Frühchristliche Graffiti in Trier

Andrea Binsfeld (Luxemburg)

Frühchristliche Graffiti in der Liebfrauenkirche in Trier, Foto: Rudolf Schneider. (Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier)

Im Jahr 1949 ent­deck­te man bei Gra­bun­gen im Ost­chor der Trie­rer Lieb­frau­en­kir­che Res­te von zwei ge­mau­er­ten Chor­schran­ken, die man ein­deu­tig ei­ner ­spät­an­ti­ken Kir­chen­an­la­ge zu­ord­nen konn­te. Nach den neu­es­ten For­schun­gen Win­fried We­bers bil­de­te die­ser Bau den süd­öst­li­chen Teil ei­nes Kom­ple­xes, der aus ins­ge­samt vier Ba­si­li­ken be­stand.

 

Ein be­son­de­rer Glücks­fall war es, dass sich nicht nur Tei­le der Mau­ern, son­dern auch Res­te des Ver­put­zes die­ser Schran­ken im Ab­bruch­schutt er­hal­ten hat­ten, in die Graf­fi­ti ein­deu­tig christ­li­chen In­halts ein­ge­ritzt wa­ren. Ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung hat die­ser Fund vor al­lem für die For­schun­gen zum früh­christ­li­chen Kir­chen­bau. Durch die Graf­fi­ti lässt sich nicht nur die christ­li­che Nut­zung die­ses Ge­bäu­de­teils ein­deu­tig be­le­gen; die im Ab­bruch­schutt der Schran­ken­mau­ern ge­fun­de­nen Mün­zen da­tie­ren die­se zu­dem in die Mit­te be­zie­hungs­wei­se die zwei­te Hälf­te des 4. Jahr­hun­derts. Da­mit ist die Süd­ost­ba­si­li­ka die­ses Ge­bäu­de­kom­ple­xes die äl­tes­te si­cher da­tier­ba­re Kir­chen­an­la­ge Deutsch­lands. Bis zu die­sem Zeit­punkt hat­te man auch ei­ne In­ter­pre­ta­ti­on als Pa­last­an­la­ge oder Markt­hal­le dis­ku­tiert. Die jün­ge­re Dis­kus­si­on um die Schwie­rig­kei­ten der Iden­ti­fi­zie­rung und Da­tie­rung früh­christ­li­cher Kir­chen­an­la­gen in den rö­mi­schen Pro­vin­zen zeigt sehr deut­lich, wel­che ein be­deu­ten­der und un­ge­wöhn­li­cher Fund die Trie­rer Graf­fi­ti dar­stel­len.

Die Chor­schran­ken, in de­ren Ver­putz die Graf­fi­ti ein­ge­ritzt wa­ren, ge­hör­ten zu ei­ner Ba­si­li­ka, die im Ver­lauf der 330er Jah­re er­rich­tet wur­de. Die Da­tie­rung der bei­den Chor­schran­ken stützt sich im We­sent­li­chen auf Münz­fun­de. Dem­nach ist die äl­te­re Chor­schran­ke ent­we­der noch in der ers­ten Hälf­te des 4. Jahr­hun­derts oder kurz nach der Mit­te des 4. Jahr­hun­derts er­rich­tet wor­den. Ei­nen ter­mi­nus post quem zu Schran­ke I lie­fern die Mün­zen der Jah­re 332/333 be­zie­hungs­wei­se 333/334, die un­ter dem ers­ten Es­trich der Ba­si­li­ka ge­fun­den wur­den und die die ers­te Aus­füh­rung des Ge­bäu­des in die 30er Jah­re des 4. Jahr­hun­derts da­tie­ren. Schran­ke II ist da­ge­gen wohl in den 60er Jah­ren des 4. Jahr­hun­derts ent­stan­den, al­so zur Zeit der Herr­schaft Kai­ser Va­len­ti­ni­ans I. (364-375). Da­für spre­chen zum ei­nen die Ent­de­ckung ei­ner Mün­ze des Va­lens (328-378) aus den Jah­ren 367-375 im Ver­putz der zwei­ten Mau­er, zum an­de­ren der Fund von Mün­zen des Con­stan­ti­us II. (317-361), des Va­lens und Va­len­ti­ni­ans I., die im Ab­bruch­schutt der ers­ten Mau­er ge­fun­den wur­den und die in die Jah­re 354-356 und 364-367 da­tie­ren.

In die Ver­putz­stü­cke wa­ren la­tei­ni­sche und grie­chi­sche Na­men ein­ge­ritzt, wie zum Bei­spiel Fla­via, Faus­ta, Fe­lix, Lu­ci­us, Mar­cel­lia­nus, Mar­ti­nus, Mau­ra, Sa­lu­ti­us, Sil­vio, Vik­tor, Ar­te­mi­us, El­pidi­os, Eu­se­bi­us und Theo­dosi­us, so­wie ein ein­zel­ner kel­ti­scher Na­me (Ad­na­me­tus). Die­se Na­men stan­den ent­we­der al­lei­ne oder wa­ren mit Ak­kla­ma­tio­nen der Form vi­vas, vi­vas in deo, vi­vas in Chris­to, vi­vas in deo Chris­to, vi­vas in deo Chris­to sem­per, vi­vas in do­mi­no, vi­vas in Chris­to do­mi­no oder mit ei­ner Bit­te um Hil­fe (boét­hei) ver­bun­den. In ei­nem Fall be­zeich­ne­te sich ein Schrei­ber de­mü­tig als pec­ca­tor, als Sün­der. So­wohl der Wunsch „du mö­gest le­ben!“ (vi­vas) als auch die Bit­te um Hil­fe wa­ren zu­nächst kei­ne ty­pisch christ­li­chen Wün­sche. Bei­de For­meln wur­den auch auf all­täg­li­chen Ge­brauchs­ge­gen­stän­den an­ge­bracht. Erst durch die Zu­sät­ze in deo, in deo Chris­to, in do­mi­no so­wie durch die Chris­to­gram­me wur­den die Wün­sche in ei­nen ein­deu­tig christ­li­chen Kon­text ge­setzt. Die Chris­to­gram­me konn­ten ent­we­der als Ab­kür­zung für ΧΡ(ιστος) in die Bit­ten ein­ge­bun­den wer­den oder sie stan­den als Sym­bol für sich ge­nom­men – häu­fig in Ver­bin­dung mit den Buch­sta­ben α und ω. Die christ­li­che Form der vi­vas-Ak­kla­ma­ti­on ver­wen­de­te nicht nur häu­fig in Grab­in­schrif­ten, der Wunsch nach ei­nem Le­ben in Gott wur­de auch an be­son­ders ver­ehr­ten Or­ten an­ge­bracht. So stel­len die Graf­fi­ti, die En­de des 3., An­fang des 4. Jahr­hun­derts un­mit­tel­ba­rer Nä­he zur Pe­trus­me­mo­ria am Va­ti­kan an­ge­bracht wor­den wa­ren, die engs­te Par­al­le­le zu den Trie­rer Graf­fi­ti dar. Auch hier er­schei­nen Na­men in Ver­bin­dung mit vi­vas-Ak­kla­ma­tio­nen und Chris­tus­mo­no­gram­men. Mög­li­cher­wei­se er­füll­te al­so auch die­ser Ge­bäu­de­teil der Trie­rer Kir­chen­an­la­ge ei­ne me­mo­ria­le Funk­ti­on. Zu den­ken wä­re bei­spiels­wei­se an ei­ne Kreu­zes­re­li­quie. Be­reits Theo­dor Kempf hat­te im Zu­sam­men­hang mit den Graf­fi­ti an ei­ne Her­ren­re­li­quie ge­dacht. Tat­säch­lich ist in der mit­tel­al­ter­li­chen Über­lie­fe­rung auch von Re­li­qui­en für Trier die Re­de, wie zum Bei­spiel von dem Abend­mahls­mes­ser, ei­nem Kreu­zes­na­gel oder von Re­li­qui­en des Apos­tels Mat­thi­as. Die an­ti­ke Über­lie­fe­rung – Am­bro­si­us von Mai­land, Ru­fi­nus von Aqui­leia (340-419) und Cy­rill von Je­ru­sa­lem (313-386) – weiß zu be­rich­ten, das­s He­le­na, die Mut­ter Kai­ser Kon­stan­tins, in­ Je­ru­sa­lem die Kreu­ze auf Gol­go­tha ge­fun­den ha­be. Auch wenn man die wun­der­sa­men Um­stän­de der Kreu­ze­s­auf­fin­dung in Zwei­fel zie­hen ­muss, Tat­sa­che ist, dass Kreu­zes­re­li­qui­en im 4. Jahr­hun­dert auch au­ßer­halb der Haupt­städ­te im rö­mi­schen Reich zir­ku­lier­ten. Zwar gibt die zeit­ge­nös­si­sche Über­lie­fe­rung kei­ne Hin­wei­se auf die Exis­tenz ei­ner Kreu­zes­re­li­quie in Trier, die Chris­to­gram­me und die da­mit ver­bun­de­nen Bit­ten vi­vas in deo könn­ten je­doch ein Hin­weis auf die Exis­tenz ei­ner sol­chen Re­li­quie sein.

Literatur

Bins­feld, An­drea, Vi­vas in deo – Die Graf­fi­ti der früh­christ­li­chen Kir­chen­an­la­ge in Trier. Die Trie­rer Dom­gra­bung, Band 5, Trier 2006.
Gaut­hier, Nan­cy, Re­ceuil des in­scrip­ti­ons chré­ti­en­nes de la Gau­le an­té­ri­eu­re à la Re­nais­sance ca­ro­lin­gi­en­ne. I. Pre­miè­re Bel­gi­que, Pa­ris 1975.
Kempf, Theo­dor Kon­rad/Reusch, Wil­helm, Früh­christ­li­che Zeug­nis­se im Ein­zugs­ge­biet von Rhein und Mo­sel, Trier 1965.
Ris­tow, Se­bas­ti­an, Frü­hes Chris­ten­tum im Rhein­land. Die Zeug­nis­se der ar­chäo­lo­gi­schen und his­to­ri­schen Quel­len an Rhein, Maas und Mo­sel, Müns­ter 2007.
We­ber, Win­fried, Ar­chäo­lo­gi­sche Zeug­nis­se aus der Spät­an­ti­ke und dem frü­hen Mit­tel­al­ter zur Ge­schich­te der Kir­che im Bis­tum Trier (3.-10. Jahr­hun­dert), in: Hei­nen, Heinz/An­ton, Hans Hu­bert/We­ber, Win­fried, Im Um­bruch der Kul­tu­ren. Spät­an­ti­ke und Früh­mit­tel­al­ter (Ge­schich­te des Bis­tums Trier 1), Trier 2003.

Grundriss der Liebfrauenkirche mit eingezeichneten Schranken I und II.. (Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier)

 
Zitationshinweis

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Binsfeld, Andrea, Frühchristliche Graffiti in Trier, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/fruehchristliche-graffiti-in-trier/DE-2086/lido/57e2762579b3c5.60112155 (abgerufen am 26.04.2024)