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Johannes Löh amtierte nicht weniger als 63 Jahre lang als lutherischer Pfarrer in vier rheinischen Kirchengemeinden. Geistesgeschichtlich zählt er zu den Theologen, die sich den Idealen der Aufklärung und des Rationalismus verpflichtet fühlten. Diese im Rheinland eher selten vertretene Spezies der „Fortschrittsmänner“ sah sich vielfältigen Anfeindungen orthodoxer wie pietistischer Kreise ausgesetzt.
Löh wurde am 8.9.1752 in Benninghausen als Sohn des Landwirtes Johann Hermann Löh und seiner Ehefrau Katharina Margaretha geb. Hilgenstock geboren. Nach der Gymnasialzeit in Soest studierte er evangelische Theologie in Halle und Göttingen, wobei er bereits naturwissenschaftliche und medizinische Vorlesungen besuchte. Seine theologische Prägung erfuhr er in Halle durch den dort lehrenden Aufklärungstheologen Johann Salomo Semler (1725-1791). Nach kurzer Kandidatenzeit trat er 1775 im Alter von gerade 23 Jahren seine erste Pfarrstelle in Reusrath (heute Stadt Langenfeld) an. „Ein Schelm, der melancholisch wird“ - dieses Briefzitat aus dem Jahr 1779 veranschaulicht recht prägnant den Lebensoptimismus des jungen Pfarrers. Ganz im Sinne der Aufklärung bildete die Erziehung zur Tugend die zentrale Kategorie seiner Ethik, weniger die Vermittlung formaler Glaubensgrundsätze im Sinne der protestantischen Orthodoxie. In der Tat ist er heute statt exegetischer Traktate eher bekannt durch seine zahlreichen Untersuchungen und Messreihen auf den Gebieten der Botanik, Astronomie und Meteorologie. Letztere führte er ununterbrochen von 1786 bis 1837.
In Reusrath schloss Löh Freundschaft mit dem wissenschaftlich gebildeten Freiherrn Johann Franz Kaspar von Wyhe (1704-1783), dem ehemaligen Kammerherrn des Kurfürsten Clemens August von Köln. Die überschaubare Pfarrei bot ihm offensichtlich viel Freiraum. Ganze Tage verweilte er auf dessen benachbartem Rittersitz Reuschenberg (Kirchspiel Bürrig), wo er intensiv die ausgezeichnete Bibliothek benutzen durfte. In seiner Reusrather Zeit war Löh auch Zeuge, wie auf der lutherischen Generalsynode Jülich-Berg von 1780 der Inspektor Johann Theodor Westhoff dem saumseligen Kirchenvolk androhte, es künftig vom Militär mit Flintenkolben in die Gottesdienste zu treiben. 1783 widmete der junge österreichische Autor Johann Pezzl (1756-1823) diesem Skandal ein ganzes Kapitel in seinem Roman „Faustin oder das philosophische Jahrhundert“.
Nach einem kurzen Intermezzo in Müllenbach 1783-1785 trat Löh die lutherische Pfarrstelle in Solingen an. Inzwischen war man auf Löh auch im akademischen Betrieb aufmerksam geworden, wie Berufungen nach Göttingen und Halle beweisen. Beide lehnte er nach sorgfältigem Erwägen ab, da er sich doch eher als Praktiker des Glaubens empfand. Dies bewies er einmal mehr bei einer Kollektenreise nach Holland 1789-1790, wo er sich als gewiefter Fundraiser erwies, der für seine Gemeinde 2.147 Gulden einsammelte. In einem Brief notierte er freilich über die festen Ansichten der dortigen protestantischen Denominationen: „Sie können sich kaum denken, wie manche Köpfe verschraubt sind.“
Bereits zweimal verwitwet, heiratete er 1792 Anna Maria Leembruck aus Wesel. Insgesamt hatte er sieben Kinder. Selbst recht wohlhabend, sparte er zeitlebens nicht mit Ratschlägen zu Ökonomie und Haushaltung für seine Gemeindeglieder. Schon in Reusrath hatte er eine professionelle Samenzucht für den Landbau angelegt und entwickelte selbst Arzneimittel wie die „Pastorssalbe“ sowie ein Augenwasser gegen Bindehautentzündungen. Noch vor den entsprechenden staatlichen Vorgaben propagierte er bei seinen Gemeindegliedern die Schutzimpfung gegen Pocken und ging 1796 mit seiner Familie als gutem Beispiel voran.
Auch auf Pfarrstellen erhielt Löh zahlreiche Berufungen bis hin nach Heilbronn. 1802 wechselte er auf die Pfarrstelle in Burscheid, eine große Gemeinde mit über 3.000 Seelen, die wesentlich mehr Amtsverpflichtungen erforderte. Dort gründete er gleich einen Leseverein und eine Leihbibliothek. Sein wacher Geist interessierte sich stark für die damals vieldiskutierte Heilmethode des animalischen Magnetismus oder Mesmerismus, wozu er auch praktische Versuche unternahm. Für die Lehrer seines Sprengels bot er – modern gesprochen – Fortbildungsveranstaltungen an und setzte sich mit Eingaben für die Verbesserung ihres Status ein. Vorbild für das aufklärungspädagogische Engagement seitens der evangelischen Pfarrerschaft war Johann Leopold Goes (1730-1795), der als Pfarrer in Ründeroth 1741 eine Musterschule gegründet hatte, die sich als wegweisend für das Volksschulwesen im Herzogtum Berg erweisen sollte. Löh stand mit ihm in Briefwechsel. Ebenso pflegte er Freundschaft mit seinem Amtsbruder Johann Wilhelm Reche (1764-1835), Pfarrer in Hückeswagen und Mülheim/Rhein und ein früher Protagonist der Philosophie Immanuel Kants (1724-1804). Im langjährigen Streit um das rationalistisch beeinflusste neue Gesangbuch Reches von 1798 stand Löh fest an dessen Seite. Als Assessor der Miseloher Klasse des Bergisch Lutherischen Ministeriums, zu der neben Burscheid auch Burg, Mülheim/Rhein, Neukirchen, Reusrath und Witzhelden zählten, verfügte Löh damals über kirchenpolitischen Einfluss. In der politischen Übergangszeit 1814-1816 bekleidete er auch das Amt eines Inspektors des Bergischen lutherischen Ministeriums.
Konfessionalistisches Denken war Löh stets fremd gewesen. Dies galt sowohl im Umgang mit Katholiken als auch innerprotestantisch im Verhältnis zu den Reformierten. Daher begrüßte er sehr die 1817 von König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840, Regentschaft 1707-1840) angeregte Union. In seiner Predigtpraxis auf der Kanzel suchte er das Evangelium allgemeinverständlich auszulegen, indem er die Anpassung an seine ländliche Zuhörerschaft nicht scheute und Vorgänge aus dem praktischen Leben einzubinden suchte. Nach einem Zitat Löhs müsse es „auch die Magd hinter der Thüre begreifen können.“ Mechanisch gelerntes Katechismuswissen und bloße Glaubensformeln lehnte er ebenso ab wie das Verteilen frommer Traktate. Für ihn bildeten die Werke der Schöpfung die eigentliche Heilige Schrift, aus der sich die Existenz Gottes und die Auferstehung nach dem Tod anschaulich und mit Vernunftgründen darlegen ließen. Es ist erstaunlich, welche theologischen Bandbreiten damals im rheinischen Protestantismus beobachtbar sind. Ein knappes Jahrhundert später wurde etwa der Kölner Pfarrer Carl Jatho aufgrund von Vorwürfen des Pantheismus und des Monismus in einem regelrechten Lehrzuchtverfahren amtsenthoben. Löhs Reputation im gesamten Bergischen Land erreichte 1825 anlässlich der Feierlichkeiten seines Goldenen Amtsjubiläums ihren Höhe- und Wendepunkt.
Bald danach leiteten einige von der Erweckungsbewegung beeinflusste Pfarrer aus dem Umland den wiederholten Versuch ein, den missliebigen, aber immer noch geistig wie körperlich rüstigen Pfarrer aus dem Amt zu drängen. Dass er sich zeitlebens über den „mystischen und faselnden Ton“ mancher Prediger etwa aus dem Wuppertal lustig gemacht hatte, trug sicherlich wenig zur Entschärfung des Konflikts bei. So hieß es in einem Visitationsbericht 1834, Löhs „ganzes Wesen, Reden und Benehmen trage den Charakter des Profanen an sich“. Der Konflikt um Löh steht exemplarisch für den damaligen Generationenwechsel in der evangelischen Pfarrerschaft und die damit verbundene mentale Abgrenzung von den vermeintlichen Gefahren des säkularen Umfelds. Die Burscheider Gemeinde solidarisierte sich mit ihrem Pfarrer und erreichte es, dass ihm nur ein Hilfsprediger unterstützend zur Seite gestellt wurde. Ende 1838 gab der 86-Jährige schließlich sein Amt auf. Wenige Wochen nachdem er – mittlerweile erblindet – ein letztes Mal gepredigt hatte, verstarb er am 29.3.1841 in Burscheid.
In Anerkennung seiner pädagogischen Verdienste entschied die Evangelische Kirche im Rheinland 2014, ihre Gesamtschule in Burscheid, der alten Wirkungsstätte Löhs, nach dem Pfarrer zu benennen. Dort steht auch die Büste Löhs, die der lokale Bildhauer Ernst Kunst (1896-1959) geschaffen hat. Der pädagogische Reformer und spätere liberale Politiker Paul Luchtenberg empfand in Johannes Löh einen inspirierenden geistigen Vorgänger und verfasste 1965 die heute noch maßgebliche Biographie. Es ist bezeichnend, dass sich an schriftstellerischen Arbeiten Löhs nur Manuskripte zur Astronomie, Algebra, Meteorologie und Botanik ermitteln lassen. Ein Teilnachlass Löhs ist erhalten im Bestand Familienarchiv Schumacher des Landesarchivs Nordrhein Westfalen Abt. Rheinland.
Literatur
Gruch, Jochen (Bearb.), Die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer im Rheinland von der Reformation bis zur Gegenwart, Band 3, Bonn 2018, Nr. 7927.
Eckardt, Uwe, Johann Wilhelm Reche (1764-1835), ein Kantianer in Hückeswagen, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 59 (2010), S. 81-90.
Luchtenberg, Paul, Johannes Löh und die Aufklärung im Bergischen, Köln/Opladen 1965. Spitzer, Hans-Walter, Der Burscheider Pastor Johannes Löh und seine Zeit, Burscheid 1985.
Online
Zeitgenössischer Nachruf (Neuer Nekrolog der Deutschen Bd. XX, Teil 1, Weimar 1844, S. 3-9 (Nr. 1). [Online]
Beitrag über Johannes Löh im Blog des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland. [Online]
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Flesch, Stefan, Johannes Löh, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-loeh/DE-2086/lido/603f72ae1ab0e9.30999991 (abgerufen am 10.12.2024)