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Zeitlebens hätte Friedrich Heinrich Jacobi Kaufmann sein sollen, wäre es nach seinem Vater Johann Konrad Jacobi (1715-1788) gegangen; der Sohn zog es jedoch alsbald vor, sich ausschließlich der Philosophie und Literatur zu widmen.
Am 25.1.1743 wurde Jacobi als zweiter Sohn des Inhabers einer Zuckermanufaktur und seiner Frau Marie in Düsseldorf geboren. Weil der Vater seinen Zweitgeborenen im Unterschied zu seinem Bruder Johann Georg, der sich später als Schriftsteller einen Namen machte, für ungeeignet hielt zu studieren, schickte er ihn als Kaufmannslehrling nach Frankfurt am Main und 1759 zur weiteren Ausbildung nach Genf. Dort fesselten ihn philosophische Fragen weit stärker denn wirtschaftliche und er fand in dem Mathematiker Georges-Louis Le Sage (1724-1803) einen Mentor. Jacobi las Willem Jacob s’ Gravesandes (1688-1742) „Introductio ad Philosophiam“, ein Standardwerk der damaligen Schulphilosophie, und kam mit dem Denken Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) und Charles Bonnets (1720-1793) in Berührung.
Trotz seines philosophischen Interesses übernahm Jacobi 1764 das Erbe des Vaters und heiratete Betty von Clermont, (1743-1784) die Tochter eines reichen Aachener Kaufmanns. Seine Frau unterstützte ihn tatkräftig dabei, das ererbte Landhaus Pempelfort zu einem Mittelpunkt des intellektuellen Lebens zu machen. Bedeutende Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Johann Gottfried Herder (1744-1803), die Brüder Alexander (1769-1859) und Wilhelm (1767-1835) von Humboldt oder Johann Georg Hamann (1730-1788) kehrten dort ein, und vor allem Hamann, ein enger Freund Jacobis, prägte dessen Denken. 1772 wurde Jacobi Mitglied des Hofkammerrats des Herzogtums Jülich-Berg, 1779 Geheimrat und Referent für Zoll- und Wirtschaftsfragen im bayerischen Innenministerium, um an einer Reform der Handels- und Steuerpolitik mitzuwirken, was jedoch eine Episode blieb, da er wegen seiner politischen Ansichten – er vertrat eine Freihandelslehre im Sinne des schottischen Ökonomen Adam Smith (1723-1790) – bald scheiterte.
Obwohl Kaufmann und Wirtschaftspolitiker, blieb Jacobi seinen philosophischen und literarischen Interessen treu. Er las Immanuel Kants (1724-1804) vorkritische Schriften („Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes“, 1763) und widmete sich der Lektüre Baruch de Spinozas (1632-1677). Prägend war für ihn jedoch zunächst die Begegnung mit Goethe 1774 in Pempelfort. Im Stile des Briefromans von Goethes „Werther“ veröffentlichte Jacobi 1775 sein erstes Werk „Aus Eduard Allwills Papieren“, 1776 dann den Roman „Woldemar“, die beide begeisterten Anklang bei den Lesern fanden. In den Romanen befasste er sich mit durchaus philosophischen Themen: der Überlegenheit der Empfindung gegenüber der reinen Vernunft und der natürlichen Sittlichkeit gegenüber der öffentlichen Moralität.
1780 besuchte er Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in Wolfenbüttel – ein für Jacobi denkwürdiges Gespräch. Er verwertete es 1785 in seiner Schrift „Über die Lehre Spinozas in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn“, in der er im Dialog mit Mendelssohn die Philosophie Spinozas sowie die Frage, ob Lessing dessen Anhänger gewesen sei, diskutierte. Der ohne Mendelssohns Einverständnis veröffentlichte Briefwechsel war der Auftakt für den „Pantheismusstreit“, an dem sich alle führenden Intellektuellen der damaligen Zeit beteiligten. Ihm war zu verdanken, dass die Philosophie Spinozas eine Renaissance erlebte und wichtiges Thema für den deutschen Idealismus wurde. Jacobi fühlte sich von Spinozas rationalistischer Philosophie allerdings abgestoßen. Spinozas Anwendung der mathematischen Methode auf die Metaphysik führte dazu, dass als wirklich nur akzeptiert werden kann, was bewiesen und mathematisch deduziert wird. Wenn aber alles mit Notwendigkeit bestimmt wäre, wie Spinoza meinte, müsste das Unendliche, mithin Gott, zu einem Endlichen bzw. Abhängigen herabgestuft werden, was Jacobi ablehnte, da es letztlich in die Negation Gottes und der menschlichen Freiheit mündete. Aus einem (spinozistischen) Pantheismus folgte für Jacobi Atheismus. Er vertrat hingegen, dass Gott und Freiheit nicht innerhalb eines absolut gesetzten Systems von Kausalität zu finden seien. Das menschliche Handeln ließ sich nicht aus dem Denken ableiten, vielmehr hielt er Gefühl oder Glauben für unseren unmittelbaren und Gewissheit schenkenden Zugang zur Wirklichkeit.
Zugleich setzte sich Jacobi in weiteren Schriften mit den Ideen der Aufklärung und der Philosophie Kants auseinander. Obwohl Kant einen anderen Ansatz verfolgte als Spinoza, ging Jacobi auch mit dessen Philosophie nicht d’accord. Er wies vor allem als Erster auf einen Widerspruch in Kants Affektionslehre in dessen „Kritik der reinen Vernunft“ hin: Kant wandte die (Verstandes-)Kategorie der Kausalität auf das Ding an sich an, wenn dieses die menschlichen Sinne affizierte, was seinem eigenen Denken zufolge nicht möglich sein konnte. Das Konzept des Dinges an sich brach für Jacobi damit zusammen; auch das Ding an sich ließ sich in Kants Philosophie offensichtlich nicht unabhängig vom Verstand denken, was zu der Leugnung jeglicher objektiver Wirklichkeit führen musste. Es war für ihn der Beweis dafür, dass Kant einen reinen, subjektiven Idealismus vertrat, weil der Erkennende sich nur noch Einbildungen einbilden konnte, was notwendig in den Nihilismus führte. Wie bei Spinoza kritisierte er Kants Behauptung eines Primats des Verstandes. Seine Kritik an den beiden damals führenden philosophischen Köpfen Spinoza und Kant brachte Jacobi später auch zu einer Ablehnung des spekulativen Idealismus von Johann Gottlieb Fichte (1762-1824), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) und Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1851).
Um dem Subjektivismus zu entrinnen, propagierte Jacobi eine objektive Wirklichkeit, die der Mensch durch eine ursprüngliche, unmittelbare Gewissheit erkenne. Diese Gewissheit gründete für ihn im Glauben und war nicht logisch zu erschließen. Auch Kant hatte in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ auf einen Bereich des Glaubens neben dem der rationalen Erkenntnis hingewiesen; während sich bei Kant aber der Glaubensbegriff auf das Ethisch-Religiöse beschränkte, gab Jacobi ihm auch eine erkenntnistheoretische Bedeutung, wie sie ähnlich schon bei dem englischen Empiristen David Hume (1711-1776) zu finden war, der das Gefühl unmittelbarer Gewissheit als Glaube bezeichnete. Unseren Glauben an die Wirklichkeit der Dinge können wir nicht mehr verstehen, meinte Jacobi; er ist nicht rational begründbar, sondern unhintergehbarer Bestandteil des menschlichen Bewusstseins. Einem naiven Realismus hing er trotzdem nicht an und gestand sehr wohl ein, dass wir die Dinge nicht erkennen, wie sie an sich sind, was Kant gezeigt hatte.
1794 floh Jacobi vor den anrückenden Truppen Napoleons zunächst zu seinem Freund Matthias Claudius (1740-1815) ins holsteinische Wandsbek, später ließ er sich in Eutin nieder. 1804 wurde er an die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften eingeladen und zwei Jahre später zu ihrem ersten Präsidenten ernannt. Bereits kurz nach der Eröffnungsrede bahnte sich ein Streit mit seinem Kollegen, dem Philosophieprofessor Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) an, der sich 1811 zuspitzte, als Jacobi seine Schrift „Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung“ veröffentlichte. Als dann noch bekannt wurde, dass er Kontakte zu Freimaurern und den Illuminaten gepflegt hatte, verlor er sein Amt.
Nach seiner frühzeitigen Pensionierung widmete er sich der Herausgabe seiner Schriften. Am 10.3.1819 starb Jacobi in München. Obwohl er ein philosophischer Einzelgänger gewesen war, schätzten ihn seine Zeitgenossen für sein inneres Engagement für die Philosophie, das einen Gegenentwurf zur „Kathederphilosophie“ darstellte. Sein Denken wird von vielen Interpreten als wegweisend für die Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts angesehen.
Werke (in Auswahl)
Werke. Gesamtausgabe, hg. von Klaus Hammacher und Wolfgang Jaeschke. Hamburg/ Stuttgart 1998 ff.
Friedrich Heinrich Jacobi Dokumente zu Leben und Werk, hg. von Brüggen, Michael/Gockel, Heinz/Schneider, Peter-Paul, Die Bibliothek Friedrich Heinrich Jacobis – Ein Katalog. Bearb. von Konrad Wiedemann, 2 Bände, Stuttgart 1989.
Woldemar: ein Seltenheit aus der Naturgeschichte, Flensburg 1779.
Eduard Alwills Briefsammlung. Breslau 1781.
Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Breslau 1785.
David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus, Breslau 1787.
Sendschreiben an Fichte, Hamburg 1799.
Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstand zu bringen, Breslau 1801.
Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, Leipzig 1811.
Literatur
Götz, Carmen, Friedrich Heinrich Jacobi im Kontext der Aufklärung, Hamburg 2008.
Jaeschke Walter/ Sandkaulen, Birgit (Hg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg 2004.
Hebeisen, Alfred, Friedrich Heinrich Jacobi. Seine Auseinandersetzung mit Spinoza, Bern 1960.
Sandkaulen, Birgit, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. Tilly, Michael, Friedrich Heinrich Jacobi, in: Biographien Bibliographisches Kirchenlexikon, Band II (1990), Sp. 1400-1402.
Wartenberg, Jan, Der Familienkreis Friedrich Heinrich Jacobi und Helene Elisabeth von Clermont, Bonn 2011.
Online
Biografie und Verzeichnis der Werke des Friedrich Heinrich Jacobi. [Online]
Friedrich Heinrich Jacobi (Biografie, Philosophie, Bibliografie, Sekundärliteratur). [Online]
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Streeck, Nina, Friedrich Heinrich Jacobi, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-heinrich-jacobi/DE-2086/lido/57c92ac0900917.72368377 (abgerufen am 10.12.2024)