Walther Wolff

Präses der Synode der Rheinprovinz (1919-1931)

Volkmar Wittmütz (Köln)

Walther Wolff, Porträtfoto. (Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland)

Walt­her Wolff war ein evan­ge­li­scher Theo­lo­ge. Als Prä­ses der Syn­ode der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz präg­te er die Po­li­tik der rhei­ni­schen Kir­che nach de­m Ers­ten Welt­krieg und trat dem Se­pa­ra­ti­ons­stre­ben wie dem ver­brei­te­ten Kul­tur­pes­si­mis­mus en­er­gisch ent­ge­gen.

Fried­rich Walt­her Paul Wolff wur­de am 9.12.1870 in Neu­werk (heu­te Stadt Mön­chen­glad­bach) als Sohn des Volks­schul­leh­rers Fried­rich Wolff und sei­ner Ehe­frau Ber­tha Schü­ß­ler ge­bo­ren. Von 1880 bis 1889 be­such­te er das Gym­na­si­um in Mön­chen­glad­bach und stu­dier­te an­schlie­ßend evan­ge­li­sche Theo­lo­gie in Greifs­wald, Mar­burg und Hal­le. Da er „dau­er­haft un­taug­li­ch“ für den Dienst in Heer und Ma­ri­ne war, konn­te er 1894, nach den Ex­ami­na und dem Vi­ka­ri­at in Soest, sei­ne ers­te Stel­le in der nie­der­rhei­ni­schen Dia­spo­ra-Ge­mein­de Ot­zen­rath (heu­te Ge­mein­de Jü­chen) an­tre­ten. 1896 hei­ra­te­te er Eli­sa­beth Metz­ner aus Hal­le an der Saa­le; dem Ehe­paar wur­den die Söh­ne Walt­her und Mar­tin so­wie die Toch­ter Han­na ge­bo­ren. 1901 folg­te Wolff ei­nem Ruf nach Aa­chen, wo die evan­ge­li­sche Ge­mein­de eben­falls ei­ne Min­der­heit, aber in star­kem Wach­sen be­grif­fen war. Vol­ler Ta­ten­drang be­gann Wolff mit der Her­aus­ga­be ei­nes Ge­mein­de­blatts und in­iti­ier­te zahl­rei­che neue Ge­mein­de­grup­pen und –krei­se. Als sich ab­zeich­ne­te, dass das reichs­wei­te Ver­bot der Je­sui­ten auf­ge­ho­ben wer­den wür­de, grün­de­te er 1913 ei­nen Zweig­ver­ein des Evan­ge­li­schen Bun­des „zur Ver­tei­di­gung der evan­ge­li­schen In­ter­es­sen und zur Kräf­ti­gung des evan­ge­li­schen Ein­flus­ses im öf­fent­li­chen Le­ben.“ Der Aa­che­ner Zweig­ver­ein zeich­ne­te sich bald durch ei­ne be­tont an­ti­rö­mi­sche Hal­tung und ei­ne en­ge Ver­bin­dung von Pro­tes­tan­tis­mus und Deutsch­tum aus. Jähr­li­cher Hö­he­punkt war die Fei­er des Kai­ser­ge­burts­ta­ges, auf der Wolff die von ho­hem Pa­thos durch­wirk­te „Kai­ser­re­de“ hielt. Für ihn war die Al­li­anz von Thron und Al­tar selbst­ver­ständ­lich, in ihr sah er die von Gott ver­lie­he­ne Stär­ke und Kraft Deutsch­lands ma­ni­fes­tiert.

Über­haupt pre­dig­te Wolff ei­ne Theo­lo­gie der Macht und Herr­lich­keit Got­tes. Er rühm­te die „Kraft Got­tes“ als sei­ne „Seins­wei­se“. Gott sei Stär­ke, die er an Men­schen wei­ter­ge­be, da­mit die­se ih­re Kraft und ih­ren Mut im Kampf für sein Reich ein­setz­ten. Ei­ni­ge Men­schen sei­en von Gott ge­ra­de­zu als „Kraft­zen­tren“ aus­ge­stat­tet wor­den. So sei Got­tes Macht in der Ge­schich­te zum Bei­spiel in Lu­ther, Goe­the und Bis­marck – al­le drei pro­tes­tan­ti­sche Ge­nies – wirk­sam ge­wor­den. Aber auch Kol­lek­ti­ve wie Preu­ßen und Deutsch­land könn­ten von Gott mit Macht aus­ge­stat­tet und zur Herr­schaft be­stimmt wer­den.

Der Ers­te Welt­krieg ver­stärk­te die­se Ideo­lo­gie. Der Krieg füh­re – so Wolff – zu ei­ner un­ge­heu­ren Kraft- und Wil­lens­stei­ge­rung, und al­le Kräf­te, die er frei­set­ze, streb­ten ei­ner neu­en und bes­se­ren Zeit ent­ge­gen. Im Krie­ge be­geg­ne­ten die Gläu­bi­gen Gott, ihr Kamp­fes­mut und ih­re Op­fer­be­reit­schaft wer­de zu ei­ner re­li­giö­sen Er­neue­rung und Ver­tie­fung füh­ren und Got­tes Reich nä­her brin­gen. Die Heils­ge­wiss­heit des Aa­che­ner Pfar­rers stei­ger­te sei­ne Be­geis­te­rung und Sie­ges­ge­wiss­heit und war bis zum Kriegs­en­de im Ok­to­ber 1918 un­ge­bro­chen. Je­des Be­mü­hen um ei­nen vor­zei­ti­gen Frie­den lehn­te er strikt ab und brand­mark­te es als Schwä­che des Glau­bens und Ver­rat am Deutsch­tum.

Folg­lich wur­de die mi­li­tä­ri­sche Nie­der­la­ge wie die Re­vo­lu­ti­on 1918 von ihm als Apo­ka­lyp­se und Welt­ende emp­fun­den. Doch Wolff ver­harr­te nicht in der Kla­ge wie vie­le an­de­re evan­ge­li­sche Pfar­rer. Er war bald be­reit, sich neu zu ori­en­tie­ren. Der Zu­sam­men­bruch Deutsch­lands be­rühr­te das Fun­da­ment sei­nes Glau­bens an ei­nen mäch­ti­gen Gott nicht. An­ge­sichts der Re­vo­lu­ti­on und der mi­li­tä­ri­schen Nie­der­la­ge Deutsch­lands ver­än­der­te sich je­doch die Ein­stel­lung des Aa­che­ner Pfar­rers zur Kir­che. Die­se Ein­rich­tung er­hielt jetzt in sei­nem Den­ken ein grö­ße­res Ge­wicht, weil sie in al­lem Wan­del und al­lem Cha­os als ein­zi­ge In­stanz den Men­schen Schutz und Schirm bie­ten konn­te. Da­zu muss­te sie al­len An­fein­dun­gen, ge­ra­de im Rhein­land, das von den Sie­ger­mäch­ten teil­wei­se be­setzt und von se­pa­ra­tis­ti­schen Ten­den­zen be­droht war, trot­zen und al­lem Volk ei­ne Heim­statt bie­ten, al­so wirk­li­che „Volks­kir­che“ wer­den. Mit ei­ner sol­chen Kir­che im Rü­cken kön­ne auch Deutsch­land po­li­tisch wie­der ge­ne­sen. Auf den rhei­ni­schen Kir­chen­ta­gen in Köln 1924, in Es­sen 1926 und in Saar­brü­cken 1930 fand die­se en­ge Ver­zah­nung von Deutsch­tum un­d evan­ge­li­scher ­Kir­che bei ihm ei­nen pa­the­ti­schen Aus­druck.

Der schärfs­te Kri­ti­ker die­ser na­tio­nal­pro­tes­tan­ti­schen Auf­fas­sung war der Schwei­zer Theo­lo­ge Karl Barth (1886-1968), der seit 1930 an der Uni­ver­si­tät Bonn lehr­te. Sei­ner Auf­fas­sung nach re­de­ten Kir­chen­män­ner wie Wolff zu viel über die Kir­che und zu we­nig über die In­hal­te des Glau­bens. Merk­mal der Kir­che sei nicht ih­re äu­ße­re Macht, son­dern ih­re Schwä­che, ih­re Un­si­cher­heit, ih­re Zwei­fel und An­fech­tun­gen, auch ih­re Be­reit­schaft zur Bu­ße. In der wah­ren Kir­che sei­en nicht die Mäch­ti­gen, son­dern die Sün­der ver­sam­melt. Wenn die Kir­che et­was in der Welt tun kön­ne, dann nicht mehr als die Auf­rich­tung von Zei­chen. Wolff hat auf die­se Kri­tik zwar re­agiert, doch zeigt sei­ne Re­ak­ti­on, dass er sie of­fen­sicht­lich nicht ver­stan­den hat.

Die Kir­che als fes­te Burg und Boll­werk im Sturm der Zeit, wie Wolff sie er­streb­te, war nun al­ler­dings durch den Weg­fall des Sum­me­pis­ko­pats schwer ge­trof­fen wor­den. Es galt, sie wie­der fest und neu zu bau­en. Die­ser Auf­ga­be muss­ten sich die Pres­by­te­ri­en und Syn­oden an­neh­men, die von der No­vem­ber­re­vo­lu­ti­on von 1918 nicht er­fasst wor­den wa­ren und die den Rechts­zu­sam­men­hang zum Al­ten be­wahr­ten. Und beim „Bau der Kir­che“ woll­te der wort­ge­wal­ti­ge Aa­che­ner Pfar­rer kräf­tig mit an­pa­cken. Bei den Ver­fas­sungs­be­ra­tun­gen so­wohl für die Kir­che Preu­ßens als auch für die der Rhein­pro­vinz, die schon vor dem Krieg ei­ne Son­der­stel­lung be­haup­tet hat­te, spiel­te Wolff ei­ne wich­ti­ge, viel­leicht so­gar ei­ne ent­schei­den­de Rol­le. Be­reits 1914 war er zum Mit­glied der rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­syn­ode ge­wählt wor­den; die ers­te rhei­ni­sche Syn­ode nach dem Krieg, die im März 1919 in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) statt­fand, das nicht von den al­li­ier­ten Sie­ger­mäch­ten be­setzt war, wähl­te ihn so­gar zu ih­rem Prä­ses. Wolff ver­trat de­zi­diert die Auf­fas­sung, die rhei­nisch-west­fä­li­sche Kir­chen­ord­nung aus der Vor­kriegs­zeit brau­che nicht völ­lig neu er­rich­tet zu wer­den, sie sei „aus­rei­chend mit de­mo­kra­ti­schem Öl ge­salb­t“ und ver­tra­ge al­len­falls ei­nen Aus­bau. Doch nicht den ein­zel­nen Gläu­bi­gen sei ei­ne grö­ße­re Be­tei­li­gung an kirch­li­chen Ent­schei­dun­gen zu ge­ben, son­dern – in gu­ter rhei­ni­scher Tra­di­ti­on - den Ge­mein­den: „Heu­te ist De­mo­kra­ti­sie­rung in Wahr­heit Ra­di­ka­li­sie­run­g“. Wolff for­der­te statt­des­sen - und mit ihm die Mehr­zahl der Syn­oda­len - mehr Sou­ve­rä­ni­tät für die Ge­mein­de und die Ab­schaf­fung al­ler Ein­rich­tun­gen, die ih­re Exis­tenz nur dem lan­des­herr­li­chen Kir­chen­re­gi­ment ver­dank­ten, al­so der Kon­sis­to­ri­en, des Kö­nig­li­chen Kom­mis­sars, des Ge­ne­ral­su­per­in­ten­den­ten und der Kö­nig­li­chen Sank­tio­nen. Je­de Be­hör­de und je­de Maß­nah­me der Kir­che müs­se auf der pres­by­te­ri­al-syn­oda­len Ord­nung ba­sie­ren, al­so ih­re Le­gi­ti­mi­tät letzt­lich aus der Ge­mein­de ab­lei­ten. Ei­ne er­wei­ter­te rhei­ni­sche Ord­nung mit ih­rer aus­schlie­ß­li­chen Ver­wur­ze­lung in der sou­ve­rä­nen Ge­mein­de kön­ne – so Wolff - als Mo­dell für ei­ne neue Ver­fas­sung der ge­sam­ten preu­ßi­schen Lan­des­kir­che die­nen.

Im No­vem­ber 1919 fand ei­ne zwei­te rhei­ni­sche Syn­ode in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal)  statt, auf der die Aus­bau­plä­ne für die rhei­ni­sche Kir­chen­ord­nung, die in­zwi­schen den Pres­by­te­ri­en und Kreis­syn­oden vor­ge­legt wor­den wa­ren, er­ör­tert wur­den. Der Aa­che­ner Pfar­rer plan­te, die Lei­tung der rhei­ni­schen Kir­che aus­schlie­ß­lich der Pro­vin­zi­al­syn­ode zu über­tra­gen. Ei­ne von die­ser mit Fach­leu­ten be­setz­te Ver­wal­tungs­stel­le soll­te an die Stel­le des Kon­sis­to­ri­ums tre­ten. Der von der Syn­ode ge­wähl­te Prä­ses hat­te die Auf­ga­ben des Ge­ne­ral­su­per­in­ten­den­ten, des­sen Amt weg­fal­len soll­te, mit zu über­neh­men, da­zu war er als Lei­ter der Ver­wal­tungs­stel­le vor­ge­se­hen.

Die­ser Ent­wurf ern­te­te bei den Syn­oda­len und in den Ge­mein­den so­wohl viel Bei­fall als auch hef­ti­ge Kri­tik. Mit Bei­fall wur­de die al­lei­ni­ge Gel­tung des syn­oda­len Prin­zips im Rhein­land be­dacht, kri­ti­siert wur­de, dass der Prä­ses zu viel Macht und die rhei­ni­sche Kir­che zu vie­le Son­der­rech­te er­hal­te, so­dass die Ver­bin­dung zu den üb­ri­gen Pro­vin­zen der preu­ßi­schen Kir­che ver­lo­ren­ge­hen kön­ne. Nach lan­ger De­bat­te stimm­te die rhei­ni­sche Syn­ode dem Ent­wurf Wolffs mit ei­ni­gen Mo­di­fi­ka­tio­nen den­noch zu.

Doch in der preu­ßi­schen Kir­chen­ver­samm­lung, die 1921/1922 zu­sam­men­trat, um der ge­sam­ten preu­ßi­schen Kir­che ei­ne neue Ver­fas­sung zu ge­ben, schei­ter­te der Ent­wurf. Die Ver­tre­ter der öst­li­chen Pro­vin­zen be­män­gel­ten, dass in den rhei­ni­schen Plä­nen die Syn­oden zu viel Macht er­hiel­ten und Kon­sis­to­ri­um so­wie Ge­ne­ral­su­per­in­ten­dent weg­fal­len soll­ten. Wolff wur­de zur Re­vi­si­on sei­nes Plans auf­ge­for­dert; ent­täuscht beug­te er sich dem Vo­tum der Kir­chen­ver­samm­lung.

Die re­vi­dier­te rhei­ni­sche Kir­chen­ord­nung, die 1923 ver­ab­schie­det wur­de, ver­zich­te­te al­so nicht auf das Kon­sis­to­ri­um und den Ge­ne­ral­su­per­in­ten­den­ten. Sie stell­te ei­nen Pro­vin­zi­al­kir­chen­rat als ei­ne Art er­wei­ter­ten Syn­odal­vor­stand an die Spit­ze der Pro­vin­zi­al­kir­che für die Zeit, in der die Syn­ode nicht tag­te, und schränk­te da­mit die Macht des Prä­ses ein. Die we­sent­li­chen Ele­men­te des Wolff­schen Ent­wurfs, die aus­schlie­ß­li­che Macht­stel­lung der Syn­ode und ih­res Prä­ses in der Kir­che, sind erst nach dem Zwei­ten Welt­krieg in der in­zwi­schen sou­ve­rän ge­wor­de­nen rhei­ni­schen Kir­che ver­wirk­licht wor­den.

In sei­nen Jah­ren als Prä­ses be­müh­te sich Wolff um ei­ne vor­sich­ti­ge Mo­der­ni­sie­rung der rhei­ni­schen Kir­che und stärk­te ihr Ei­gen­le­ben in Un­ter­schei­dung zu an­de­ren Pro­vin­zen der preu­ßi­schen Lan­des­kir­che. Er leg­te den Grund­stein für rhei­ni­sche „Funk­ti­ons­pfarr­äm­ter“, Spe­zi­al­pfar­rer für die Stu­den­ten, für die Ju­gend und für al­le so­zia­len Fra­gen. Er setz­te sich für ei­ne um­fang­rei­che kirch­li­che Ta­gungs- und Schu­lungs­ar­beit eben­so wie für ei­ne or­ga­ni­sier­te Öf­fent­lich­keits­ar­beit der Kir­che ein und war selbst Mit­glied in zahl­rei­chen Aus­schüs­sen und Ar­beits­ge­mein­schaf­ten. Schon zu Leb­zei­ten galt er als „rhei­ni­scher Kir­chen­va­ter“.

Walt­her Wolff starb am 26.8.1931 in Aa­chen, wo er auch be­gra­ben wur­de.

Literatur

Con­rad, Joa­chim [u. a.], (Hg.), Evan­ge­lisch am Rhein. Wer­den und We­sen ei­ner Lan­des­kir­che, Düs­sel­dorf 2007.
Hel­mich, Hans, D., Walt­her Wolff, Prä­ses der Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­syn­ode 1919-1931, in: Mo­nats­hef­te für Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schich­te des Rhein­lan­des 36 (1987), S. 185–230.

 
Zitationshinweis

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Wittmütz, Volkmar, Walther Wolff, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/walther-wolff/DE-2086/lido/57c9350fbc8631.03266689 (abgerufen am 12.11.2024)