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Friedrich Wilhelm Krummacher war ein anerkannter evangelisch-reformierter Theologe seiner Zeit. Der pietistisch geprägte Gelehrte lockte mit seinen Predigten ein großes Publikum an. Durch seine Arbeit kam er in Kontakt zu dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861), dessen Hofprediger er wurde. Bereits seine Zeitgenossen beurteilten Krummachers Auftreten, Bibelverständnis und Methodik kontrovers.
Der am 28.1.1796 in Moers, als Sohn des Pfarrers Friedrich Adolph Krummacher (1767-1845) und seiner Ehefrau Eleonore, geb. Möller (1763-1844), geborene Friedrich Wilhelm Krummacher entstammte einer protestantischen Theologen-Familie. Er besuchte ab 1805 zuerst das Gymnasium in Duisburg, dann ab 1810 eines in Bernburg, nachdem der Vater dorthin als Generalsuperintendent berufen worden war. Der Sohn studierte ab 1815 in Halle Theologie. Sein letztes Studienjahr verbrachte er in Jena und nahm 1817 am Wartburgfest teil. 1819 wurde er Hilfsgeistlicher in der reformierten Gemeinde in Frankfurt am Main, 1823 Pfarrer in Ruhrort (heute Stadt Duisburg). Er lernte seine Frau Charlotte, geb. Pilgram (1799-1867) während seiner Zeit in Frankfurt kennen. Zusammen hatten sie sieben Kinder. Der an Rhein und Ruhr wirksame Einfluss des pietistischen Liederdichters Gerhard Tersteegen prägte auch ihn. 1825 wechselte er nach Gemarke (Barmen) und 1834 nach Elberfeld (beides heute Stadt Wuppertal).
Der antirationalistische, biblizistische und wortgewaltige Prediger erregte weit über Wuppertal hinaus Aufsehen und Widerspruch. „Wo fordert denn die Bibel wörtlichen Glauben an ihre Lehre, an ihre Berichte?“ fragte der aus pietistischem Elternhaus stammende und in Barmen konfirmierte Friedrich Engels einen frommen Freund. „Wo sagt ein Apostel, daß alles, was er erzählt, unmittelbare Inspiration ist? Das ist kein Gefangennehmen der Vernunft unter den Gehorsam Christi, was die Orthodoxen sagen, nein, das ist ein Töten des Göttlichen im Menschen, um es durch den toten Buchstaben zu ersetzen.“ Krummacher – räumte Engels 1839 in seinen „Briefen aus dem Wuppertal“ ein – sei „ein Mann von ausgezeichnetem rhetorischem, auch poetischem Talent“. Seine Predigten seien nie langweilig, Deklamation und Gestikulation seien oft passend und angebracht, zuweilen aber doch sehr manieriert und abgeschmackt. Mit seinen dramatischen Schilderungen der Hölle brächte er junge Mädchen und alte Frauen ebenso wie „entnervte Branntweinpietisten“ zum Schluchzen. Allerdings sei bei ihm gelegentlich auch vom „Gegensatz der irdischen Üppigkeit und der Niedrigkeit Christi“ und vom „Stolz der weltlichen Fürsten“ die Rede. Und würde er nicht „so allgemein reden“, würde die Regierung gewiss nicht dazu schweigen. In diesem Zusammenhang erinnert Engels daran, dass Krummacher als Student einst Freiheitslieder gesungen und 1817 am Wartburgfest teilgenommen hatte.
Einige Jahre zuvor hatte sich Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) bereits mit Krummachers beeindruckenden Predigten beschäftigt. Trotz Goethes eindeutiger Ablehnung ließ der Kritisierte ihn in seiner „Selbstbiographie“ ausführlich zu Wort kommen: „Den Erstlingen meiner homiletischen Schriftstellerei ward die Ehre zu Theil, sogar auch von Göthe einer Betrachtung gewürdigt zu werden, der […] sich in folgender Weise, natürlich mißliebig, darüber ausließ.“
Goethes Kritik begann mit einer Darstellung von Krummachers Wirkungsstätte: „Gemarke ist ein ansehnlicher Marktflecken von 380 Häusern mit Stadtfreiheiten, im Wupperthale und Amte Barmen des Herzogthums Berg, wenig über Elberfeld gelegen. Die Einwohner haben ansehnliche Leinen-, Band-, Bettdrillich- und Zwirnmanufakturen, und treiben mit diesen Waaren, sowie mit gebleichtem Garne einen ausgebreiteten Handel. Der Ort hat eine reformierte und eine kleine katholische Kirche. In diesem Orte steht Herr Krummacher als Prediger. Sein Publikum besteht aus Fabrikanten, Verlegern und Arbeitern, denen Weberei die Hauptsache ist. Sie sind in ihrem engen Bezirke als sittliche Menschen anzusehen, denen allen daran gelegen sein muß, daß nichts Excentrisches vorkomme, deshalb denn auch von auffallenden Verbrechen unter ihnen kaum die Rede sein wird. Sie leben in mehr oder weniger beschränkten häuslichen Zuständen, Allem ausgesetzt, was der Mensch als Mensch im Sittlichen, im Leidenschaftlichen und im Körperlichen zu erdulden hat. Daher im Durchschnitte viele kranke und gedrückte Gemüther unter denselben zu finden sind. Im Allgemeinen aber sind sie mit Allem, was die Einbildungskraft und das Gefühl erregt, und obgleich auf den Hausverstand zurückgeführt, doch für Geist und Herz einiger aufregender Nahrung bedürftig.“
Friedrich Engels hatte in seinen „Briefen aus dem Wuppertal“ die Verelendung der Weber angeprangert. Goethe wirft dem Prediger Beschwichtigung angesichts dieser Lage vor: „Die Weber sind von jeher als ein abstrus-religiöses Volk bekannt, wodurch sie sich im Stillen wohl unter einander genugthun mögen. Der Prediger scheint das Seelenbedürfniß seiner Gemeinde dadurch befriedigen zu wollen, daß er ihren Zustand behaglich, ihre Mängel erträglich darstellt, auch die Hoffnung auf ein gegenwärtiges und künftiges Gute zu beleben gedenkt.“ Sodann beschreibt Goethe Krummachers biblizistische und moralische Predigtmethode: „Er nimmt die deutsche Uebersetzung der Bibel, wie sie daliegt, ohne weitere Kritik, buchstäblich geltend, als kanonisch an und deutet sie wie ein ungelehrter Kirchenvater nach seinem schon fertigen Systeme willkürlich aus. Sogar die Ueberschriften der Capitel dienen ihm zum Texte und die herkömmlichen Parallelstellen als Beweise; ja er zieht dasselbe Wort, wo es auch und in welchem Sinne es vorkommt, zu seinem Gebrauche heran und findet dadurch für seine Meinungen eine Quelle von überfließenden Gründen, die er besonders zu Beruhigung und Trost anwendet. Er setzt voraus, der Mensch tauge von Haus aus nichts, droht auch wohl einmal mit Teufeln und ewiger Hölle; doch hat er stets das Mittel der Erlösung und Rechtfertigung bei der Hand. Daß Jemand dadurch rein und besser werde, verlangt er nicht, zufrieden, daß es auch nicht schade, weil, das Vorhergesagte zugegeben, auf oder ab die Heilung immer bereit ist und schon das Vertrauen zum Arzte als Arznei betrachtet werden kann. Auf diese Weise wird sein Vortrag tropisch und bilderreich, die Einbildungskraft nach allen Seiten hingewiesen und zerstreut, das Gefühl aber concentriert und beschwichtigt. Und so kann sich ein Jeder dünken, er gehe gebessert nach Hause, wenn auch mehr sein Ohr als sein Herz in Anspruch genommen wurde.“.
Goethe spricht, Karl Marx’ Rede vom „Opium des Volkes“ vorwegnehmend, von „narkotischen Predigten“: „Wie sich nun diese Behandlungsart des Religiösen zu den schon bekannten ähnlichen, aber separatistischen Gemeinden, Herrnhuter, Pietisten u.s.w. verhalte, ist offenbar, und man sieht wohl ein, wie ein Geistlicher solcher Art willkommen sein mag, da die Bewohner jener Gegenden, wie Anfangs bemerkt, sämtlich operose, in Handarbeit versunkene, materialem Gewinn hingegebene Menschen sind, die man eigentlich über ihre körperlichen und geistigen Unbilden nur in Schlaf zu lullen braucht. Man könnte deßhalb diese Vorträge n a r k o t i s c h e P r e d i g t e n nennen; welche sich denn freilich am klaren Tage, dessen sich das mittlere Deutschland erfreut, höchst wunderlich ausnehmen”.
Nach zeitgenössischen Quellen lösten Krummachers Predigten regelrechte „Völkerwanderungen“ aus, und wo der Platz in den Kirchen nicht ausreichte, wurden sogar Fenster ausgehängt, um ihn auch von draußen zu hören. Auch der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm - der spätere König Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858), der Elberfeld 1833 mit seiner Gemahlin besuchte, war begeistert. Auf Wunsch des hohen Gastes hielt der berühmte Kanzelredner einen großen Festgottesdienst. Auch über ihn berichtet er in seiner „Selbstbiographie“. Er predigte über den Tempel in Jerusalem und König David, um dann Deutschland samt preußischer Monarchie als „Israel der neuen Bundeszeit“ zu preisen: „Ja, Amen, jauchzen wir – schwinge dich auf, Preußens Adler, auf Fittichen des Glaubens, […] horste in dem starken Felsen Christi, und unüberwindlich wirst du sein, und der Blitz deiner Krone wird die Völker bebend machen!“ Die Anwesenden sollten ihrer Begeisterung „freiesten Raum“ geben: „So jauchze denn und frohlocke denn, was Odem hat!“ Beim Festmahl, das die Stadt Elberfeld für das hohe Paar veranstaltete, wurde der Prediger noch einmal zu einer von Jubel begleiteten Huldigung hingerissen. Mitten hinein bat der Kronprinz: „Krummacher, beten Sie!“
Eine Predigt Krummachers in Bremen löste 1840 den „Bremer Kirchenstreit“ aus. In ihr griff er den Rationalismus, der in Bremen von mehreren Geistlichen positiv beurteilt wurde, scharf an. Es kam zu einem sich mehrere Jahre hinziehenden Streit mit zahlreichen kontroversen Broschüren. Krummachers ausführlichste Schrift in diesem Zusammenhang trug den bezeichnenden Titel „Der scheinheilige Rationalismus vor dem Richterstuhl der hl. Schrift“. Krummachers Predigten hatten zudem Einfluss auf das musikalische Werk Felix Mendelssohn-Bartholdys. Der evangelische Prediger war in dieser Zeit auch immer ein Liederdichter.
1847 folgte er dem Ruf seines Königs Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin, wurde Prediger an der Dreifaltigkeitskirche und 1858 Hofprediger an der königlichen Hof- und Garnisonskirche in Potsdam. Die Berufung auf eine Theologie-Professur im US-amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania hatte er zuvor ausgeschlagen, obwohl seine Schriften in englischer Übersetzung in den Vereinigten Staaten rezipiert wurden. In seiner Berliner Zeit war er an der Gründung des „Deutschen Evangelischen Kirchentags“ (1848-1872) beteiligt, der als Reaktion auf die 1848er Revolution entstand, ebenso an der Gründung der „Inneren Mission“ und der evangelikal geprägten und vom Preußenkönig geförderten „Evangelischen Allianz“.
Er starb am 10.12.1868 in Potsdam. Sein Grab auf dem Neuen Friedhof in Potsdam besteht bis heute.
Werke (Auswahl)
Salomo und Sulamith. 15 Predigten aus dem Lied der Lieder, 1826.
Zionsharfe. Eine Liedersammlung (Herausgeberschaft), 1827.
Blicke ins Reich der Gnade. Sammlung evangelischer Predigten, 1828. Elias der Thisbiter. Predigten, 3 Bände, 1828 (zahlreiche Neuauflagen bis ins 20. Jahrhundert).
Elisa, 3 Bände, 1840-1845.
Der scheinheilige Rationalismus vor dem Richterstuhl der h. Schrift. Resumé der Bremer Kirchenfehde, 1841.
Die Sabbathglocke. Kirchliche Zeugnisse (Predigten und Vorträge), 12 Bände, 1851-1854.
Friedrich Wilhelm Krummacher. Eine Selbstbiographie, Berlin 1869.
Literatur
Krummacher, Hans-Henrik, Friedrich Wilhelm Krummacher und die Religionskritik des 19. Jahrhunderts, Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus, Band 31, Göttingen 2005, S.196-217.
Schroeter-Wittke, Harald, Identitätskonstruktion und Prophetie - Die Elias-Homilien von Gottfried Menken, Friedrich Wilhelm Krummacher und Johannes F. A. de le Roi, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 50 (2001), S. 295-319.
Online
Ranke, Otto von Krummacher, Friedrich Wilhelm. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 17, Leipzig 1883, S. 243–246.
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Schmidt, Klaus, Friedrich Wilhelm Krummacher, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-wilhelm-krummacher-/DE-2086/lido/64e6014bda5141.24677573 (abgerufen am 02.05.2024)