Kaiserswerth als Lazarettstandort

Annett Büttner (Düsseldorf)

Orthopädische Geräte im Diakonielazarett während des Ersten Weltkrieges. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

1. Die Entwicklung bis zum Deutsch-Französischen Krieg (1870-1871)

Als der Kai­sers­wer­t­her Pfar­rer Theo­dor Flied­ner im Jahr 1836 das welt­weit ers­te Dia­ko­nis­sen­mut­ter­haus grün­de­te, sah er sich trotz des un­be­strit­te­nen Be­dürf­nis­ses nach so­zia­len An­ge­bo­ten von Sei­ten der evan­ge­li­schen Kir­chen auch aus den ei­ge­nen Rei­hen viel­fa­cher An­wür­fe aus­ge­setzt, war doch ei­ne klos­ter­ähn­li­che Schwes­tern­ge­mein­schaft in die­ser Kon­fes­si­on bis­her oh­ne Vor­bild. Der ho­he äu­ße­re Druck, der auf der neu ge­grün­de­ten An­stalt lag, mach­te, ver­bun­den mit ei­ner knap­pen fi­nan­zi­el­len Aus­stat­tung, ei­ne en­ge Ver­bin­dung zur bür­ger­li­chen und ad­li­gen Ober­schicht über­le­bens­not­wen­dig. Ins­be­son­de­re die über den Tod Flied­ners hin­aus an­hal­ten­de Füh­lung­nah­me mit dem Hau­se Ho­hen­zol­lern dien­te der Dia­ko­nis­sen­an­stalt als Mit­tel zur ge­sell­schaft­li­chen Ak­zep­tanz ih­res ka­ri­ta­ti­ven Un­ter­neh­mens in pro­tes­tan­ti­schen Krei­sen. Der im Rhein­land nicht un­um­strit­te­ne preu­ßi­sche Staat wie­der­um be­trach­te­te In­itia­ti­ven wie die­se als nütz­li­che Fak­to­ren, den ei­ge­nen Ein­fluss aus­zu­deh­nen und den so­zia­len Frie­den zu er­hal­ten. Da­her un­ter­stütz­ten das preu­ßi­sche In­nen­mi­nis­te­ri­um und ins­be­son­de­re Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. (Re­gie­rungs­zeit 1840-1861) die neue An­stalt mit er­heb­li­chen fi­nan­zi­el­len Mit­teln, die ins­be­son­de­re zum Im­mo­bi­li­en­er­werb ge­nutzt wur­den. Be­reits als Kron­prinz hat­te Letz­te­rer die Idee der Wie­der­be­le­bung des Dia­ko­nis­sen­am­tes leb­haft un­ter­stützt, als Kö­nig grün­de­te er das Ber­li­ner Dia­ko­nis­sen­mut­ter­haus Be­tha­ni­en.[1]  Das Ver­hält­nis zum pro­tes­tan­ti­schen preu­ßi­schen Staat kann al­so ge­ra­de­zu als kon­sti­tu­tiv für die er­folg­rei­che Grün­dung und Ent­wick­lung der Kai­sers­wer­t­her An­stalt an­ge­se­hen wer­den. Bei­de be­trach­te­ten die 1848er Re­vo­lu­ti­on als „Sün­de“, als ein „Werk des Sa­tan­s“, „kirch­li­cher und po­li­ti­scher Kon­ser­va­tis­mus sind eins, stüt­zen und tra­gen sich. Re­vo­lu­ti­on, Ver­nunft und Un­glau­be wer­den als ein Kom­plex ge­gen Le­gi­ti­mi­tät, Reich Got­tes, Glau­be ge­stellt.“[2]  So ist es nur fol­ge­rich­tig, dass die Dia­ko­nis­sen­an­stalt die­sem Staat in ei­nem ver­meint­li­chen oder tat­säch­li­chen Be­dro­hungs­fall zu Hil­fe kam. Be­reits am 7. Mai 1848 bot Flied­ner dem preu­ßi­schen Kö­nig erst­mals sechs Dia­ko­nis­sen und zwei männ­li­che „Hilfs­wär­ter“ der Duis­bur­ger Dia­ko­nen­an­stalt zur Pfle­ge der auf dem schles­wig-hol­stei­ni­schen Kriegs­schau­platz ver­wun­de­ten Sol­da­ten an. Das Kriegs­mi­nis­te­ri­um lehn­te mit Dank „für die Teil­nah­me an dem Er­ge­hen der kran­ken Krie­ger“ ab, da für ih­re Pfle­ge an­der­wei­tig ge­sorgt sei.[3]  Im dar­auf­fol­gen­den Jahr er­ging es der Vor­ste­he­rin Ca­ro­li­ne Flied­ner (1811-1892), die in Ab­we­sen­heit ih­res Man­nes eben­falls Dia­ko­nis­sen zur Pfle­ge der bei der Nie­der­schla­gung des Ba­di­schen Auf­stan­des ver­wun­de­ten preu­ßi­schen Sol­da­ten an­ge­bo­ten hat­te, eben­so.[4]  Graf Ge­org von der Grö­ben (1817-1894), kom­man­die­ren­der Ge­ne­ral und Freund der Kai­sers­wer­t­her An­stalt, lehn­te das An­er­bie­ten vor­läu­fig ab, da die vor­han­de­nen Kräf­te aus­reich­ten. Die­se Be­grün­dung zog Ca­ro­li­ne Flied­ner in Zwei­fel, weil sie von be­kann­ten Mi­li­tär­ärz­ten er­fah­ren hat­te, dass durch­aus Pfle­ge­kräf­te ge­braucht wur­den. Da man auch Duis­bur­ger Dia­ko­ne ab­ge­lehnt hat­te, ver­mu­te­te sie die Ur­sa­chen in der re­li­giö­sen Aus­rich­tung bei­der Or­ga­ni­sa­tio­nen. Ju­li­us Dis­sel­hoff (1827-1896), der Nach­fol­ger Flied­ners im Vor­ste­her­amt, be­merk­te da­zu rück­bli­ckend: „Wie­wohl Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. in je­der Wei­se ein Freund und Be­för­de­rer der Dia­ko­nis­sen­sa­che war, so hat­te sich die­sel­be – sie zähl­te auch noch nicht ein­mal vol­le 13 Jah­re – doch noch nicht in dem Ma­ße Bahn ge­bro­chen, daß man den ganz neu­en Ge­dan­ken, Dia­ko­nis­sen auch in den Krieg zu sen­den, hät­te fas­sen kön­nen. Das blieb auch so bis in den An­fang der sech­zi­ger Jah­re.“[5]  Als im Fe­bru­ar 1864 der Deutsch-Dä­ni­sche Krieg aus­brach, zähl­ten die Kai­sers­wer­t­her Dia­ko­nis­sen zu den ers­ten Frei­wil­li­gen, die sich zur Un­ter­stüt­zung des mi­li­tä­ri­schen Sa­ni­täts­we­sens auf dem schles­wig-hol­stei­ni­schen Kriegs­schau­platz zur Ver­fü­gung stell­ten.[6]  Nach an­fäng­li­cher Skep­sis führ­te ih­re auf­op­fe­rungs­vol­le Tä­tig­keit sehr schnell zur voll­stän­di­gen Ak­zep­tanz durch das Mi­li­tär, so dass wei­te­re Ein­sät­ze in den Feld­la­za­ret­ten im Preu­ßisch-Ös­ter­rei­chi­schen Krieg (1866) und dem Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg (1870/71) folg­ten. Den Weg da­hin eb­ne­ten zu­vor in­ter­na­tio­na­le In­itia­ti­ven zur Grün­dung der frei­wil­li­gen Kriegs­kran­ken­pfle­ge. An die­ser Stel­le sei nur kurz auf die Re­for­me­rin des bri­ti­schen Mi­li­tär­sa­ni­täts­we­sens Flo­rence Nightinga­le (1820-1910) hin­ge­wie­sen, die we­sent­li­che Im­pul­se für ih­re kran­ken­pfle­ge­ri­sche Tä­tig­keit wäh­rend zwei­er Kurz­auf­ent­hal­te in der Kai­sers­wer­t­her Dia­ko­nis­sen­an­stalt in den Jah­ren 1850 und 1851 emp­fing. Auch die Grün­dung des In­ter­na­tio­na­len Ro­ten Kreu­zes durch Hen­ri Dun­ant (1828-1910), ein Gen­fer Ge­schäfts­mann und Hu­ma­nist mit christ­li­cher Prä­gung, hat­te das Pro­blem der un­zu­rei­chen­den Ver­sor­gung ver­wun­de­ter Sol­da­ten durch das Mi­li­tär­sa­ni­täts­we­sen in den Blick­punkt des öf­fent­li­chen In­ter­es­ses ge­rückt. [7] 

Theodor Fliedner, Ölgemälde von Otto Mengelberg (1817-1890), um 1857. (Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Ver­bes­ser­te Trans­port­mög­lich­kei­ten ge­stat­te­ten seit der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts die Ein­rich­tung von Re­ser­ve­la­za­ret­ten im weit ent­fern­ten Hin­ter­land, um die Feld­la­za­ret­te an der Front zu ent­las­ten. Ins­be­son­de­re die Ei­sen­bahn, die im Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg erst­mals in der deut­schen Kriegs­ge­schich­te flä­chen­de­ckend zur Ver­fü­gung stand, er­mög­lich­te nicht nur ei­nen schnel­len Trup­pen­auf­marsch, son­dern auch die zü­gi­ge Be­för­de­rung trans­port­fä­hi­ger Ver­wun­de­ter. Ne­ben pro­vi­so­risch ein­ge­rich­te­ten Gü­ter- und Per­so­nen­wa­gen ka­men ei­ni­ge spe­zi­ell aus­ge­stat­te­te Sa­ni­täts­wa­gen und Rhein­damp­fer zum Ein­satz. Die theo­re­ti­schen Grund­la­gen für ei­ne schnel­le Ver­tei­lung der mas­sen­haft auf­tre­ten­den Ver­wun­de­ten auf La­za­ret­te im Hin­ter­land hat­te der rus­si­sche Chir­urg Ni­ko­lai Iwa­no­witsch Pi­ro­gov (1810-1881) im Krim­krieg ge­lie­fert.[8]  Sei­ne An­sich­ten wur­den von deut­schen Mi­li­tärs und Ärz­ten in­ter­es­siert zur Kennt­nis ge­nom­men, schie­nen sie doch das Pro­blem der mas­sen­haft auf­tre­ten­den Wund­in­fek­tio­nen und Seu­chen­er­kran­kun­gen, für die man so­ge­nann­te „Mi­as­men“, das hei­ßt „üb­le Ge­rü­che“ in über­füll­ten La­za­rett­räu­men, ver­ant­wort­lich mach­te, zu lö­sen. „Im Ab­trans­port durch die Ei­sen­bahn und der wei­ten Kran­ken­zer­streu­ung glaub­te man, den Stein der Wei­sen ge­fun­den zu ha­ben.“[9] 

In Aus­wer­tung der Er­fah­run­gen aus den bei­den ers­ten Reich­s­ei­ni­gungs­krie­gen wur­de die Er­rich­tung von Re­ser­ve­la­za­ret­ten in Preu­ßen erst­mals im Jahr 1869 ge­setz­lich ge­re­gelt.[10] 

Sie wa­ren von den Pro­vin­zi­al-Mi­li­tär­be­hör­den be­reits in Frie­dens­zei­ten zu kon­zi­pie­ren und vor­nehm­lich in der Nä­he von Was­ser­stra­ßen oder Ei­sen­bahn­li­ni­en in Or­ten ein­zu­rich­ten, die be­reits über ge­nü­gend ärzt­li­ches und kran­ken­pfle­ge­ri­sches Per­so­nal ver­füg­ten. Sie soll­ten ent­we­der in be­reits be­ste­hen­den Kran­ken­häu­sern oder nur tem­po­rär in da­zu ge­eig­ne­ten Ge­bäu­den un­ter­ge­bracht wer­den. Er­folg­te die Un­ter­hal­tung durch Pri­vat­per­so­nen, Ver­ei­ne oder An­stal­ten, so wur­den sie als Ver­eins­la­za­ret­te be­zeich­net, die un­ter der Ober­auf­sicht des Kö­nig­li­chen Kom­mis­sars für die frei­wil­li­ge Kran­ken­pfle­ge und sei­ner Pro­vin­zi­al­de­le­gier­ten stan­den.[11]  Die meis­ten Ver­eins­la­za­ret­te un­ter­hiel­ten die Orts­ko­mi­tees der Ver­ei­ne zur Pfle­ge im Fel­de ver­wun­de­ter und er­krank­ter Krie­ger oder die Va­ter­län­di­schen Frau­en­ver­ei­ne, wie die Vor­gän­ger­or­ga­ni­sa­tio­nen des Ro­ten Kreu­zes in Preu­ßen hie­ßen.[12] 

2. Lazarette im Deutsch-Französischen Krieg

Die Diakonissenanstalt in Kaiserswerth um 1850, Gemälde. (Fliedner Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

2.1. Evangelische Lazarette

Kai­sers­werth war durch sei­ne La­ge am Rhein und die Nä­he des Bahn­hofs Kal­kum (heu­te Düs­sel­dorf) so­wie durch das Kran­ken­haus der Dia­ko­nis­sen­an­stalt und das ka­tho­li­sche Ma­ri­en­kran­ken­haus für die Ein­rich­tung von Re­ser­ve­la­za­ret­ten prä­des­ti­niert. Im Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg stell­te das Dia­ko­nis­sen­mut­ter­haus ein La­za­rett mit 51 Bet­ten in den zwei Fest- und Ver­samm­lungs­sä­len un­ter der Stamm­haus­kir­che zur Ver­fü­gung.[13]  Sei­ne Fi­nan­zie­rung, Aus­stat­tung und Ver­sor­gung er­folg­te durch den Jo­han­ni­ter­or­den un­ter der Lei­tung des Vi­ze­ober­jä­ger­meis­ters des preu­ßi­schen Kö­nigs, Herrn Ri­chard von Meye­rinck (1812-1889). Die Kran­ken­pfle­ge über­nah­men Dia­ko­nis­sen. In den bis­he­ri­gen Kin­der- und Frau­en­sta­tio­nen des in dem­sel­ben Ge­bäu­de­kom­plex un­ter­ge­brach­ten Dia­ko­nis­sen­kran­ken­hau­ses rich­te­te die An­stalt selbst im Ok­to­ber noch das Dia­ko­nis­sen-Kriegs-La­za­rett ein, das von staat­li­cher Sei­te be­zu­schusst wur­de. Die Not­wen­dig­keit da­zu sa­hen der Vor­stand Pfar­rer Dis­sel­hoff und die Vor­ste­he­rin Ca­ro­li­ne Flied­ner in der Wei­ge­rung des Jo­han­ni­ter­or­dens, an­ste­cken­de Kran­ke in sein La­za­rett auf­zu­neh­men.[14]  Aus christ­li­chem Ethos fühl­te sich die An­stalt aber ge­ra­de auch den an Ty­phus, Ruhr und an­de­ren In­fek­ti­ons­krank­hei­ten Lei­den­den ver­ant­wort­lich und bat aus­drück­lich um die Über­wei­sung sol­cher Pa­ti­en­ten. Die ers­ten ka­men am 8. Au­gust 1870 auf ei­nem vom Jo­han­ni­ter­or­den be­trie­be­nen Dampf­schiff in Kai­sers­werth an. Sie wa­ren in den Schlach­ten bei Wei­ßen­burg und Wörth ver­letzt wor­den. Im Sep­tem­ber folg­ten Ver­wun­de­te aus den Schlach­ten rund um Metz. Et­wa die Hälf­te von ih­nen konn­te wie­der zum Mi­li­tär oder in die Hei­mat, meist nach Ost­preu­ßen, ent­las­sen wer­den. Am 11. Sep­tem­ber wur­de ih­nen zur Eh­re und Freu­de ei­ne va­ter­län­di­sche Fei­er in der Säu­len­hal­le ab­ge­hal­ten, der noch wei­te­re folg­ten. Das Jo­han­ni­ter­la­za­rett be­stand bis En­de März 1871, über die Schlie­ßung des La­za­retts der Dia­ko­nis­sen­an­stalt ist nichts be­kannt. Ins­ge­samt wur­den in bei­den La­za­ret­ten 331 Sol­da­ten ge­pflegt, von de­nen nur ei­ner an Ty­phus ver­starb. Die ge­rin­ge Mor­ta­li­tät er­klärt sich nicht nur aus der fach­lich qua­li­fi­zier­ten Kran­ken­pfle­ge, son­dern auch aus der Tat­sa­che, dass über­wie­gend leicht­ver­wun­de­te Sol­da­ten Auf­nah­me fan­den. Ein La­za­rett für Re­kon­va­les­zen­ten wur­de vom Sep­tem­ber bis No­vem­ber 1870 im Schloss von Kal­kum ein­ge­rich­tet und von Kai­sers­wer­t­her Dia­ko­nis­sen be­treut.

Auf die dem Kai­sers­wer­t­her La­za­rett zu­ste­hen­de staat­li­che Be­zu­schus­sung in Hö­he von 12,5 Sil­ber­gro­schen pro Tag und zu ver­pfle­gen­der Per­son ver­zich­te­te der Jo­han­ni­ter­or­den ab En­de Sep­tem­ber, da von da ab die Zu­wei­sung von Pa­ti­en­ten vor­ran­gig an die­je­ni­gen La­za­ret­te er­fol­gen soll­te, die kei­ne Un­ter­halts­hilfs­mit­tel be­an­spruch­ten.[15]  Die­se An­wei­sung kam von der Pro­vin­zi­al-In­ten­dan­tur in Müns­ter, die für die Ver­tei­lung der ver­wun­de­ten und er­krank­ten Sol­da­ten zu­stän­dig war. Of­fen­bar han­del­te es sich da­bei nicht um ei­ne lan­des­wei­te Re­ge­lung. Der Vor­gang ist je­doch auf­schluss­reich für die Rol­le der frei­wil­li­gen Kran­ken­pfle­ge im Kriegs­fall, denn die­se pri­vat fi­nan­zier­te Hil­fe er­spar­te dem Staat er­heb­li­che Fi­nanz­mit­tel. Auf die­sen Um­stand hat­te schon Flo­rence Nightinga­le auf­merk­sam ge­macht. Sie hielt frei­wil­li­ge Sa­ni­täts­or­ga­ni­sa­tio­nen für frag­wür­dig, weil sie Ver­pflich­tun­gen über­neh­men wür­den, die „der Re­gie­rung je­des Lan­des zu­kom­men; wenn man den Re­gie­run­gen die­se Ver­ant­wor­tung ab­nimmt, die ih­nen tat­säch­lich zu­steht, so hie­ße das, ih­nen grö­ße­re Mög­lich­kei­ten zu ge­ben, neue Krie­ge zu ent­fa­chen.“[16] 

Die Ar­beit der Dia­ko­nis­sen­an­stalt er­schöpf­te sich nicht in der rei­nen Kriegs­kran­ken­pfle­ge. Durch wohl­tä­ti­ge Gön­ner aus dem In- und Aus­land war die Ver­tei­lung von Un­ter­stüt­zun­gen an be­dürf­ti­ge Sol­da­ten­fa­mi­li­en in Hö­he von 5 bis 50 Ta­lern mög­lich.[17]  Am 6. Sep­tem­ber 1870 rief der preu­ßi­sche Kron­prinz Fried­rich Wil­helm (1831–1888) aus dem Haupt­quar­tier in Reims zu Spen­den für die In­va­li­den­stif­tung für Deutsch­land auf. Der Jo­han­ni­ter­or­den war be­fugt, für die­se Stif­tung be­stimm­te Spen­den an­zu­neh­men und wei­ter zu lei­ten.

Gartenansicht des Diakonissenmutter- und Krankenhauses um 1870. Das Johanniterlazarett befand sich in den Sälen unterhalb der Kirche. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Nach Kriegs­en­de ver­lieh Kai­se­rin Au­gus­ta (1811-1890) auf Wunsch des Vor­stan­des der Dia­ko­nis­sen­an­stalt das Ver­dienst­kreuz für Frau­en und Jung­frau­en an die ge­sam­te Ge­nos­sen­schaft und nicht an ein­zel­ne Schwes­tern, da es ei­ner Dia­ko­nis­se, „de­ren Schmuck und Eh­re im stil­len, treu­en, de­mü­t­hi­gen Die­nen be­ste­hen muß, nicht zie­me, äu­ßer­li­che Zei­chen ei­ner eh­ren­den An­er­ken­nung zu tra­gen.“[18]  Dar­über hin­aus sol­le kei­ne von ih­nen be­son­ders her­aus­ge­ho­ben wer­den.

2.2 Katholische Lazarette

Auf ka­tho­li­scher Sei­te un­ter­hiel­ten die Fran­zis­ka­ne­rin­nen des Ma­ri­en­kran­ken­hau­ses ein La­za­rett in der Nä­he der Kai­sers­wer­t­her Rhein­fäh­re.[19]  Es be­stand vom Sep­tem­ber 1870 bis zum April 1871. Die dort be­schäf­tig­ten Schwes­tern hat­ten un­ter der gro­ßen Käl­te, Feuch­tig­keit und ge­le­gent­lich un­ter Hoch­was­ser mit Eis­gang zu lei­den. Ein wei­te­res La­za­rett wur­de in ei­nem Pri­vat­haus be­trie­ben. Bei­de Ein­rich­tun­gen er­hiel­ten Ver­pfle­gung aus dem Kran­ken­haus, das sich da­mals noch am Kai­sers­wer­t­her Markt be­fand. Die in­ter­kon­fes­sio­nel­le Kon­kur­renz, die in al­len drei Reich­s­ei­ni­gungs­krie­gen ei­ne gro­ße Rol­le spiel­te, kommt auch in ei­nem Sei­ten­hieb auf die Dia­ko­nis­sen­an­stalt zum Tra­gen. In der Chro­nik des Ma­ri­en­kran­ken­hau­ses hei­ßt es: „Die Sol­da­ten so­wohl, als auch der In­spek­tor wa­ren mit der Ver­pfle­gung recht zu­frie­den und al­les ge­reich­te zur grö­ße­ren Eh­re Got­tes, na­ment­lich war es er­freu­lich, wie die Sol­da­ten trotz der bes­se­ren Räu­me und gro­ßen Vor­tei­le, wel­che die Dia­ko­nis­sen uns vor­aus hat­ten, lie­ber bei uns, als bei die­sen ver­pflegt wur­den.“[20] 
Die Mo­ti­va­ti­on zur Be­tei­li­gung der ka­tho­li­schen Or­den und Kon­gre­ga­tio­nen an der Kriegs­kran­ken­pfle­ge re­sul­tier­te zum ei­nen aus dem Be­mü­hen um die ei­ge­nen Glau­bens­brü­der in den preu­ßi­schen Trup­pen. Dar­über hin­aus soll­te in dem sich zu­spit­zen­den kon­fes­sio­nel­len Kon­flikt mit dem Staat, der in den 1870er Jah­ren schlie­ß­lich in den Kul­tur­kampf mün­de­te, die Nütz­lich­keit der ka­tho­li­schen So­zi­al­ar­beit un­ter Be­weis ge­stellt wer­den. Der die ka­tho­li­sche Kriegs­kran­ken­pfle­ge lei­ten­de Mal­te­ser­or­den hat­te, an­ders als sein pro­tes­tan­ti­sches Pen­dant, bis da­hin noch nicht die staat­li­che An­er­ken­nung er­lan­gen kön­nen. So bot sich in den Reich­s­ei­ni­gungs­krie­gen die Mög­lich­keit, die ei­ge­ne Nütz­lich­keit un­ter Be­weis zu stel­len.

Überreichung des Eisernen Kreuzes durch den Vorsteher Pfarrer Julius Disselhoff und die Vorsteherin Caroline Fliedner an einen Patienten des Lazaretts, Christlicher Volkskalender 1894.

 

Das En­ga­ge­ment in den Kriegs­la­za­ret­ten und die in Preu­ßen im Jahr 1873 zum wie­der­hol­ten Ma­le aus­ge­bro­che­ne Cho­le­ra ver­schon­ten ne­ben an­de­ren kran­ken­pfle­gen­den Or­den auch die Kai­sers­wer­t­her Fran­zis­ka­ne­rin­nen vom Ver­bot und der Aus­wei­sung, un­ter der wäh­rend des Kul­tur­kamp­fes ins­be­son­de­re die ka­tho­li­schen Schul­or­den zu lei­den hat­ten.[21] 

3. Lazarette im Ersten Weltkrieg

Im Ma­ri­en­kran­ken­haus wur­de so­fort nach Kriegs­be­ginn auf ei­ni­gen, von den zi­vi­len Pa­ti­en­ten ge­räum­ten Sta­tio­nen, ein La­za­rett ein­ge­rich­tet. Die ers­ten ver­wun­de­ten und er­krank­ten Sol­da­ten ka­men am 2. Sep­tem­ber 1914 mit dem Zug in Kal­kum an.[22]  Die Be­le­gungs­zah­len va­ri­ier­ten im Ver­lauf des Krie­ges. Al­lein im zwei­ten Halb­jahr 1914 wur­den 317 Pa­ti­en­ten in 12048 Pfle­ge­ta­gen ver­sorgt und 1915 501 Sol­da­ten in 25789 Pfle­ge­ta­gen. Ins­ge­samt fan­den bis zum Früh­jahr 1919 über 1800 Sol­da­ten im Ma­ri­en­kran­ken­haus Auf­nah­me.

Die Dia­ko­nis­sen­an­stalt stell­te die Ge­bäu­de der Frau­en­schu­le in Haus Eli­sa­beth an der Al­ten Land­stra­ße (heu­te Kran­ken­pfle­ge­schu­le), des al­ten Bü­ros (Ge­bäu­de ab­ge­ris­sen, heu­te Kin­der­ta­ges­stät­te Flied­ner­stra­ße 22-24), Räu­me des Fron­berg­kran­ken­hau­ses und des
Kin­der­kran­ken­hau­ses als Re­ser­ve­la­za­ret­te zur Ver­fü­gung.[23]  55 Dia­ko­nis­sen, Jo­han­ni­ter- und Hilfs­schwes­tern ar­bei­te­ten al­lein in den Kai­sers­wer­t­her La­za­ret­ten, ins­ge­samt stan­den 1045 Schwes­tern die­ses Mut­ter­hau­ses im Kriegs­dienst. [24]  ­Die Be­le­gungs­zah­len in Kai­sers­werth schwank­ten, im No­vem­ber 1916 be­fan­den sich in den Dia­ko­nie­la­za­ret­ten  170 Pa­ti­en­ten, am 31. De­zem­ber 1916 wa­ren es 141 Pa­ti­en­ten,. Im Jahr 1916 wur­den ins­ge­samt 594 Sol­da­ten in 45444 Pfle­ge­ta­gen, im Jahr 1917 679 Sol­da­ten in 45119 Pfle­ge­ta­gen ver­sorgt.[25]  Vom 2. Sep­tem­ber 1914 bis zum 31. De­zem­ber 1918 er­brach­te die Kai­sers­wer­t­her Dia­ko­nis­sen­an­stalt ins­ge­samt 21 4097 Pfle­ge­ta­ge.

Beschäftigung verwundeter Soldaten im Lazarett der Diakonissenanstalt um 1915. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Als ihr Ver­trags­part­ner trat nun nicht mehr der Jo­han­ni­ter­or­den, son­dern die Mi­li­tär­in­ten­dan­tur des VII. preu­ßi­schen Ar­mee­korps aus Müns­ter auf. Die Dia­ko­nis­sen­an­stalt ver­pflich­te­te sich für ei­nen be­stimm­ten Pfle­ge­satz zur Über­nah­me des vol­len Be­trie­bes des Re­ser­ve-La­za­retts Kai­sers­werth, Abt. Dia­ko­nis­sen­an­stalt. Zu ih­ren Leis­tun­gen zähl­te nicht nur die ei­gent­li­che Kran­ken­pfle­ge, son­dern auch die Be­reit­stel­lung der Ein­rich­tung, Rei­ni­gung, Hei­zung, Wä­sche so­wie Be­leuch­tung und dar­über hin­aus die Ver­pfle­gung mit Le­bens­mit­teln. Zur Un­ter­stüt­zung der Dia­ko­nis­sen ent­sand­te das Mi­li­tär Kran­ken­wär­ter und Mi­li­tär­ärz­te. Die Ar­beit en­de­te erst im Lau­fe des Jah­res 1920, ein­zel­ne Ge­bäu­de, wie das Al­te Bü­ro, wur­den be­reits im De­zem­ber 1918 ge­räumt.

Die Ver­sor­gung mit Le­bens­mit­teln ver­schlech­ter­te sich mit der Dau­er des Krie­ges. Konn­te das Dia­ko­nis­sen­mut­ter­haus in den ers­ten Kriegs­jah­ren sei­ne La­ge durch Hilfs­lie­fe­run­gen eu­ro­päi­scher, in der Kai­sers­wer­t­her Ge­ne­ral­kon­fe­renz zu­sam­men ge­fass­ter Mut­ter­häu­ser noch ver­bes­sern, so schied die­se Mög­lich­keit ab 1916 zu­neh­mend aus. Die Le­bens­mit­tel­ein­fuh­ren aus den Nie­der­lan­den und Dä­ne­mark un­ter­la­gen ab die­sem Zeit­punkt der Be­wirt­schaf­tung durch die Zen­tral-Ein­kaufs­ge­sell­schaft in Ber­lin, le­dig­lich aus der Schweiz durf­te bei­spiels­wei­se Hart­kä­se noch im­por­tiert wer­den. Die Pro­duk­ti­on auf den an­stal­t­ei­ge­nen Hö­fen wur­de mit Hil­fe von Kriegs­ge­fan­ge­nen auf­recht er­hal­ten. Die ar­beits­fä­hi­gen Ver­wun­de­ten wa­ren ab 1916 in den Hahn’schen Stahl- und Ei­sen­wer­ken in Duis­burg-Gro­ßen­baum be­schäf­tigt.

Orthopädische Geräte im Diakonielazarett während des Ersten Weltkrieges. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Grö­ße­re Be­ein­träch­ti­gun­gen er­litt die An­stalt durch die Ein­quar­tie­rung von ge­sun­den Mann­schaf­ten. Zu die­sem Zweck re­qui­rier­te das Mi­li­tär meh­re­re Räu­me des Al­ten­heims im Stamm­haus, ei­ni­ge Kel­ler des Ober­ly­ze­ums so­wie ein gan­zes Wohn­haus mit Pa­vil­lon und Wasch­kü­che. Bei letz­te­rem han­del­te es sich mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit um das an den Müh­len­turm an­ge­bau­te so­ge­nann­te Be­am­ten­wohn­haus mit zehn Räu­men. Erst nach lang­wie­ri­gen Ver­hand­lun­gen er­klär­te sich das Mi­li­tär zur Zah­lung ei­ner Mie­te be­reit.

Die Ver­hand­lun­gen mit der Gar­ni­sons­ver­wal­tung über noch aus­ste­hen­de Mie­te und den Er­satz de­fek­ter Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de zog sich bis zum Jahr 1921 hin.

Dass die Be­tei­li­gung an der Kriegs­ver­wun­de­ten­für­sor­ge auch der De­mons­tra­ti­on va­ter­län­di­scher Ge­sin­nung dien­te, ver­an­schau­licht die Teil­nah­me an der „Aus­stel­lung Kriegs­wohl­fahrts­pfle­ge im Fel­de und in der Hei­ma­t“, die im De­zem­ber 1915 in der Bar­mer (heu­te Stadt Wup­per­tal) Stadt­hal­le statt­fand. [26]  ­Die Rhei­ni­sche Frau­en­hil­fe ver­an­stal­te­te par­al­lel da­zu ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Ta­gung, als „ei­ne mög­lichst ein­drucks­vol­le Kund­ge­bun­g“ der evan­ge­li­schen Frau­en­ar­beit für die Ver­wun­de­ten- und Kran­ken­für­sor­ge.[27]  Ei­ne of­fi­zi­el­le Wür­di­gung er­fuhr die La­za­rett­ar­beit bei­der kon­fes­sio­nel­ler Kran­ken­häu­ser durch ei­nen Be­such von Kai­se­rin Au­gus­te Vic­to­ria (1858-1921) im Som­mer 1917.

Gräberfeld für die während des Ersten Weltkrieges in den Kaiserswerther Lazaretten verstorbenen Patienten, Foto: Annett Büttner.

 

4. Lazarette im Zweiten Weltkrieg

Im Ju­ni 1940 er­hielt das Kai­sers­wer­t­her Ma­ri­en­kran­ken­haus die Auf­for­de­rung, in sei­nen Räu­men Platz für 150 Bet­ten ei­nes Re­ser­ve­la­za­retts zu schaf­fen.[28]  Von die­sen Bet­ten wa­ren in den kom­men­den Mo­na­ten durch­schnitt­lich 120 be­legt. Un­ter­stützt wur­den die Schwes­tern durch acht Sa­ni­tä­ter und vier Mi­li­tär­ärz­te, die al­ler­dings im Lau­fe des Krie­ges häu­fig wech­sel­ten. Un­ter den Sol­da­ten be­fan­den sich so­wohl Schwer- als auch Leicht­ver­wun­de­te. Fast je­de Nacht wur­de durch Flie­ger­alarm un­ter­bro­chen, auch wenn die Flug­zeu­ge ih­re Last über­wie­gend in den um­lie­gen­den Groß­städ­ten ab­war­fen und zu­nächst nur ver­ein­zelt Fens­ter­schei­ben zu Bruch gin­gen. Ab dem Au­gust 1941 tra­fen die An­grif­fe ver­mehrt den Ort Kai­sers­werth und u.a. die Wä­sche­rei des Ma­ri­en­kran­ken­hau­ses. Der häu­fi­ge Alarm ver­fehl­te sei­ne zer­mür­ben­de Wir­kung nicht, al­lein bis zum Sep­tem­ber 1943 wur­den weit über 500 Luft­an­grif­fe auf die um­lie­gen­den Or­te un­ter­nom­men, die den Luft­raum von Kai­sers­werth streif­ten.[29] 

Nach Er­öff­nung der Ost­front ver­mehr­te sich die Zahl der Schwer­ver­wun­de­ten, die mit dem Zug am De­ren­dor­fer Bahn­hof an­ka­men und von dort mit Sa­ni­täts­fahr­zeu­gen wei­ter trans­por­tiert wur­den. Nun wa­ren meist al­le 150 La­za­rett­bet­ten be­legt. Die an­dau­ern­den ho­hen Ver­lus­te in Russ­land er­for­der­ten im Mai 1942 die Er­hö­hung der Bet­ten­zahl auf 170, die gy­nä­ko­lo­gi­sche Sta­ti­on muss­te dar­auf­hin ge­schlos­sen wer­den. Vie­le Ver­wun­de­te wur­den nach der ers­ten Ver­sor­gung in an­de­re La­za­ret­te ver­legt. Ab 1944 ver­schlech­ter­te sich die Ge­samt­si­tua­ti­on zu­se­hends. Zi­vi­le Pa­ti­en­ten aus dem zer­stör­ten Düs­sel­dor­fer Ma­ri­en­kran­ken­haus und der Or­dens­zen­tra­le in Aa­chen so­wie ob­dach­los ge­wor­de­ne An­ge­hö­ri­ge der Schwes­tern muss­ten zu­sätz­lich auf­ge­nom­men wer­den.

Ei­ne or­ga­ni­sa­to­ri­sche Än­de­rung trat im Ok­to­ber 1944 in der Form ein, dass das Re­ser­ve-La­za­rett auf­ge­ho­ben und in ein Kriegs-La­za­rett um­ge­wan­delt wur­de. Die Bet­ten­zahl be­lief sich wei­ter­hin auf 170, die Pa­ti­en­ten wur­den nun aber voll­stän­dig vom Mi­li­tär­sa­ni­täts­dienst und DRK-Schwes­tern ver­sorgt.[30]  Le­dig­lich die wirt­schaft­li­che Be­treu­ung ver­blieb bei den Fran­zis­ka­ne­rin­nen. Schwe­re Schä­del­ver­let­zun­gen bil­de­ten nun den Be­hand­lungs­schwer­punkt. Die frei­en Pfle­ge­ka­pa­zi­tä­ten wur­den von den bei den Bom­ben­an­grif­fen im No­vem­ber und De­zem­ber Ver­letz­ten ab­sor­biert, die ins­be­son­de­re aus Lo­hau­sen ein­ge­lie­fert wur­den.

Besuch der Kaiserin Auguste Victoria im Fronbergkrankenhaus 1917. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Durch ame­ri­ka­ni­schen Ar­til­le­rie­be­schuss von der ge­gen­über lie­gen­den Rhein­sei­te häuf­ten sich im März 1945 die Zer­stö­run­gen an den Ge­bäu­den. Am 4. März er­hielt das Ma­ri­en­kran­ken­haus den Be­fehl zur voll­stän­di­gen Räu­mung, dem die Schwes­tern aus Man­gel an Aus­weich­mög­lich­kei­ten und Trans­port­mit­teln nicht voll­stän­dig nach­kom­men konn­ten.

Auch in der Dia­ko­nis­sen­an­stalt Kai­sers­werth wur­de En­de Ju­ni 1940 ein Re­ser­ve­la­za­rett mit 150 Bet­ten ein­ge­rich­tet.[31]  Fünf­zig Bet­ten ent­fie­len auf das Fron­berg­kran­ken­haus, der Rest war in Haus Eli­sa­beth un­ter­ge­bracht, das bis da­hin als Frau­en­schu­le dien­te. Ein Jahr dar­auf wur­de auch das so­ge­nann­te „Wald­haus“ der psych­ia­tri­schen Heil­an­stalt auf dem Jo­han­nis­berg zum La­za­rett um­ge­wid­met, 1942 schlie­ß­lich al­le Ge­bäu­de der An­stalt. Die Pa­ti­en­ten wur­den, wenn mög­lich, nach Hau­se ent­las­sen oder im Haus „Hei­mat­freu­de“ der Rhei­ni­schen Mis­si­ons­ge­sell­schaft an der Arn­hei­mer Stra­ße wei­ter ver­sorgt. Schwe­re Fäl­le ver­leg­te man in die staat­li­che Gra­fen­ber­ger An­stalt. An­fang 1944 er­folg­te die Be­schlag­nah­me der „Vil­la Köck­rit­z“ auf dem Jo­han­nis­berg und die zwangs­wei­se In­stal­la­ti­on ei­ner Pro­duk­ti­ons­stät­te für Wurf­gra­na­ten der Fir­ma Fe­ne­s­tra-Crit­tal AG Düs­sel­dorf, ob­wohl dies den Be­stim­mun­gen der Gen­fer Kon­ven­ti­on wi­der­sprach. Dort wur­den ar­beits­fä­hi­ge Schwer­ver­sehr­te des La­za­retts be­schäf­tigt, an­de­re muss­ten in die Fir­ma Rhein­me­tall nach Düs­sel­dorf fah­ren.[32]  Zu­vor wa­ren sie durch Phy­sio­the­ra­pie und Sport wie­der ar­beits­fä­hig ge­macht und zum Teil an Pro­the­sen ge­wöhnt wor­den. Nach der Auf­he­bung des Re­ser­ve­la­za­retts En­de 1944 in­stal­lier­te die Wehr­macht auch in der Dia­ko­nis­sen­an­stalt ein Kriegs­la­za­rett, das aus­schlie­ß­lich durch das Mi­li­tär­sa­ni­täts­we­sen be­trie­ben wur­de. [33] 

Versehrte des Reservelazaretts der Diakonissenanstalt beim Fußballspiel, Foto: Stabsarzt Dr. Ludwig Berke. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Über­wie­gend für die La­za­ret­tin­sas­sen, die in den Psych­ia­trie­ge­bäu­den auf dem Jo­han­nis­berg un­ter­ge­bracht wa­ren, wur­de 1944 ein un­ter­ir­di­scher Luft­schutz­bun­ker er­rich­tet, der als
„be­to­nier­ter Split­ter­schutz­gra­ben“ de­kla­riert wur­de.[34]  Das über dem Ein­gang an­ge­brach­te Schild „Er­rich­tet in Selbst­hil­fe“ täuscht über die ei­gent­li­chen Bau­ar­bei­ter hin­weg. Bei ih­nen han­del­te es sich über­wie­gend um aus­län­di­sche Zwangs­ar­bei­ter und Kriegs­ge­fan­ge­ne.[35]  Zu ih­nen ge­hör­ten auch 21 Ita­lie­ner, un­ter ih­nen Vic­to­rio Bur­lon (geb. 10.9.1924).[36]  Der Bun­ker be­steht aus meh­re­ren, durch Stahl­tü­ren ge­trenn­ten Seg­men­ten, in de­nen bei Alarm je 40 Per­so­nen Zu­flucht fan­den. [37] 

Dem to­ta­len Räu­mungs­be­fehl vom 13. März 1945 konn­ten die noch im­mer fast 1000 Hilfs­be­dürf­ti­gen in den Kran­ken­häu­sern und La­za­ret­ten der Dia­ko­nis­sen­an­stalt aus Man­gel an Ver­kehrs­mit­teln nicht fol­gen. Sie ver­blie­ben da­her bis zum Kriegs­en­de in Kai­sers­werth und such­ten vor al­lem Schutz in den Kel­lern und im Bun­ker. [38]  ­Ge­mäß Hit­lers Dok­trin soll­ten die Al­li­ier­ten in Deutsch­land je­doch kei­ne funk­ti­ons­fä­hi­ge In­fra­struk­tur mehr vor­fin­den. Brü­cken und Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen wur­den des­halb von der Wehr­macht noch in den letz­ten Kriegs­ta­gen zer­stört. Auch Kai­sers­werth droh­te ein sol­ches Schick­sal. Mehr­fach ver­min­ten Wehr­machts­an­ge­hö­ri­ge auf dem Rück­zug die Ka­na­li­sa­ti­on an der Kreu­zung Al­te Land­stra­ße/St. Gör­res­stra­ße. Der Lei­tung der Dia­ko­nis­sen­an­stalt ge­lang es mit Hin­weis auf die ver­blie­be­nen Pa­ti­en­ten nur mit Mü­he, die Ent­schär­fung der Spreng­sät­ze zu er­wir­ken. [39] 

Bunker für die Patienten der Lazarette der Diakonissenanstalt, Zustand 2007. (Fotosammlung der Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth)

 

Die schwe­ren ame­ri­ka­ni­schen Ar­til­le­rie­an­grif­fe auf Kai­sers­werth im März 1945 for­der­ten zahl­rei­che Op­fer un­ter den Pa­ti­en­ten der La­za­ret­te. Am 2. März wur­de das Al­ten­heim Stamm­haus durch Tief­flie­ger fast voll­stän­dig zer­stört. Die Op­fer aus die­ser Kriegs­pe­ri­ode sind in ei­nem spe­zi­el­len Grä­ber­feld auf dem Fron­berg­fried­hof in­ner­halb des weit­läu­fi­gen Dia­ko­nie­ge­län­des be­er­digt. Seit 2011 er­in­nert ei­ne vom Volks­bund Kriegs­grä­ber­für­sor­ge fi­nan­zier­te Ta­fel am Fried­hof Kle­mens­platz an al­le in Kai­sers­werth be­er­dig­ten Kriegs­op­fer.

Literatur

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Gräberfeld für die Opfer des Zweiten Weltkrieges auf dem Fronbergfriedhof. Auf der linken Seite sind die Militärangehörigen beerdigt, rechts die zivilen Opfer. (Annett Büttner)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Büttner, Annett, Kaiserswerth als Lazarettstandort, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/kaiserswerth-als-lazarettstandort/DE-2086/lido/57d12c1e812496.44906603 (abgerufen am 19.03.2024)