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Clemens August von Merle war ein bei Zeitgenossen umstrittener Weihbischof in der Zeit des Ancien Regimes. 1797 mit 65 Jahren zum Bischof geweiht, blickte er auf eine solide Karriere am Kurkölnischen Hof: Zunächst war er Kanoniker in Köln und Trier, dann Mitglied des Kölner Domkapitels, Präsident des Weltlichen Hofgerichts in Köln und seit 1776 erzbischöflicher Seminarkommissar.
Die Familie Merle (Merll), in die Clemens August Maria von Merle am 4.7.1732 in Bonn hineingeboren wurde, war seit Beginn des 15. Jahrhunderts im Rheinland ansässig. Ihre Mitglieder hatten in der Vergangenheit öfters das Amt eines Hofrates an den kurfürstlichen Höfen von Köln und Trier bekleidet. In Diensten des Kölner Kurfürsten stand auch der Vater, der kurkölnische Geheimen Rat Gabriel Ignaz Joseph von Merle (gestorben 1759), für den wie für die Mutter, Maria Anna Salome von Lappe (gestorben 1769), es sicherlich eine große Ehre war, dass Kurfürst Clemens August von Bayern Pate des Sohnes wurde.
Über Merles Jugend ist wenig bekannt. Ende Februar 1752 erwarb er an der Universität Löwen den Grad eines baccalaureus utriusque iuris. Außer zu dem Kölner Johannes Antonius Henkenroth, der beim selben Lehrer studierte, hatte Merle mit Sicherheit auch zu dem Bonner Theologen Clemens Augustin Bellanger Kontakt, der ein Jahr vor ihm, bis zum Februar 1751, bei Joseph Lelivelt studiert hatte. Wann und wo Merle promoviert wurde, ist nicht bekannt.
Mit 21 Jahren, am 6.1.1754, erhielt Merle die Minores und die Subdiakonatsweihe. Als dafür notwendiger Weihetitel diente ihm ein Kanonikat am Bonner Cassiusstift, auf das Johannes Arnold Joseph von Schönheim (1715-1789), 1753 Offizial sowie Präsident des geistlichen Hofgerichts, zu Merles Gunsten verzichtet hatte. Nur zwei Monate später, am 3. März, wurde er zum Diakon und wahrscheinlich am 1.9.1755 zum Priester geweiht. Schönheims Verzicht auf das Amt liegt wohl einmal darin begründet, dass er selbst kurz zuvor zum Kölner Offizial ernannt worden war, ferner darin, dass seine beiden einzigen Brüder 1740 ohne zu versorgende Nachkommen verstorben waren. So konnte Clemens August in der familiären Rangfolge nachrücken, da er Schönheims Vetter ersten Grades war; ihre Mütter waren Schwestern.
Nachdem Merle auch am Trierer Simeonstift ein Kanonikat erlangt hatte, wurde er nach dem Tod des bisherigen Pfründeninhabers Hermann Werner von Bossart (1695-1762) in das Kölner Domkapitel gewählt. Dort war er ab dem 16.4.1762 Priesterkanoniker. Das Kanonikat in Trier tauschte er 1764 mit Johannes Namur gegen das Personat St. Nicolai in Hemmersbach (heute Stadt Kerpen). Nach seiner Ernennung zum Präsidenten des Weltlichen Hofgerichtes in Köln wurde Merle 1776 zudem erzbischöflicher Seminarkommissar.
Der Kölner Erzbischof Maximilian Franz bot Merle 1796 das Amt des verstorbenen Weihbischofs Karl Aloys von Königsegg-Aulendorf an. Angesichts seines Alters und seiner angegriffenen Gesundheit war Merle erst nach langem Zögern bereit, es anzunehmen. Die Verhandlungen zogen sich mehr als ein Jahr hin, erst am 24.7.1797 ernannte ihn Papst Pius VI. (Pontifikat 1775-1799) zum Episcopus Bethsaidensis, zum Titularbischof von Bethsaida.
Der Kölner Erzbischof, der nach der Vertreibung aus seinem Erzbistum durch die Franzosen zu diesem Zeitpunkt im Exil in Mergentheim lebte, erteilte Merle dort am 8.9.1797 die Bischofsweihe. Vor seiner Konsekration zum Weihbischof muss Merle den Erzbischof im Hinblick auf die Ausübung seines Amtes um Rat gebeten haben. Dieser ging in einer sechsseitigen Dienstanweisung außer auf Fragen zum genauen Ordo der Firmung auch auf die Erteilung der Priesterweihen ein: „Die Zeit zur Ausspendung der minderen Weihen und der Ertheilung der Tonsur überlassen Wir ganz eurer eigenen Auswahl und Bestimmung“, hieß es darin beispielsweise. Grundlage für alle weiteren Handlungen sollten trotz der neuen Dienstanweisung die der Erzbischöfe Clemens August und Maximilian Friedrich sein.
Merle war sicher kein Freund längerer Firmreisen durch die Erzdiözese, denn sie waren – insbesondere für einen 69-Jährigen – mit erheblichen Mühen verbunden. Am 24.7.1801 richtete sich die Pfarrgemeinde Linnich mit der Bitte an ihn, auf seinem Weg nach Düren ihre Pfarrkirche zu besuchen und das Sakrament der Firmung zu spenden. Linnich sei seit fast 60 Jahren von keinem Weihbischof mehr besucht worden und viele seien bereits verstorben „ohne mit diesem heiligen Sakrament, das die Stärkung im Glauben bei Christen hervorbringt, versehen worden zu seyn“. Die Pfarrgemeinde bat den Bischof eindringlich zu kommen, da es bis Düren sechs Wegstunden seien. Für die Gemeinde war es während der Erntezeiten unmöglich, einen solchen Weg auf sich zu nehmen. Anders als in der Stadt Köln gab es auf dem Land keine festen Firmtermine, die sich in einem bestimmten Turnus wiederholt hätten, so dass solche Anfragen üblich waren. Es war keine Seltenheit, wenn in manchen Orten nur alle 30 Jahre gefirmt wurde.
Die weihbischöflichen Aufgaben im Seelsorgebereich machten den Hauptteil des Amtes aus. Doch trotz des umfangreichen Pensums in Köln und innerhalb der Erzdiözese übernahm Merle zusätzlich als Kommissar die Leitung des Kölner Priesterseminars – bereits rund 20 Jahre vor seiner Weihe. In der Endphase des Alten Reichs nahm zwar die Zahl der zu weihenden Priester und Äbte ab, doch hatte Merle, der auf dem linken Rheinufer ausharrte, die verantwortungsvolle Aufgabe, den Betrieb des Priesterseminars zu sichern und zwischen dem Erzbischof-Kurfürsten und der französischen Besatzungsmacht zu vermitteln.
Die Meinungen über Weihbischof Clemens August von Merle fallen im Allgemeinen nicht besonders wohlwollend aus. Zeitgenossen wie Kirchenhistoriker schreckten nicht davor zurück, die „Stupidität des Kirchenprälaten“ herauszustellen oder Merle als „Gegner der Aufklärung“ zu bezeichnen. Eduard Hegel beschreibt ihn als einen „aus dem Ancien Régime hervorgegangenen Gegner der Aufklärung, der für Künste und Wissenschaften aufgeschlossen war“. Zur Bekräftigung dieser These fehlen nähere Angaben, um welche Wissenschaften es sich im Einzelnen handelte.
Einen aufschlussreichen Hinweis auf Merles Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen in Kunst und Architektur liefert ein Porträt von 1794, das ihn als Domherrn mit einem ausgerollten Gartenplan zeigt. Der Plan zeigt den Anbau eines Englischen Gartens an die im Familienbesitz befindliche Burg Metternich (heute Gemeinde Weilerswist). Ost resümiert die Einstellung Merles mit folgenden Worten: „Hiermit zeigt unser Gelehrter, Sammler und Kunstfreund, welchen Wert er auf Teilnahme an den Bestrebungen der damals modernen Kunst und Kultur legte. Beckenkamps Porträt […] zeigt uns einen bedeutenden Mann der gelehrten Welt und der Kunstszene Kölns in der Zeit der Aufklärung.“
Die Ansicht, Merle habe der Aufklärung ablehnend gegenüber gestanden, stützt sich vor allem auf Kaspar Anton von Mastiaux, der Merle vorwarf, der neugegründeten Kurfürstlichen Universität in Bonn zu konservativ zu begegnen. Das Domkapitel hatte zuvor eine Beschwerde beim Kurfürsten gegen die Bonner Professoren eingereicht. Mastiaux, ab 1789 Universitätskurator, setzte sich mit großem Engagement für die Ziele der Aufklärung und ihre Umsetzung ein. Er veröffentlichte 1790 unter einem Pseudonym die Schrift „Klage des Domkapitels zu Köln“, nach dem Urteil des Kurfürsten eine wahre „Schmäh- und Schandschrift“. Auch Merle wurde in dieser Schrift beleidigt, als dumm und unwissend bezeichnet.
Diese Beschreibungen dürfen nicht überbewertet werden, entstanden sie doch zu einem Zeitpunkt, als sich der Streit zwischen Universität und Domkapitel schon länger hinzog und beide Seiten nicht mehr objektiv werten konnten. Merle gehörte zwar zu den konservativen Kräften des Kapitels, hatte sich jedoch als Präsident des kurfürstlichen weltlichen Hofgerichts verdient gemacht und stand aufgrund seiner juristischen Fähigkeiten in der Gunst des aufgeklärten Erzbischofs. Zwar teilte er nicht die Auffassungen der neuen Universität, erkannte aber trotzdem den Nachteil der engen Verbindung von Erzbistum und Kurfürstentum. Die beschriebenen Ereignisse lassen nicht ohne weiteres auf eine Gegnerschaft des Weihbischofs zur Aufklärung schließen.
Clemens August von Merle starb am 4.1.1810 in Deutz (heute Stadt Köln) und wurde auf der Burg Metternich beigesetzt.
Literatur
Haas, Barbara, Drei Kölner Weihbischöfe im Zeitalter der Aufklärung, in: Zehnder, Frank Günter (Hg.), Hirt und Herde. Religiosität und Frömmigkeit im Rheinland des 18. Jahrhunderts, Köln 2000, S. 175-196, hier S. 183-187.
Hegel, Eduard, Clemens August von Merle, in: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803-1945. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1983, S. 501.
Hegel, Eduard, Das Erzbistum Köln zwischen Barock und Aufklärung vom Pfälzischen Krieg bis zum Ende der französischen Zeit 1688-1814 (Geschichte des Erzbistums Köln 4), Köln 1979.
Ost, Hans, Bildnisse des Caspar Beckenkamp – Mit einem Exkurs zur Gemäldesammlung des Clemens August von Merle, in: Kier, Hiltrud/Zehnder, Frank Günter (Hg.), Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler. Ausstellungskatalog des Forschungsreferates der Kölner Museen und des Wallraf-Richartz-Museums Köln, Köln 1995, S. 263-282.
Torsy, Jakob, Die Weihehandlungen der Kölner Weihbischöfe 1661-1840, Düsseldorf 1966.
Onlilne
Merlo, J. J., Merle, Clemens August Maria von, in: Allgemeine Deutsche Biographie 21 (1885), S. 446-447. [online]
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Hillen, Barbara, Clemens August von Merle, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/clemens-august-von-merle/DE-2086/lido/5e42715d33ddf6.28628021 (abgerufen am 10.12.2024)