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Infolge der konfessionellen Spaltung nach 1555 und vor allem auch während des Achtzigjährigen Krieges gewann die Hexenlehre neuen Zulauf und evozierte gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Massenhysterie, die zu zahlreichen Verdächtigungen, Denunziationen, Prozessen und Hinrichtungen führte. Gerade weil die Hexenverfolgungen damit einer fast ungezügelten Volksbewegung gleichkamen, versuchte die sowohl auf katholischer wie auch auf protestantischer Seite um Ordnung bemühte kirchliche Obrigkeit, dieser Hysterie Einhalt zu gebieten. Denn anders als im Mittelalter waren die Hexenprozesse der Frühen Neuzeit ausgehend von der im Jahr 1532 veröffentlichten Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (1500-1558) sehr viel stärker der weltlichen Gerichtsbarkeit unterworfen als der geistlichen. Einer der bekannteren kirchlichen Kritiker in dieser Zeit war Franciscus Agricola.
Agricola wurde zwischen 1545 und 1550 in dem kleinen Örtchen Lohn an der Inde geboren, das es seit 1982 in Folge des Braunkohletagebaus nicht mehr gibt und das im heutigen Gemeindegebiet von Aldenhoven lag. Es mag diese sehr ländliche Herkunft gewesen sein, die ihm den Beinamen „Agricola“, Bauer, einbrachte. Zeitlebens sollte er seine Heimatregion im Gebiet zwischen Jülich und Aachen kaum verlassen, von hier aus jedoch einen beachtlichen Einfluss auf oder vielmehr gegen den sich zum Ende des 16. Jahrhunderts hin verstärkenden Hexenwahn gewinnen.
Agricolas Leben spiegelt sich heute ganz überwiegend in seinen Schriften wider, über seinen Verlauf ist wenig bekannt. Sein Studium absolvierte er in Köln und Löwen: das philosophische Grundstudium bei Peter Busaeus (1540-1587) an der Kölner Dreikönigenburse, Theologie dann später bei dem schon schwer kranken, jedoch berühmten Kirchengelehrten Jodokus Ravesteyn (1506-1570). Busaeus, der selbst aus Nimwegen stammte, war einer der führenden frühen Jesuiten im Heiligen Römischen Reich und lehrte bis etwa 1569/1570 am Rhein. Danach wurde er nach Wien berufen, um das dortige Jesuitenkolleg mit aufzubauen, dessen Rektor er schließlich 1586 wurde. Man darf davon ausgehen, dass Agricolas spätere Haltung zur Hexenverfolgung in dieser jesuitischen, also eher wissenschaftlich fundierten Prägung zu suchen ist. Erinnert sei nur an Friedrich Spee von Langenfeld, einer der bekanntesten Kritiker der Hexenprozesse und gleichermaßen Jesuit. Gleichermaßen wird seine theologische Ausbildung bei Ravesteyn, der unter anderem als kaiserlicher Gesandter beim Konzil von Trient wirkte und zahlreiche Schriften für die Reinerhaltung der kirchlichen Lehre verfasste, seine Unnachgiebigkeit gegen die Neugläubigen begründet haben. Ihn wegen seines lateinischen Beinamens als Humanisten zu bezeichnen, würde den Begriff allerdings allzu weit fassen.
Zum Abschluss seines Studiums in Löwen erwarb Agricola das Lizenziat der Theologie, schlug damit aber keine akademische Laufbahn ein, sondern übernahm 1569 die Pfarrstelle in Rödingen (heute Gemeinde Titz) in der Nähe seines Geburtsortes. Hier entstanden mehrere Leitfäden zum christlichen Leben wie etwa der „Biblischer Amptsspiegel, das ist ein Recht ungefelscht evangelisch handbüchlein eines waren auffrichtigen Christenburgers […]. Und demnach ein jeglicher Christ, wes standts oder wurden er ist, als in einem Spiegel erlehrnen kann, wie er nach Gottes wort in seinem ampt und beruff leben soll und muß, das er entlich selig werde.“ Versehen mit einem Register und passenden Bibelzitaten zu den verschiedenen Themenkreisen wie Ehe, Familie, Handel, aber auch öffentliche Ordnung sollte dieses wie auch die folgenden Bücher ein verständliches Nachschlagewerk im Sinne christlicher – also altgläubiger – Lebensführung sein.
Dass es ihm nicht nur um Ratgeber ging, sondern auch mit Leidenschaft um die katholische Sache, bewies Agricola, als er „Fürstliche und allerley andere auserlesene feurige catholische Gebett“ veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt, 1585, hatte er schon die Pfarrstelle im heutigen limburgischen, damals jedoch zum Herzogtum Jülich gehörenden Sittard (Bistum Roermond) inne, die er 1581 übernommen hatte. Seit 1599 war er Landdechant des Dekanates Süsteren. In Sittard besaß er zusätzlich ein Kanonikat am Stift von St. Peter, dessen Einkünfte ihm wohl erlaubten, neben seiner seelsorgerischen Arbeit, der er mit großem Eifer nachkam, seine Arbeit an den Lehrwerken fortzusetzen. 1597 erschien sein Hauptwerk „Grundtlichen Bericht, Ob Zauberey die argste und grewelichste sünd auff Erden sey“. Agricola bekennt sich darin zunächst zum Phänomen der Zauberei, führt dann aber aus, dass dasselbe sehr selten sei und keineswegs zu verwechseln mit anderen Lastern und Schandtaten wie Diebstahl, Ehebruch, Unzucht oder Mord. Zauberer und Hexen seien schlimmer als all diese Verbrecher, schlimmer übrigens auch als Juden oder Türken. Dennoch könnten selbst Zauberer und Hexen Vergebung erlangen, denn „Gottes gnad und barmherzigkeit ubertrifft weit unsere sünden, wannehe sie gleich hundert tausentmal mehr und grosser weren als sie seynd oder erdacht werden können.“ Demzufolge könnten auch all die Verbrechen, die nur vorgeblich von Zauberern und Hexen begangen worden seien, in Wahrheit aber lediglich eine menschliche Sünde seien, vergeben werden. Ausdrücklich weist Agricola darauf hin, dass jedem tatsächlich überführten Zauberer, der keine Buße tue, der Prozess zu machen sei, auch in Form von Verbrennungen, führt jedoch auch aus, dass diese Praxis stärker im weltlichen Recht als im kirchlichen wurzelt und verweist hier auch auf die peinliche Halsgerichtsordnung. Schließlich warnt er die weltliche Obrigkeit davor, aus unlauterer Absicht und ohne hinreichende Beweise Hexenprozesse zu führen, und empfiehlt ihnen ein gottgefälliges Leben – eine kaum verhüllte Drohung, im gegenteiligen Fall von der Gnade Gottes ausgeschlossen zu werden. Insgesamt achtet Agricola aber sehr darauf, nicht den Eindruck zu erwecken, sich gegen Hexenprozesse auszusprechen; im Schlussteil liefert er sogar Argumente gegen jene, die behaupteten, es gebe gar keine Zauberei. Nur so war es ihm wohl möglich, das Werk unter seinem Namen zu veröffentlichen.
Mit dem „Grundtlichen Bericht“, der ihn gleichermaßen populär wie umstritten machte, empfahl Agricola sich für weitere Aufgaben. Zumindest ausweislich seiner eigenen Schriften trug er den Titel eines Hofkaplans des Herzogs von Jülich. 1599 konnte er die Dechanei des Landkapitels von Süsteren für sich erwerben und damit eine Führungsposition innerhalb der Geistlichkeit des gerade erst 1559 gegründeten Bistums Roermond übernehmen. Trotz allen Mahnens und Maßhaltens in Bezug auf die Hexenverfolgung blieb Agricola auch dabei ein Kämpfer der Gegenreformation; mehrfach musste er sich vor Gericht verantworten, weil ihm vorgeworfen wurde, Protestanten verleumdet zu haben oder von der Kanzel herab gegen sie gepredigt zu haben. Ganz besonders engagierte er sich gegen das Wiedertäufertum und veröffentlichte mehrere Propagandaschriften über die Anabaptisten.
Es mag an dieser katholischen Vehemenz Agricolas gelegen haben oder auch daran, dass mit der nahezu titelgleichen Schrift „Gründlicher Bericht Von Zauberey und Zauberern“ von Anton Praetorius (1560-1613) Agricolas Buch nicht langfristig rezipiert, ja sogar verdrängt wurde und die Bekanntheit wie Beliebtheit des Autors sank. Immerhin bekannte Praetorius sich ungleich klarer gegen die Hexenverfolgung, als Agricola es getan hatte.
Franciscus Agricola, im Alter erschöpft und abgemagert, starb am 4.12.1621 in Sittard und wurde dort in seiner Pfarrkirche neben dem Altar begraben.
Werke (Auswahl)
Gründtlicher Bericht Von dem hochwirdigsten heiligsten
Sacrament des Abendtmals Christi Jhesu, 1575.
Biblischer Amtsspiegel, 1577.
Biblischer Fastenspiegel, 1579.
Fürstliche und allerley andere auserlesene feurige catholische Gebett, 1585.
Grundtlichen Bericht, Ob Zauberey die argste und grewlichste sünd auff Erden sey, Köln 1597.
Biblischer Ehe-Spiegel, 1599.
Literatur
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel „Agricola, Franz“, in: Bautz Biographisches Kirchenlexikon, Band 1, Sp. 57.
Bers, Wilhelm, Die Schriften des ehemaligen Pfarrers von Rödingen und Sittard, Franciscus Agricola, in: Annalen des Historischen Vereisn für den Niederrhein 129 (1936), S. 116-118 .
Flament, Jean Alexandre, Artikel „Agricola, Franciscus“, in: Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek 3 (1914), S. 15-17.
Lechner, Ursula, Der Jülicher Pfarrer Franciscus Agricola und sein Buch über Zauberer und Hexen (1597), in: Jülicher Geschichtsblätter 20 (1968), S. 2-5.
Smolinsky, Heribert, „Agricola, Franz“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Band 1, Freiburg 1993, Sp. 207.
Online
Embach, Michael, „Agricola, Franciscus“, in: historicum.net. [Online]
Haaß, Robert, “Agricola, Franz”, in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 98. [Online]
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Bock, Martin, Franciscus Agricola, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franciscus-agricola-/DE-2086/lido/57a9c145c634c6.71616803 (abgerufen am 03.10.2024)