Die Dürener SA im Schlaglicht der Reichsgeschichte

Stefan Rubel (Bonn)

Marschierende SA-Männer aus Düren, 14.9.1934. (Stadt- und Kreisarchiv Düren)

1. Einleitung

„So­lan­ge wir hier sind, sind wir Po­li­zei.“[1] Dies äu­ßer­ten im April 1934 auf ei­ner ört­li­chen Fest­lich­keit meh­re­re SA-Män­ner aus Kreu­zau wäh­rend ei­ner po­li­zei­li­chen Maß­nah­me ge­gen ei­nen ih­rer SA-Ka­me­ra­den. Den an­we­sen­den Po­li­zis­ten spra­chen sie da­mit jeg­li­che Exe­ku­tiv­ge­walt ab. Die­se Si­tua­ti­on ist ein sym­pto­ma­ti­sches Bei­spiel für das all­ge­mein ver­brei­te­te Bild der SA, die als Schlä­ger­trup­pe vor al­lem in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik und auch spä­ter im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land oh­ne Angst vor ei­ner Straf­ver­fol­gung agie­ren konn­te, wie es ihr ge­fiel. Dem ge­gen­über sind die in­ne­ren Ver­hält­nis­se der SA und ih­re Stel­lung in der Ge­sell­schaft nach dem so­ge­nann­ten „Röhm-Putsch“ im Ju­ni 1934 we­ni­ger be­kannt. Für Dü­ren exis­tiert bis­wei­len le­dig­lich ei­ne Ge­samt­dar­stel­lung der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Zeit von 1930 bis 1945, in der die Hand­lun­gen von ein­zel­nen SA-Män­nern wie auch gan­zer SA-Stür­me nur ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le spie­len und im Rah­men ei­nes grö­ße­ren Ge­samt­zu­sam­men­hangs be­leuch­tet wer­den. Ziel die­ses Auf­sat­zes ist es, ei­ne schlag­licht­ar­ti­ge Dar­stel­lung der Dü­re­ner SA-Stan­dar­te und der ihr un­ter­ge­ord­ne­ten SA-Stür­me zu lie­fern, wo­bei vor al­lem be­deu­ten­de Mo­men­te der Reichs­ge­schich­te wie auch der Lo­kal­his­to­rie als Schlag­lich­ter die­nen sol­len.

2. Die Dürener SA-Standarte 161

2.1 So­zia­le und po­li­ti­sche Vor­aus­set­zun­gen im Kreis Dü­ren
Der Kreis Dü­ren lag im Os­ten des ehe­ma­li­gen Re­gie­rungs­be­zirks Aa­chen und war im Nor­den und Os­ten stark land­wirt­schaft­lich ge­prägt, wäh­rend er ent­lang der Rur, im Sü­den und im nörd­li­chen Braun­koh­le­re­vier fast aus­schlie­ß­lich in­dus­tri­ell struk­tu­riert war.[2] Da­her gab es hier be­reits seit An­fang der 1920er Jah­re ei­ne po­li­tisch ak­ti­ve KPD[3], ei­ne Grup­pe des Ro­ten Front­kämp­fer­bun­des[4] und meh­re­re SPD-Orts­ver­ei­ne, die in Kon­kur­renz zur all­seits do­mi­nie­ren­den Zen­trums­par­tei stan­den. Dü­ren lag zu­dem im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gau Köln-Aa­chen, der mit 83 Pro­zent den höchs­ten Ka­tho­li­ken­an­teil al­ler vier rhei­ni­schen Gaue be­saß.[5] Die­ser gro­ße ka­tho­li­sche Be­völ­ke­rungs­an­teil zeig­te sich auch in den ver­schie­de­nen Wahl­er­geb­nis­sen der Wei­ma­rer Re­pu­blik bis 1928 als ein treu­es Wäh­ler­mi­lieu der ka­tho­li­schen Zen­trums­par­tei. Doch folgt - wie Pe­ter Staatz be­reits er­kann­te - seit 1928 ei­ne von Horst Wall­raff tref­fend be­zeich­ne­te „Ero­si­on die­ses gra­ni­ten schei­nen­den Wäh­ler­so­ckels.“[6] Bis zu den letz­ten frei­en Wah­len im No­vem­ber 1932 konn­te die NS­DAP im Kreis Dü­ren kein ein­zi­ges Mal ei­ne Mehr­heit ge­win­nen. Den­noch konn­te sie dem Zen­trum und der SPD schmerz­haf­te Wäh­ler­ver­lus­te zu­fü­gen. Im Ver­gleich zu den reichs­wei­ten Wahl­er­geb­nis­sen der letz­ten halb­wegs frei­en Wah­len vom 5.3.1933 zeig­te sich der Kreis Dü­ren wei­ter­hin als ein schwie­ri­ges Pflas­ter für die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, da die­se mit 21,7 Pro­zent ver­gleichs­wei­se nur we­nig Stim­men be­ka­men – reichs­weit er­ziel­te die NS­DAP mit 43,9 Pro­zent mehr als das Dop­pel­te.[7] Die so­zia­len Ver­hält­nis­se ver­schlech­ter­ten sich in Dü­ren seit der Welt­wirt­schafts­kri­se 1929 stark.[8] Die Ar­beits­lo­sen­zah­len er­reich­ten 1932 ih­ren Hö­he­punkt, so dass es zu ei­nem po­li­tisch im­mer auf­ge­heiz­te­ren Kli­ma kam, in dem sich die erst 1930 in Er­schei­nung tre­ten­de Dü­re­ner SA ent­fal­ten konn­te.

2.2 Die Ent­ste­hung der Dü­re­ner SA-Stan­dar­te 161
Die Un­ter­su­chung der An­fän­ge ei­ner Dü­re­ner SA weist grund­le­gen­de Par­al­le­len zu der Grün­dungs­ge­schich­te der Dü­re­ner Orts­grup­pe der NS­DAP auf. Im „West­deut­schen Grenz­blat­t“ wird En­de des Jah­res 1933 in ei­nem Ar­ti­kel be­rich­tet: „Selbst­ver­ständ­lich be­stand da­mals auch noch nicht die kla­re Tren­nung in den ein­zel­nen Or­ga­ni­sa­tio­nen der NS­DAP. Man war Mit­glied, SA-Mann, Pro­pa­gan­dist, Pla­kat­kle­ber, Zet­tel­ver­tei­ler – al­les in ei­ner Per­son.“[9]  Be­reits hier wird deut­lich, dass die frü­he na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Be­we­gung im Dü­re­ner Raum stark von ein­zel­nen Ak­teu­ren ab­hing und noch kei­ne kla­re Tren­nung zwi­schen der Orts­grup­pe der NS­DAP und Glie­de­run­gen wie der SA exis­tiert hat. Dies be­deu­tet gleich­zei­tig, dass es ver­mut­lich kei­ne ein­deu­ti­ge Grün­dungs­ge­schich­te für ei­nen Dü­re­ner SA-Sturm gibt, son­dern sich die Ak­ti­vi­tät ei­nes selbst­stän­di­gen SA-Sturms aus der Dü­re­ner Orts­grup­pe der NS­DAP her­aus­ge­bil­det hat.
Hans Schain be­rich­tet un­ter Ver­weis auf Zeit­zeu­gen­be­rich­te von ei­ner ers­ten Dü­re­ner SA-Schar, die be­reits am 1.9.1929 aus 12 Ex-„Stahl­helm­sol­da­ten“ ge­bil­det wur­de und als Schutz­trup­pe bei den ers­ten NS-Wer­be­ver­an­stal­tun­gen ge­dient ha­ben soll.[10] Ob die­se SA-Schar in ge­ra­der Li­nie der Vor­läu­fer für den ers­ten Dü­re­ner SA-Sturm war, ist nicht mehr ein­deu­tig zu re­kon­stru­ie­ren. Be­reits Wall­raff weist je­doch auf den Um­stand hin, dass „ei­ne au­ßer­or­dent­lich star­ke Fre­quenz der Par­tei – Ein- und Aus­trit­te, die Grün­dung und Wie­der­auf­lö­sung klei­ner Orts­grup­pen ein Cha­rak­te­ris­ti­kum der NS­DAP im Jahr­zehnt von 1920 bis 1930 ge­we­sen“[11] sei.

Trotz­dem wird in dem er­wähn­ten Zei­tungs­ar­ti­kel des „West­deut­schen Grenz­blatt­s“ 1933 wei­ter be­rich­tet: „Rund 25 – 30 SA-Män­ner fand der SA-Mann Ar­nold Lent­zen im Sep­tem­ber 1931 vor, als er nach Dü­ren ver­setzt wur­de […]. Nach ei­nem hal­ben Jahr […] konn­te der Sturm­füh­rer Lent­zen schon ei­nen statt­li­chen Sturm mit 150 Mann auf­wei­sen […]. Der April brach­te die Auf­stel­lung des Sturm­bann[s] 4/25 für die Krei­se Dü­ren, Schlei­den und Mons­chau.“[12] So­mit steht fest, dass sich spä­tes­tens im Sep­tem­ber 1931 ein ei­gen­stän­di­ger, par­al­lel zur NS­DAP-Orts­grup­pe exis­tie­ren­der SA-Sturm ge­bil­det hat, der be­reits im April 1932 zum Sturm­bann be­för­dert wur­de.[13] Das Dü­re­ner Sturm­bann, wel­ches zu­nächst der Aa­che­ner SA-Stan­dar­te 25 un­ter­ge­ord­net war, wur­de schlie­ß­lich im Au­gust 1933 zur SA-Stan­dar­te 161[14] er­ho­ben.

Für die Ent­ste­hung der SA sind ver­läss­li­che Zah­len nur äu­ßerst schwie­rig zu re­kon­stru­ie­ren. So ist den Be­rich­ten der Lan­des­kri­mi­nal­po­li­zei­stel­le in Aa­chen ei­ne nur lang­sa­me Mit­glie­der­ent­wick­lung für das Jahr 1931 zu ent­neh­men: Schät­zungs­wei­se sol­len An­fang 1931 im Dü­re­ner SA-Sturm 161 rund 60 Män­ner Mit­glied ge­we­sen sein. Da­bei fällt auf, dass der Dü­re­ner Sturm im Ver­gleich zu sei­nen deut­lich klei­ne­ren Nach­bar­städ­ten Eschwei­ler und Jü­lich mit 30 be­zie­hungs­wei­se 25 Mann klein ge­we­sen ist. Der letz­te Be­richt des Jah­res 1931 gibt schlie­ß­lich für den Dü­re­ner SA-Sturm ei­ne Mit­glie­der­stär­ke von 73 Mann an. Die im „West­deut­schen Grenz­blat­t“ be­rich­te­te Mit­glie­der­stei­ge­rung un­ter Ar­nold Lent­zen (1902-1956) auf 150 Mann in sei­nem ers­ten hal­ben Jahr als Dü­re­ner Sturm­füh­rer ist als über­trie­ben an­zu­se­hen.

2.2.1 Zen­tra­le Ak­teu­re der frü­hen SA
Die Früh­pha­se der SA-Ak­ti­vi­tä­ten in Dü­ren war stark von lo­ka­len SA-Män­nern und ih­ren per­sön­li­chen Be­zie­hun­gen zu ih­ren „Ka­me­ra­den“ ge­prägt. Pe­ter Lon­ge­rich kon­sta­tiert für die At­trak­ti­vi­tät der SA vor al­lem die „äu­ßerst in­ten­si­ve Bin­dung der Mit­glie­der […] durch das [im] ge­mein­sa­me[n] Er­le­ben ge­präg­te Grup­pen­be­wu­ßt­s­ein“[15] und den all­täg­li­chen Kon­takt der SA-Män­ner un­ter­ein­an­der. Die­ser Ka­me­rad­schafts­ge­dan­ke war in lo­ka­len SA-Stür­men zwar auf ei­ner ho­ri­zon­ta­len Ebe­ne stark aus­ge­prägt, je­doch schon zu be­nach­bar­ten Stür­men und erst recht zur Obers­ten SA-Füh­rung (OSAF) in Mün­chen muss ei­ne gro­ße Dis­tanz be­stan­den ha­ben.[16]

 

Ein wich­ti­ger lo­ka­ler Ak­teur war Ar­nold Lent­zen. Er präg­te als Füh­rer des Dü­re­ner SA-Sturms und spä­ter als Stan­dar­ten­füh­rer seit dem 22.9.1931 die lo­ka­len Ak­ti­vi­tä­ten und war so­mit in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Re­pu­blik ei­ne zen­tra­le Fi­gur der Dü­re­ner na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung. Wie für vie­le der frü­hen SA-Füh­rer cha­rak­te­ris­tisch, be­tä­tig­te sich auch Lent­zen in den 1920er Jah­ren in ver­schie­de­nen völ­ki­schen und pa­ra­mi­li­tä­ri­schen (Wehr-) Ver­bän­den, wie bei­spiels­wei­se im „Frei­korps `Hau­en­stein´ beim ober­schle­si­schen Grenz­schut­z“[17] oder 1924-1927 im „Völ­ki­schen Wan­der­bun­d“ in Aa­chen. Zwar war er als 1902 Ge­bo­re­ner zu jung, um ak­tiv an der Front des Ers­ten Welt­kriegs ge­kämpft zu ha­ben, je­doch wur­de er wie so vie­le an­de­re durch die­sen in sei­nen „Vor­stel­lun­gen von Po­li­tik, Eh­re und Männ­lich­keit stark ge­prägt.“[18] Ge­ra­de sei­ne Vi­ta[19] ist hier­bei ein Pa­ra­de­bei­spiel für ei­ne ge­schei­ter­te Exis­tenz der Nach­kriegs­ge­ne­ra­ti­on, die nach dem Zu­sam­men­bruch des Kai­ser­rei­ches nach Be­tä­ti­gung und In­te­gra­ti­on such­te. In­ter­es­sant ist, dass Lent­zen laut na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ge­schichts­schrei­bung be­reits äu­ßerst früh im Mai 1923 in die Orts­grup­pe Nürn­berg der NS­DAP und auch in die SA ein­trat und „de[n] blu­ti­ge[n] 9. No­vem­ber 1923 […] in den Rei­hen der SA-Män­ner am Kriegs­mi­nis­te­ri­um und an der Feld­her­ren­hal­le in Mün­chen“[20] ge­se­hen ha­ben soll – be­le­gen lässt sich die­se Be­haup­tung aus dem Jah­re 1933 je­doch nicht. Er trat si­cher erst wie­der am 1.1.1931 in Aa­chen in die NS­DAP[21] be­zie­hungs­wei­se am 1.12.1930 in die SA[22] ein. Wäh­rend der so­ge­nann­ten „Kampf­zeit“ wohn­te Ar­nold Lent­zen im Dü­re­ner SA-Heim auf dem Fa­brik­ge­län­de der Fir­ma „Peill & Sohn“ und be­tei­lig­te sich nach­weis­lich an di­ver­sen ge­walt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit po­li­ti­schen Geg­nern der NS­DAP. So ge­riet er bei­spiels­wei­se ei­nen Tag nach den Reichs­tags­wah­len am 1.8.1932 in ei­ne „schwe­re Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen po­li­ti­schen Geg­nern. Da­bei muß der SA-Füh­rer Lent­zen ei­nen hef­ti­gen Schlag ge­gen den Kopf er­hal­ten ha­ben. Er brach blut­über­strömt zu­sam­men und blieb be­sin­nungs­los lie­gen.“[23] Sei­ne „für die Be­we­gung er­lit­te­nen Stra­fen“[24] zeu­gen eben­so von sei­nem ak­ti­ven Ein­satz als „po­li­ti­scher Sol­dat.“ Auch ist sein schnel­ler Auf­stieg von ei­nem ein­fa­chen SA-Mann in Aa­chen bis zum Dü­re­ner Stan­dar­ten­füh­rer in­ner­halb von nur drei Jah­ren bis 1933 be­mer­kens­wert.[25] Dies darf je­doch nicht aus­schlie­ß­lich auf En­ga­ge­ment oder Be­ga­bung sei­ner­seits zu­rück­ge­führt wer­den, son­dern muss auch vor dem Hin­ter­grund der seit 1930 rasch wach­sen­den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung ge­se­hen wer­den. Nach sei­ner Dü­re­ner Zeit mach­te Lent­zen als ei­ner der we­ni­gen be­kann­ten Na­tio­nal­so­zia­lis­ten aus Dü­ren ei­ne Kar­rie­re im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat und stieg 1943 schlie­ß­lich bis zum SA-Bri­ga­de­füh­rer in Ber­lin-Bran­den­burg[26] auf. Die Dü­re­ner SA-Stan­dar­te 161 führ­te er bis zum 28.2.1935.

Porträt von Arnold Lentzen im Westdeutschen Beobachter, 28.12.1933. (Stadt- und Kreisarchiv Düren)

 

Ein zwei­ter wich­ti­ger Dü­re­ner SA-Mann war der be­reits am 23.1.1931 ver­stor­be­ne Na­tio­nal­so­zia­list Paul The­wel­lis (1905-1931), des­sen Tod für die lo­ka­le na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Be­we­gung ei­nen gro­ßen Stel­len­wert ein­ge­nom­men hat. Die Dü­re­ner Zei­tung be­rich­te­te am 26.1.1931 über sei­ne „Be­er­di­gung als po­li­ti­sche De­mons­tra­ti­on“, bei der „ne­ben dem Sarg SA-Leu­te in Braun­hem­den Auf­stel­lung ge­nom­men [hat­ten]“[27], die trotz des preu­ßi­schen Uni­form­ver­bo­tes und des Ein­schrei­tens des Pfar­rers wie­der­holt ver­such­ten, die Be­er­di­gung pro­pa­gan­dis­tisch für sich aus­zu­nut­zen. Es wur­den Ge­rüch­te über ei­nen An­griff durch Kom­mu­nis­ten er­zählt, an des­sen Fol­gen er we­ni­ge Ta­ge spä­ter ver­stor­ben sein soll. Doch wie Wall­raff fest­stellt, ist Paul The­wel­lis „an ei­ner pro­fa­nen Er­käl­tung […]“[28] ge­stor­ben, nach­dem ihn sein Va­ter we­gen sei­ner na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­tä­ti­gung aus dem Haus ge­wor­fen hat­te. In den fol­gen­den Jah­ren des „Drit­ten Reichs“ kann an die­sem lo­ka­len To­des­fall die Sti­li­sie­rung ver­stor­be­ner „Ka­me­ra­den“ zu Mär­ty­rern und „Blut­zeu­gen der Be­we­gun­g“[29] nach­ver­folgt wer­den. „Das Le­ben der To­ten [wur­de] in der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pres­se […] als ver­meint­lich hel­den­haf­tes Wir­ken für die Be­we­gung [ge­schil­dert und] den Über­le­ben­den zum Vor­bild und als Ver­pflich­tung ge­ge­ben [wird].“[30] Dies ist auch in der Lo­kal­pres­se Dü­rens nach­zu­ver­fol­gen: „Paul The­wel­lis hat­te kei­ne Zeit, sich von sei­nen Ver­let­zun­gen rest­los zu er­ho­len: Es gab Ar­beit über Ar­beit im Kampf um den Sieg un­se­res Füh­rers. Tag und Nacht mu­ß­ten die we­ni­gen […] ar­bei­ten und so war auch Paul The­wel­lis rast­los un­ter­wegs: Flug­blät­ter ver­tei­len, Pla­ka­te an­kle­ben, das `Grenz­blatt´ in die Häu­ser brin­gen […].“[31] Über sei­ne letz­ten Ta­ge wird wei­ter be­rich­tet: „Er gab je­dem von uns die Hand und sag­te, wir soll­ten im­mer treu zu Hit­ler hal­ten. Das wa­ren die letz­ten Wor­te, die wir von Paul The­wel­lis hör­ten.“[32] Doch spä­ter wur­de sein Ge­den­ken in ei­nen neu­en Kon­text um die reichs­wei­ten Trau­er- und Ge­denk­fei­ern des 9. No­vem­ber ver­scho­ben. Der lo­ka­le To­ten­kult um The­wel­lis weist gro­ße Par­al­le­len zum reichs­wei­ten Kult um Horst Wes­sel (1907-1930) auf, wie bei­spiels­wei­se die Um­deu­tung sei­ner To­des­um­stän­de als ei­ne Kon­se­quenz ei­ner „ein­sei­ti­ge[n] kom­mu­nis­ti­sche[n] Be­dro­hun­g“ und der ein­fa­che SA-Mann als „Vor­kämp­fer für Recht und Ord­nun­g“[33] zei­gen. Hier ist es letzt­lich zu ei­ner Aus­schlach­tung lo­ka­ler Ge­ge­ben­hei­ten ge­kom­men, um der Be­völ­ke­rung lo­ka­le Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren und Ri­tua­le an­zu­bie­ten.[34]

2.2.2 Me­tho­den des SA-Ter­rors in der so­ge­nann­ten Kampf­zeit
Nach der Wie­der­be­grün­dung der SA im Jah­re 1925 ent­wi­ckel­te sie ei­ne neue Funk­ti­on als Par­tei­ar­mee, die nun pri­mär dem Mit­glie­der­ge­winn und der Ein­schüch­te­rung po­li­ti­scher Geg­ner dien­te. Lon­ge­rich be­schreibt die­se Neu­aus­rich­tung als ei­nen neu­en „Stil der po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung, [der sich] […] als ei­ne Mi­li­ta­ri­sie­rung der Po­li­tik be­zeich­nen lä­ßt.“[35] Da­bei kann das Auf­tre­ten der SA in der Öf­fent­lich­keit grund­sätz­lich zwi­schen phy­si­scher Ge­walt und sym­bo­li­scher Ge­walt un­ter­schie­den wer­den.[36] Die Tren­nung von SA-Auf­marsch und Stra­ßen­schlacht war je­doch nur dünn.

Am 17.6.1932 – nur drei Ta­ge nach der Auf­he­bung des reichs­wei­ten SA-Ver­bots – de­mons­trier­te die Dü­re­ner SA ih­re Ge­walt­be­reit­schaft bei ei­ner Ver­samm­lung der NS­DAP in Bir­kes­dorf. Im Zu­ge ei­ner Ver­an­stal­tung der Orts­grup­pe kam es zu ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen lo­ka­len Kom­mu­nis­ten und SA-An­ge­hö­ri­gen. Da die SA-Män­ner den Kom­mu­nis­ten den Ein­tritt ver­wehrt ha­ben sol­len, ent­brann­te ein hit­zi­ger Wort­wech­sel, aus dem sich ei­ne Schlä­ge­rei ent­wi­ckel­te. In der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Zei­tung wird be­schrie­ben, dass „[d]ie Sach­la­ge […] er­heb­lich ver­schärft [wur­de], als ein Trupp Na­tio­nal­so­zia­lis­ten von Dü­ren kam und von den Kom­mu­nis­ten mit Pflas­ter­stei­nen, die am Stra­ßen­rand la­gen, be­wor­fen wur­de. […] [I]nfol­ge­des­sen ent­wi­ckel­te sich ei­ne re­gel­rech­te Schlacht […].“[37] Dies zeigt, mit wel­cher Tak­tik die SA agier­te: Sie zog fle­xi­bel be­nach­bar­te Stür­me als Re­ak­ti­on auf ei­nen An­griff zur Ver­stär­kung her­an.[38] Die Quel­len­la­ge lässt kei­ne ein­deu­ti­ge Klä­rung der Sach­la­ge mehr zu. Doch ist an die­sem Vor­fall ein wei­te­rer As­pekt der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Vor­ge­hens­wei­se zu be­ob­ach­ten: Die SA hat seit 1929 ge­zielt ih­re Ver­an­stal­tun­gen in tra­di­tio­nel­le Ar­bei­ter­vier­tel ge­legt, um sich bei ge­walt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen als Op­fer dar­zu­stel­len. Auch Bir­kes­dorf war 1932 ein Zen­trum der Ar­bei­ter­be­we­gung.[39] Un­ter die­sem As­pekt scheint es glaub­wür­dig, dass „sich wohl die ge­sam­te Bir­kes­dor­fer Ar­bei­ter­be­völ­ke­rung ge­gen die Na­zis wand­te.“

Ein ähn­li­cher Vor­fall er­eig­ne­te sich knapp ei­nen Mo­nat spä­ter am 10.7.1932 nach ei­nem Pro­pa­gan­da­marsch der SA.[40] Da­bei grif­fen auf zwei Last­wa­gen sit­zen­de SA-Män­ner auf der Ti­vo­li­stra­ße zu­fäl­lig vor­bei­kom­men­de Kom­mu­nis­ten an. Die SA-Män­ner „be­war­fen die Kom­mu­nis­ten mit schwe­ren Pflas­ter­stei­nen, die sie auf ih­ren Au­tos mit­ge­führt (!) [sic!] hat­ten.“[41] Dies zeigt ein­deu­tig, dass be­reits wäh­rend der Vor­be­rei­tung des Auf­mar­sches ei­ne ge­walt­sa­me Kon­fron­ta­ti­on ein­kal­ku­liert wor­den war. Die SA-Män­ner fuh­ren nach dem An­griff wei­ter nach Aa­chen. So zei­gen die­se Vor­fäl­le, dass ge­ra­de in der Kampf­zeit ge­gen­sei­ti­ge Un­ter­stüt­zung, ho­he Mo­bi­li­tät und spon­ta­ne Ge­walt­aus­brü­che die Grund­pfei­ler des SA-Ter­rors ge­we­sen sind. Die­se Me­tho­den schreck­ten je­doch ei­nen er­heb­li­chen Teil der Be­völ­ke­rung ab. Um dem ent­ge­gen­zu­wir­ken, wur­de auch auf die In­sze­nie­rung der SA als ei­ne für­sorg­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on ge­ach­tet. Hier­für sei­en SA-Kü­chen oder auch Sport­fes­te[42] bei­spiel­haft er­wähnt. Im Sep­tem­ber 1933 er­öff­ne­te die Dü­re­ner SA-Stan­dar­te schlie­ß­lich ei­ne in der Ar­nolds­wei­ler Stra­ße zen­tral ge­le­ge­ne SA-Kan­ti­ne, die „al­len SA-Män­nern und dar­über hin­aus al­len be­dürf­ti­gen Volks­ge­nos­sen ein bil­li­ges, kräf­ti­ges und schmack­haf­tes Es­sen“[43] bot.

Doch han­del­ten SA-Män­ner zum Teil ei­gen­stän­dig und ent­ge­gen der von Hit­ler ge­for­der­ten be­din­gungs­lo­sen Un­ter­ord­nung als blo­ße Hilfs­grup­pe der NS­DAP. Am 2.11.1932 stieg der Dü­re­ner SA-Mann Karl Koch (1908-?) in das Ge­werk­schafts­haus in der da­ma­li­gen Ei­sen­bahn­stra­ße ein, um die Fah­ne der Ei­ser­nen Front zu steh­len. Da­bei schoss er bei sei­ner Flucht im Haus mehr­fach um sich und ver­letz­te an­we­sen­de Mit­glie­der der Ei­ser­nen Front zum Teil schwer.[44] In­ter­es­sant ist an die­sem Vor­fall vor al­lem die Re­ak­ti­on der Dü­re­ner NS­DAP, die sich von der Ak­ti­on dis­tan­zier­te und den Vor­fall als „Dum­men-Jun­gen­streich“[45] be­zeich­ne­te, der nicht von ihr or­ga­ni­siert wur­de. Ins­ge­samt zeigt sich ein ers­tes In­diz für die Ent­wick­lung ei­ner la­ten­ten Ge­walt­be­reit­schaft in­ner­halb der SA-Ba­sis, die bis 1934 als un­kon­trol­lier­ba­rer Ak­tio­nis­mus im­mer pro­ble­ma­ti­scher wer­den soll­te.

2.2.3 Ver­flech­tun­gen der SA im Dü­re­ner Raum
Am 9.9.1931 ord­ne­te der Aa­che­ner Re­gie­rungs­prä­si­dent an, dass der Dü­re­ner Land­rat Be­richt über SA-Hei­me in sei­nem Land­kreis er­stat­ten soll­te. Da­zu schreibt er wei­ter: „Es soll sich da­bei um ei­ne ka­ser­nen­mäs­si­ge Un­ter­brin­gung ge­schlos­se­ner SA-Grup­pen han­deln […]. Da­mit wer­den sol­che SA-Hei­me aber noch­mehr [sic!] als es bis­her schon die so­ge­nann­ten Ver­kehrs­lo­ka­le ge­we­sen sind, zu be­denk­li­chen Ge­fah­ren­quel­len [sic!] für die öf­fent­li­che Si­cher­heit.“[46] Der Land­rat ant­wor­te­te am 15.10.1931, „dass die NS­DAP-Orts­grup­pe Dü­ren jetzt in ei­nem ihr von der Fir­ma Peill & Sohn (Glas­hüt­ten­wer­ke) hier, Glas­hüt­ten­stras­se [sic!] zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Raum […] ein SA-Heim ein­ge­rich­tet hat. Es woh­nen dort 4 Per­so­nen.“[47] Der Dü­re­ner In­dus­tri­el­le Leo­pold Peill (1872-1941)[48], Be­sit­zer des Glas­hüt­ten­werks, ent­wi­ckel­te sich so schon früh zu ei­nem der wich­tigs­ten Un­ter­stüt­zer des lo­ka­len SA-Sturms und er­mög­lich­te die­sem sei­ne Ak­ti­vi­tät un­ge­stört aus­üben zu kön­nen. Da­bei ist die Be­deu­tung ei­nes SA-Heims nicht bloß auf ei­ne rein ma­te­ri­el­le Di­men­si­on zu be­schrän­ken wie kos­ten­lo­se Un­ter­kunft und Ver­pfle­gung. Die Vor­tei­le sind ei­ner­seits be­grün­det in tak­ti­schen Über­le­gun­gen, ei­ne hoch­mo­bi­le SA-Grup­pe für ei­nen Ein­satz schnell hin­zu­zu­zie­hen.[49]  An­de­rer­seits bie­tet das SA-Heim ei­nen ge­schütz­ten So­zi­al­raum, um den in­ne­ren Zu­sam­men­halt durch per­sön­li­che Be­zie­hun­gen und den Aus­tausch ge­mein­sa­mer Er­fah­run­gen zu stär­ken. Die SA ent­wi­ckel­te sich so für die SA-Män­ner zu ei­nem „so­zia­len Netz, das Zü­ge ei­ner Er­satz­fa­mi­lie an­neh­men konn­te.“[50] 

2.3 Die Rol­le der SA und des SA-Ter­rors bei der so­ge­nann­ten Gleich­schal­tung
Auch nach der Macht­über­nah­me am 30.1.1933 in Ber­lin än­der­te die SA ih­re Vor­ge­hens­wei­se und Me­tho­den nicht grund­le­gend. Wei­ter­hin wa­ren pro­pa­gan­dis­ti­sche Auf­mär­sche ein ef­fek­ti­ves Mit­tel der SA, um ih­re Be­stre­bun­gen nach ei­ner um­fas­sen­den Re­vo­lu­ti­on durch­zu­set­zen. Dies zeig­te sich in Dü­ren ein­drucks­voll nach den Reichs- und Land­tags­wah­len im März 1933 – die „Macht­er­grei­fung“ hin­ge­gen er­zeug­te in Dü­ren nur we­nig Auf­se­hen. So be­rich­tet die „Dü­re­ner Zei­tun­g“ nach den März­wah­len: „Ges­tern mit­tag mar­schier­te die Dü­re­ner SA und SS vor dem Rat­haus auf. […] Die Füh­rung der […] Par­tei und der SA wur­de beim Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Ernst Over­hu­es (1877-1972) vor­stel­lig und ver­lang­te sei­nen Rück­tritt.“[51] Der drau­ßen vor dem Rat­haus war­ten­de SA-Zug skan­dier­te in­mit­ten ei­ner ver­sam­mel­ten Men­schen­men­ge den Rück­tritt des Ober­bür­ger­meis­ters, der „ir­ri­tiert und be­ein­druckt von der si­nis­tren Be­dro­hung durch die ge­walt­be­rei­te SA“[52] sei­ne Loya­li­tät be­kun­de­te. Am Nach­mit­tag er­schien wie­der­um ein SA-Zug zu­sam­men mit den Po­li­ti­schen Lei­tern vor dem Rat­haus, wie­der­um ver­lang­te ei­ne Ab­ord­nung von SA-Män­nern und Po­li­ti­schen Lei­tern sei­nen Rück­tritt, wie­der­um wur­den sie „un­ter­stützt vom `hun­dert­stim­mi­gen Sprech­chor´ der SA […].“[53] Schlie­ß­lich reich­te der Ober­bür­ger­meis­ter un­ter Pro­test noch am sel­ben Tag sei­ne Be­ur­lau­bung ein. An die­ser Sze­ne ist deut­lich zu er­ken­nen, dass die SA durch ei­ne mas­sen­wirk­sam de­mons­trier­te Über­macht die Am­bi­tio­nen der NS­DAP wirk­sam un­ter­stüt­zen konn­te. Die Hilf­lo­sig­keit des Dü­re­ner Stadt­ober­haupts mach­te sich auch be­merk­bar, als der Ober­bür­ger­meis­ter spä­ter in ei­nem Brief an die lo­ka­le Zen­trums­ver­samm­lung schrieb, dass „[…] mir er­klärt wor­den war, daß bei eventu[el­lem] Wi­der­stand po­li­zei­li­cher Schutz nicht zur Ver­fü­gung ste­he […].“ Ei­ne ver­gleich­ba­re Si­tua­ti­on spiel­te sich an die­sem Tag auch im Land­rats­amt ab, wo der Dü­re­ner Land­rat Paul Schaaff (1885-1966) eben­falls zum Ein­rei­chen sei­ner Be­ur­lau­bung un­ter mas­si­vem Ein­fluss der SA ge­zwun­gen wur­de.[54]

Ge­gen­über der star­ken ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung be­ab­sich­tig­te die SA ih­re Sym­pa­thi­en und Ver­trau­en zu ge­win­nen. Bei der all­jähr­lich am 30. April statt­fin­den­den Ma­ri­en­wall­fahrt zum so­ge­nann­ten Mut­ter­got­tes­häus­chen in Dü­ren „be­weg­te sich […] ein ge­wal­ti­ger Zug be­tend und sin­gend durch die […] Zül­pi­cher­stra­ße, vor­an die kath[oli­sche] Ju­gend, […] ein SS- und SA-Zug und dann die vie­len […] gläu­bi­gen Män­ner mit kirch­li­chen und Ver­eins­fah­nen.“[55] Da­bei er­scheint die­ser Um­stand vor dem Hin­ter­grund der kir­chen­feind­li­chen Po­li­tik der Par­tei pa­ra­dox. Doch war­um ha­ben die SA-Män­ner an der Wall­fahrt teil­ge­nom­men? Es er­scheint plau­si­bel, den Blick ei­ner­seits auf die in Dü­ren aus­ge­präg­te ka­tho­li­sche Ver­eins­struk­tur zu len­ken, die gleich­ge­schal­tet wer­den soll­te, an­de­rer­seits auf die ein­fa­che Ebe­ne der Sym­pa­thie­ge­win­nung. Dies äu­ßer­te sich bei­spiel­haft auch beim Rück­marsch der Wall­fah­rer zur Stadt, die von Fa­ckeln be­glei­tet wur­den. Es war der Ver­such, ei­ne di­rek­te Ver­bin­dung zwi­schen dem ka­tho­li­schen Glau­ben und der zu­vor ge­sche­he­nen Macht­über­nah­me her­zu­stel­len. So stell­te ein Jour­na­list der „Dü­re­ner Zei­tun­g“ fest, dass die teil­neh­men­den Ka­tho­li­ken so ih­re „aus re­li­giö­sen Im­pul­sen er­wach­sen­de Be­reit­schaft […] in gan­zer Hin­ga­be [der] va­ter­län­di­sche[n] Ge­mein­schaft zu die­nen“[56] sym­bo­li­sier­ten.

Nach der Macht­über­nah­me er­lang­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die Kon­trol­le über das staat­li­che Ge­walt­mo­no­pol und konn­ten so­mit ih­re ideo­lo­gi­schen Geg­ner ge­zielt ver­fol­gen. Hier wird ex­em­pla­risch die Zer­schla­gung der Ge­werk­schaf­ten und der Ar­bei­ter­be­we­gung seit Mai 1933 be­trach­tet, über die durch um­fang­rei­che Ge­richts­pro­zes­se aus der Nach­kriegs­zeit ein de­tail­lier­ter Ein­druck mög­lich ist.

Reichs­weit er­folg­te in den Ta­gen nach dem 1. Mai die sys­te­ma­tisch ge­plan­te Zer­schla­gung der Ge­werk­schaf­ten. Nicht nur Kom­mu­nis­ten und Mit­glie­der der Ei­ser­nen Front, son­dern auch ein­fa­che Ge­werk­schaft­ler und So­zi­al­de­mo­kra­ten wur­den ab dem 3.5.1933 sys­te­ma­tisch ver­haf­tet und ver­folgt. Das spiel­te sich auch in Dü­ren ab, bei der die lo­ka­len SA-Stür­me nicht nur rein Be­feh­le aus­füh­ren­de Kräf­te wa­ren, son­dern auch selbst­stän­dig agier­ten. Bei­na­he bei­läu­fig be­rich­tet die Lo­kal­pres­se am 4.5.1933 dar­über, dass die „SA und SS […] im Lau­fe des gest­ri­gen Ta­ges die Ge­werk­schafts­bü­ros der Frei­en Ge­werk­schaf­ten […] [be­setz­ten] und […] Ge­werk­schafts­se­kre­tä­re und Füh­rer in Schutz­haft ge­nom­men [ha­ben].“[57] Zu die­sem Zeit­punkt star­te­te die SA ihr Vor­ge­hen, wel­ches je­doch be­reits zu­vor am 7.4.1933 spo­ra­disch be­gon­nen hat­te. So be­setz­te die SA an die­sem Tag das Fried­rich-Ebert-Heim, wel­ches der Ar­bei­ter­wohl­fahrt ge­hör­te und schlie­ß­lich von der SA und SS in „Schla­ge­ter­heim“ um­be­nannt wur­de. Es dien­te dem städ­ti­schen SA-Sturm 2/161 als neu­es SA-Heim mit­ten in der In­nen­stadt.[58] 

Die­ses neue SA-Heim in der Wer­ner­stra­ße ent­wi­ckel­te sich in den Mo­na­ten von Mai bis Ju­li 1933 zum Mit­tel­punkt des Dü­re­ner SA-Ter­rors, „wo sie [die SA-Leu­te] fort­lau­fend sys­te­ma­tisch und in ent­wür­di­gen­der Wei­se“[59] ih­re Op­fer mit äu­ßers­ter Bru­ta­li­tät und Schi­ka­ne miss­han­del­ten. Da­bei tra­ten vor al­lem SA-Män­ner nie­de­rer Rän­ge in den Vor­der­grund.[60] Im Pro­to­koll des Nach­kriegs­pro­zes­ses wird ein ein­dring­li­ches Bild ge­zeich­net: So „dran­gen 10-15 SA-Leu­te […] in die Woh­nun­g“[61]  ei­nes Op­fers ein und ver­schlepp­ten die­ses in das „Schla­ge­ter­heim.“ In ei­nem Kreis ste­hen­de SA-Mit­glie­der be­nutz­ten „als Schlag­waf­fen […] Stahl­fe­dern, Kop­pel und Rie­men, ei­ni­ge hat­ten auch Stuhl­bei­ne in der Hand.“[62] Die Op­fer wur­den zum Teil „auf ei­nen Mann­schaft­s­tisch ge­legt und […] mit Schul­ter­rie­men und Kop­peln ge­schla­gen […].“[63] Ein Op­fer be­rich­te­te wei­ter, dass es mehr­fach „bis zur Be­wu­ßt­lo­sig­keit ge­schla­gen [wur­de].“[64] Die Op­fer muss­ten schlie­ß­lich ei­ne Er­klä­rung un­ter­zeich­nen, dass „[sie] von der SA in kei­ner Wei­se mi­ßhan­delt wor­den sei­en, son­dern aus dem Au­to ge­fal­len sei[en] […].“[65] Die­se Vor­ge­hens­wei­se, be­ste­hend aus ei­nem plötz­li­chen Über­fall in der ei­ge­nen Woh­nung, der Ver­schlep­pung in das „Schla­ge­ter­heim“ und der Miss­hand­lung ab­seits der Öf­fent­lich­keit, war ein sich wie­der­ho­len­des Mus­ter, das viel­fach an­ge­wen­det wur­de. Da­bei wird wei­ter be­rich­tet, dass „an­de­re SA-Män­ner [die im Raum an­we­send wa­ren] sin­gen muss­ten, da­mit die Schreie nicht auf der Stra­ße ge­hört wer­den soll­ten.“[66] Zwei­fels­oh­ne stel­len die be­schrie­be­nen Si­tua­tio­nen ei­ne neue Di­men­si­on des SA-Ter­rors dar, da po­li­ti­sche Geg­ner aus der „Kampf­zeit“ nicht ein­mal mehr in ih­ren Woh­nun­gen si­cher wa­ren und die SA in ei­ge­ner Sa­che po­li­zei­ähn­li­che Er­mitt­lun­gen un­ter­nahm, oh­ne da­bei je­doch gel­ten­des Recht und Mo­ral zu ach­ten. Es darf je­doch nicht au­ßer Acht ge­las­sen wer­den, dass die Bru­ta­li­tät der Dü­re­ner SA im Ver­gleich zu SA-Stür­men in an­de­ren Städ­ten nicht her­vor­sticht, son­dern sich ganz der durch die Par­tei pro­pa­gier­ten Här­te beim Vor­ge­hen ge­gen die po­li­ti­schen Geg­ner un­ter­ord­ne­te.

Auch ge­gen die jü­di­sche Be­völ­ke­rung Dü­rens ging die SA nach der Macht­über­nah­me öf­fent­lich vor. So führ­te sie am 1.4.1933 ei­nen Boy­kott ge­gen jü­di­sche Ge­schäf­te durch, bei dem die SA durch die Stadt pa­trouil­lier­te und an den Ein­gän­gen der Ge­schäf­te und Lä­den Pos­ten auf­stell­te.[67] Jü­di­sche Ge­schäfts­be­sit­zer be­rich­te­ten spä­ter, dass ih­re An­ge­stell­ten durch die SA-Pos­ten ver­ängs­tigt wa­ren und in der Fol­ge­zeit ein er­heb­li­cher Teil der Kund­schaft aus­blieb.[68]

2.4 Dis­zi­plin­lo­sig­keit und la­ten­te Ge­walt­be­reit­schaft
Mit­te des Jah­res 1933 stand die SA im Ze­nit ih­rer Macht. Im Som­mer 1934 folg­te je­doch mit der plötz­li­chen Er­mor­dung Ernst Röhms (1887-1934) ein wei­te­res zen­tra­les Er­eig­nis in der SA-Ge­schich­te. Nach der Ver­kün­dung des of­fi­zi­el­len En­des der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­vo­lu­ti­on kehr­te in die Rei­hen der SA kei­ne Ru­he ein. Ei­ner­seits for­der­te Röhm als Stabs­chef der SA wie­der­holt ei­ne Fort­set­zung der Re­vo­lu­ti­on, an­de­rer­seits kehr­te die „tris­te Nor­ma­li­tät“[69] des All­tags für vie­le SA-Mit­glie­der wie­der zu­rück, nach­dem wei­te Tei­le des Staa­tes und der Ge­sell­schaft er­folg­reich „gleich­ge­schal­te­t“ wor­den wa­ren. Die Si­tua­ti­on ei­nes stän­di­gen Un­ru­he­her­des mach­te sich in Dü­ren vor al­lem auf der Ebe­ne der SA-Stür­me in Form von Dis­zi­plin­lo­sig­keit, Amts­an­ma­ßun­gen und Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen ein­zel­ner SA-Män­ner be­merk­bar.

Zu Be­ginn des staat­lich ge­deck­ten SA-Ter­rors leg­ten Ver­tre­ter der Kom­mu­nal­re­gie­rung kei­ne Be­schwer­den ein. Doch be­reits im Ju­li 1933 be­schwer­te sich bei­spiels­wei­se der kom­mis­sa­ri­sche Bür­ger­meis­ter der Ge­mein­de Mer­kens über ei­gen­mäch­ti­ge Haus­durch­su­chung bei SPD-Mit­glie­dern durch An­ge­hö­ri­ge der SA.[70] Sol­che nicht le­gi­ti­mier­ten Ak­tio­nen der SA gin­gen gar so­weit, dass der da­mals für Dü­ren zu­stän­di­ge Stan­dar­ten­füh­rer der Aa­che­ner Stan­dar­te 25 an­ord­ne­te, dass „Ak­tio­nen […] nur dann von der SA un­ter­nom­men wer­den [dür­fen], wenn sie im Ein­ver­neh­men mit der zu­stän­di­gen Be­hör­de […] aus­ge­führt wer­den.“[71] Ähn­li­che Be­schwer­den häuf­ten sich in den Mo­na­ten nach Ju­li 1933 im­mer wei­ter.

Die Zu­nah­me of­fi­zi­el­ler Be­schwer­den seit Ju­li 1933 ist ein Hin­weis dar­auf, dass nach dem ver­kün­de­ten En­de der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­vo­lu­ti­on ver­sucht wur­de, der SA Gren­zen zu set­zen. Doch stei­ger­ten sich die Amts­an­ma­ßun­gen im Lau­fe der Jah­re 1933 und 1934 so weit, dass schlie­ß­lich das po­li­zei­li­che Ge­walt­mo­no­pol un­ter­mi­niert zu wer­den droh­te. Ein ex­em­pla­ri­scher Vor­fall er­eig­ne­te sich im Amt Kreu­zau, wo im April 1934 der lo­ka­le SA-Sturm­füh­rer Jo­sef Haahs bei der Po­li­zei vor­sprach und for­der­te, dass zwei fest­ge­nom­me­ne SA-Män­ner sei­nes Sturms „[…] nicht der po­li­zei­li­chen Straf­ge­walt [un­ter­stän­den].“[72] Ähn­lich hat­te sich be­reits im Sep­tem­ber 1933 der Füh­rer des SA-Sturms aus Kreu­zau aus­ge­drückt.[73] Hier ist die la­ten­te Ge­walt­be­reit­schaft und die Miss­ach­tung par­tei­po­li­ti­scher Vor­ga­ben des Le­ga­li­täts­kur­ses deut­lich zu er­ken­nen.

Über ein­zel­ne Mo­ti­ve für sol­che Grenz­über­schrei­tun­gen lässt sich zwar nur mut­ma­ßen, doch dür­fen die in der For­schung her­aus­ge­ar­bei­te­ten all­ge­mei­nen Be­weg­grün­de auch für Dü­ren gel­ten: Ein Ge­fühl der Macht be­grün­de­te den An­spruch auf die Eta­blie­rung der SA als ei­nen neu­en staat­li­chen Macht­fak­tor ne­ben Po­li­zei und Reichs­wehr[74], die Durch­set­zung der Mit­be­stim­mungs­for­de­run­gen ge­gen­über der NS­DAP[75] und die Su­che nach neu­en Be­tä­ti­gungs­fel­dern[76] nach­dem das eins­ti­ge Haupt­be­tä­ti­gungs­feld des Wahl­kamp­fes nicht mehr nö­tig wur­de.

Doch auch zwi­schen SA und SS ist es zu Ge­walt­aus­brü­chen ge­kom­men, wie bei­spiels­wei­se das Vor­ge­hen von SS-An­ge­hö­ri­gen im Ju­li 1933 zeigt, die ei­nen Streit zwi­schen zwei SA-Män­nern so ge­walt­sam be­en­de­ten, dass ein SA-Mann bis zur Un­kennt­lich­keit miss­han­delt wur­de.[77] So wies eben­so der Dü­re­ner Land­rat im Ja­nu­ar 1934 dar­auf hin, dass bei Ver­haf­tun­gen uni­for­mier­ter SA-Män­ner dar­auf ge­ach­tet wer­den sol­le, dass das „An­se­hen der Uni­form kei­nes­falls an­gän­gig […] der Be­we­gung ab­träg­li­chen Kri­tik An­lass gibt.“[78] Da sich das grund­le­gen­de Ver­hal­tens­pro­blem mit sol­chen An­wei­sun­gen nicht lö­sen ließ, spitz­te sich letzt­lich die in­nen­po­li­ti­sche Si­tua­ti­on im ers­ten Halb­jahr 1934 dras­tisch zu. Pro­ble­ma­tisch für die NS­DAP wa­ren dem­nach vor al­lem die Ge­fähr­dung der ge­ra­de erst „er­reich­te[n] Ver­stän­di­gungs­ba­sis mit den kon­ser­va­ti­ven Kräf­ten in Be­am­ten­tum, Reichs­wehr und Wirt­schaft.“[79] Nach dem Wech­sel der OSAF im Ju­ni 1934 be­ru­hig­te sich die La­ge je­doch lang­fris­tig.

Todesanzeige für Paul Thewellis in der Dürener Zeitung, 24.1.1931. (Stadt- und Kreisarchiv Düren)

 

2.4.1 Re­ak­tio­nen auf den so­ge­nann­ten Röhm-Putsch
Pro­mi­nent prä­sen­tie­ren die „Dü­re­ner Zei­tun­g“ und der „West­deut­sche Be­ob­ach­ter“ auf ih­ren Ti­tel­sei­ten am 2.7.1934 ver­schie­de­ne Er­las­se und Be­feh­le von Adolf Hit­ler und des­sen neu­em SA-Stabs­chef Vik­tor Lut­ze (1890-1943), in de­nen ei­ner­seits das Vor­ge­hen ge­gen die ver­meint­lich ver­rä­te­ri­sche OSAF un­ter Ernst Röhm in der Nacht des 30.6.1934 ge­recht­fer­tigt wird und an­de­rer­seits die SA-Mit­glie­der zur Treue dem Füh­rer ge­gen­über und zur Dis­zi­plin auf­ge­ru­fen wer­den. Im Ge­gen­satz zu ei­ner dra­ma­ti­schen Dar­stel­lung der Er­eig­nis­se im Reich wird im Lo­kal­teil fest­ge­stellt, dass „völ­li­ge Ru­he auch in Dü­ren“[80]  ge­herrscht ha­be und die Er­eig­nis­se der Vor­ta­ge kei­ne nen­nens­wer­ten Re­ak­tio­nen her­vor­ge­ru­fen hät­ten. Die Stim­mung in der Be­völ­ke­rung Dü­rens wird dar­in als ru­hig be­schrie­ben und es wird wei­ter be­rich­tet, dass den lo­ka­len Fei­er­lich­kei­ten zum „gro­ßen Bun­des­fest der Schüt­zen­bru­der­schaf­ten des Krei­ses Dü­ren und [dem] Re­gi­ments­tag der ehem[ali­gen] 460er“[81]  mehr Auf­merk­sam­keit zu­teil ge­wor­den sei.

Die­ser Kon­trast zeigt, dass die Aus­schal­tung der OSAF in Mün­chen in der Pro­vinz­stadt Dü­ren kei­ne un­mit­tel­ba­ren Fol­gen hat­te. So blieb der Stan­dar­ten­füh­rer Ar­nold Lent­zen wei­ter im Amt und auch in­ner­halb der ein­zel­nen SA-Stür­me ist es nicht zu Un­ru­hen ge­kom­men. Als mit­tel­fris­ti­ge Fol­ge der Er­eig­nis­se En­de Ju­ni 1934 ist je­doch auch in Dü­ren zu be­ob­ach­ten, dass das Ziel der „SA-Re­or­ga­ni­sa­ti­on […] [mit der] Ver­rin­ge­rung der SA-Stär­ke durch die sys­te­ma­ti­sche Säu­be­rung der Mit­glied­schaf­t“[82] ein­setz­te. Mo­ti­va­ti­on hin­ter die­sem Rück­bau war die Be­sei­ti­gung ei­nes zu­neh­mend un­kal­ku­lier­ba­ren Ri­si­kos in­ner­halb der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung. In in­ter­nen Sta­tis­ti­ken der Dü­re­ner SA-Stan­dar­te aus dem De­zem­ber 1934[83]  wird be­rich­tet, dass die Dü­re­ner SA ins­ge­samt von 2.922 auf 2.197 Mit­glie­dern ge­schrumpft sei, was ei­nem Rück­gang von 725 Mit­glie­dern in nur vier­ein­halb Mo­na­ten ent­spricht. Un­ter den ent­las­se­nen SA-An­ge­hö­ri­gen be­fan­den sich le­dig­lich fünf SA-Män­ner, die be­reits vor der Macht­über­nah­me Mit­glied in der Or­ga­ni­sa­ti­on ge­we­sen wa­ren. Dem­ge­gen­über wur­den 341 Män­ner we­gen „In­ter­es­sen­lo­sig­keit“, 300 wei­te­re we­gen „vor­läu­fi­gen Aus­schlus­ses“, sie­ben we­gen „schwe­re[r] Vor­stra­fen“ und schlie­ß­lich 23 we­gen „kör­perl[icher] Un­taug­lich­keit“ ent­las­sen. Die auf­ge­führ­ten Grün­de zei­gen ein­deu­tig, dass es sich hier­bei um den Ver­such han­del­te, die SA-Mann­schaf­ten zu dis­zi­pli­nie­ren und stö­ren­de Mit­glie­der los­zu­wer­den. Zwar lag der Mit­glie­der­rück­gang der Dü­re­ner SA-Stär­ke mit 24,8 Pro­zent deut­lich hin­ter dem reichs­wei­ten Durch­schnitt von 38,5 Pro­zent, doch ist die Ten­denz ei­ner dras­ti­schen Re­du­zie­rung ein­deu­tig die­sel­be.

2.4.2 Wehr­sport als Kom­pen­sa­ti­on des Be­deu­tungs­ver­lus­tes?
Die wohl tief­grei­fends­te Fol­ge des so­ge­nann­ten Röhm-Put­sches war der Um­stand, dass die SA schlag­ar­tig ei­nen Be­deu­tungs­ver­lust in­ner­halb des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staa­tes hin­neh­men muss­te. Die neue Füh­rung der SA stand mit der au­gen­schein­li­chen Funk­ti­ons­lo­sig­keit der Par­tei­ar­mee vor ei­nem Di­lem­ma. Hin­zu kam ei­ne im­mer stär­ker wer­den­de Kon­kur­renz zu an­de­ren na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen. Zwar wur­de die SA schon 1934 als „Haupt­trä­ger der vor- und nach­mi­li­tä­ri­schen Wehrer­zie­hun­g“[84] aus­ge­wie­sen, doch stand sie mit dem ihr ein­zig ver­blie­be­nen Be­tä­ti­gungs­feld des Wehr­sports in gro­ßer Kon­kur­renz zu den klas­si­schen Sport­ver­ei­nen und den Schüt­zen. Da­bei wird auch in der For­schung er­staunt dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die SA in den Jah­ren bis 1938 ein brei­tes Spek­trum schuf, in dem klas­si­sche Wehr­sport­ar­ten wie Rei­ten[85] und Schie­ßen, aber auch be­lieb­te Mann­schafts­sport­ar­ten wie Hand­ball[86] und Fuß­ball an­ge­bo­ten wur­den. Der SA-Sport ge­hör­te eben­so wie die Ein­rich­tung mo­der­ner Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten – wie bei­spiel­haft die Ein­rich­tung ei­nes Dü­re­ner SA-Flie­ger­sturms im Mai 1933[87] zei­gen – zu den „in­ner­par­tei­li­chen Prak­ti­ken […], die Mit­glie­der in ein Netz an Ak­ti­vi­tä­ten ein­zu­span­nen und sie al­len kon­kur­rie­ren­den An­ge­bo­ten […] zu ent­frem­den.“[88] Die all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen der OSAF zum SA-Sport wir­ken al­ler­dings pro­pa­gan­dis­tisch auf­ge­la­den: „Der Sport der SA dient dem vom Füh­rer ver­lang­ten Ziel: cha­rak­ter­lich fes­te und kör­per­lich har­te Män­ner zu er­zie­hen, un­be­irr­bar im Glau­ben an die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Idee, je­der­zeit be­reit im Kampf um die Er­hal­tung der Na­ti­on, kör­per­lich ge­stählt und zu höchs­ten Leis­tun­gen be­fä­higt.“[89]

Rin­go Wag­ner schluss­fol­gert aus den viel­fäl­ti­gen Be­mü­hun­gen der SA um den Wehr­sport bis 1938, dass „[…] ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, die um ih­ren Rang­platz […] buh­len muss […], schon aus rei­nem Selbst­er­hal­tungs­trieb ein ge­hö­ri­ges Maß an Krea­ti­vi­tät ent­wi­ckeln [muss] […], um an At­trak­ti­vi­tät zu ge­win­nen.“[90] Ei­ne Form die­ser „Krea­ti­vi­tät“ war das „SA-Sport­ab­zei­chen“, wel­ches be­reits von Ernst Röhm am 28.11.1933 ge­stif­tet wur­de. In der Lo­kal­pres­se ist häu­fig von Be­rich­ten über au­ßer­ge­wöhn­li­che Leis­tun­gen ein­zel­ner SA-Män­ner[91] o­der Be­rufs­ge­mein­schaf­ten wie der Feu­er­wehr[92] zu le­sen, die da­bei ech­te Ka­me­rad­schaft und „Volks­ver­bun­den­heit“ be­wie­sen ha­ben sol­len.[93] Es war ent­schei­dend, dass das „SA-Sport­ab­zei­chen“ von je­dem deut­schen Mann er­wor­ben wer­den konn­te.[94] So wur­de der ers­te Kon­takt zur SA er­leich­tert und die Er­fas­sung neu­er Män­ner ver­bes­sert, die von ei­ner sport­li­chen Er­tüch­ti­gung an­ge­zo­gen wur­den – so wur­den die An­zei­gen für das SA-Sport­ab­zei­chen re­gel­mä­ßig ne­ben der lo­ka­len Sport­be­richt­er­stat­tung po­si­tio­niert.[95] Trotz der all­ge­mei­nen kör­per­li­chen Er­tüch­ti­gung war die Ziel­be­stim­mung des Ab­zei­chens die „vor­mi­li­tä­ri­sche Aus­bil­dung.“[96] In der Li­te­ra­tur wird al­ler­dings dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Ein­füh­rung des „SA-Sport­ab­zei­chen­s“ nur ei­nen ge­rin­gen Ef­fekt und Er­folg hat­te.

SA-Sportabzeichen im Westdeutschen Beobachter, 5.6.1935. (Stadt- und Kreisarchiv Düren)

 

Ei­ne an­de­re Maß­nah­me zur Stei­ge­rung ih­rer At­trak­ti­vi­tät war für die SA die Durch­füh­rung von Wett­kämp­fen, die auf un­ter­schied­li­chen Ebe­nen – zwi­schen ein­zel­nen SA-Stür­men[97], auf Ebe­ne von SA-Stan­dar­ten[98] und SA-Bri­ga­den, aber auch reichs­weit[99] – ab­ge­hal­ten wur­den. Im Lo­kal­teil des „West­deut­schen Be­ob­ach­ter­s“ wur­den bei­spiels­wei­se die Aus­schei­dungs­kämp­fe für den „Reichs­wett­kampf der SA“ da­mit be­grün­det, ein Er­sat­z­er­leb­nis für die „jun­gen Ka­me­ra­den […], de­nen […] das Wich­tigs­te zum in al­len La­gen be­fä­hig­ten Kämp­fer fehlt: das Kampf­er­leb­nis frü­he­rer Jah­re […]“[100] zu bie­ten. Über die Aus­schei­dungs­kämp­fe der SA-Stan­dar­te 161 für den Reichs­wett­kampf 1939 wird be­rich­tet, dass die SA-Män­ner ne­ben klas­si­schen Leicht­ath­le­tik­dis­zi­pli­nen auch ei­ne „25-Ki­lo­me­ter-Rad­strei­fe mit Son­der­auf­ga­ben“, ein „KK-Schie­ßen auf dem Schieß­stan­d“ und ei­nen „Mann­schafts­ori­en­tie­rungs­lauf“ ab­sol­vie­ren muss­ten.[101] Hier wird deut­lich, dass die Gren­zen zwi­schen Wehr­sport und Sport durch die lo­ka­len SA-Ak­ti­vi­tä­ten zu­neh­mend ver­schwam­men.

Trotz des Be­deu­tungs­ver­lus­tes präg­te die SA durch ih­re re­gel­mä­ßig statt­fin­den­den öf­fent­li­chen Ak­tio­nen im­mer noch das in­ne­re Bild des „Drit­ten Reichs.“[102] Ex­em­pla­risch sei auf ei­ne Hilfs­ak­ti­on des Dü­re­ner SA-Sturms 4/161 hin­ge­wie­sen, bei der SA-Män­ner ört­li­chen Braun­koh­le­ar­bei­tern bei der hei­mi­schen Gar­ten­ar­beit hal­fen.[103] D­a­bei ab­sol­vier­te Ein­satz­übun­gen dien­ten den meist jun­gen SA-Män­nern als Er­sat­z­er­leb­nis für je­ne ver­gan­ge­nen Ta­ge des po­li­ti­schen Kamp­fes: „Der Sturm­füh­rer gibt die Sper­rung der Stra­ße durch ei­ne künst­li­che Bar­ri­ka­de be­kannt. […] Wie die Teu­fel sprit­zen die SA-Män­ner von ih­ren Wa­gen. Feld­kar­ren, Bän­ke, Pflas­ter- und Grenz­stei­ne – kurz al­les, was den „al­ten“ SA-Ka­me­ra­den aus frü­he­ren Jah­ren wohl be­kannt sein mag – wan­dern, von har­ten Fäus­ten ge­packt, in den Stra­ßen­gra­ben.“[104] Die Be­richt­er­stat­tung über die SA blieb un­ver­än­dert sol­da­tisch. Es wird ex­em­pla­risch von ei­ner „Stra­ßen­schlacht für das Kriegs­win­ter­hilfs­wer­k“[105] ge­schrie­ben und fort­lau­fend von „Sturm­lo­ka­len“ als Be­zeich­nung für die SA-Hei­me.[106] 

2.5 SA im „to­ta­len Kriegs­ein­sat­z“ in Dü­ren
Die SA er­reich­te mit dem Füh­rer­er­lass vom 19.1.1939 ih­re po­li­ti­sche Re­ha­bi­li­tie­rung[107], in­dem Adolf Hit­ler sie zum Trä­ger der „vor- und nach­mi­li­tä­ri­schen Wehrer­zie­hun­g“[108] er­nann­te und der SA so­mit wie­der ei­ne ech­te pa­ra­mi­li­tä­ri­sche Auf­ga­be über­trug. Die­ser Füh­rer­er­lass bil­de­te ei­nen wich­ti­gen Schritt zum Auf­takt des Zwei­ten Welt­kriegs. En­de der 1930er Jah­re ver­bes­ser­te sich das Ver­hält­nis zwi­schen Wehr­macht und SA so weit, dass auf dem Feld der Weh­r­er­tüch­ti­gung ei­ne ge­wis­se Form der Zu­sam­men­ar­beit ent­stand.[109]  So bil­de­te der Er­werb des SA-Wehr­ab­zei­chens und ei­ne Mit­glied­schaft in den seit 1939 ein­ge­rich­te­ten SA-Wehr­mann­schaf­ten ei­nen Rah­men um die Jah­re der Wehr­pflicht. Doch mit Kriegs­aus­bruch im Sep­tem­ber 1939 wur­den vie­le der jün­ge­ren SA-Mit­glie­der ein­ge­zo­gen. In der Li­te­ra­tur wird die­ser im Krieg „nicht nach­las­sen­de per­so­nel­le Ader­las­s“[110]  für die SA bis En­de 1940 gar 53 Pro­zent al­ler SA-Män­ner an­ge­ge­ben. In den der SA un­ter­stell­ten Wehr­mann­schaf­ten, wur­den bis zum Som­mer 1942 zwei Mil­lio­nen Män­ner aus­ge­bil­det. Die­se Di­men­si­on zeigt, dass die SA mit Kriegs­be­ginn für ei­nen Gro­ß­teil der deut­schen Män­ner zu ei­ner wich­ti­gen Or­ga­ni­sa­ti­on im All­tag wur­de.

In Dü­ren wur­den seit dem er­wähn­ten Füh­rer­er­lass fort­lau­fend Be­rich­te über Übun­gen und Prü­fun­gen der SA-Wehr­mann­schaf­ten ver­öf­fent­licht[111], in de­nen die Be­tä­ti­gung als Aus­druck der „Treue und Ver­bun­den­heit“ dem „Füh­rer und Va­ter­lan­d“[112] ge­gen­über dar­ge­stellt wur­de. Da­bei exis­tier­ten in der Dü­re­ner SA-Stan­dar­te 161 in al­len ihr un­ter­ge­ord­ne­ten SA-Stür­me sol­che SA-Wehr­mann­schaf­ten, in de­nen Wehr­übun­gen für jun­ge Män­ner vor­be­rei­tend an­ge­bo­ten wur­den. In den Auf­ru­fen, sich ei­ner die­ser SA-Wehr­mann­schaf­ten an­zu­schlie­ßen, wur­den mit rhe­to­ri­schen Fra­gen an den Le­ser – bei­spiels­wei­se „Wel­ches Op­fer hast du schon ge­bracht?“[113] – er­heb­li­cher Druck auf die männ­li­che Be­völ­ke­rung aus­ge­übt. Ne­ben der pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Aus­bil­dung war eben­so die geis­ti­ge Er­zie­hung der SA-Wehr­män­ner ein er­heb­li­cher Be­stand­teil der wö­chent­li­chen Tä­tig­kei­ten: Die­se „geis­ti­ge und see­li­sche Aus­rich­tun­g“[114] wur­de durch ideo­lo­gi­sche Vor­trä­ge ge­schult, wel­che da­zu dien­ten, ei­ne Hei­mat­ver­bun­den­heit und ei­nen fa­na­ti­schen Ver­tei­di­gungs­wil­len im Krieg zu er­zeu­gen.[115] Der Er­folg der SA-Wehr­mann­schaf­ten darf je­doch nicht zu hoch an­ge­setzt wer­den, was Sie­mens be­reits dar­in aus­ge­macht hat, dass in vie­len Wehr­päs­sen ehe­ma­li­ger SA-Män­ner kei­ne An­ga­ben zu ih­rer pa­ra­mi­li­tä­ri­schen Vor­aus­bil­dung ge­macht wur­den.[116] 

Trotz der reichs­wei­ten An­er­ken­nung der SA als Trä­ger der vor- und nach­mi­li­tä­ri­schen Aus­bil­dung er­lang­te sie kei­ne ech­te po­li­ti­sche Macht mehr. Im Krieg über­nah­men die per­so­nell de­zi­mier­ten Stür­me oft Auf­ga­ben im Ka­ta­stro­phen­schutz und bei Räu­mungs­ar­bei­ten nach Luft­an­grif­fen. Trotz der meist über­trie­be­nen Dar­stel­lung zum Bei­trag der SA-Män­ner zum deut­schen Sieg, ha­ben sie den­noch ei­nen ge­wis­sen Teil zur in­ne­ren Si­cher­heit bei­ge­tra­gen.[117] In Dü­ren gab es meh­re­re Be­tä­ti­gungs­fel­der, in de­nen sich die lo­ka­len SA-Stür­me nach­weis­lich en­ga­giert ha­ben: Schon 1941 be­rich­te­te der „West­deut­sche Be­ob­ach­ter“ dar­über, dass nach An­grif­fen von bri­ti­schen Bom­bern Ein­hei­ten aus den lo­ka­len SA-Stür­men zur Brand­be­kämp­fung und Ein­hei­ten der Dü­re­ner Nach­rich­ten-SA zur Ver­bes­se­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on zum Ein­satz ka­men.[118]  Da­bei ist an­zu­neh­men, dass die­se Art von Ein­sät­zen im fort­schrei­ten­den Kriegs­ver­lauf häu­fi­ger von den Dü­re­ner SA-Män­nern ge­leis­tet wur­de – wohl­ge­merkt: auch schon vor Kriegs­aus­bruch hal­fen SA-Stür­me bei der Brand­be­kämp­fung.[119]

Nach den im Kriegs­ver­lauf zu­neh­men­den al­li­ier­ten Luft­an­grif­fen auf deut­sche Städ­te wur­den häu­fig so­ge­nann­te Ein­satz­stür­me aus SA-Män­nern ein­ge­setzt, um Trüm­mer zu be­sei­ti­gen und die Zi­vil­be­völ­ke­rung zu eva­ku­ie­ren.[120] Für Dü­ren ist das nicht nach­zu­wei­sen. Am 16.11.1944 wur­de Dü­ren schlie­ß­lich fast voll­stän­dig zer­stört, so dass ein­zel­ne Räum­trupps nur we­nig Ab­hil­fe leis­ten konn­ten. Haupt­au­gen­merk wur­de da­bei auf die Frei­le­gung der zen­tra­len Ver­kehrs­we­ge ge­legt.[121] Groß­flä­chi­ge Räu­mungs­ar­bei­ten wur­den an­ge­sichts des ho­hen Zer­stö­rungs­gra­des nicht mehr durch­ge­führt. Für die Zeit vor dem No­vem­ber 1944 sind sol­che Räum­trupps aus SA-An­ge­hö­ri­gen in Dü­ren zwar wahr­schein­lich, je­doch nicht zu be­le­gen. Ganz an­ders sieht es hin­ge­gen bei der Be­auf­sich­ti­gung aus­län­di­scher Ar­bei­ter aus, „die zu Schanz­ar­bei­ten im Kreis Dü­ren ein­ge­setz­t“[122] und von lo­ka­len SA-Män­nern der Dü­re­ner Stan­dar­te über­wacht wur­den. Bei­spiels­wei­se wur­den nach dem An­griff vom 16.11.1944 zur Räu­mung der Stra­ßen un­ge­fähr 1.800 so­ge­nann­te Ost­ar­bei­ter ein­ge­setzt und wäh­rend­des­sen von ei­nem Dü­re­ner SA-Sturm­bann­füh­rer na­mens Rut­kow­ski be­auf­sich­tigt. In ei­nem frü­he­ren vor­läu­fi­gen Be­richt ist die Re­de von 250 ein­ge­setz­ten SA-Män­nern zur Ber­gung Über­le­ben­der, wo­bei die­se Zahl nach­träg­lich auf 150 kor­ri­giert wur­de.[123] 

Anzeige der Dürener SA-Standarte anlässlich des "Reichswettkampfes der SA" im Westdeutschen Beobachter, 9.8.1935. (Stadt- und Kreisarchiv Düren)

 

Ei­ne Kor­re­la­ti­on be­steht zu­dem auch zum Bau des West­walls, wel­cher in den letz­ten Mo­na­ten des Jah­res 1944 wei­ter aus­ge­baut wur­de. Trotz ei­ni­ger er­hal­te­ner Quel­len zum Aus­bau die­ser Ver­tei­di­gungs­an­la­ge kann da­für kein Ein­satz ge­schlos­se­ner lo­ka­ler SA-Stür­me aus Dü­ren nach­ge­wie­sen wer­den. In ei­nem Be­fehl der Gau­lei­tung Köln-Aa­chen vom Ok­to­ber 1944 ist le­dig­lich da­von die Re­de, dass „die Füh­rung der zi­vi­len Ar­beits­kräf­te […] un­ter ört­li­chen […] ge­eig­ne­ten Per­so­nen“[124] ver­teilt wird. Es ist al­so an­zu­neh­men, dass in Ein­zel­fäl­len auch Dü­re­ner SA-Füh­rer sol­che Ar­beits­trupps be­auf­sich­tig­ten. Doch auch wenn ein räum­li­cher Zu­sam­men­hang zwi­schen dem West­wall und dem Ein­satz­ge­biet der Dü­re­ner SA-Stan­dar­te 161 be­steht, so macht das de­ren Ein­satz zwar wahr­schein­lich, ist je­doch ist die­ser nicht be­leg­bar.

3. Zusammenfassung

Von 1931 bis 1945 exis­tier­te in Dü­ren nach­weis­lich ei­ne SA. Für sie spiel­ten so­zia­le As­pek­te in Form von ge­mein­schaft­li­chen Er­fah­run­gen, ka­me­rad­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen und so­mit auch die In­te­gra­ti­on brei­ter männ­li­cher Be­völ­ke­rungs­tei­le ei­ne wich­ti­ge Rol­le. An­fangs wa­ren das SA-Heim und die all­täg­li­che Be­tä­ti­gung als „po­li­ti­scher Sol­da­t“ für die ein­fa­chen SA-Män­ner be­son­ders prä­gend. So bot die SA ih­nen in den Kri­sen der Wei­ma­rer Re­pu­blik ei­ne Per­spek­ti­ve und den Platz in ei­ner Ge­mein­schaft. So­wohl der Dü­re­ner Stan­dar­ten­füh­rer Ar­nold Lent­zen wie auch der SA-Mann Paul The­wel­lis ha­ben sich in ei­ner Sub­kul­tur be­fun­den, die ge­prägt war von ge­walt­tä­ti­gen Ak­tio­nen und der per­sön­li­chen Ein­bin­dung in ei­ne po­li­ti­sche Auf­ga­be. Nach 1934 rück­te der As­pekt der In­te­gra­ti­on brei­ter Be­völ­ke­rungs­tei­le in die neue na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche „Volks­ge­mein­schaf­t“ in den Vor­der­grund.

Die Fol­gen der Er­mor­dung Röhms im Som­mer 1934 zeich­ne­ten sich in Dü­ren sehr dif­fe­ren­ziert ab. Lang­fris­tig ist ei­ne ein­deu­ti­ge Par­al­le­le zum Reich in der Be­sei­ti­gung der la­ten­ten Ge­walt­be­reit­schaft und Dis­zi­plin­lo­sig­keit nach­zu­wei­sen. Da­bei darf auch die zu­neh­men­de Kon­kur­renz zu an­de­ren na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen nicht ver­ges­sen wer­den. Trotz des enor­men Rück­gangs der Mit­glie­der­zah­len in der Dü­re­ner SA kön­nen tief­grei­fen­de per­so­nel­le Ver­än­de­run­gen auf der Füh­rungs­ebe­ne als Kon­se­quenz des 30.6.1934 nicht nach­ge­wie­sen wer­den.

Die Dü­re­ner SA ist auch im Zwei­ten Welt­krieg ein zen­tra­ler Trä­ger der all­täg­li­chen Mi­li­ta­ri­sie­rung ge­we­sen, in­dem sie durch die Kom­bi­na­ti­on ei­nes wehr­sport­li­chen An­ge­bots und ei­nes in­di­rek­ten Zwangs für den männ­li­chen Be­völ­ke­rungs­teil ei­ne wich­ti­ge Or­ga­ni­sa­ti­on war. Diens­te der SA in Luft­schutz, für Räum­ar­bei­ten und als Auf­se­her von Kriegs­ge­fan­ge­nen oder Zwangs­ar­bei­ter las­sen sich für Dü­ren in gro­ßem Um­fang nicht mehr nach­wei­sen. Al­ler­dings liegt die Schluss­fol­ge­rung na­he, dass die SA durch zi­vi­le Auf­ga­ben ei­nen wich­ti­gen Bei­trag zur Auf­recht­er­hal­tung der in­ne­ren Ord­nung im Reich ge­leis­tet hat.

Archivquellen

Bun­des­ar­chiv (BArch): BArch R 9361-I/2034; R 9361-III/ 568610; R 9361-IX Kar­tei/ 25540155.

Lan­des­ar­chiv NRW Ab­tei­lung Rhein­land (LAV NRW R): BR0016 R, Nr. 130a, 134, 135, 148, 149.

Stadt- und Kreis­ar­chiv Dü­ren (StuKrADN): B 168; L 21; Ma­te­ri­al­samm­lung Al­bert Lör­ken (zi­tiert: Lör­ken) Nr. 34, 45. 

Zeitungen

Dü­re­ner Volks­zei­tung (DVZ); Dü­re­ner Zei­tung (DZ); Lo­kal­an­zei­ger (LA); Neue Zeit (NZ); West­deut­scher Be­ob­ach­ter – Dü­re­ner Be­ob­ach­ter (WDB); West­deut­sches Grenz­blatt –Dü­re­ner Be­ob­ach­ter (WDG).

Literatur

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Ku­ni­cki, Jan, „Fried­hof der Be­we­gun­g“. Der SA-To­ten­kult auf dem „Al­ten Lui­sen­städ­ti­schen Fried­hof“ in Ber­lin-Kreuz­berg, in: Mül­ler, Yves/ Zil­ke­nat, Rei­ner (Hg.), Bür­ger­kriegs­ar­mee. For­schun­gen zur na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sturm­ab­tei­lung (SA), Frank­furt am Main 2013, S. 93-113.

Lon­ge­rich, Pe­ter, Die brau­nen Ba­tail­lo­ne. Ge­schich­te der SA, Augs­burg 1999.

Mül­ler, Yves, „… wie ist es mit dir, Hans …?“. Männ­li­cher Ha­bi­tus, Ka­me­rad­schaft und Män­ner­bund in der SA, in: Mül­ler, Yves/Rei­ner Zil­ke­nat, Rei­ner (Hg.), Bür­ger­kriegs­ar­mee. For­schun­gen zur na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sturm­ab­tei­lung (SA), Frank­furt am Main 2013, S. 355-371.

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Online

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Anmerkungen
Zitationshinweis

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Rubel, Stefan, Die Dürener SA im Schlaglicht der Reichsgeschichte, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-duerener-sa-im-schlaglicht-der-reichsgeschichte/DE-2086/lido/653a3de72fed79.78677153 (abgerufen am 27.04.2024)