Zu den Kapiteln
Hermann Josef Sträter nimmt unter den Oberhirten des 1930 errichteten katholischen Bistums Aachen eine Sonderstellung ein. Er wurde nicht vom Domkapitel gewählt, sondern als Aachener Weihbischof 1938 vom Papst zum Apostolischen Administrator mit allen Rechten eines Diözesanbischofs bestellt, nachdem die Wahl des Kevelaerer Dechanten Wilhelm Holtmann (1882-1949) während der NS-Zeit am Einspruch der Regierung gescheitert war.
Geboren wurde Hermann Josef Sträter am 3.6.1866 in Forst bei Aachen als Sohn des begüterten Aachener Tuchfabrikanten Hermann Eduard Sträter (1835-1884) und dessen Frau Johanna Elisabeth Franziska (genannt Fanny) Scheibler (1842-1914) als erstes von vier Kindern, darunter eine Tochter. Sein Bruder Alfred (1867-1920) wurde Priester wie er. Seine Familie lebte auf Haus Drimborn, das seine Mutter mit in die Ehe gebracht hatte.
Die Familie Sträter stammte ursprünglich aus Rheine in Westfalen, doch war Hermann Josef Sträters Großvater als Kaufmann in den Niederlanden tätig gewesen. Deshalb kam sein Vater in Amsterdam zur Welt. Sein Großvater mütterlicherseits Hermann Scheibler (1798-1864) aus Monschau besaß eine Tuchfärberei und war evangelisch. Er hatte in zwei Ehen katholische Frauen geheiratet. Die Töchter wurden katholisch getauft, die Söhne hingegen wie der Vater evangelisch.
Hermann Josef Sträters Vater starb schon 1884, in dem Jahr, als er in Aachen am Kaiser-Karls-Gymnasium sein Abitur ablegte. Anschließend studierte er Theologie in Bonn, Würzburg und Freiburg im Breisgau, wo er jeweils einer Korporation des Kartellverbands katholischer deutscher Studentenvereine (KV) beitrat. Er galt zeit seines Lebens als ein treues und begeistertes Mitglied dieses nicht Farben tragenden Verbandes, dem ebenfalls sein Bruder Alfred angehörte. Von seinen akademischen Lehrern beeindruckten ihn besonders der Würzburger Dogmatiker und Konsultator des Ersten Vatikanischen Konzils Franz Hettinger (1819-1890), der ihn für den italienischen Dichter Dante (1265-1321) begeisterte. Dessen „Göttliche Komödie“ nannte er seine Lieblingslektüre. 1889 wurde Sträter mit einer Dissertation über die Erlöserlehre des heiligen Athanasius an der Freiburger theologischen Fakultät promoviert. Danach besuchte er das Kölner Priesterseminar und empfing 1891 die Priesterweihe. Dann schickte ihn der Kölner Erzbischof zunächst als Inspektor an die „Rheinische Ritterakademie“ in Bedburg (Rhein-Erft-Kreis), eine Internatsschule für den katholischen Adel, die aber auch bürgerliche Schüler aufnahm. Hier blieb er nur kurz und machte ab 1892 als Kaplan an zwei Kölner Großstadtpfarreien erste seelsorgerische Erfahrungen. Nach neun Jahren Kaplanstätigkeit berief ihn 1900 der Kölner Erzbischof Hubert Theophil Simar (Episkopat 1899-1902) zum Repetenten an das Bonner Theologenkonvikt Collegium Albertinum.
Besondere Verdienste erwarb er sich ab 1901 durch die gewissenhafte Bauüberwachung des zweiten Bonner Konvikts, des Leoninums. Noch vor dessen feierlicher Einweihung wurde er von Simars Nachfolger, Erzbischof Antonius Fischer, der die gesamte Konviktsführung für zu liberal hielt, als Repetent abberufen und am 1.5.1903 zum Pfarrer von St. Josef in Krefeld ernannt, einer Arbeiterpfarrei mit über 12.000 Pfarrangehörigen. Ihre Kirche war von 1887 bis 1890 erbaut worden. Die romanische Kastorkirche in Koblenz hatte dabei Pate gestanden. Als Sträter sie übernahm, fehlten noch die Türme, und die Inneneinrichtung war ein Provisorium. Das änderte sich während seines Wirkens in Krefeld. Doch sah er in der Vollendung des Baus, in seiner endgültigen Ausstattung und in anderen Bauvorhaben, nicht seine Hauptaufgabe, sondern in der Seelsorge, bei der ihm nach eigenem Bekunden Franziskus von Assisi (1182-1226) und dessen Eifer, Innerlichkeit und „tatenfroher Optimismus“ Vorbild war. Er lebte bescheiden und machte sofort viele Hausbesuche, um dabei die Pfarrangehörigen und ihre Probleme kennenzulernen. Mit seinen Predigten kam er bei alt und jung gut an. Besonders am Herzen lag ihm die Männerseelsorge. Dafür gründete er das sogenannte Männerapostolat, ein geistliches Werk, das die Teilnehmer zu einem mutigen Bekenntnis zur katholischen Kirche, zur Herz Jesu-Verehrung und zum Empfang der Kommunion am ersten Sonntag im Monat verpflichtete. Mit dieser Initiative machte sich Sträter einen Namen. Sie wurde über Krefeld hinaus bekannt und verbreitete sich über ganz Deutschland. 1933 umfasste das Werk rund 800.000 Männer. Als Ziel galt, dass die katholischen Männer sich ohne Scheu zu ihrem Glauben bekannten. Frömmigkeit sollte ihnen wieder „schmackhaft“ gemacht werden (O. Blaschke). Außerdem engagierte sich Sträter in der Katholischen Schulorganisation, führte Schulentlassfeiern ein und förderte die Volksmissionen. Er publizierte häufig über pastorale Fragen, schuf für seine Pfarre ein eigenes Kirchenblatt und unterstützte das katholische Vereinswesen. Trotz konservativer Grundüberzeugung setzte er sich für Neuerungen ein und ließ erst gar keine Kontroversen zwischen Klerus und Laien aufkommen.
Die Ernennung zum Propst des Aachener Münsterstifts und die Berufung zum Kölner Weihbischof mit Sitz in Aachen überraschten ihn 1922, hatte er doch keine höheren Würden angestrebt und geglaubt, im Alter als ehemaliger Pfarrer von St. Josef seine Augen zu schließen. Mit ihm wurde zum ersten Mal ein Bischof im Aachener Münster geweiht. Das galt den Aachenern als Hinweis dafür, dass ihre Stadt bald Zentrum eines Bistums werden würde. Sträter forderte sie bei seiner Weihe auf, trotz aller Not der Zeit „freudige Menschen“ zu sein. Als Wahlspruch wählte er „Fides vincit“ („Der Glaube siegt“). Damit drückte er seine Überzeugung von der Stärke des christlichen Bekenntnisses und der Unüberwindbarkeit des Glaubens in einer Zeit des geistigen Umbruchs und der politischen und wirtschaftlichen Krisen aus. Sein ausgeprägtes Gottvertrauen hat ihn sein ganzes Leben, auch in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt. Als Wappen wählte er symbolträchtig ein schwarzes Kreuz auf silbernem Grund (= Erzbistum Köln), einen schwarzen Adler auf goldenem Grund (= Reichsstadt Aachen) und drei rote Rosen (= Drimborn).
Als 1930 das neue Bistum Aachen errichtet wurde, erwarteten viele, der sehr beliebte und mit Aachen so verbundene Sträter werde zum ersten Bischof berufen. Stattdessen fiel die Wahl auf den erfahrenen kirchlichen Verwaltungsmann, den Kölner Generalvikar Joseph Vogt, mit dem Sträter seit seiner Schulzeit befreundet war und der mit ihm zusammen Abitur gemacht hatte. Wie Sträter auf die Wahl reagiert hat, ist unbekannt. Der neue Bischof, der dieses Amt nicht erstrebt hatte, wollte auf ihn nicht verzichten und ernannte Sträter wohl aus Dankbarkeit für die geleistete Vorarbeit zu seinem Generalvikar. Dabei kam beiden die „Riesenaufgabe“ (A. Brecher) zu, die Diözesanverwaltung aufzubauen. Außerdem wurde Sträter zum Weihbischof im Bistum Aachen berufen und konnte weiter bei Firmungs- und Visitationsreisen seelsorgerisch wirken. Wie aufgeschlossen er Neuem gegenüber stand, zeigte sich, als er 1930 zu der umstrittenen Aachener Fronleichnamskirche des Architekten Rudolf Schwarz den Grundstein legte und die Kirche weihte.
Während der nationalsozialistischen Herrschaft galt der Generalvikar Sträter den Machthabern als unversöhnlicher Gegner. Das Reichssicherheitshauptamt der SS stellte in seinem Jahresbericht für 1938 fest, Sträter habe sich „durch eine besonders hetzerische Darstellung des Kirchenkampfes in Deutschland hervorgetan“ und sich nicht gescheut, „den Nationalsozialismus als eine satanische Macht zu bezeichnen.“ Er trat für verfolgte Priester ein und stellte sich schützend vor den verantwortlichen Redakteur der Aachener Kirchenzeitung. 1936 ließ er sich nicht zu einer erwarteten wohlwollenden Kommentierung der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht veranlassen. Im gleichen Jahr verfasste er ein Rundschreiben gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule, das auf den Kanzeln verlesen wurde. Die Aachener Heiligtumsfahrt von 1937 ging ganz wesentlich auf ihn zurück. An ihr nahmen trotz der Behinderung durch Polizei und Reichsbahn mehr als 800.000 Männer und Frauen teil, darunter viele Gruppen aus Belgien und den Niederlanden. Der kompromisslose Gegner des Nationalsozialismus, der Jesuit und Publizist Friedrich Muckermann (1883-1946), deutete die Heiligtumsfahrt als „stummen Protest“ gegen die NS-Herrschaft.
Nach dem Tod von Bischof Vogt am 5.10.1937 wählte das Domkapitel aus dem Dreiervorschlag des Papstes den für die Übernahme des Bischofsamtes noch jungen Kevelaerer Dechanten Wilhelm Holtmann aus. Dieser galt als Freund und Anhänger des Bischofs von Münster, Clemens August von Galen (1878-1946), der schon 1934 das nationalsozialistische Neuheidentum gebrandmarkt hatte. Die Reichsregierung ließ das Domkapitel wissen, Holtmann sei unannehmbar, wobei sie sich auf die politische Klausel des Preußenkonkordats (Artikel 6) von 1929 berief. Die Gründe dafür wurden freilich nicht mitgeteilt und weitere Verhandlungen abgelehnt. Als Antwort darauf ernannte der Papst am 15.5.1938 Sträter zum Apostolischen Administrator von Aachen mit allen Rechten eines residierenden Bischofs. Dazu bedurfte es keiner Zustimmung der Reichsregierung. Nur aus Gehorsam gegenüber dem Papst nahm der 72-jährige Sträter die Leitung des Bistums an. Wie er in seinem ersten Hirtenschreiben mitteilte, hatte er gehofft, „eine jüngere Kraft werde mit der Leitung des Bistums betraut.“ Er sprach auch von „der furchtbar ernsten Zeit, wo Christentum und Kirche von Tausenden angegriffen“ würden und „an jung und alt so vieles“ herantrete, „das sie in ihrer Überzeugung irremachen und die Ideale des Christentums in ihnen erschüttern“ könnte. Die Kritik an den herrschenden Umständen ist unüberhörbar, aber verhalten. Offener Protest des Bischofs spricht lediglich aus einem Hirtenwort von 1939, das sich gegen die Einführung der Deutschen Schule und der Einstellung der Bekenntnisschule wendet.
Den Ausbruch des Krieges empfand Sträter als „Heimsuchung“ und vermied es wie die Aachener Kirchenzeitung vom Sieg zu sprechen oder gar für ihn zu beten. Auch auf das Kriegsgeschehen ist er bewusst nie eingegangen. Eine Folge des Krieges war für ihn, dass er nach der Annexion der deutschsprachigen belgischen Gebiete, die bisher zum Bistum Lüttich gehört hatten, am 25.6.1940 zusätzlich von Rom zum Apostolischen Administrator von Eupen-Malmedy ernannt wurde. Gegen den sogenannten Klostersturm 1941, bei dem in Aachen acht Klöster, darunter das Franziskanerkloster, geschlossen und die Ordensangehörigen vertrieben wurden, hat Sträter erfolglos schriftlich protestiert. Er sah in den Maßnahmen „nicht nur ein schweres Unrecht, sondern auch eine Gefahr für den Staat“, der die „Gerechtigkeit“ verletzt habe. Dass der NS-Staat schon immer ein Unrechtstaat gewesen war, wird er gewusst haben. Seine letzte Predigt im Aachener Dom hielt er am Silvesterabend 1942. Darin bat er seine Diözesanen, „mutig und voll Gottvertrauen in allen Gefahren der Zeit“ zu sein und „der Kirche treu“ zu bleiben.
Am 16.3.1943 starb Sträter, der bereits länger herzkrank war, in Aachen im Alter von 76 Jahren. Seit 1955 liegt er in der Bischofsgruft des Aachener Doms begraben. In dem bei seinem Begräbnis verteilten Totenzettel wird er als „Priester und Bischof nach dem Herzen Gottes von tiefer Frömmigkeit und Demut“ bezeichnet.
Werke (Auswahl)
Die Erlösungslehre des hl. Athanasius, Freiburg i.Br. 1894. Männerapostolat, Kevelaer 1911.
Priester und Franziskusideal, Saarlouis 1914, 2. Auflage Freiburg i.Br. 1929.
Die Heiligung der Kinderwelt, Dülmen 1916, 3. Auflage 1922.
Das Männerapostolat. Seine Bedeutung und praktische Ausgestaltung in der Jetztzeit, Freiburg i.Br. 1917, 3. Auflage 1922.
Männerpredigten besonders für die monatliche Kommunionfeier des Männerapostolates, Warendorf o.J., 2. Auflage Wiesbaden 1929.
Literatur
Blaschke, Olaf, „Wenn irgendeine Geschichtszeit, so ist die unsere eine ‚Männerwelt.“ Konfessionsgeschlechtliche Zuschreibungen im Nationalsozialismus, in: Gailus, Manfred/Nolzen, Armin (Hg.), Zerstrittene „Volksgemeinschaft“, Göttingen 2011, S. 34-65.
Brecher, August, Als Pfarrer in Krefeld unvergessen. Bischof Dr. Hermann Josef Sträter war von 1903 bis 1922 Pfarrer von St. Josef, in: Die Heimat 62 (1991), S. 73-79.
Brecher, August, Das Bistum Aachen bis zur Gegenwart (Geschichte der Kirche im Bistum Aachen 5), Straßburg 1996. Brecher, August, Hermann Josef Sträter, in: Schein, Karl (Hg.), Christen zwischen Niederrhein und Eifel, Band 3, Aachen 1993, S. 115-136.
Gatz, Erwin, Sträter, Hermann Joseph, in: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1893 bis 1945, Berlin 1983, S. 743-745.
Löhr, Wolfgang, Sträter, Hermann Josef, in: Biographisches Lexikon des KV, Teil 3, Schernfeld 1994, S. 110-112.
Personal-Chronik des katholischen ‚Studentenvereins Arminia in Bonn, Bonn 1905, S. 20, 28.
Reuter, Josef, Die Wiedererrichtung des Bistums Aachen, Mönchengladbach 1976.
Stiftspropst und Weihbischof Dr. Hermann Sträter, in: Akademische Monatsblätter 34 (1922), S. 173-175.
Online
Fördererkreis Ostfriedhof Aachen, Rundbrief Mai 2007, S. 3. [Online]
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Löhr, Wolfgang, Hermann Josef Sträter, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-josef-straeter/DE-2086/lido/57c956c708a830.53673227 (abgerufen am 18.09.2024)