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Der DVP-Politiker und Duisburger Industriellensohn Julius Curtius war von 1926 bis 1931 Wirtschafts- und Außenminister der Weimarer Republik. In seine Amtszeit fällt die vorzeitige Räumung des französisch besetzten Rheinlands am 30.6.1930.
Curtius wurde am 7.2.1877 als Sohn von Friedrich Curtius (1850-1904) und Adele (geboren 1857), Tochter des Fabrikbesitzers Julius Brockhoff (1824-1898), in Duisburg in ein evangelisches, industriell-unternehmerisches Umfeld geboren. Die Ultramarin- und Alaunfabrik des Vaters und Großvaters war in der Region die größte ihrer Art. Sein Onkel väterlicherseits war der Chemiker Julius Wilhelm Theodor Curtius (1857-1928). Im Elternhaus und auf dem Duisburger Gymnasium wurde er (wilhelminisch-)nationalistisch geprägt. Sein Umfeld verstand sich als Wächter deutscher Kultur, insbesondere gegen die Sozialdemokratie.
Nach dem Abitur leistete Curtius als Freiwilliger Militärdienst (1.10.1895-30.9.1896) und studierte anschließend bis Dezember 1898 in Bonn, Straßburg und Kiel Jura. Im März 1899 trat er in den preußischen Justizdienst ein. Er wurde am 26.2.1900 promoviert. 1905 bestand er sein Assessorexamen und heiratete Adda Carp (1883-1967), Tochter von Alma Haniel (1856-1936). Mit ihr bekam er sechs Kinder, unter anderem Tochter Barbara (1908-2006), Ehefrau des NS-Widerstandskämpfers Hans Bernd von Haeften (1905-1944). Bis 1911 arbeitete Curtius zunächst als Rechtsanwalt in Duisburg und dann bis 1921 als Verfasser staatswissenschaftlicher Schriften in Heidelberg. Im Ersten Weltkrieg diente er als Offizier und erhielt das Eiserne Kreuz.
Nach dem Krieg war er Gründungsmitglied der Heidelberger DVP (25.1.1919) und vom 25.5.1919 bis zum 31.10.1921 Stadtverordneter und Fraktionsvorsitzender. Vom 6.6.1920 bis zum 4.6.1932 war er Reichstagsabgeordneter für die Wahlkreise 35 beziehungsweise 32 (Baden) und zeitweise DVP-Fraktionsvorsitzender. Neben dem Mandat vertrat er als Rechtsanwalt in Berlin (seit 2.11.1921) vornehmlich Industriefirmen und gehörte mehreren Aufsichtsräten an, unter anderem dem der Gutehoffnungshütte AG der Familie Haniel.
Person und politisches Programm des späteren Ministers werden grundsätzlich, also auch für diese frühe Zeit, kontrovers beurteilt. Zeitgenössische persönliche Quellen fehlen, Rückschlüsse erlaubt fast nur die aktenkundliche (Partei-)Politik. Gemäß seines Biographen William Ratliff behielt Curtius seine unternehmerische und nationalistische Haltung bis 1925 unverändert bei. Als Konsequenz trug er mit der SPD Streitigkeiten über Steuer- und Verstaatlichungspolitik aus und kritisierte den Verständigungsrevisionismus des damaligen DVP-Vorsitzenden Gustav Stresemann (1878-1929) als "Erfüllungspolitik". Parteipolitisch zog Curtius eine Koalition aus DVP, DNVP, Zentrum und DDP vor. Stresemanns Offenheit zur SPD brachte beide häufiger in Konflikt. Bis Ende 1925 soll Curtius sich jedoch Stresemann koalitions- und außenpolitisch genähert haben. Sowohl die Annäherung der DNVP an die rechtsextreme NSDAP als auch die Verträge von Locarno waren hierbei zwei entscheidende Faktoren.
Ab dem 20.01.1926 war Curtius Mitglied gemäßigter Regierungen, eine eigene Regierungsbildung Anfang 1927 scheiterte jedoch. Curtius war zunächst Reichswirtschaftsminister im zweiten Kabinett Hans Luther. Indem er der Schwerindustrie Aufträge bei der Reichsbahn vermittelte und den Export förderte, trug er zum wirtschaftlichen Aufschwung 1926-1928 bei. Exemplarisch sei der Handel mit der Sowjetunion genannt, der für ihn später auch außenpolitisches Mittel werden sollte: Nach einer bilateralen ‚Bereinigungsaktion‘, die im Sommer 1930 ihren Abschluss fand, gestalteten sich die Beziehungen vor allem auf Rüstungs- und Wirtschaftsebene. Curtius folgte der traditionellen Weimarer Russlandpolitik, verstand diese aber nicht als Option gegen Frankreich oder als rein revisionspolitisches Instrument. Dennoch war prekär, dass Frankreich die deutsche Sonderbeziehung nach Osten, die 1922 mit dem Vertrag von Rapallo begründet worden war, am 24.8.1931 durch einen eigenen Nichtangriffs- und Neutralitätspakt mit der UdSSR einschränkte.
Curtius übernahm das Reichsaußenministerium nach dem Tod Stresemanns (3.10.1929) erst neben- und dann hauptamtlich (11.11.1929). Seine Amtszeit wurde durch die Weltwirtschaftskrise und die politische Radikalisierung der deutschen Gesellschaft geprägt. Der Entparlamentarisierung der Verfassungspraxis seit 1929 folgte Ende März 1930 mit der Ernennung Heinrich Brünings (1885-1970) zum Reichskanzler die Zeit autoritärer Präsidialregime. Curtius wollte, so Andreas Rödder, als Außenminister zunächst den Verständigungsrevisionismus Stresemanns fortsetzen. Die innenpolitische Entwicklung drängte ihn aber zu einem Verhandlungsrevisionismus, denn spätestens seit der Septemberwahl 1930 schränkte ihn die aggressive revisionspolitische Agitation der ‚nationalen Opposition‘, die sich aus rechtskonservativen und -extremen Kräften zusammenfand, stark ein. Inwiefern er ihre Ziele auch teilte, ist kontrovers. In der Regierung Brüning wie in der DVP verlor er an Einfluss und Unterstützung. Curtius wich aber nie ganz vom politischen Prinzip der ‚Evolution‘, der Verbindung deutscher Interessen und internationaler Verständigung, ab. Entsprechend hatte er einen eher pragmatischen als ideellen Bezug zum Völkerbund als internationalem Forum.
Seine diplomatische Methode sollte Deutschland wieder zu einer gleichberechtigten Großmacht werden lassen. Dies setzte die Revision des Versailler Vertrages voraus, das heißt die Abschaffung der Reparationen, des ‚Kriegsschuldartikels‘ und der territorialen Neuordnungen, für Curtius besonders bezüglich Eupen-Malmedys oder des polnischen Korridors. Dabei stellte er aber die territoriale Integrität Polens nicht in Frage, sondern beschränkte sich auf ethnographisch begründete Forderungen. Er wollte die Beziehungen trotz der ungelösten Grenzfrage normalisieren, was ihm jedoch nicht gelang. Neben Auseinandersetzungen um die deutsche Minderheit in Polen beharrte vor allem die deutsche Rechte immer aggressiver auf der Revision der Ostgrenze, nachdem 1930 die ‚Westrevision‘ mit der Rheinlandräumung vorläufig erreicht war. Die ehemaligen Kolonien forderte Curtius ebenso zurück wie er an der traditionellen Österreichpolitik festhielt. Während der 1920er Jahre hatte Berlin kontinuierlich die (wirtschaftliche) Angleichung beider Staaten gefördert. Dies setzte Curtius ab Februar 1930 im Zollunionsprojekt fort. Am 21.3.1931 gaben beide Staaten den Abschluss eines Vorvertrags bekannt, was auf erhebliche internationale Kritik stieß. Besonders Frankreich sah darin die Vorstufe zum Anschluss und damit zu einem feindlichen ‚Mitteleuropa‘. Wie Curtius über den durch internationale Verträge untersagten Anschluss dachte, ist umstritten. Sicher ist, dass Österreich im Zuge der durchgreifenden Wirtschafts- und besonders Bankenkrise seit Mai/Juni 1931 eher bereit war, das Projekt gegen internationale Hilfen fallen zu lassen. Während Deutschland die Zollunion in den Verhandlungen um das Hoover-Moratorium (20. Juni) noch halten konnte, wurde sie im Zuge der Bankenkrise im Juli 1931 zur Disposition gestellt. Am 3. September gaben beide Staaten ihre Aufgabe vor dem Völkerbund bekannt.
Mit Ausnahme der Zollunion, die zu seinem Prestigeprojekt und damit zum Grund für seine Demission am 3.10.1931 wurde, setzte Curtius als Minister zumeist nur politische Initiativen seines Vorgängers fort oder reagierte auf Zeitgeschehnisse. Dabei verlor er im Lauf seiner Amtszeit über die Regierungswechsel immer mehr an Einfluss. Schon das erste Kabinett Brüning hatte Curtius primär wegen seines internationalen Ansehens im Amt belassen: Auf der zweiten Haager Konferenz (3.-20.1.1930) hatte er die aus der Amtszeit Stresemanns überkommenen Verhandlungen um den Young-Plan zu einem erfolgreichen Abschluss bringen können, wenngleich die damals amtierende Große Koalition über die Ratifikation dieses reparationspolitischen Instruments (12.3.1930) zerbrach. Aber schon der aus dem Young-Plan-Prozess resultierende vorläufige Abschluss der ‚Westrevision‘ brachte Probleme mit sich. Er belastete die Beziehungen zu Frankreich maßgeblich.
Anstatt erst 1935 wurde das Rheinland vorzeitig geräumt und wurden Verhandlungen über die Rückgabe des unter Völkerbundsmandat stehenden Saargebiets aufgenommen. Der Vollzug der Räumung und insbesondere die deutschen ‚Befreiungsfeiern‘, das Festlaufen der Saarverhandlungen und die ablehnende Haltung zum Europaplan Aristide Briands (1862-1932) hatten diplomatische Affronts zur Folge. Der Tiefpunkt wurde im Mai 1931 erreicht, da Frankreich sich durch die deutschen Revisionserfolge, die Zollunion und nicht zuletzt Curtius‘ Haltung zur 1932 angesetzten Abrüstungskonferenz in seiner Sicherheit bedroht fühlte: Die vom Minister ausgegebene Losung ‚Parität der Sicherheit‘ konnte allgemeine Abrüstung aber auch deutsche (Wieder-)Aufrüstung meinen. Zwar bot sich über die Aushandlung von Agrarzollpräferenzen mit einigen südost- beziehungsweise ostmitteleuropäischen Staaten im Spätsommer 1931 die Chance zur Wiederannäherung, für diese fand Curtius jedoch keine Unterstützung mehr. In der Frage der Reparationspolitik um das Hoover-Moratorium war er politisch bereits marginalisiert. Nur kurzfristig hatte eine erfolgreiche Minderheitenbeschwerde gegen Polen vor dem Völkerbund im Januar 1931 seine Position stabilisiert. Generell war seine Politik Zielscheibe der ‚nationalen Opposition‘ und seit Mai 1931 arbeitete auch die DVP am Sturz des gemäßigten Ministers.
Der Demission als Minister folgte am 26.2.1932 der Ausschluss aus der DVP, deren Zentralvorstand und geschäftsführendem Ausschuss er seit 1919 angehört hatte. Einer kurzen Orientierung zur Deutschen Staatspartei folgte kein politisches Amt mehr. Ratliff verweist im Epilog seiner Biographie in diesem Zusammenhang auf verschiedene Repressalien, die Curtius nach 1933 seitens des ‚Dritten Reiches‘ erfuhr.
Curtius arbeitete nun bis Juli 1936 als Vermögensverwalter und bis zur Zerstörung seines Berliner Wohnsitzes im Januar 1943 als Rechtsanwalt. Danach lebte er als Gutsbesitzer auf seinem Mecklenburger Gut Grammertin. Im Oktober 1945 enteigneten ihn die Sowjets, er musste fliehen. Erst arbeitete er wieder in Berlin, ab Juli 1946 in Heidelberg als Rechtsanwalt. Dort starb er am 10.11.1948. Vor seinem Tod verfasste Curtius mehrere Schriften über seine Zeit als Politiker.
Werke (Auswahl)
Bemühung um Oesterreich, Heidelberg 1947.
Deutsche Wirtschaftspolitik, Berlin 1926.
Innere Konsolidierung und außenpolitische Aktionsfähigkeit, Berlin 1930.
Sechs Jahre Minister der deutschen Republik, Heidelberg 1948.
Ueber die Einführung von Volksinitiative und Volksreferendum in die neuen Verfassungen der der deutschen Staaten, Heidelberg 1919.
Der Young-Plan, Stuttgart 1950.
Literatur (Auswahl)
Auerbach, Hellmuth, „Curtius, Julius" in: Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, hg. von Benz, Wolfgang/Graml, Hermann, München 1988, S. 56.
„Curtius, Julius" in: Hürter, Johannes (Bearb.); Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871-1945, Band 1, Paderborn u. a. 2000, S. 391-392.
Hildebrand, Klaus, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, Studienausgabe, München 2008.
Lange, Helmut, Julius Curtius (1877-1948). Aspekte einer Politikerbiographie, Kiel 1970.
Lange, Helmut, Verzeichnis der Reden und Schriften von Julius Curtius, in: Lange, Helmut, Julius Curtius (1877-1948). Aspekte einer Politikerbiographie, Kiel 1970, S. 323-350.
Ratliff, William G., Faithful to the fatherland. Julius Curtius and Weimar Foreign Policy, Frankfurt a. M. u. a. 1990.
Rödder, Andreas, Stresemanns Erbe: Julius Curtius und die deutsche Außenpolitik 1929-1931, Paderborn u. a. 1996.
Schwarz, Max, Biographisches Handbuch der Reichstage, Hamburg 1965, S. 632.
Online
Curtius, Julius (Edition „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik" online des Bundesarchivs und der Historischen Kommission München). [Online]
Julius Curtius in der Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten (Informationsportal der Bayerischen Staatsbibliothek). [Online]
Kotowski, Georg, Artikel „Curtius, Julius", in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957). S. 445. [Online]
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Hiemann, Rafaela, Julius Curtius, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/julius-curtius-/DE-2086/lido/57c68f69dc98c5.42898418 (abgerufen am 06.10.2024)