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Der Wirtschaftswissenschaftler und Sozialethiker Friedrich Karrenberg kannte das Wirtschaftsleben als Unternehmer des metallverarbeitenden Betriebs seiner Familie in Velbert. Nach dem Zweiten Weltkrieg prägte er die soziale Verantwortung der verfassten evangelischen Kirchen entscheidend mit.
Friedrich Karrenberg wurde am 16.4.1904 als Sohn von Hugo Karrenberg (gestorben 1940) und seiner Ehefrau Henriette Martha geborene Rieth in Velbert geboren. Die Familie war reformiert. 1919 gründete der Vater mit einem Partner einen Betrieb für die Herstellung von Drehteilen, in der der Sohn ab 1920 erste berufliche Erfahrung als Kaufmann erwarb. 1925–1931 studierte er Volkswirtschaft (Nationalökonomie) und Soziologie an der Universität Frankfurt am Main. Dort wurde er 1932 zum Dr. rer. pol. mit dem Thema „Christentum, Kapitalismus und Sozialismus. Darstellung und Kritik der Soziallehre des Protestantismus und Katholizismus seit Mitte des 19. Jahrhunderts“ bei Heinz Marr (1876-1940) promoviert. Marr wurde als Direktor des Soziologischen Seminars Nachfolger von Karl Mannheim (1893-1947), der 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen worden war und nach England emigrierte.
Karrenberg betonte in seiner Dissertation die Leistung des liberalen Wirtschaftsmodells gegenüber dem sozialistischen. Er riet zu nüchterner und sachlicher Würdigung von Kapitalismus und Sozialismus. Den Religiösen Sozialismus beurteilte er als zu simpel. Er wünschte der Evangelischen Kirche wirtschaftlichen Sachverstand und der Wirtschaft sozialethische Reflexion. Diese Prämissen bildeten die Richtschnur für seine kirchliche Tätigkeit.
Seit der späten Weimarer Zeit gehörte Friedrich Karrenberg zum Umfeld der sozialen Arbeit der rheinischen Provinzialkirche und damit des ersten rheinischen Sozialpfarrers Wilhelm Gustav Menn (1888-1956). Karrenberg wurde Mitglied der „Sozialethischen evangelischen Arbeitsgemeinschaft für soziale Arbeit“, die aus dem Sozialen Dauerausschuss der Provinzialkirche unter Vorsitz von Präses Walther Wolff hervorging. Die Arbeitsgemeinschaft, die ab 1932 tagte, verstand sich als Zentralisationspunkt für den sozialen Protestantismus im Rheinland. Diese umfasste die sozialkirchliche Arbeit der rheinischen Provinzialkirche, verkörpert durch Wilhelm Menn. Zu ihr gehörten Verbände und Vereine wie die Innere Mission, die Christlichen Gewerkschaften und der Kirchlich-soziale Bund. Ebenso waren Einzelpersonen vertreten wie Friedrich Karrenberg. Eine eher konservative Ausrichtung der Arbeitsgemeinschaft bildete die kirchlich-politische Gesamtlage seit den späten 1920er Jahren ab.
Friedrich Karrenberg lernte im Rahmen dieser Arbeitsgemeinschaft eine rheinische Kirche kennen, die ihre soziale Verantwortung in ihren vielfältigen Ausprägungen entwickelt hatte und wahrnahm. Seine Rolle nach 1945 wurde die eines Übermittlers. So konnte Karrenberg noch vor 1933 beobachten, dass und wie im Rheinland wesentliche Grundlagen für eine moderne Kirche, ja wenigstens für moderne kirchliche Arbeitsfelder gelegt wurden. Dies gilt für den hier vorliegenden Kontext selbst angesichts des insgesamt außerordentlich konservativen protestantischen Milieus. Denn das in den 1920er Jahren neu geschaffene soziale Arbeitsfeld der verfassten Kirchen, auf Provinzial-, Landes- und Kirchenbundesebene, in ausdrücklicher Unterscheidung zur Vereins- und Verbandstätigkeit, war eine Antwort auf das revolutionäre Geschehen von 1918/1919. Es war der Umgang mit der politischen Macht und den Ideen der linken Arbeiterschaft. Das Wort „sozial“ wurde im Wohlfahrtsstaat von Weimar zum Schlüsselbegriff, was sich auch im kirchlichen Agieren spiegelte. Die Anstöße für moderne verfasst-kirchliche Strukturen wurden hier begründet. Die Kirchenverfassungen wiesen Artikel zur sozialen Verantwortung aller kirchlichen Ebenen auf.
So kam es zur Einrichtung von Funktionspfarrämtern, gruppenmäßig und fachlich begründeter Ausschussarbeit, Zielgruppenarbeit mit Arbeitern und Unternehmern. In dieser Zeit entstand Presse-, Tagungs-, Heimvolkshochschul- und Bildungsarbeit beziehungsweise erlebten diese eine Blütezeit. Tagungshäuser wurden gegründet, Kirchentage abgehalten. Pfarrer wie Theologiestudenten sollten systematisch sozial geschult werden, sozialethische Lehraufträge wurden vergeben. Theologisches und soziologisches Denken wurde in der sozialkirchlichen Arbeit verbunden. Etliches war inhaltlich modern angelegt, vieles oszillierte zwischen moderner, neu geschaffener Form und konservativem Inhalt und umgekehrt. Wirkungsoffenheit aber war vorhanden. Die dabei innovative, führende rheinische Provinzialkirche initiierte viele dieser Ideen im Rheinland, auf preußischer und auf Kirchenbundesebene. 1933/1934 brach eine nationalsozialistisch aufgestellte Provinzialkirche diese modernen Grundlagen, Strukturen und Arbeitsfelder ab.
Karrenberg hatte in der NS-Zeit Kontakt zur Bekennenden Kirche. Beruflich kümmerte er sich in dieser Zeit stärker um die Leitung des väterlichen Unternehmens, die er 1940 übernahm. In den beiden Jahrzehnten nach 1945 prägte er, gerüstet mit den Kenntnissen aus der Weimarer Zeit, wesentlich das sozial- und wirtschaftsethische Denken und Handeln in der nun selbständigen rheinischen Landeskirche und in der Evangelischen Kirche Deutschlands. Verdichtungspunkt des sozialethischen kirchlichen Engagements Karrenbergs wurde 1946 und blieb bis zu seinem Tod der Sozialethische Ausschuss und schließlich das Sozialethische Amt der Evangelischen Kirche im Rheinland. Er war außerdem Mitglied der Landessynode und seit 1959 nebenamtliches Mitglied der rheinischen Kirchenleitung.
Mit dem Sitz des Sozialpfarramts von Wilhelm Menn in Düsseldorf wurde die Nähe zu den industriellen Ballungsräumen gesucht. Düsseldorf wurde nach 1945 auch der Sitz der neuen Landeskirche. Karrenberg agierte mit dem Sozialethischen Amt von seiner Heimatstadt Velbert aus. Mit dem Sozialethischen Ausschuss, einem weiteren Gremium, behandelte Karrenberg Themen wie Entnazifizierung, Fragen der Sonntagsarbeit, der Mitbestimmung und der Einheitsgewerkschaft. Der Ausschuss unterhielt Kontakte zur EKD und zur Ökumenischen Zentrale in Frankfurt am Main. 1955, im Jahr der letzten gesamtdeutschen Synode von Espelkamp mit ihrem Hauptwort zur Welt der Arbeit, stand Karrenberg für das Hauptthema der rheinischen Landessynode „Kirche in der Welt der Arbeit“. Er referierte auf der Synode und plädierte für die Einheitsgewerkschaft. Dieses Votum, das die Landeskirche mittrug, war nach der NS-Zeit ein wichtiger kirchlicher Beitrag zur Gestaltung der bundesrepublikanischen Arbeitsgesellschaft.
Schon bald weitete Karrenberg das sozialethische Arbeitsfeld personell rund um den Sozialethischen Ausschuss aus. Referenten wurden angestellt. Seit 1949 gehörte Friedrich Karrenberg der neu gegründeten Sozialkammer der EKD an und nahm bis zu seinem Rücktritt 1963 die Rolle des Vorsitzenden wahr. 1950-1960 leitete er die Arbeitsgruppe I Gesellschaft und Wirtschaft des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
Verschiedentlich sprach sich Karrenberg, vom eigenen Ehrenamt her geprägt, gegen Institutionalisierungen der sozialethischen und sozialpolitischen kirchlichen Arbeit aus. Er wandte sich zunächst gegen die Gründung eines Sozialethischen Amtes im Rheinland wie auch gegen ein zentrales Institut auf der Ebene der EKD. Hing die sozialethische Arbeit auch stark an der Person Karrenbergs, so konnte er sich letztlich nicht dem kirchlichen Trend zu stärkerer Institutionalisierung der Arbeit widersetzen.
Bedeutung hatte er außerdem als Initiator und langjähriger Herausgeber des Evangelischen Soziallexikons. Für dieses Werk wurde ihm 1955 die Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn verliehen. Seit 1961 lehrte er an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Honorarprofessor das Fach Sozialethik. Die Gründung der Evangelischen Akademie der rheinischen Kirche in Mülheim an der Ruhr ist seinem Einsatz zu verdanken.
Friedrich Karrenberg starb am 28.11.1966 in Berlin. Das Friedrich-Karrenberg-Haus in Hannover, in dem das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt unter einem Dach vereint sind, erinnert seit 2012 an den Rheinländer.
Friedrich Karenbergs wissenschaftlicher Nachlass befindet sich im Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland in Düsseldorf.
Schriften (Auswahl)
Christentum, Kapitalismus und Sozialismus. Darstellung und Kritik der Soziallehren des Protestantismus und Katholizismus Deutschlands seit Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1932.
[zusammen mit Joachim Beckmann], Verantwortung für den Menschen, Stuttgart 1957.
Gestalt und Kritik des Westens, Stuttgart 1959.
[zusammen mit Wolfgang Schweitzer], Spannungsfelder der evangelischen Soziallehre. Aufgaben und Fragen vom Dienst der Kirche an der heutigen Gesellschaft, Hamburg 1960.
[zusammen mit Klaus von Bismarck], Kontinente wachsen zusammen. Gesellschaftliche Auswirkungen der Industrialisierung in Europa, Asien und Afrika. Stuttgart 1961.
[zusammen mit Hans Albert], Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung. Festschrift für Gerhard Weisser, Berlin 1963. Versuchung und Verantwortung in der Wirtschaft, Wuppertal 1967.
[zusammen mit Wilfried Gottschalch u. Franz Josef Stegmann], Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, hg. v. Helga Grebing, München 1969.
Herausgeberschaft (Auswahl)
Evangelisches Soziallexikon, Stuttgart 1954; aktuell: 9., überarb. Auflage Stuttgart 2016.
Zeitschrift für Evangelische Ethik (Mitherausgeber).
Literatur
Beckmann, Joachim/Weisser, Gerhard (Hg.), Christliche Gemeinde und Gesellschaftswandel. Professor D.Dr. Friedrich Karrenberg zur Vollendung des 60. Lebensjahres, Stuttgart/Berlin 1964 [darin S. 348-355 Bibliographie Friedrich Karrenberg.]
Hübner, Jörg, Nicht nur Markt und Wettbewerb, Friedrich Karrenbergs wirtschaftsethischer Beitrag zur Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft, Bochum 1993.
Schlösser-Kost, Kordula, Friedrich Karrenberg, in: Schneider, Thomas Martin/Conrad, Joachim/Flesch, Stefan (Hg.), Zwischen Bekenntnis und Ideologie. 100 Lebensbilder des rheinischen Protestantismus im 20. Jahrhundert, Leipzig 2018, S. 247-249.
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Schlösser-Kost, Kordula, Friedrich Karrenberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-karrenberg/DE-2086/lido/63935e5ba246e8.09776400 (abgerufen am 07.10.2024)