Zu den Kapiteln
Heinrich Sudermann, den der Kölner Ratsherr Hermann Weinsberg, ein Zeitgenosse und Studienkollege Sudermanns, als mager von personen, nit zu hoich, smal von angesicht und etwas schelle an einem auge beschrieb, entstammte einer seit dem 13. Jahrhundert in Dortmund ansässigen Patrizierfamilie. Ein Zweig dieser Familie ließ sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Köln nieder. Seit 1415 sind Mitglieder der Familie als Ratsherren, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als Bürgermeister bezeugt. Auch Heinrichs Vater, Hermann Sudermann (gestorben 1572), und sein Bruder Hildebrand bekleideten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrfach das Amt des Bürgermeisters. Ihren Wohlstand verdankten sowohl die Dortmunder als auch die Kölner Sudermanns ihrer Tätigkeit im Handel mit Flandern, Brabant und England.
Heinrich Sudermann wurde am 31.8.1520 als Sohn des Hermann Sudermann und dessen Frau Ursula Huype, Schwester des Kölner Bürgermeisters Johann Huype, geboren. Nach dem Studium der Artes an der Kölner Universität von 1538 bis 1541, verließ er seine Heimatstadt, um sich 1543 in Frankreich (Orléans) und Italien (möglicherweise Bologna) dem Studium der Rechte zu widmen, das er mit der Promotion zum Dr. iur. utriusque (Doktor beider Rechte) beendete. Praktische juristische Erfahrung sammelte er am Reichskammergericht in Speyer, bevor er nach Köln zurückkehrte und hier als juristischer Berater für verschiedene Auftraggeber tätig war. In Köln heiratete er Anfang der 1550er Jahren Gude (gestorben 1576), eine Tochter des Bürgermeisters Jakob von Rodenkirchen. Aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor, darunter die drei Söhne Heinrich, Hermann und Eberhard. Heinrich schloss wie sein Vater das Jurastudium mit der Promotion ab und setzte die Familientradition im Kölner Rat, dem er ab 1595 angehörte, fort.
Es war sein Vater Hermann, der Heinrich Sudermann 1552 mit den hansischen Aspekten der Politik des Kölner Rates vertraut machte und damit die Weichen für den künftigen Werdegang seines Sohnes stellte. Dies geschah in einer Zeit, in der es um die hansisch-englischen Beziehungen, die gerade auch für die Kölner Kaufmannschaft von besonderer Bedeutung waren, nicht zum Besten stand.
Die Kernpunkte der Auseinandersetzung waren die gleichen, die schon im 14. und 15. Jahrhundert die Beziehungen belastet hatten: Der Umgang mit Butenhansen (nicht zur Hanse gehörenden Kaufleuten) und butenhansischen Waren, die damit verbundene, von der Hanse bewusst im Ungewissen belassene Frage nach der Mitgliedschaft in der Hanse, weil deren Beantwortung den Kreis derer begrenzt hätte, die zur Nutzung der vorteilhaften hansischen Privilegien in England berechtigt waren, sowie das Problem der Gleichbehandlung der englischen Kaufleute im Hanseraum, namentlich in den preußischen Städten. Offenkundig gewordene Fälle von Privilegienmissbrauch durch Stalhofkaufleute hatten dazu geführt, dass die englischen Merchant Adventurers nicht länger gewillt waren, die bevorzugte Stellung der Deutschen in England hinzunehmen. Auf ihr Drängen hatte Eduard VI. (Regierungszeit 1547-1553) 1552 die hansischen Privilegien in England außer Kraft gesetzt.
In dieser Situation betrat Heinrich Sudermann die hansische Bühne, auf der er nicht nur die Interessen Kölns auf hansischen Tagfahrten vertrat, sondern auch gesamthansische Interessen gegenüber den Privilegiengebern, vornehmlich in England und in den Niederlanden (verstanden als das Gebiet der 17 nord- und südniederländischen Provinzen, die Karl V. - Regierungszeit 1519-1556 - 1555 seinem Sohn Philipp II. - Regierungszeit 1556-1598 - übertrug). Schon 1553 hatte Sudermann ein Gutachten über die Möglichkeiten zur Beilegung des Streits mit England erstellt; im selben Jahr wurde er Mitglied einer hansischen Delegation, der es zunächst auch gelang die Restitution der Privilegien durchzusetzen, wenn auch nur unter Vorbehalten.
Zwischen 1553 und 1556 hat Heinrich Sudermann nach eigenem Bekunden zwei Jahre und 20 Tage damit zugebracht, im Auftrag der Stadt Köln hansische Tagfahrten zu besuchen und hansische Gesandtschaften vor allem nach England zu begleiten, für die er zahlreiche Denkschriften und Gutachten zur Rechtsstellung der Hanse in England und zur Gültigkeit ihrer Privilegien verfasst hatte. Auch die auf einem Hansetag 1554 beschlossenen neuen Statuten für das Londoner Kontor gingen auf einen Entwurf Sudermanns zurück. Sie zielten darauf ab, die in Verfall geratene Ordnung im Kontor wiederherzustellen und die missbräuchliche Nutzung der Privilegien zu verhindern, indem zum Beispiel 66 Städte benannt wurden, die den kreiß und bezirckh der … Hansen ausmachten. Insofern sollten die reformierten Statuten nicht nur der Festigung der Hanse insgesamt dienen, sondern waren auch als eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Engländern gedacht. Doch der Widerstand der Merchant Adventurers gegen die bevorrechtigte Stellung der Hansen ließ sich damit nicht brechen.
Als sich die Hanse 1556 entschloss, zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Syndikus als ständigen, geschäftsführenden „Beamten" zu berufen, der der hansischen Commune und derselben Contore Gedeihen, Bestes und Frommen aller Wege mit möglichstem Fleisse bewahren und fördern sollte, lag es nahe, Heinrich Sudermann, der seine Befähigung bereits unter Beweis gestellt hatte, mit diesem Amt, zunächst auf sechs Jahre, zu betrauen. Konkret bestanden seine Aufgaben im regelmäßigen Besuch der hansischen Tagfahrten, in der Teilnahme an hansischen Gesandtschaften, in der Erarbeitung schriftlicher Vorlagen für die Beratungen, schließlich auch in der Zusammenstellung der wichtigsten Privilegien und Tagfahrtsbeschlüsse. In der Folgezeit ist der Vertrag mit Sudermann immer wieder verlängert worden, zuletzt 1576 auf Lebenszeit. Bei dieser Gelegenheit wurde der Aufgabenkatalog des Syndikus um die Erarbeitung eines „Chronicon der hansestädtischen großmächtigen Taten" auf der Grundlage der Rezesse sowie den Entwurf eines hansischen Seerechts erweitert.
Heinrich Sudermann hat sich den neuen Aufgaben mit großem Engagement und hohem persönlichen Einsatz gewidmet. Insbesondere ging es ihm darum, durch die Reorganisation der Kontore in London und Brügge / Antwerpen den sich abzeichnenden Niedergang der Hanse aufzuhalten und sie zu ihrer alten wirtschaftlichen Blüte zurückzuführen. Allerdings standen seine Bemühungen unter keinem guten Stern: Die Beziehungen zu England waren geprägt durch fortgesetzte wechselseitige Behinderungen des Handels durch Zollerhöhungen und Beschränkungen der Tuchexporte seitens der Engländer oder generelle Verbote des Handels mit englischen Tuchen seitens der Hanse. Eine Lösung des Konflikts im Sinne der Hanse, für die sich Sudermann unermüdlich einsetzte, war jedoch nicht in Sicht. Angesichts der Uneinigkeit der Städte untereinander und der mangelnden Bereitschaft Danzigs, den Forderungen der englischen Kaufleute entgegenzukommen auf der einen und der an den nationalen Interessen orientierten Wirtschaftspolitik der englischen Königin Elisabeth I. (Regierungszeit 1558-1603) auf der anderen Seite, konnten wesentliche Hemmnisse nicht überwunden werden. Elisabeth I. war nicht gewillt, den hansischen Kaufleuten Handelsvergünstigungen zum Nachteil der englischen Merchant Adventurers einzuräumen.
Als im Zuge der spanisch / niederländisch-englischen Auseinandersetzungen den englischen Kaufleuten die Tuchexporte in die Niederlande und die Nutzung ihrer dortigen Stapelplätze, namentlich Antwerpen und Bergen-op-Zoom, verboten wurden, fanden sie gegen den Widerstand der Hanse und trotz eindringlicher Warnungen Sudermanns, der die Existenz der gesamten löblichen Societät in Gefahr sah, in Emden (1564) und Hamburg (1567), später auch in Elbing (1579) und Stade (1587) Aufnahme. 1577 beugte sich Hamburg dem Druck der Hanse und verweigerte den Engländern die Verlängerung ihrer Privilegien; die englische Antwort ließ nicht lange auf sich warten: 1579 wurden die hansischen Privilegien durch königliches Dekret aufgehoben und der Handel der hansischen Kaufleute denselben Bedingungen unterworfen, die auch für alle anderen Fremden galten. Die Bemühungen Sudermanns, die Unterstützung des Kaisers und des Reiches zu gewinnen, führten 1582 zu einem halbherzigen Reichstagsbeschluss, der deutschen Kaufleuten jegliche Handelsbeziehungen mit England untersagte.
Dieser blieb aber ebenso wirkungslos wie der Boykottbeschluss einer Lübecker Tagfahrt 1579, dessen Umsetzung an den widerstreitenden Eigeninteressen der Städte scheiterte. Auch die Bemühungen Sudermanns und der Hanse in den 1580er Jahren, doch noch eine Restitution der Privilegien zu erreichen, blieben erfolglos, weil die hansischen Vorstellungen von der unerschütterlichen Gültigkeit der Privilegien mit dem englischen Verständnis moderner Staatlichkeit nicht vereinbar waren und die Schwächen der Hanse den Beratern der Königin sehr wohl bekannt waren.
Auch in den Niederlanden bot die Situation der Hanse beim Amtsantritt Sudermanns ein wenig erfreuliches Bild. Das Brügger Kontor hatte 1531 de facto aufgehört zu bestehen, nachdem sich die Kaufleute schon seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zunehmend in Antwerpen niedergelassen hatten. Sudermann war davon überzeugt, dass nur durch den Bau einer gemeinsamen Residenz die Hanse ihre alte Geltung in den Niederlanden wiedererlangen und der Gemeinsinn der Kaufleute untereinander zum Nutzen aller gestärkt werden könnte. Mit großem Eifer verfolgte er deshalb diesen Plan und verlegte zeitweise sogar seinen Wohnsitz nach Antwerpen. In zähen Verhandlungen mit den städtischen Behörden, der Regierung in Brüssel und den Hansestädten, die die Hälfte der Baukosten übernehmen sollten, gelang es ihm, die Übertragung der Brügger Privilegien auf die Niederlassung in Antwerpen durchzusetzen (1562) und die finanzielle Beteiligung der Scheldestadt an den Baukosten sicherzustellen (1563).
Zwischen 1564 und 1568 entstand das neue, prachtvolle Hansehaus, das eher einem fürstlichen Palast als einem Kontorgebäude glich. Aber der teure, schuldenfinanzierte Bau erwies sich als grandioser Fehlschlag, zumal viele Kaufleute nicht bereit waren, zu den rigiden Bedingungen der von Sudermann entworfenen Ordnung in dem neuen Haus Quartier zu beziehen. Außerdem entstand Streit um die Schosszahlungen. Hinzu kam, dass die Sicherheit der Kaufleute wegen der zum Teil gewaltsam ausgetragenen konfessionellen Gegensätze, die sich mit dem niederländischen Befreiungskampf verbanden, zunehmend gefährdet war. Als im November 1576 spanische Truppen Antwerpen überfielen und das neue Hansehaus mehrfach geplündert wurde, jedoch Schadensersatzforderungen – von einigen Zollbefreiungen abgesehen – bei der spanischen Statthalterschaft nicht durchsetzbar waren, hatte Antwerpen seine Bedeutung als Zielort des hansischen Handels verloren.
Neben den Bemühungen, über die Neuordnung der Kontore eine Stärkung der Hanse zu erreichen, fielen in die Amtszeit Heinrich Sudermanns auch Bestrebungen, den bündischen Charakter der Hanse wieder zu beleben. 1557 und 1579 wurden deshalb „Konföderationsnoteln" besiegelt, in denen die Mitgliedsstädte benannt und deren gesamthansische Verpflichtungen festgeschrieben wurden. Grundlage der Beratungen darüber waren von Sudermann verfasste Gutachten, in denen er zur Überwindung der erbarmlichen leuffte und zeitten die Einigkeit und Solidarität der Städte beschwor.
35 Jahre hat Sudermann in Diensten der Hanse gestanden und in dieser Zeit fast 50 Gesandtschaftsreisen (unter anderem nach Antwerpen, Brüssel, London, Prag, Augsburg, Frankfurt, Worms) unternommen. Hinzu kamen zahlreiche Reisen zu den hansischen Tagfahrten, die zumeist in Lübeck stattfanden. Aber die Hanse hat seinen rastlosen Einsatz nicht honoriert: Weder wurde das bei seiner Anstellung (und den späteren Vertragsverlängerungen) vereinbarte Jahresgehalt ausbezahlt, noch wurden ihm entstandene Auslagen erstattet. Seit 1569 hat er mehrfach und mit zunehmender Verbitterung versucht, die Zahlung der ausstehenden Summen – zuletzt beliefen sich seine Forderungen auf mehr als 20.000 Taler – durchzusetzen. Doch auf mehr als wertlose Schuldverschreibungen und leere Versprechungen ließen sich die Städte nicht ein.
Heinrich Sudermann starb am 31.8.1591 - seinem 71. Geburtstag - in Lübeck. Obwohl er humanistischen und reformtheologischen Kreisen um Georg Cassander (1513-1566), Cornelius Valerius (1512-1578) oder den klevischen Kanzler Heinrich Olisleger (um 1500-1575) nahe stand, wollte er doch nicht im protestantischen Lübeck, sondern in seiner katholischen Vaterstadt bestattet werden. In einer abenteuerlichen Aktion musste deshalb der Leichnam nach Köln überführt werden, wo er am 27.10.1591 in der Minoritenkirche beigesetzt wurde. Zur Erinnerung an Sudermanns Bedeutung, sowohl für die Hanse als auch für Köln, wurde ihm 1994 eine Figur am Kölner Rathausturm gewidmet (Bildhauer: Erwin Nöthen).
Quellen
Inventare hansischer Archive des 16. Jahrhunderts, Band 1: Kölner Inventar I (1531-1571), bearb. von Konstantin Höhlbaum und Hermann Keussen, Leipzig 1896, Band 2: Kölner Inventar II (1572-1591), bearb. von Konstantin Höhlbaum, Leipzig 1903, Band 3: Danziger Inventar (1531-1591), bearb. von Paul Simson, München 1913.
Literatur
Ennen, Leonhard, Der hansische Syndikus Heinrich Sudermann aus Köln, in: Hansische Geschichtsblätter 6 (1876), S. 1-58.
Friedland, Klaus, Der Plan des Dr. Heinrich Sudermann zur Wiederherstellung der Hanse. Ein Beitrag zur Geschichte der hansisch-englischen Beziehungen im 16. Jahrhundert, in:, Graßmann, Antjekathrin u.a. (Hg.), Mensch und Seefahrt zur Hansezeit, Köln 1995, S. 37-102.
Langer, Herbert, Gestalten der Spätzeit: Die Syndici der Hanse, in: Kattinger, Detlef/Wernicke, Horst (Hg.), Akteure und Gegner der Hanse – Zur Prosopographie der Hansezeit, Weimar 1998, S. 219-230.
Wriedt, Klaus, Heinrich Sudermann (1520-1591), in: Rheinische Lebensbilder 10 (1985), S. 31-45.
Online
Keussen, Hermann, "Sudermann, Heinrich", in: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), S. 121-127. [Online]
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Henn, Volker, Heinrich Sudermann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-sudermann/DE-2086/lido/57c9595c96bad6.60738451 (abgerufen am 18.03.2025)
Veröffentlicht am 02.09.2016, zuletzt geändert am 05.05.2020