarrer hatte ihm attestiert, er sei Mitglied der Bekennenden Kirche gewesen. 1952 wurde ein Auslieferungsantrag der CSSR abgelehnt. Der Medizinhistoriker Lothar Sennewald (geboren 1906), der Albrechts Taten publik machte, verlor im Zuge eines Berufsgerichtsverfahrens 1955 seine Professur an der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes in Homburg.
1955 trat Albrecht der CDU bei. Vom 18.12.1955 bis 2.1.1961 war er Abgeordneter im Saarländischen Landtag und 1955–1957 stellvertretender Vorsitzender der CDU Saar, Vorsitzender der evangelischen Arbeitsgruppe der CDU Saar und ab 1956/1957 Vorsitzender der CDU-Fraktion im Saar-Landtag. Zudem war er Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats und des Universitätsrats der Universität des Saarlands.
Er stand zunächst auf dem „Heimatflügel“ der CDU, der für eine Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei des Saarlandes (DPS) und der Christlichen Volkspartei des Saarlandes (CVP) eintrat. Dennoch kam es 1957 zu einer CVP-Kampagne gegen ihn, als es um die Einigung von CDU und CVP an der Saar ging. Am 18.3.1958 legte er seine Parteiämter nieder, nachdem er aufgrund der CVP-Verweigerung als offizieller CDU-Kandidat nicht zum Landtagspräsidenten gewählt worden war. Nach Bekannt -werden seiner Tätigkeit in Prag durch einen Artikel in der saarländischen Wochenzeitung „Saarlandbrille“, in dem Albrecht als „Blutrichter“ bezeichnet wurde, schloss ihn die CDU-Fraktion am 6.12.1958 aus. Er wurde daraufhin Hospitant bei der DPS. 1959 trat er aus der CDU aus. Sein politisches „Glaubensbekenntnis“ hatte er am 3.3.1959 im Saarländischen Landtag so formuliert: „Gott, Volk und Vaterland – das sind für die Staatspolitik, ganz einfach und schlicht zusammengefaßt, die tragenden Begriffe.“
Von Mai 1957 bis Juni 1960 war er Vorsitzender des Rundfunkrats des Saarländischen Rundfunks. Am 2.10.1960 wurde er zum 2. Vorsitzenden der Christlich-Nationalen Gemeinschaft gewählt, der es bei den Landtagswahlen 1960 jedoch nicht gelang, ein Mandat zu erlangen. Anschließen schied Albrecht aus der Politik aus.
Seine Prager Vergangenheit wurde zunächst im Rahmen einer Wanderausstellung über ungesühnte NS-Justiz öffentlich thematisiert. Daraufhin erstatteten Josef P. Krause von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sowie die SDS-Studenten Strecker und Koppel Anzeigen gegen ihn. Ihm wurde in einem Tötungsfall Rechtsbeugung während seiner Tätigkeit in Prag vorgeworfen. Demnach hatte er Urteile gefällt, die „an Willkür und Grausamkeit des Strafmaßes Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ darstellten. Albrecht bestritt im Januar 1960 die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Er sei als Richter nicht an Verbrechen beteiligt gewesen, als Beisitzer einer Strafkammer habe er nur an Todesurteilen mitgewirkt, die ausschließlich „Kriminelle“ betroffen hätten. Im März 1960 beantragte der Generalstaatsanwalt des Saarlands beim Präsidenten des saarländischen Landtags die Aufhebung der Immunität von Albrecht mit dem Ziel, ein Strafverfahren gegen ihn zu eröffnen. Die 13 Abgeordneten der DPS stellten sich hinter Albrecht, doch nach einer heftigen Debatte im Landtag wurde seine Immunität am 13.6.1960 aufgehoben. Ein Verfahren gegen Albrecht wurde von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken aber nach kurzer Zeit und ohne verwertbare Ergebnisse eingestellt.
Erwin Albrecht starb am 24.6.1985 in Saarbrücken.
Quellen
Teilnachlass im Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung Sankt Augustin (darunter Tagebuchaufzeichnungen zur Volksabstimmung Saar 1955, Interview 1980).
Werke
Das Recht der Revolution, Berlin 1934 (Diss. Univ. Marburg 1932).
Blick zurück in Scham, Artikelserie vom 31.12.1976 bis 7.1.1977 in der Deutschen Wochen-Zeitung.
Literatur
Schmidt, Robert H., Saarpolitik 1945–1957, 3 Bände, Berlin 1959-1962.
Albrecht bestreitet, in: Die Welt vom 25.1.1960.
Immunität Dr. Albrechts soll aufgehoben werden, in: Saarbrücker Allgemeine Zeitung vom 16.3.1960.
Immunität aufgehoben, in: Rhein-Neckarzeitung vom 18.6.1960.
Kosch, Wilhelm, Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik, Bern/München 1963, Band 1, S. 17.
Morenz, Oswald, Erwin Albrecht – 80 Jahre, in: Akademische Blätter 82 (1980), S. 18-19.
Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2007, S. 11.
Küppers, Heinrich, Johannes Hoffmann (1890–1967). Biographie eines Deutschen, Düsseldorf 2008.
Meckel Andreas/Wiehn, Erhard R., Der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen – Die Justizmorde an Oskar Löwenstein und Marianne Golz durch das Sondergericht Prag 1943, Konstanz 2009.
Später, Erich, Mord nach Paragraphen. Die NS-Vergangenheit des CDU-Politikers Dr. Erwin Albrecht, in: Saarbrücker Hefte 91 (2004), S. 13-18.
Tascher, Gisela, Die Entwicklung des Gesundheitswesens im Saargebiet und Saarland von 1920–1956 im Spiegel der machtpolitischen Verhältnisse, Diss. Univ. Heidelberg 2007.
Tascher, Gisela, Ein Prager „Blutrichter“ als Ärzte-Syndikus im Saarland. Wie der Jurist Erwin Albrecht trotz übler Vergangenheit bei der Ärztekammer reüssieren konnte, in: Saar-Geschichten 2011, Heft 1, S. 36-39.
Online
Erwin Albrecht auf Saarland-Biografien.de. [Online]
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Zirlewagen, Marc, Erwin Albrecht, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/erwin-albrecht/DE-2086/lido/57a9de9e39fbc4.78139483 (abgerufen am 03.10.2024)