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Johann Heinrich Wiesmann war evangelischer Theologe, Präses der rheinischen Provinzialsynode und danach als Generalsuperintendent der Vorgesetzte aller evangelischen Pfarrer in der preußischen Rheinprovinz.
Geboren wurde Johann Heinrich Wiesmann am 20.7.1799 in Hattingen. Die Familie gehört zum Hattinger „Urgestein“ und war bereits im späten Mittelalter dort ansässig. Im 16. Jahrhundert war der Pfarrer Erasmus Wiesmann der erste evangelische Prediger in der kleinen Stadt an der Ruhr, hart an der Grenze zum Bergischen. Angehörige der Familie, die als wohlhabend bezeichnet werden darf, sind gelegentlich auch als Stifter hervorgetreten, im späten 18. Jahrhundert stifteten sie beispielsweise eine dritte Pfarrstelle in der örtlichen lutherischen Gemeinde und beanspruchten folglich darüber auch das Patronat.
Wiesmanns Vater Johann Heinrich allerdings war kein Theologe, sondern ein erfolgreicher Kaufmann. Der Sohn muss eine zur Praxis drängende Veranlagung von ihm geerbt haben, während die pietistische, konfessionelle Dogmen und Grenzen überwindende Frömmigkeit wohl eher von der Mutter Johanna, geborene Löber stammt. Wiesmann besuchte die Rektoratsschule in Hattingen und von Ostern 1816 bis zum Herbst 1817 die Prima des Gymnasiums in Duisburg.
Zum Studium der Theologie ging er anschließend an die Universität Halle und erlebte dort die „Nachwehen“ des Wartburgfestes 1817 und die nationalen Schwärmereien der Studenten, deren politische Vorstellungen noch von den erfolgreichen Freiheitskriegen gegen Napoleon geprägt waren. Auch Johann Heinrich Wiesmann konnte sich dieser Stimmung nicht entziehen, er wurde Mitglied der Hallenser Burschenschaft. Nach zwei Jahren wechselte er an die neue Universität Berlin, wo er vor allem Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und Joachim Neander hörte. Seine Heimatgemeinde Hattingen drängte ihn, schon jetzt die theologischen Examina abzulegen, weil man ihn als Pfarrer brauchte. Aber Wiesmann wartete noch und meldete sich 1821 zum ersten Examen, das er vor dem Konsistorium Magdeburg ablegte, und zwar mit derart glänzendem Erfolg, dass man ihm das für den Pfarrberuf eigentlich notwendige zweite Examen erließ. Danach wurde er zur praktischen Ausbildung noch ein Jahr dem Seminar in Wittenberg zugewiesen und stand 1822 zur Wahl in eine Pfarrstelle bereit.
Doch inzwischen hatte die Gemeinde Hattingen ihre freie Stelle anderweitig besetzt. Wiesmann wurde stattdessen Pfarrer in der kleinen Gemeinde Blankenstein an der Ruhr, ganz in der Nähe Hattingens. In der ländlich geprägten Gemeinde und während der häufigen Besuche bei seinen Kollegen in der Umgebung lernte er die sozialen Nöte der Bevölkerung kennen. Als praktisch veranlagter Mensch bemühte er sich, ihre Not auch konkret zu lindern. So veranstaltete er zum Beispiel Kollekten außerhalb Blankensteins und ging selbst als bettelnder Kollektant durch die Lande.
Das Wuppertal war nicht fern und so führten ihn gelegentliche Besuche auch zu seinen dortigen Pfarrbrüdern, die sich regelmäßig in einer Farbmühle zwischen Elberfeld und Barmen (beides heute Stadt Wuppertal) trafen und gemeinsam einzelne Bücher der Bibel erörterten. Das Beispiel regte ihn an, eine ähnliche Pfarrerkonferenz in Blankenstein ins Leben zu rufen. Vor allem aber wurde er im Tal der Wupper aufmerksam auf eine neue Form der Not, auf das Elend vieler Menschen, die von der frühen Industrialisierung erfasst wurden. Die Wuppertaler Kirchengemeinden waren der Menge hilfsbedürftiger Menschen kaum noch gewachsen, die Kommunen hatten deshalb einen großen Teil der Hilfeleistung übernommen, stöhnten aber ebenfalls unter der Last.
Inzwischen waren bergische Gemeinden auf den jungen, tatkräftigen Pfarrer aufmerksam geworden. 1825 folgte Wiesmann einem Ruf ins lutherische Lennep (heute Stadt Remscheid). Dort wurde er ebenfalls rasch der Mittelpunkt aller diakonischen Bemühungen um die Armen der Gemeinde, aber auch des evangelischen Vereinslebens, das sich in jenen Jahren in bergischen Gemeinden etablierte, etwa mit der bergischen Bibelgesellschaft, der Rheinischen Mission oder der Wuppertaler Traktatgesellschaft.
1826 heiratete Wiesmann seine erste Frau Nora, geborene Schröder, die jedoch schon wenige Wochen nach der Hochzeit verstarb. 1829 ging er eine zweite Ehe ein; Henriette Waldhausen war die Tochter einer wohlhabenden Familie aus Essen. Sie starb 1857. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter hervor.
Die Synode des Kirchenkreises Lennep wählte Wiesmann 1844 zu ihrem Superintendenten, nachdem er mehrere Jahre zuvor die Stelle des Assessors, des stellvertretenden Superintendenten, bekleidet hatte. Bereits 1838 war er von seiner Kreissynode zum Delegierten für die rheinische Provinzialsynode gewählt worden. Mit der neuen, 1835 erlassenen rheinisch-westfälischen Kirchenordnung war die Mitwirkung von Pfarrern und Laien in Presbyterien und Synoden in den beiden westlichen preußischen Provinzen geregelt - entgegen der ursprünglichen Auffassung des Königs, der der Kirche, in der er summus episcopus war, eine konsistoriale Verfassung geben wollte und in dem „versammlungsfreudigen rheinischen Protestantismus“ gefährliche demokratische Elemente vermutete.
Seit 1844 nahm Wiesmann regelmäßig an den Verhandlungen der Provinzialsynode teil. Bei jener Zusammenkunft machte er auf sich aufmerksam, weil er als einer der ersten evangelischen Pfarrer im Rheinland forderte, dass sich die Kirche den neuen sozialen Herausforderungen, die mit der Industrialisierung entstanden waren und weiter entstehen würden, stellen und ihnen offensiv begegnen müsse. 1853 wählte ihn die Provinzialsynode zu ihrem Präses. Das Ehrenamt hob seinen Träger aus der Menge der rheinischen Pfarrer deutlich hervor, und so bemühten sich jetzt auch andere Gemeinden um ihn. 1853 erhielt Wiesmann einen ehrenvollen Ruf aus der Bonner Gemeinde, dem er folgte.
Ein Höhepunkt im Leben Wiesmanns war seine Teilnahme an der so genannten Monbijou-Konferenz, benannt nach dem königlichen Schloss in Berlin, in der Nähe des Hackeschen Marktes, in dem 56 Persönlichkeiten der evangelischen Kirche Preußens vom 2.11.-5.12.1856 auf königliches Geheiß über kirchliche Reformen berieten. So standen etwa Inhalt und Ausmaß der von Friedrich Wilhelm III. (Regentschaft 1797-1840) erlassenen „Union“ lutherischer und reformierter Gemeinden zur Diskussion, wobei die Befürworter der Union auf der Konferenz zwar weiterhin in der Mehrzahl waren, aber die „Konfessionellen“, die die Union ablehnten, inzwischen eine beachtliche Minderheit darstellten. Bei der Beratung über die Gestaltung des Gottesdienstes brachen die Gegensätze zwischen Lutheranern und Reformierten deutlicher auf, insbesondere hinsichtlich der Formel, mit der das Abendmahl ausgeteilt wurde, der „Spendeformel“. Kontrovers wurde auch die Einführung eines Diakonats als eines selbständigen kirchlichen Amtes neben dem Pfarramt, wie es etwa Johann Hinrich Wichern (1808-1881) vorgeschlagen hatte, diskutiert. Wenig kontrovers war dagegen das Votum der Konferenz zur Wiederverheiratung Geschiedener: Was nach staatlichen Gesetzen erlaubt sei, solle nur in wenigen Ausnahmen den Segen der Kirche erhalten, schon um ihre Unabhängigkeit vom Staat zu betonen. Schließlich hielt eine Mehrzahl der Teilnehmer wenig von der Berufung einer preußischen Landessynode, so lange nicht Presbyterien, Kreis- und Provinzialsynoden auch in den östlich gelegenen preußischen Provinzen eingerichtet seien. Wichern, der für die Konferenz ein Gutachten angefertigt hatte, waren diese kirchenpolitischen Konflikte zutiefst zuwider, er urteilte: „Das Geschrei Konfession, Union, Spendeformel übertönt den seligen Ruf des himmlischen Herrn, der alle zu sich lädt“.
Die Haltung Wiesmanns zu diesen die kirchliche Öffentlichkeit damals bewegenden Problemen ist nicht überliefert. Es ist aber davon auszugehen, dass er, von Hause aus pietistisch geprägt, wohl Wicherns Auffassung teilte und in den Konflikten in der evangelischen Kirche um eine vermittelnde Position bemüht war, wurde er doch nach Ablauf seiner ersten Amtszeit 1859 von allen rheinischen Synodalen für eine weitere Amtszeit zum Präses gewählt. Am 22.7.1859 erhielt er in Anerkennung seiner Verdienste um die Befriedung innerkirchlicher Kontroversen den Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Universität Bonn verliehen.
1860 starb der rheinische Generalsuperintendent Dr. Georg August Schmidtborn, der als Wetzlarer Pfarrer vorher, wie Wiesmann, Präses der Provinzialsynode gewesen war. Eigentlich war er, gewissermaßen als „Geschäftsträger des Königs“, der geborene Gegenspieler zum Synodalpräses, der in seiner Person die demokratischen Elemente in der Kirche verkörperte. Johann Heinrich Wiesmann wurde zu seinem Nachfolger berufen, ein Hinweis darauf, dass die ausgleichende, konfessionelle wie kirchenpolitische Fronten überwindende Tätigkeit Wiesmanns auch beim Kultusministerium in Berlin und beim König erkannt worden war und gewürdigt wurde.
Die neue Aufgabe war mit der Tätigkeit eines Gemeindepfarrers nicht mehr vereinbar. Wiesmann nahm seinen Abschied von Bonn und zog nach Koblenz, an den Sitz des Konsistoriums und des Oberpräsidenten. Doch in seinem neuen Amt war ihm nur eine kurze Wirkungszeit beschieden, er erkrankte bald an einem „Bluthusten“ und starb am 10.8.1862. Begraben wurde er auf dem Alten Friedhof in Bonn, neben seiner zweiten Frau.
Literatur
Zur Erinnerung an den General-Superintendenten Dr. Wiesmann, gestorben zu Coblenz den 10. August 1862, Koblenz 1862.
Conrad, Joachim/Flesch, Stefan/Kuropka, Nicole/Schneider, Thomas Martin (Hg.), Evangelisch am Rhein. Werden und Wesen einer Landeskirche, Düsseldorf 2007.
Rogge, Joachim/Ruhbach, Gerhard (Hg.), Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union, Band 2, Leipzig 1994.
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Wittmütz, Volkmar, Johann Heinrich Wiesmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-heinrich-wiesmann/DE-2086/lido/57c92fd4458940.90978383 (abgerufen am 10.12.2024)