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Friedrich Nieden war ein evangelischer Pfarrer, der von der Synode der preußischen Provinz Rheinland zu ihrem Präses gewählt und nach zwölf Jahren in diesem Amt vom Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin zum Generalsuperintendenten der Rheinprovinz ernannt wurde. Als rheinischer Präses nahm er wesentlichen Einfluß auf die Beratungen zum Erlass einer Synodalordnung, die Beteiligung von Laien in der Kirche.
Geboren wurde Friedrich Nieden am 25.11.1812 als ältester Sohn des Ehepaares Johann Adolf Nieden (1778-1853) und Anna Catharina, geborene Goldbach (1777-1857) auf dem Hof zur Nieden in der Nähe des Städtchens Mettmann. Der Vater, ein vielseitig interessierter „Ackerer“, der gern Architekt oder Bauingenieur geworden wäre, zog seine drei Söhne und eine Tochter früh zu Arbeiten auf dem Hof heran und erteilte ihnen auch den ersten Unterricht. Nach einem kurzen Besuch der Elementarschule erhielt Friedrich weiteren Unterricht bei dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde Mettmann, denn die Eltern hatten die Begabung ihres Dreizehnjährigen erkannt und wollten ihm den Besuch eines Gymnasiums ermöglichen.
Im Oktober 1827 wurde Friedrich Nieden in die Tertia der Lateinschule der reformierten Gemeinde Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) aufgenommen, eine Schule, die in jenen Jahren noch mit der preußischen Schulbehörde um ihre Anerkennung als Gymnasium kämpfte. Nicht zuletzt dank des glänzenden Abiturs, das Nieden 1832 hier ablegte und das als Beweis für die Leistungsfähigkeit der Schule diente, erhielt die alte Lateinschule schließlich das erstrebte Prädikat und damit das Recht, Abiturprüfungen vorzunehmen. In den Elberfelder Jahren übte Pfarrer Johannes Wichelhaus (1794-1874), der zuvor in Mettmann gewesen war und seit 1823 in Elberfeld reformiert amtierte, großen Einfluss auf den Schüler aus. Es wird berichtet, dass Nieden sich später konfirmieren ließ, um länger am Katechismus-Unterricht des Pfarrers teilnehmen zu können. Der dem Pietismus nahestehende, zu romantischer Verklärung, aber auch zu Zweifeln neigende Wichelhaus war der lebende Kontrast zu jenem strengen und selbstgewissen Reformiertentum, das die übrigen Pastoren der Elberfelder Gemeinde predigten. Vermutlich gab er auch den letzten Anstoß zum Theologiestudium, das den Abiturienten nach dem Abitur nach Bonn führte.
Nieden hat ausschließlich in Bonn studiert, der damals übliche Wechsel der Universität ist ihm verwehrt geblieben. Sicherlich trug dazu die finanzielle Enge seines Elternhauses bei, aber wohl auch die Faszination, die sein wichtigster Lehrer Karl Immanuel Nitzsch (1787-1868) auf ihn ausübte. Nitzsch war 1822 als Professor für praktische Theologie an die noch junge rheinische Hochschule berufen worden. Er wurde bald einer ihrer Köpfe und erwarb sich den Ruf des führenden Theologen der Union, der vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (Regentschaft 1797-1840) 1817 verkündeten Zusammenführung lutherischer und reformierter Gemeinden in seinem Königreich. Schon Wichelhaus hatte der Union, anders als die meisten seiner Kollegen aus dem Wuppertal, viel Sympathie entgegengebracht und auch der junge Student wurde einer ihrer Befürworter.
Bereits m Herbst 1835 bestand Nieden in Koblenz das erste theologische Examen, knapp zwei Jahre später, noch keine 25 Jahre alt, auch das zweite. Darauf übernahm er eine Hilfspredigerstelle in Ruhrort (heute Stadt Duisburg) und predigte gelegentlich auch auf der anderen Rheinseite, in der Gemeinde Baerl (heute Stadt Duisburg). Im nahen Friemersheim (heute Stadt Duisburg) wurde man auf ihn aufmerksam und wählte ihn zum Pfarrer. 1839 wurde er ordiniert und in sein neues Amt eingeführt. Im selben Jahr heiratete Nieden die Tochter Mathilde (1819-1899) seines Kollegen Johann Gottlieb Nourney (1794-1880), des Pfarrers in Baerl. Das Ehepaar hatte elf Kinder, von denen allerdings nur vier Töchter und vier Söhne das Erwachsenenalter erreichten.
Nieden war ein konservativer Theologe. Überzeugt von der Sündhaftigkeit des Menschen legte er großen Wert auf eine Predigt, die diesen aus den „Fängen der Trunksucht und der Fleischeslust“ befreien sollte. Seine Gottesdienste, in denen er - entgegen reformierter Tradition - auch der Liturgie großen Wert beimaß, waren voller Klagen über den Verfall der Sitten, etwa bei den zahlreichen Volksfesten, und eindringlichen Appellen an seine Zuhörer zur Reue und Umkehr.
Auch im täglichen Dienst verleugnete Nieden seine konservativen Auffassungen von Kirchenzucht und kirchlicher Disziplin nicht. Bei bürgerlichen Zuhörern traf er damit kaum auf Verständnis oder gar Zustimmung. In seiner Lebensbeschreibung heißt es deshalb über seine spätere Tätigkeit in der Stadt Koblenz, diese sei in der von Beamten und Militärs bewohnten Stadt „nicht immer einfach“ gewesen. In seiner ländlichen Gemeinde wurde dagegen anerkannt, dass Nieden sich intensiv um alle ihre Glieder kümmerte, regelmäßig alle Familien besuchte und zum Beispiel nur jene Gläubigen zum Abendmahl zuließ, die bei ihm eine Vorbereitung absolviert hatten und deren Lebenswandel untadelig war. Denn auch den beobachtete der Pfarrer sehr genau, er wusste um die familiären und ehelichen Verhältnisse seiner Gemeindeglieder und scheute sich nicht, die Mütter und Väter unehelich geborener Kinder vor der versammelten Gemeinde aufzufordern, ihre Schuld zu bekennen und reuig Abbitte zu leisten.
Aber er kannte auch die Armen in seiner Gemeinde und ließ es sich nicht nehmen, sie persönlich zu versorgen. Dazu nahm er verwahrloste Kinder ebenso wie Schüler und Kandidaten der Theologie in seinen großen Haushalt auf. Sein besonderes Interesse galt der Schule und der Ausbildung junger Menschen. Er war überzeugt von der Bedeutung der Bildung als eines Lösungsansatzes der Sozialen Frage, deren Gewicht auch seine Gemeinde verspürte. Bereits als junger Hilfsprediger hatte er in Ruhrort eine private Schule gegründet und an ihr unterrichtet; auch als Gemeindepfarrer setzte er sich für die Lehrer ein und übernahm immer wieder selbst Unterrichtsverpflichtungen.
Nieden muss über eine weit über die Norm hinausreichende Arbeitskraft verfügt haben. Andere Gemeinden wollten sie sich ebenfalls zunutze machen, der Pfarrer erhielt zahlreiche ehrenvolle Rufe, 1846 etwa aus Barmen-Gemarke (heute Stadt Wuppertal), etwas später aus Krefeld. Doch er lehnte sie alle ab, manches Mal nicht ohne innere Kämpfe. Letztlich aber blieb er seiner bäuerlichen Gemeinde treu.
1856 wählte ihn die Kreissynode Moers zu einem ihrer Delegierten für die rheinische Provinzialsynode und 1858 zu ihrem Superintendenten. Damit nahm er automatisch an den rheinischen Provinzialsynoden der folgenden Jahre teil. 1862 wurde er von der Synode zum Assessor (Stellvertreter des Präses) und 1865 mit den Stimmen aller Synodalen sogar zum Präses gewählt, nachdem er die Versammlung hatte leiten müssen, weil sein Vorgänger im Amt völlig überraschend kurz vorher gestorben war.
Diese Wahl veranlasste Nieden, einem Ruf der Gemeinde Koblenz auf eine dortige Pfarrstelle zu folgen, war er doch damit seiner neuen Position – die Provinzialsynode versammelte sich meist in Neuwied im Westerwald - auch räumlich erheblich näher gerückt, was vieles vereinfachte. Seine Koblenzer Pfarrstelle war verbunden mit der Seelsorge an den Bewohnern der Burg Stolzenfels, wo Königin Elisabeth von Preußen (1801-1873), die Witwe Friedrich Wilhelms IV.(Regentschaft 1840-1858), noch einen Hofstaat unterhielt. Über sie kam Nieden auch in Kontakt mit dem preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I. (Regentschaft als Prinzregent ab 1858, als König ab 1861, als deutscher Kaiser 1871-1888), der öfter in Bad Ems zur Kur weilte. Die umsichtige und vermittelnde, auf Ausgleich zwischen den kirchlichen Gruppierungen und Parteien bedachte Leitung der rheinischen Synode bewog die Universität Bonn, Nieden 1874 die theologische Ehrendoktorwürde zu verleihen.
1873 berief König und Kaiser Wilhelm I. als summus episcopus seiner preußischen Landeskirche eine außerordentliche Generalsynode für die acht „alten“ preußischen Provinzen ein, die erste seit 1846. Die 175 Mitglieder dieser Versammlung tagten vom 24.11.-18.12.1875 im Preußischen Herrenhaus in Berlin und beschlossen, gegen mancherlei Widerstände etwa ostelbischer adliger Kirchenpatrone, aber auch orthodoxer lutherischer Konfessionalisten, eine „Generalsynodal-Ordnung“, eine Ordnung also für regelmäßige Generalsynoden der gesamten altpreußischen Kirche. Der König war bereit, einen dosierten Einfluss von Gemeinden und Laien in der Kirche zuzulassen und damit dem Streben der Gläubigen nach Teilhabe an Entscheidungen – wie im politischen Raum - nachzukommen. Für das Rheinland und für Westfalen war die hergebrachte presbyterial-synodale Struktur der evangelischen Kirche bereits 1835 vom preußischen König mit Einschränkungen akzeptiert worden.
Nieden, als rheinischer Synodalpräses mit den Problemen einer gesamtpreußischen Kirchenverfassung bestens vertraut, nahm an den Beratungen in Berlin teil und wurde wegen seiner kirchenparlamentarischen Erfahrungen von der Synode zum Stellvertreter ihres Vorsitzenden Graf Otto von Stolberg-Wernigerode (1837-1896) gewählt. Auch jetzt war er auf Ausgleich bedacht und hatte wenig Sympathie für die Liberalen, aber ebenso wenig für die radikalen Konfessionellen um den pommerschen Adligen Hans von Kleist-Retzow (1814-1892). Die „Mittelpartei“, die an der Union festhielt, eine Kirchenverfassung „von der Gemeinde her“ befürwortete und im Hinblick auf Kirchenwahlen eine „allgemein moralische“, aber auch eine „wesentlich christliche und kirchliche Qualität“ der wahlberechtigten Gemeindeglieder für erforderlich hielt, wurde seine Heimat.
Im Februar 1877 wurde Nieden zum Generalsuperintendenten der Rheinprovinz und damit zum Dienstvorgesetzten aller etwa 600 rheinischen Pfarrer (bei etwa 1 Million evangelischer Christen) ernannt. Wie alle Ämter zuvor hat er auch dieses Amt mit voller Kraft verwaltet. Einen großen Teil seiner Tätigkeit widmete er jetzt der Einrichtung und Besetzung neuer Pfarrstellen, der Teilung von zu groß gewordenen Gemeinden sowie dem Bau und der Einweihung zahlreicher neuer Kirchengebäude. Das ausgeprägte Bevölkerungswachstum im Rheinland verlangte seinen Tribut.
1881 weilte Nieden zur Kur in Bad Kissingen - der erste Urlaub in seinem Leben. 1882 erlitt er während eines Gottesdienstes eine Ohnmacht. Eine darauffolgende weitere Kur im Schwarzwald brachte wenig Besserung. Er starb am 19.3.1883 und wurde in Koblenz begraben.
Literatur
Generalsuperintendent Dr. Friedrich Nieden: eine Lebensskizze / der Witwe des Heimgegangenen von dem Verfasser, Magdeburg 1883.
Zur Erinnerung an Dr. theol. Friedrich Nieden, General-Superintendent der Rheinprovinz, geb. 25. November 1812, gest. 19. März 1883, Koblenz 1883.
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Wittmütz, Volkmar, Friedrich Nieden, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-nieden/DE-2086/lido/57c9546a14ee93.26268410 (abgerufen am 10.12.2024)