Zu den Kapiteln
Der während der NS-Zeit in Bonn tätige Psychiater Friedrich Panse war T-4-Gutachter, der geistig Behinderte und psychisch Kranke in den Tod schickte. Als Wehrmachtsnervenarzt in (Köln-)Porz-Ensen ließ er höheren galvanischen Strom einsetzen, um „Kriegsneurotiker“ zu heilen und „Simulanten“ zu enttarnen. Als Nationalsozialist war er ein engagiert lehrender Rassenhygieniker. Dennoch fanden sich nach dem Ende des NS-Regimes rasch Stimmen, die Panse entlasteten. Doch die nordrhein-westfälische Landesregierung lehnte es ab, Panse weiterhin als außerplanmäßigen Professor zuzulassen. Gegen diese Entscheidung klagte Panse erfolgreich: Er wurde Direktor der Anstalt Düsseldorf-Grafenberg, der Düsseldorfer Nervenklinik, Mitglied im Ärztlichen Sachverständigenrat für Fragen der Kriegsopferversorgung des Bundesarbeitsministeriums sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde.
1. Panses Weg nach Bonn
Friedrich Albert Panse wurde am 30.3.1899 als Sohn eines Schlossers in Essen geboren. Der Protestant wurde nach dem Notabitur 1917 einfacher Soldat bei der Artillerie. Von 1919 bis 1923 studierte er in Münster und Berlin Medizin. 1924 wurde er approbiert und promoviert. Am 1.5.1924 wechselte er an die Wittenauer Heilstätten der Stadt Berlin, zunächst als Assistenz-, später als Anstalts- und Oberarzt. Im Januar 1936 habilitierte er sich, wobei ihm die Habilitationsschrift erlassen wurde. Für seinen Lebensweg bedeutsam wurde sein sechs Jahre älterer Kollege Kurt Pohlisch (1893-1955), der ihn als Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie der Universität Bonn an den Rhein holte. Pohlisch und Panse hatten sich Jahre zuvor in Berlin kennengelernt. Panse übernahm zunächst die Leitung der Rheinischen Provinzialanstalt für psychiatrisch-neurologische Erbforschung in Bonn. Im Mai 1937 wurde er Dozent für Psychiatrie und Neurologie, im Juli 1937 erhielt er einen Lehrauftrag und im Juli 1942 wurde er außerplanmäßiger Professor.
Sieht man davon ab, dass Panse 1924 eine konfessionsverschiedene Ehe einging – er heiratete die am 29.1.1899 geborene Katholikin Luise Klapdor –, stellt man im privaten Lebenslauf nichts Außergewöhnliches fest. 1927 kam die Tochter Sigrid zur Welt. Seine Militärlaufbahn scheint ihm wichtig gewesen zu sein. Nachdem er am Ersten Weltkrieg nur als Gefreiter teilgenommen hatte, wurde er von der Wehrmacht nach mehreren Übungen als Assistenzarzt der Reserve übernommen. Zuletzt war er Oberfeldarzt der Reserve im Reservelazarett Porz-Ensen bei Köln. Er trug das Ehrenkreuz für Frontkämpfer und das Verwundetenabzeichen in Schwarz.
Vergleichsweise durchschnittlich verlief seine Parteikarriere. In der Endphase der Weimarer Republik nationalkonservativ – er gab später an, DVP und DNVP gewählt zu haben – war er weder Nationalsozialist der ersten Stunde noch „Märzgefallener“. Dennoch erschien es ihm bald opportun, Mitglied der NSDAP zu werden. Am 1.4.1937 wurde er aufgenommen (Nr. 5616924). Er gehörte dem NS-Dozentenbund, dem NS-Ärztebund (seit 1.1.1936, Nr. 12810), dem Reichsluftschutzbund (seit 1933), der NS-Volkswohlfahrt (seit 1933), dem Reichsbund deutscher Beamter (seit 1.1.1936), dem Reichskolonialbund (seit 1936), dem Volksbund für das Deutschtum im Ausland (seit 1.7.1938, Nr. 30280) und dem Deutschen Roten Kreuz (seit 6.9.1939) an. Dies war für einen dem NS-Regime nicht oppositionell gegenüber stehenden beamteten Arzt und Universitätsangehörigen ebenso wenig ungewöhnlich wie die finanzielle Förderung einer Organisation wie der SS, die für 1934/1935 belegt ist.
Für Panses Laufbahn wichtig wurde die Beziehung zu Kurt Pohlisch. 1934 gegen den Widerstand der dortigen medizinischen Fakultät nach Bonn berufen, suchte Pohlisch nach einem Mitarbeiter, dem er vertrauen konnte – und der mit ihm auf dem nach dem Niederreißen ethischer Beschränkungen weiten Feld der Psychiatrie und Neurologie forschen konnte. Als leitenden Arzt des Rheinischen Provinzialinstituts für psychiatrisch-neurologische Erbforschung konnte Pohlisch Panse durchsetzen. Die übliche Anbindung an die Universität aber verlief schleppend. Nach der Erteilung des Lehrauftrags 1937 beantragte Pohlisch vergeblich ein persönliches Ordinariat für Panse. Das dreieinhalbseitige Antragspapier betont immer wieder die Anlehnung von Panses (und Pohlischs) Forschung und Lehre an die Maßgaben des nationalsozialistischen Staates. Panses späte Habilitation wird mit von Juden besetzten Assistentenstellen in Zusammenhang gebracht. Weiter schreibt Pohlisch anerkennend über Panse: Mitwirkung an rassenhygienischen Amtsarztkursen in Bonn, in Kreuznach, sowie laufend am Universitäts-Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt (Frhr. v. Verschuer). Anknüpfung enger Zusammenarbeit des Bonner Instituts mit dem Frankfurter. Häufige rassenhygienische Vorträge vor Hundertschaften der Ordensburg Vogelsang, dem NS-Dozentenbund, der NSV, Landesbauernrat, NSLB; enge Zusammenarbeit mit den rassenpolitischen Ämtern der Gaue in der Rheinprovinz, vor allem Gau Köln-Aachen. Laufende Mitwirkung an den Pflichtfortbildungskursen für Ärzte, an den Ausländerkursen der Universität, an der Mittelrheinischen Verwaltungsakademie, bei den Referendararbeitsgemeinschaften beim Landgericht in Bonn, Vorträge vor Volkspflegerinnen. Leitung einer Arbeitsgemeinschaft der Fachschaft Medizin der Deutschen Studentenschaft in Bonn. Seit Sommer 1938 wieder berufen als Dozent an die Staatsakademie des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Berlin für Vorträge psychiatrisch-rassenhygienischen Inhaltes.
Sollten zunächst noch Reste einer Skepsis gegenüber dem Nationalsozialismus bei Panse bestanden haben, so hatte er diese spätestens 1935 vollständig abgelegt. Noch in Berlin gab er seine Zustimmung zu dem seit 1934 bestehenden System der Zwangssterilisationen zu erkennen. Anfang 1935 wurde er Mitglied des Erbgesundheitsobergerichts in Berlin, das letztinstanzlich über Einwände gegen zuvor verfügte Unfruchtbarmachungen nach dem euphemistisch so genannten „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ entschied. 1936 wurde er in gleicher Funktion in Köln tätig. Pohlisch warb 1939 für Panse mit dessen Erfahrung: Umfangreiche Beratung von Amtsärzten, Erbgesundheitsgerichten und Erbgesundheitsobergerichten der gesamten Rheinprovinz in schwierigen erbpflegerischen Fällen. Die betr. Personen bzw. Behörden pflegen sich häufig mit der-artigen Fällen an das […] Institut […] zu wenden, was [sic] dann von Panse bearbeitet wird, wodurch eine einheitliche Rechtsprechung in Erbgesundheitsfragen weitgehend gewährleistet wird. Das Institut bearbeitet sämtliche Anträge auf Verleihung des Ehrenbuchs für Kinderreiche, welche die rassenpolitischen Ämter der Gaue Köln-Aachen, Koblenz-Trier und Düsseldorf-Essen durchlaufen. Auch diese Arbeit wird von Panse geleistet, sodaß in der Rheinprovinz eine besonders vorsichtige und den sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragende Auslese der zu fördernden Familien durchgeführt wird.
Aus der Fakultät kam mittlerweile kein Widerspruch mehr. Sie unterstütze einen Antrag auf ein persönliches Ordinariat für Panse mit Nachdruck, ebenso der Bonner Dozentenbundführer Wilhelm Busch: Er ist ein aufrechter Bejaher des Dritten Reiches.
Nachdem man an der Bonner Fakultät von der grundsätzlichen Abschaffung persönlicher Ordinariate erfahren hatte, über ein planmäßiges Ordinariat für Panse nachgedacht wurde und man erfolglos eine Honorarprofessur für ihn beantragt hatte, teilte der Kurator als Verwaltungschef der Universität am 18.12.1940 dem Rektor mit, dass die Errichtung eines planmässigen Lehrstuhls für Erb- und Rassenhygiene (für Dozent Dr. Panse) […] mit Rücksicht auf den Krieg zurückgestellt werden müsse. Zudem sehe der Minister die Angelegenheit nicht als dringlich an, weil Panse durch den Lehrauftrag an die Universität gebunden sei. Das von Dekan Friedrich Tiemann (1899–1982) formulierte Ziel, wie die Universität Köln einen Lehrstuhl für Rassenhygiene zu erhalten und konkurrenzfähig zu sein, war einstweilen gescheitert. Eine Rolle mag dabei gespielt haben, dass Panse eine allzu enge Verbindung seiner Person wie seines Instituts mit dem Rassenpolitischen Amt Köln-Aachen schroff abgelehnt hatte, was mehrere Zeitzeugen im Entnazifizierungsverfahren bestätigt haben. Dies hatte wohl weniger politische als wissenschaftliche Gründe. Panse ging es bei aller ideologischer Bindung um Forschung, nicht um die vorbehaltslose Bestätigung in NS-Kreisen herrschender Überzeugungen.
Panse ist einer der wenigen Wissenschaftler, deren Name auch in Verbform berühmt und berüchtigt geworden ist. Im Reservelazarett Porz-Ensen entwickelte er während des Zweiten Weltkriegs eine Elektroschockmethode zur Behandlung traumatisierter Soldaten, die bald als „Pansen“ bekannt wurde. Panses zeitweiliger Mitarbeiter Günter Elsäßer (geboren 1907) beschrieb die Methode als Beseitigung psychogener Störungen durch den Einsatz von höherem galvanischem Strom unter Suggestivbeeinflussungen. Auf diese höchst fragwürdige Weise sollten unter den als traumatisiert eingelieferten Soldaten diejenigen gefunden werden, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollten und zugleich tatsächliche „Kriegsneurotiker“ geheilt werden. Panse war als Chef des Reservelazaretts federführend, doch zählten auch seine Bonner Kollegen Pohlisch als beaufsichtigender beratender Psychiater des Wehrkreises VI mit Sitz in Münster und Elsäßer als Assistenzarzt zu den an den Forschungen Beteiligten.
Das „Pansen“ war eine Modifizierung des schon während des Ersten Weltkriegs zu ähnlichen Zwecken eingesetzten „Kaufmannschen Verfahrens“, das mit Faradayschem Strom gearbeitet und immer wieder zum Tod von Soldaten geführt hatte. Doch vom Pansen als Akt der Humansierung zu sprechen, verbietet sich. Für Karl Heinz Roth entwickelte sich Ensen unter Panse zu einem „Zentrum des neuropsychiatrischen Experimentierens mit modifizierten Techniken der altbewährten Aversionsfolter“, das nur mit einem „Schein wissenschaftlich-sachlichen Heilens“ versehen war. Panse hatte das Thema der vermeintlichen Erschleicher staatlicher Leistungen durch das Vorspiegeln psychiatrischer Erkrankungen schon während der Weimarer Republik beschäftigt. 1925 verbreitete er, 23 Prozent der Kriegsneurotiker seien in ein kriminelles Milieu abgeglitten. In wissenschaftlichen Aufsätzen für die „Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde“ und das „Archiv für Psychiatriegeschichte“ schilderte er plastisch Einzelfälle, die grundsätzlich einen Zusammenhang von Kriegsneurotikern, Betrügern und dem Vorhandensein eines entsprechenden Rentensystems herstellten.
Alles das geschah keinesfalls auf Drängen der Wehrmacht. Diese erlaubte das „Pansen“ zwar in engen Grenzen, nahm es aber nicht in eine allgemeingültige Behandlungsliste auf. Viele der Wehrmachtspsychiater übersahen die vorsichtige Zurückhaltung der Wehrmachtspitze. Kurt Pohlisch setzte sich für die Anwendung der Elektroschocks ein und bemerkte in einem Schreiben Ende Juli 1941 an Oberstarzt Otto Wuth, dem ranghöchsten Militärpsychiater: Heroische Zeiten erfordern m.E. heroische oder doch drastische Maßnahmen. Es bedurfte einer sich dramatisch verschlechternden Kriegslage, damit sich die Scharfmacher um Pohlisch und Panse durchsetzen konnten. Am 12 12.1942 wurde das „Pansen“ grundsätzlich erlaubt, nachdem es zuvor an die Zustimmung der Betroffenen gebunden gewesen war. Wie schon früher propagierte Panse auch auf der „Dritten Arbeitstagung der Beratenden Ärzte“ im Mai 1943 seine Technik, deren „Erfolg“ er in der Nivellierung, das heißt dem Nichtunterscheiden zwischen organisch Kranken, Simulanten und Neurotikern sah. In Panses Vortrag heißt es unter anderem: _Sie [_die „Psychogenen“] werden von uns behandelt wie Organiker und zwischen sie gelegt. Verbitterung und Misstrauen, die nur die Therapie behindern und keinen sonstigen Nutzen bringen, werden so vermieden. […] Die Grenzen mancher hysterischer Reaktion zur bewußten Simulation sind fließend, der exakte Nachweis der letzteren meist schwierig. Wir kümmern uns deshalb – von seltenen drastischen Fällen abgesehen – nicht um eine Differenzierung, sondern behandeln in jedem Falle energisch. Der Erfolg ist der gleiche.
Trotz Widerständen in Teilen der Wehrmacht und auch in der NS-Spitze, die der Psychotherapie breiteren Raum gab, fand die Anwendung galvanischen Stroms nach Panses Konzept bald weite Verbreitung. Lediglich die Luftwaffenlazarette verzichteten darauf. Sogar ein Dokumentationsfilm wurde gedreht, um Zweifler, möglicherweise auch Hitler, zu überzeugen.
Dass der Einsatz von Elektroschocks auch an der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt nicht unüblich war, gab am 8.6.1945 deren zeitweiliger Leiter Josef Geller zu Protokoll: Bei kriminellen Psychopathen wenden wir wohl hin und wieder energische elektrische oder andere Behandlungsmethoden an, aber stets nach rein ärztlicher Indication.
2. Panse als Lehrer
Im Juli 1933 beantragte die Medizinische Fakultät, einen unbesoldeten Lehrauftrag für „Volksgesundheit und angewandte Eugenik“ an den nichtbeamteten außerordentlichen Professor Dr. Walter Blumenberg (1895–1968) zu vergeben, den Schüler des Direktors des Hygienischen Instituts Hugo Selter (1878–1952). Erst zum Wintersemester 1937/1938 wurde ein Lehrauftrag für Rassenhygiene erteilt, den Panse erhielt, nachdem Kurt Pohlisch am 2.4.1937 beim Dekan für ihn einen besoldeten Lehrauftrag für Rassenhygiene beantragt hatte und auf Zustimmung gestoßen war. Mit rassenhygienischen Veranstaltungen war Panse bis 1945 fortan in den Vorlesungsverzeichnissen vertreten.
Das nicht zu den Pflichtveranstaltungen zählende Kolleg „Menschliche Erblehre als Grundlage der Rassenhygiene“, das Panse im Sommersemester 1939 erstmals las, galt mit 40 Hörern als erfolgreich. Das Kolleg „Rassenhygiene“ besuchten 30-40 Hörer, vorwiegend Nichtmediziner. An dieser um 30 schwankenden Hörerzahl änderte sich in den folgenden Kriegsjahren offenbar wenig. Im Juni 1943 wies der Physiologe Ulrich Ebbecke den Dekan darauf hin, dass den etwa 200 Hörern des botanischen oder zoologischen Kollegs über Vererbungslehre nur 20–30 Hörer bei Professor Panse gegenüberstünden. Panse selbst hatte zuvor vorgeschlagen, bestimmte Vorlesungen in den Ausbildungsgang für Erbbiologisch-technische Angestellte zu integrieren.
Nach dem Ende des NS-Regimes widmete Panse in einer Selbsterklärung einen Absatz der Lehre und betonte deren Wissenschaftlichkeit: Daß ich im Unterricht die Erblehre und Rassenhygiene auf Grund eines Lehrauftrags vertrat, war bei dem vorhandenen wissenschaftlichen Apparat des Instituts und bei dem vorhandenen reichen klinisch-erbbiologischen Krankengut sozusagen natürlich. Ich konnte die Menschl. Erblehre und Rassenhygiene völlig klinisch ausgerichtet lesen. Anthropologische Fragen habe ich nicht behandelt (abgesehen von kurzen Erwähnungen meist in der letzten Stunde des Semesters), da ich nicht als Anthropologe dilettieren wollte und den nat.-soz. Rassetheorien innerlich fern stand. Einzelne Hörer bestätigten später den streng sachlich objektiven Charakter der Kollegs, in denen freilich der grundsätzlich unmenschliche Charakter der nationalsozialistischen Erblehre unerwähnt blieb.
Ein besseres Bild vermitteln möglicherweise die nach Vorträgen an der Staatsmedizinischen Akademie Berlin entstandenen Aufzeichnungen „Erbfragen bei Geisteskranken“, in denen Panse die Vorläufigkeit der Forschungen immer wieder betont. Freilich stellte er die „Ausmerze“ nicht gänzlich in Frage, sondern schränkte sie im Falle von „Psychopathien“ auf eindeutig negative Persönlichkeits- und Charaktertypen ein. Entschieden trat er für Zwangssterilisierungen ein. Bei trunksüchtigen Frauen sei fast immer die Indikation zur Sterilisierung als gegeben anzunehmen sei. Auch bei Chorea Huntington (erbliche Bewegungsstörung, „Veitstanz“) forderte Panse ein härteres Durchgreifen der Erbgesundheitsgerichte.
Im Frühjahr 1940 setzte sich Panse für die Berücksichtigung der „Rassenhygiene“ als Prüfungsfach ein, wie das in Köln und Frankfurt bereits der Fall war. Seine einstige Zurückhaltung mit Rücksicht auf das Konkurrenzfach Hygiene gab Panse nun auf: Auch dann, wenn die Alte Ordnung noch beibehalten bleiben sollte, glaube ich – wenigstens auf Dauer – meinen Lehrauftrag nur unvollkommen zu erfüllen, wenn das Fach nicht geprüft wird. Als es 1944 um die Neubesetzung der rassenbiologischen Lehrstühle in München und Königsberg ging, notierte man im Reichserziehungsministerium aber, Panse sei vornehmlich Psychiater und komme für einen rassenbiologischen Lehrstuhl wohl nicht in Frage.
3. Gutachten als Urteile über Leben und Tod
Panse war vom 14.5.-16.12.1940 Gutachter im Rahmen der T 4-Aktion zur Tötung psychisch Kranker, sein Mentor Kurt Pohlisch vom 30.4.1940-6.1.1941. In dieser Zeit bearbeiteten beide nach eigenen Angaben etwa 1.000 Meldebögen aus schlesischen und österreichischen Anstalten, Panse etwa 600, Pohlisch bis zu 400. Pohlisch gelangte nach eigenen Angaben in 1- 2 Prozent der Fälle zu Tötungsentscheidungen. Tatsächlich lag die Quote höher. Selbst das Landgericht Düsseldorf ging trotz deutlich skeptischerer Schätzungen der Staatsanwaltschaft von zehn Tötungsentscheidungen Pohlischs und 15 Tötungsentscheidungen Panses aus. Gleichwohl entsprach die Gutachtertätigkeit Panses und Pohlischs nicht den Erwartungen der Berliner T 4-Zentrale. Wahrscheinlich deshalb wurden beide zur Jahreswende 1940/1941 aus dem Kreis der 40 außerhalb der sechs Tötungsanstalten tätigen T 4-Gutachter ausgeschlossen.
4. Etablierung im Nachkriegsdeutschland
Friedrich Panse gelang es nach dem Ende des NS-Regimes, seine Hochschullaufbahn fortzusetzen. Obwohl T 4-Gutachter, Nationalsozialist und engagiert lehrender Rassenhygieniker fanden sich rasch Stimmen, die Panse zu entlasten bereit waren. Äußerungen wie die des NS-Gegners und Chirurgen Ernst Derra (1901–1979) blieben die Ausnahme: Seine Anschauung über eugenische und rassenhygienische Probleme scheinen sich weitgehend mit denen des Systems gedeckt zu haben. Inwieweit er den Fragenkomplex der Euthanasie bejahte, konnte ich von keiner Seite trotz verschiedentlicher Erkundigungen erfahren. In Gesprächen ist er für den Nationalsozialismus und den damit verbundenen Militarismus mir gegenüber noch vor etwa 2 Jahren eingetreten. Er soll allerdings nicht eine kritiklose Einstellung gehabt haben.
Diese Kritik war allerdings recht harmlos, wie die „Persilscheine“ dokumentieren: Bedauern angesichts des Schicksals von jüdischen Kollegen und Freunden; Ablehnung der Methoden der Zivilverwaltung in Luxemburg; Nichtaustritt aus der Kirche und Nichtbehinderung ihrer Arbeit. Zum Thema wird nun auch ein zu Beginn der NS-Zeit gegen Panse angestrengtes Verfahren, in dem man ihm eine Versündigung am deutschen Blut vorwarf, weil er Blut von einem jüdischen Kranken auf einen Deutschen [sic] zur Malariatherapie überimpft hatte. Panse selbst erwähnt zwei weitere Disziplinarverfahren wegen der Teilnahme an der Beerdigung seines am 14.4.1934 verstorbenen langjährigen jüdischen Chefs Emil Bratz (1868-1934) und eines ehrenden Nachrufs auf ihn. Tatsächlich stellte Panse den zu Würdigenden in die Reihe derjenigen, die in Sorge um geeigneten psychiatrischen Nachwuchs waren, der ja besonders zur Durchsetzung der eugenischen Forderungen des Staates so unbedingt notwendig ist.
Wertvoll war die Erklärung eines ehemaligen Insassen des KZ Buchenwald, Panse habe ihm als von der Todesstrafe bedrohten Wehrmachtsangehörigen Unzurechnungsfähigkeit zugebilligt, obwohl Panse ihn als Simulanten einer psychischen Erkrankung erkannt hatte. Panse sei die Entscheidung freilich schwer gefallen. Auch einige weitere Zeugnisse sprechen von Panses Bereitschaft, unter Skrupeln eine falsche Diagnose zu Gunsten von NS-Gegnern zu stellen. Er soll sogar dafür gesorgt haben, dass als psychisch krank diagnostizierte Soldaten nicht von „Euthanasie“ bedroht wurden: Ihm vertrauenswürdig erscheinende Ärzte hat er offenbar darauf aufmerksam gemacht, dass eine allzu negative Beurteilung von Wehrmachtsangehörigen, die beispielsweise nach § 42 RStGB zur Unterbringung von Rechtsbrechern in Heilanstalten geführt hätte, einem Todesurteil nahe kam.
Panse gehörte nach dem Untergang des NS-Regimes nicht zu denjenigen, die empört jeglichen Kontakt zur NSDAP bestritten. Neben der betonten Ablehnung des Synagogensturm[s] vom 9.11.1938 und der NS-Außenpolitik steht das Eingeständnis, die nationalsozialistischen erb- und volkspflegerischen Maßnahmen offen begrüßt zu haben. Später habe er Kritik nur im vertrauten Kreise äußern können, weil er im Kriege an den Fahneneid gebunden gewesen sei.
Vor allem belastete Panse seine Beteiligung an der T 4-Aktion. An der ersten Berliner Sitzung der Reichsarbeitsgemeinschaft für die Heil- und Pflegeanstalten (RAG) zur Planung der Euthanasie im April 1940 nahm auch er teil. Der Bonner Arzt Curt Schmidt (geboren 1906), der fälschlicherweise zu den Beratungen über die „Euthanasie“ eingeladen worden war und sich bald daraus zurückzog, berichtete später von ablehnenden Äußerungen Panses während der offiziellen Zusammenkunft. Panse wusste 1945 seine vorgeblichen oder tatsächlichen Gewissensnöte eindringlich zu schildern: Ich habe unter der ganzen Belastung unsagbar gelitten und mich immer wieder mit der Frage auseinandergesetzt, ob es richtig war, sich als Sachverständiger einschalten zu lassen. Oder ob es richtiger gewesen wäre, völlig zu opponieren und den Dingen unbeteiligt ihren Lauf zu lassen. Daß man das ethisch gar nicht zu rechtfertigende brutale Vorgehen innerlich verabscheuen mußte, war ohnehin klar. Panse fragte sich damals, ob es richtig gewesen sei, das kalte Ausschalten seiner Person als T 4-Gutachter hinzunehmen, hätte er doch als Gutachter noch weiterhin Kranke retten können. Seine fünfseitige Betrachtung zur „Euthanasie“ im „Dritten Reich“ schließt Panse mit einem eindeutigen Urteil: Jedenfalls handelte es sich um das trübste Kapitel in der Geschichte der deutschen Psychiatrie, deren Ansehen ungeheuer gelitten hat, das ärztliche Ethos ist schwer erschüttert. Darüber war ich mir von der 1. Minute der Kenntnis von diesen Dingen klar. Ich bin heute der Überzeugung, in der gegebenen Situation alles getan zu haben, was möglich war, um so viele Kranke zu retten, wie die Gegebenheiten es überhaupt zuließen. […] Mein Gewissen ist in dieser so schwierigen Angelegenheit völlig rein.
Der universitätsinterne Prüfungsausschuss nahm sämtliche Argumente zur Kenntnis, sprach von Panses gewissenhafter Abwägung im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der NS-„Euthanasie“, hielt ihn aber doch in seiner Stellung als Lehrer an der Universität für nicht tragbar. Die Nachkriegsjustiz aber folgte Panses Argumentation und sprach von einer Pflichtenkollision. Vom Vorwurf, Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt zu haben, sprach ihn das Schwurgericht Düsseldorf am 24.11.1948 frei. Dieses Urteil wurde in einem Kölner Revisionsverfahren am 23.7.1949 bestätigt. Trotzdem lehnte es das Düsseldorfer Landeskabinett in seiner Sitzung vom 12.2.1952 ab, Panse weiterhin als außerplanmäßigen Professor zuzulassen. Gegen diese Entscheidung klagte Panse erfolgreich vor dem Düsseldorfer Landesverwaltungsgericht. Die Nachkriegsjustiz aber folgte Panses Argumentation und sprach von einer Pflichtenkollision. Vom Vorwurf, Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt zu haben, sprach ihn das Schwurgericht Düsseldorf am 24.11.1948 frei. Dieses Urteil wurde in einem Kölner Revisionsverfahren am 23.7.1949 bestätigt. Trotzdem lehnte es das Düsseldorfer Landeskabinett in seiner Sitzung vom 12.2.1952 ab, Panse weiterhin als außerplanmäßigen Professor zuzulassen. Gegen diese Entscheidung klagte Panse erfolgreich vor dem Düsseldorfer Landesverwaltungsgericht.
Schon 1950 war Panse Leiter der Rheinischen Landesklinik für Hirnverletzte in Langenberg geworden. Jetzt stand auch der Fortsetzung seiner Universitätskarriere nichts mehr im Wege. Gegen den Willen der Landesregierung war er von 1954 bis 1967 Leiter des Rheinischen Landeskrankenhauses Düsseldorf-Grafenberg und Inhaber des Lehrstuhles für Psychiatrie an der Düsseldorfer Hochschule. Der bald als renommiert geltende Ordinarius stand 1965/1966 als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde vor. Auch die Politik vergaß oder vergab seine Vergangenheit: Er wurde Mitglied im Ärztlichen Sachverständigenrat für Fragen der Kriegsopferversorgung des Bundesarbeitsministeriums. 1967 trat Panse in den Ruhestand und starb am 6.12.1973 in Bochum.
Werke (Auswahl)
Das Schicksal von Renten- und Kriegsneurotikern in seiner Abhängigkeit von Begutachtung und Umwelteinflüssen, in: Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde 88 (1925), S. 232–237.
Das Schicksal von Renten- und Kriegsneurotikern nach Erlangung ihrer Ansprüche, in: Archiv für Psychiatrie 77 (1926), S. 61–92.
Nekrolog Bratz, in: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin 102 (1934), S. 370–374.
Erbfragen bei Geisteskrankheiten, Nach Vorträgen an der Staatsmedizinischen Akademie Berlin, Leipzig 1936.
Literatur
Forsbach, Ralf, Die Medizinische Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“, München 2006.
Hofer, Georg, „Nervöse Zitterer“, Psychiatrie und Krieg, in: Helmut, Konrad (Hg.), Krieg, Medizin und Politik, Der Erste Weltkrieg und die österreichische Moderne, Wien 2000, S. 15–134.
Lerner, Paul, Hysterical Men. War, Psychiatry, and the Politics of Trauma in Germany, 1890–1930, Ithaca/London 2003.
Neuner, Stephanie, Politik und Psychiatrie. Die staatliche Versorgung psychisch Kriegsbeschädigter in Deutschland 1920–1939, Göttingen 2011.
Riedesser, Peter/Verderber, Axel, „Maschinengewehre hinter der Front“. Zur Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie, Frankfurt am Main 1996.
Roth, Karl Heinz, Die Modernisierung der Folter in den beiden Weltkriegen. Der Konflikt der Psychotherapeuten und Schulpsychiater und die deutschen ‚Kriegsneurotiker‘ 1915–1919, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Heft 3/1987, S. 8-75.
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Forsbach, Ralf, Friedrich Albert Panse, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-albert-panse/DE-2086/lido/57c9580a31d439.44969002 (abgerufen am 17.09.2024)