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„Von Herzen Deutscher Christ und vorbehaltloser Nationalsozialist“: So lautete im Mai 1934 die Selbstcharakterisierung der de facto einflussreichsten Persönlichkeit im neugeschaffenen Evangelischen Bistum Köln-Aachen. Forsthoff steht exemplarisch für die kurze Hochphase der rheinischen Deutschen Christen (DC), die auf einen harten Bruch mit der Tradition der presbyterial-synodalen Kirchenverfassung abzielte.
Bis dahin hatte Forsthoff eine eher unauffällige berufliche Vita vorgelegt. Am 1.2.1871 als Sohn des Landwirts August Forsthoff und seiner Frau Wilhelmine geborene auf der Brücken in Gruiten geboren, studierte er evangelische Theologie in Bonn, Tübingen und Straßburg. Nach dem Hilfsdienst und der Eheschließung mit Emmy Bergfried (1880-1967) trat er 1901 seine erste Pfarrstelle in Duisburg-Laar an. Anschließend amtierte er von 1906 bis 1934 ununterbrochen als Pfarrer der Altstadtgemeinde in Mülheim an der Ruhr. Trotz der anzunehmenden Belastung einer Großstadtgemeinde scheint er dort hinreichenden Spielraum für akademische Studien vor allem im Bereich der Kirchengeschichte genossen zu haben. Nach zwei Dissertationen zu Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und der Mystik von Gerhard Tersteegen publizierte er nicht weniger als 28 umfängliche Aufsätze in den Monatsheften für Rheinische Kirchengeschichte. Seine Forschungen kulminierten 1929 im ersten Band seiner „Rheinischen Kirchengeschichte“, für den er im folgenden Jahr den Ehrendoktor der Theologischen Fakultät Bonn erhielt. Dieses Opus von 637 Seiten wirft einen eigenwilligen Blick vor allem auf die frühe reformierte Kirche am Niederrhein bis 1609; entgegen der im Buchtitel erweckten Erwartung werden weder das rheinische Oberland als Region noch das Luthertum thematisiert.
Seit 1926 widmete sich Forsthoff zunehmend Themen jenseits der regionalen Kirchengeschichte. In der Schrift „Die Kirchennot des Protestantismus“ kritisiert er die „Einebnung des Protestantismus in das allgemeine moderne Geistesleben“. Sein wichtigstes Buch ist die Anfang 1933 erschienene Schrift „Das Ende der humanistischen Illusion“, in der er in vager Anlehnung an Martin Heidegger (1889-1976) und Eberhard Grisebach (1880-1945) gegen den neuzeitlichen Rationalismus polemisiert. Die gesamte abendländische Philosophie wird von Forsthoff unter den Generalverdacht einer Abkehr vom Glauben an die Offenbarung Gottes gestellt. Dieser Irrweg manifestiere sich insbesondere in den politischen Parteien der Gegenwart und in gutgemeinten Institutionen wie dem Völkerbund. Es ist auffällig, dass der Nationalsozialismus auf den 150 Buchseiten weder begrifflich noch in der Sache begegnet.
Das NS-Regime sättigte jedenfalls Forsthoffs Drang nach Irrationalität ebenso wie seinen Ehrgeiz. Auch wirtschaftliche Erwägungen mögen für sein neues kirchenpolitisches Engagement eine Rolle gespielt hatten, hatte er doch 1927 beim Konkurs der Beamtenbank AG Duisburg einen Großteil seines Vermögens eingebüßt. Das bisherige Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei fand unter dem Einfluss des Juristen Carl Schmitt (1888-1985) rasch zum Nationalsozialismus, ohne allerdings je formal Parteimitglied zu werden. Ausgangspunkt für seine späte Karriere war das Bistumsgesetz der preußischen Generalsynode im Herbst 1933, das die reichsweite Einführung evangelischer Landesbistümer vorsah. Anfang Oktober 1933 wurde zunächst der Pfarrer und SA-Sturmführer Heinrich Josef Oberheid (1895-1977) in sein Amt als Bischof der Rheinischen Provinzialkirche eingeführt. Als nächster Verfassungsbaustein folgte am 16.1.1934 die Berufung Forsthoffs als stellvertretender Landespfarrer beim rheinischen Konsistorium durch den Reichsbischof Ludwig Müller (1880-1945). Am 1.4.1934 zum „Propst“ ernannt, führte er in dieser Eigenschaft den Vorsitz in den Verhandlungen des Konsistoriums und war Präses der Provinzialsynode.
In der Stelle des „Propstes“, eines Amtes, das es im rheinischen Protestantismus weder vorher noch nachher gegeben hat, entfaltete Forsthoff eine geradezu fieberhafte Aktivität, um im Rheinland ein festes Kirchenregiment der DC zu etablieren. Gemäß der neuen aufoktroyierten Bistumsverfassung fungierte er als Stellvertreter des „Bischofs“. Oberheid, fast eine Generation jünger als Forsthoff, war ebenfalls in Mülheim an der Ruhr aufgewachsen. Da er es aber vorzog, in Nähe der Berliner Machtzentrale zu operieren, war er nur selten im Rheinland präsent. Forsthoff saß damit an den entscheidenden Schalthebeln. Bereits am 29.5.1934, zeitgleich mit dem Beginn der Barmer Bekenntnissynode, legte er eine neue Kirchenordnung vor, die strikt auf das politische Führerprinzip durchdekliniert wurde. Das freie Presbyterwahlrecht wurde ebenso abgeschafft wie das Recht der gemeindlichen Pfarrwahl. Alle diese Befugnisse lagen nun beim Bischof beziehungsweise den von ihm ernannten Dekanen. Diese sollten auf Synodenebene die gewählten Superintendenten ersetzen. Die zeitgenössische Kritik der Bekennenden Kirche an dem Entwurf hob daher auf die verblüffende Analogie zur römisch-katholischen Kirchenhierarchie ab. Durchaus kreativ definierte Forsthoff das neue Amt der Kirchwalter, die zur Verstärkung der Seelsorge für jeweils 20-30 Familien zu bestellen seien. Gemäß § 29 sollten sie „eine stille und unauffällige Beobachtung der ihnen überwiesenen Familien üben“, weshalb sie treffend als „eine Art kirchlicher Blockwart“ beschrieben wurden. Das überkommene frühneuzeitliche Prinzip der reformierten Kirchenzucht durch das Presbyterium wurde hier im Sinne totalitärer Überwachung pervertiert.
Als er diesen Entwurf am 12.6.1934 der Superintendentenkonferenz vorlegte, kam es zum Eklat: Von den 33 Anwesenden erhoben 13 schärfsten Protest, was Forsthoff wörtlich als „Kriegserklärung“ interpretierte. Die 13 verließen daraufhin den Saal. Von den verbleibenden 20 Superintendenten lehnten immer noch sieben den Entwurf ab. Der Propst besorgte sich nun eine Verfügung von Reichsbischof Müller und enthob sechs Superintendenten ihres Amtes. Diese ließen sich davon nicht beeindrucken und führten die Geschäfte weiter. Nach einer erneuten Rechtsverordnung der Altpreußischen Union musste das Konsistorium klein beigeben und die Superintendenten am 19.12.1934 wieder in ihre Ämter einsetzen. Forsthoff war spätestens seit diesem Zeitpunkt in der rheinischen Kirche desavouiert. Letztlich scheiterte er nicht nur am Widerstand der Bekennenden Kirche, sondern auch an seinem fehlenden Netzwerk innerhalb der offiziösen Reichskirche. Deren juristisches Chaos mit zahlreichen Widerrufen getroffener Maßnahmen trug ein Übriges bei. Ein waches Auge hielt Forsthoff weiterhin auf seine alte Wirkungsstätte in Mülheim an der Ruhr. In der dortigen Altstadtgemeinde sorgte er 1934 dafür, dass nicht weniger als drei junge DC-Pfarrer installiert wurden, die damit Mülheim den zweifelhaften Ruf einer rheinischen DC-Hochburg verschafften. Unter ihnen ist Heinz Dungs (1898-1949) hervorzuheben, der die rheinische DC-Pressearbeit koordinierte und die Zeitschrift „Der Weckruf“ herausbrachte. Hierin publizierte Forsthoff 1935 im Kontext des Nürnberger Reichsparteitages mehrere antisemitische Beiträge. In Forsthoffs Amtszeit und auf sein Engagement hin fiel auch im September 1934 der Umzug des Koblenzer Konsistoriums in den repräsentativen Jägerhof in Düsseldorf. Parallel hierzu suchte Forsthoff neue Institutionen und Gremien zu etablieren, die auf DC-Linie standen. Dies galt etwa für die aus 28 Mitgliedern bestehende Theologische Kammer oder den fünfköpfigen Rechtsausschuss. Beide stellten nach wenigen Jahren die Arbeit ein. Zur Fortbildung der Vikare wurden fünf neue Bezirksseminare eingerichtet, in denen explizit die „nationalsozialistische Schulung“ im Mittelpunkt stand.
Den in seinen Augen renitenten Theologennachwuchs überzog Forsthoff in der Folge mit einer Welle von Disziplinierungsmaßnahmen. Im Sommer 1934 verweigerten 85 Mitglieder der „Bruderschaft junger Theologen“ die obligatorische Teilnahme an den DC-Bezirksseminaren. 64 von ihnen wurden aus dem Dienst der rheinischen Kirche entlassen oder in anderer Weise unter Druck gesetzt. Aber auch gegen acht gestandene Pfarrer, unter ihnen so prominente Namen wie Rudolf Harney (1880-1965) und Heinrich Held, wurden Amtsenthebungsverfahren eingeleitet.
Kirchenpolitisch auf ganzer Linie gescheitert und durch schwere Krankheit geschwächt, trat Forsthoff am 1.6.1936 in den Ruhestand. So musste er nicht mehr den zwangsweisen Auszug aus dem Jägerhof erleben, den Ende des Jahres die Gauleitung der NSDAP bezog. Das Konsistorium bezog bescheidenere Räumlichkeiten an der Inselstraße. Seine damalige Stimmungslage spiegelte sein treuer Adlatus der beiden letzten Jahre, der Düsseldorfer DC-Superintendent Konrad Klein (1886-1964), in einer Würdigung im „Weckruf“ wider: Forsthoff befinde sich in tiefem Schmerz über alle Versuche einer „Befriedung“ der Kirche, die nur zu einem Friedhofsfrieden führen könnten. Die Gegner von der „Bekenntnisfront“ hätten nun bereits Einzug im Jägerhof gehalten, verharrten aber weiter in ihrer „donatistischen Irrlehre“. Es ist unklar, auf wen Klein hier konkret anspielt. In den folgenden Jahren erstellte Forsthoff noch das maschinenschriftliche Manuskript des zweiten Bandes seiner Kirchengeschichte für das 17.-18. Jahrhundert, von dessen Druck aber nach 1945 abgesehen wurde. Forsthoff verstarb am 17.6.1942 in Düsseldorf und wurde in Mülheim beigesetzt.
Es bleibt zu einem gewissen Grad ein Rätsel, wie sich Forsthoff innerhalb weniger Jahre vom durchaus renommierten reformierten Theologen zum Apologeten des NS-Führerstaates wandelte. Sein einziger Sohn, der Staatsrechtler Ernst Forsthoff (1902-1974), sollte später den Vater an Prominenz weit übertreffen. In seinem ersten Buch „Der totale Staat“ von 1933 rechtfertigt er das Führerprinzip ebenso wie die eingeleitete Diskriminierung von Juden. Heinrich Forsthoff dürfte es mit Wohlgefallen gelesen haben.
Schriften (Auswahl)
Schleiermachers Religionstheorie und die Motive seiner Grundanschauung, Diss. phil. Tübingen 1910, Rostock 1910.
Die Mystik in Tersteegens Liedern, Diss. Ev.-theol., 1918; Druck in: Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte 12 (1918), S. 202-246.
Tersteegens Mystik, in: Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte 12 (1918), S. 129-191, 193-201. Die Kirchennot des Protestantismus, Elberfeld 1926. Rheinische Kirchengeschichte, Band 1: Die Reformation am Niederrhein, Essen 1929.
Das Ende der humanistischen Illusion. Eine Untersuchung über die Voraussetzungen von Philosophie und Theologie, Berlin 1933.
Theologie oder Glaube? Zur Sache der Deutschen Christen, Bonn 1934.
Calvin oder Luther. Ein Wort zur Neugestaltung der dt.-evang. Kirche, Bonn 1936.
Literatur
Beckmann, Joachim, Kirche oder Bistum. Eine Handreichung zur Beurteilung der neuen deutschchristlichen Kirchenordnung, Wuppertal 1934.
Gruch, Jochen (Bearb.), Die Evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart, Band 2, Bonn 2013, S. 133.
Kaufhold, Barbara, Glauben unter dem Nationalsozialismus in Mülheim an der Ruhr. Bekennende Kirche und Deutsche Christen, Christen jüdischer Herkunft, Freikirchen und freie Werke sowie Widerstand in der katholischen Kirche, Essen 2006, S. 106-107.
Meinel, Florian, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2012.
Weitenhagen, Holger, Illusionen eines gebildeten Theologen. Die Wege des rheinischen ´Propstes´ D. Dr. Heinrich Forsthoff (1871-1942), in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 59 (2010), S. 139-158.
Online
Interaktive Karten widerständiger Christinnen und Christen im Nationalsozialismus. [Online]
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Flesch, Stefan, Heinrich Forsthoff, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-forsthoff/DE-2086/lido/6092871e65e0d0.64447890 (abgerufen am 09.12.2024)