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Agrippina die Jüngere, auch Iulia Agrippina, gilt als Stadtgründerin von Köln. Ihre Bedeutung für die Stadtgeschichte verdeutlicht die 1989 übergebene Statue auf dem Rathausturm (Bildhauer: Heribert Calleen). Ihr Name schmückt eine Uferstraße und eine Werft. Eine Versicherung gründete sich 1844 mit ihrem Namen. Die Liste ihrer Spuren in Köln ließe sich erweitern. Der römische Autor Sueton (um 70-130/140) sagte über sie, sie sei ein „heftiges und herrschsüchtiges Weib" gewesen, Tacitus (um 58-um 120) beschrieb sie als „entbrannt in völligem Verlangen nach Schreckensherrschaft". Am Ende befahl ihr eigener Sohn ihren Tod.
Am 6. November vermutlich 15 nach Christus wurde Agrippina die Jüngere im Zentralort des Germanenstammes der Ubier, dem oppidum Ubiorum, dem heutigen Köln, geboren. Sie war in direkter Abstammung Urenkelin des vergöttlichten Augustus (27 vor Christus-14 nach Christus), über das dynastische Instrument der Adoption Enkelin des amtierenden Kaisers Tiberius (Regierungszeit 14-37). Ihr Vater war Germanicus Iulius Caesar (15 vor Christus-19 nach Christus) Adoptivsohn und Neffe des Tiberius, der wiederum über eine natürliche Verbindung zu Augustus verfügte: seine leibliche Mutter Antonia die Jüngere (36 vor Christus-37 nach Christus) war eine Nichte des Augustus. Agrippina wurde also in höchste herrschaftliche Kreise hineingeboren.
Als Agrippina zur Welt kam, befand sich Germanicus mit seiner Familie am Rhein, wohin ihn Augustus im Jahr 12 hin beordert hatte. Er führte militärische Strafaktionen östlich des Flusses durch und versuchte das im Jahr 9 verlorene Terrain in mehreren Kampagnen zurück zu erobern. Das oppidum Ubiorum beherbergte derweil seine hochschwangere Frau Agrippina die Ältere (14 vor Christus-33 nach Christus) und seinen kleinen Sohn, den späteren Kaiser Caligula (Regierungszeit 37-41). Nicht lange nach der Geburt Agrippinas beendete Kaiser Tiberius die Unternehmungen östlich des Rheins und berief Germanicus zurück. Agrippina kehrte niemals in ihre Geburtsstadt zurück.
Im Jahre 28, als Agrippina zwölf oder 13 Jahre alt war, verheiratete sie Tiberius mit Gnaeus Domitius Ahenobarbus (gestorben 40). Dieser gehörte zum erweiterten Kreis der Familie, und so stellte die Heirat ein Mittel dar, Familienstränge zusammenzuführen und die Anzahl der möglichen Anwärter auf die Macht zu begrenzen. Die Herrschaft des Tiberius war mit Tragödien im engsten Familienkreis Agrippinas verbunden. Ihr Vater Germanicus erhielt einen Sonderauftrag im Osten des Reiches: Syrien, Iudäa und weitere Provinzen wurden ihm unterstellt. Im Jahre 19 verstarb er plötzlich unter nie geklärten Umständen. Seine Gattin Agrippina die Ältere vermutete einen Giftanschlag durch den Statthalter von Syrien, Gnaeus Calpurnius Piso (gestorben 20) und verdächtigte indirekt den Kaiser selbst, der zu Piso ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Ein Verfahren vor dem Senat entlastete Calpurnius Piso; Agrippina die Ältere jedoch wurde im Jahr 29 auf die Insel Pandateria verbannt, wo sie 33 den Hungertod wählte. Dies blieb jedoch nicht der einzige Schicksalsschlag in der Jugend Agrippinas der Jüngeren. Bis 33 verlor sie zwei ihrer Brüder, unter anderem Drusus Caesar (gestorben 33), als Opfer der gefährlichen politischen Lage unter Tiberius.
Der Tod des Kaisers im Jahre 37 brachte eine Wende für Agrippina. Der drei bis vier Jahre ältere verbliebene Bruder wurde zum Nachfolger gekürt. Caligula hob seine drei Schwestern, neben Agrippa waren dies Drusilla und Livilla (18-42), ehrend hervor. Er ließ sogar Münzen mit ihnen in Gestalt von Göttinnen prägen. Am 15.12.37 brachte Agrippina einen Sohn zur Welt: Lucius Domitius Ahenobarbus, besser bekannt als der spätere Kaiser Nero (Regierungszeit 54-68). Das Verhältnis zu ihrem Bruder muss sich in der Folgezeit grundsätzlich geändert haben.
Im Jahre 39 beteiligte sie sich an einer Verschwörung gegen Caligula, die jedoch aufgedeckt wurde. Der Mann ihrer Schwester Drusilla, Marcus Aemilius Lepidus (6-39), mit dem sie ein Verhältnis hatte, wurde neben weiteren Beteiligten beseitigt. Von ihrem eigenen Gatten ist in diesem Zusammenhang nichts überliefert. Er starb Anfang des Jahres 40. Offensichtlich war er bereits längere Zeit vorher krank gewesen. Agrippina wurde gezwungen, die Asche „ihres" Lepidus nach Rom zu bringen, wie einst ihre Mutter die Asche des Germanicus aus Syrien überführt hatte. In letzterem Falle jedoch freiwillig.
Als Folge der Verschwörung wurde Agrippina auf die Pontischen Inseln verbannt, ihre Güter wurden eingezogen. Auch in diesem Punkt schien sie das gleiche Schicksal zu ereilen wie ihre Mutter, doch es sollte überraschend anders kommen. Am 24.1.41 wurde Caligula umgebracht. Unerwartet wählten die Prätorianer Claudius zum Kaiser (Regierungszeit 41-54). Agrippina war seine Nichte. Er ließ die Verbannte zurückkehren und stattete sie mit ihrem Vermögen aus. Auf der Suche nach einem gesellschaftlich einflussreichen Ehemann heiratete sie den Senator C. Sallustius Crispus Passienus (gestorben 47/48), der 44 zum zweiten Mal das Konsulat bekleidete, aber bald darauf starb. Dabei bleibt unklar, ob Agrippina ihn möglicherweise ermordet hat, wie später überliefert wurde. Jedenfalls erbte sie ein großes Vermögen und war zu jenem Zeitpunkt im Jahre 48 Witwe, als Claudius nach der Hinrichtung seiner Gattin Messalina (um 20-48) frei für eine neue Bindung war. In der Aristokratie begann ein Werben um die vakante Stelle der Kaisergemahlin, wobei Agrippina selbst ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor war, da sie im Gegensatz zu Claudius in direkter verwandtschaftlicher Linie zum Gründer des Prinzipats stand. Sie war Vertreterin der machtvollsten Familien Roms und als solche ein unabhängiges Machtzentrum. Dies mussten die Berater um Claudius abwägen. Agrippina selbst war hungrig nach Macht und gewillt, den familiären Anspruch geltend zu machen. Sie setzte sich durch und wurde Kaiserin, wobei das Verbot einer Heirat zwischen Onkel und Nichte kein Hindernis bildete. Diese Regelung wurde durch einen Senatsbeschluss rasch beseitigt.
Die Heirat zwischen Claudius und Agrippina fand Anfang des Jahres 49 statt. Damit war sie im Schaltzentrum der Macht angekommen; es reichte ihr jedoch nicht, die Gemahlin des Kaisers zu sein, und ihren Einfluss über Claudius wirken zu lassen, ihr Machthunger ging darüber hinaus. Wie an den Münzprägungen der Zeit abzulesen ist, wollte sie sich eine Position schaffen, in der sie direkt Macht ausüben konnte – und dies, obwohl sie formal lediglich die Gattin des Kaisers war. Sie verfügte über keine staatsrechtlichen Zuständigkeiten und konnte solche Kompetenzen auch nie erlangen, da es die Position einer Kaiserin im rechtlichen Sinne nicht gab und Frauen von der Politik ausgeschlossen waren. Dennoch verschaffte sie sich eine politische Machtposition: Als erste Frau erhielt sie zu Lebzeiten ihres Mannes den ehrenden Namensbestandteil Augusta und wurde schon dadurch besonders hervorgehoben. Auch nach außen hin stellte sie ihre Position über prunkvolle Kleidung heraus. Ihr Porträt auf Münzen verrät ihren Einfluss bei Kaiser und Senat. Über den kaiserlichen Freigelassenen Pallas (gestorben 62), der Fürsprecher ihrer Heirat mit Claudius und enger kaiserlicher Berater war, hatte sie Zugriff auf die Staatsfinanzen, über Prozesse und Morde vermehrte sie ihr eigenes Vermögen. Bei offiziellen Anlässen war sie stets – scheinbar gleichberechtigt – an der Seite von Claudius zu finden. Auch faktisch vergrößerte sie ihren Einfluss: Sie setzte durch, dass ihr Sohn Domitius Ahernobarbus (Nero) von Claudius adoptiert wurde. Claudius hatte einen eigenen Sohn aus der Ehe mit Messalina namens Britannicus (41-55), der zunächst als Erbe und Nachfolger vorgesehen war; nun wurde ihm der ältere Nero an die Seite gestellt. Dabei beließ es Agrippina jedoch nicht.
In den Provinzen suchte sie ebenfalls Einfluss zu gewinnen. Auf ihre Initiative hin wurde im Jahre 50 der Zentralort der Ubier im Rechtsstatus zu einer Colonia erhöht. Damit wurde die Gattin des Claudius zur „Stadtgründerin" von Köln. Zu dieser Zeit bedeutete eine solche Gründung die Ansiedlung von römischen Bürgern, zumeist Veteranen der Legionen; infolge des daraus resultierenden Kulturtransfers hatte die einheimische Oberschicht in Köln schon längst römische Sitten angenommen und war mit dem römischen Bürgerrecht ausgestattet worden. Köln wurde zum Abbild Roms in der Fremde mit Stadtrat, zwei Bürgermeistern und weiteren Magistraten. Dies alles war in einem Stadtgesetz festgelegt, das offiziell für Köln erlassen wurde. Die Beweggründe für die Auszeichnung ihrer Geburtsstadt sind jedoch nicht in einer emotionalen Verbundenheit zu suchen, sondern sie stellte sich damit gleichberechtigt an die Seite des Kaisers, der seine Geburtsstadt Lyon bereits vorher zur Colonia erhoben hatte. Beide Städte waren kultischer und administrativer Mittelpunkt. Zudem demonstrierte Agrippina mit der Erhebung Kölns zur Colonia ihr Durchsetzungsvermögen in der Provinz.
Auf dem Höhepunkt ihrer Macht bereitete sie ihrem Sohn den Weg zur Kaiserherrschaft. Claudius hob ihn öffentlich gegenüber seinem eigenen Sohn hervor. Ziel gerichtet verfolgte Agrippina den Plan, über ihren Sohn im Reich zu herrschen. Sie hatte sich mittlerweile im Kaiserhaus und im Militär ein Netzwerk geschaffen, das sie unangreifbar erscheinen ließ. Potentielle Widersacherinnen und Widersacher wurden beseitigt, wozu schließlich auch ihr Mann Claudius gehörte, der – vergiftet von Agrippina – am 13.10.54 starb. Doch der Erfolg war nur von kurzer Dauer; bald schon begann ihr Stern zu sinken. Im Jahre 55 kam es zum Bruch mit ihrem Sohn, Kaiser Nero. Die erste Losung an die Soldaten hatte optima mater (die beste aller Mütter oder die vortrefflichste Mutter) gelautet und damit verdeutlicht, wem Nero die Macht zu verdanken hatte. Faktisch führte sie auch zunächst die Regentschaft für den 17-jährigen. Doch schon bald emanzipierte sich dieser von seiner Mutter und deren Umfeld. Längst war eine Grenze überschritten, weil in der römischen Gesellschaft eine direkte Ausübung von Macht für Frauen unvorstellbar erschien. Als Agrippina diese Entwicklung aufhalten wollte, bewirkte sie das Gegenteil. Schritt für Schritt entzog Nero ihr die Privilegien wie eine eigene Leibgarde oder die Residenz im kaiserlichen Palast. Viele Gegnerinnen und Gegner wagten sich nun aus der Deckung.
Im Jahre 59 fand Agrippina ein gewaltsames Ende. Nero entschloss sich, seine Mutter beseitigen zu lassen, was jedoch zunächst misslang. Ein präpariertes Schiff sollte sie nach einer Versöhnungsfeier mit ihrem Sohn zu ihrer Villa nach Baiae, dem heutigen Bacoli, bringen und auf dem Weg dorthin auf offener See sinken. Das fingierte Schiffsunglück geschah verspätet in Ufernähe, so dass sich Agrippina verletzt an die Küste retten konnte. Daraufhin befahl Nero den offenen Mord, der von Flottensoldaten ausgeführt wurde. Ihr Leichnam wurde verbrannt und auf ihrem Landgut beigesetzt. Das Andenken an Agrippina wurde offiziell getilgt, ihr Geburtstag zum Unglückstag erklärt. Und doch reicht ihre Wirkung, insbesondere in der von ihr gegründeten Stadt, ungebrochen bis heute.
Quellen
Cassius Dio; Ῥùìáúêὴ ἱóôïñßá.
Iosephus, Antiquitates Iudaicae.
Plinius, Naturalis Historia.
Sueton, De Vitis Caesarum.
Tacitus, Annales.
Literatur
Eck, Werner, Agrippina die Stadtgründerin Kölns. Eine Frau in der frühkaiserzeitlichen Politik, Köln 1993.
Eck, Werner, Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum, Köln 2004.
Evers Meyer, Kathryn, Optima mater: the life of Agrippina the Younger, Washington 1992.
Vogt-Lüerssen, Maike, Agrippina die Jüngere: die große römische Politikerin und ihre Zeit, Norderstedt 2006.
Vogt-Lüerssen, Maike, Neros Mutter, Agrippina die Jüngere und ihre Zeit, Mainz 2002.
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Schmitz, Dirk, Agrippina die Jüngere, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/agrippina-die-juengere/DE-2086/lido/57a9dcf66c7362.93193527 (abgerufen am 03.10.2024)