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Friedrich (Fritz) Karl Tillmann war von 1913 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1939 Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und bekleidete von 1919 bis 1921 das Amt des Rektors. Tillmann setzte sich vor allem für die Belange der notleidenden Studierenden der Bonner Universität nach dem Ersten Weltkrieg ein. Noch heute gehört Fritz Tillmann als einer der Wegbereiter einer neuen Moraltheologie zu den bedeutendsten deutschsprachigen Moraltheologen des 20. Jahrhunderts.
Fritz Tillmann wurde am 1.11.1874 als Sohn des Verwalters Fritz Tillmann und dessen Frau Kunigunde geborene Reuther in Honnef am Rhein (heute Stadt Bad Honnef) geboren. Nach Absolvierung der Volksschule in Honnef besuchte er zunächst das Progymnasium in Linz am Rhein, bevor er am humanistischen Marzellengymnasium in Köln Ostern 1894 sein Reifezeugnis erlangte. Am 28.4.1894 immatrikulierte sich Tillmann an der Universität Bonn für das Studium der Katholischen Theologie, das er 1897 abschloss. Anschließend besuchte er das Priesterseminar zu Köln und empfing am 17.12.1897 die Priesterweihe. Von 1897 bis 1901 war Tillmann an der Münsterkirche in Essen als Kaplan tätig. Im Jahr 1901 ließ er sich vom kirchlichen Dienst beurlauben und kehrte nach Bonn zurück, um seine Studien an der Universität auf den Gebieten der Theologie und Philologie fortzusetzen. Im Herbst 1904 wurde er zum Repetent am Erzbischöflichen Konvikt (Collegium Albertinum) bestellt. Am 9.5.1905 promovierte Tillmann bei Joseph Felten (1851-1929) mit einer exegetischen Arbeit zum Neuen Testament über „Der Menschensohn. Jesu Selbstzeugnis für seine messianische Würde“ zum Doktor der Theologie. Tillmanns Promotion war die erste Promotion an der Katholisch-Theologischen Fakultät nach deren offiziellem Erhalt des Promotionsrechts. 1908 erfolgte die Habilitation - wiederum bei Joseph Felten - mit einer exegetischen Arbeit zum Neuen Testament über „Die Wiederkunft Christi nach den paulinischen Briefen“. Nach seiner Antrittsvorlesung am 1.8.1908 über „Das Göttliche Selbstbewusstsein Jesu nach den Synoptikern“ wurde Tillmann in der Funktion eines Privatdozenten an der Katholisch-Theologischen Fakultät angestellt. Per Erlass bestellte Kaiser Wilhelm II. (Regentschaft 1888-1918) Fritz Tillmann am 12.3.1913 zum Sommersemester 1913 als Nachfolger von Jakob Kirschkamp (1848-1913) zum ordentlichen Professor für Moraltheologie an der Universität Bonn.
Tilmanns wissenschaftliche Arbeit galt zunächst der Theologie des Neuen Testamentes. Seit 1911 gab er eine Kommentierung des Neuen Testamentes („Die heilige Schrift des neuen Testamentes“) – die sogenannte Bonner Bibel – in zehn Bänden heraus und bearbeitete selbst unter anderem das Johannesevangelium. Außerdem war Tillmann Initiator der „Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge“ und leitete diese zusammen mit seinem Kollegen Wilhelm Schwer (1876-1949) von 1924 bis 1931.
Seine wissenschaftliche Haupt- und Lebensleistung lag jedoch auf dem Gebiet der katholischen Moraltheologie. In dem von ihm herausgegebenen „Handbuch der katholischen Sittenlehre“ entwickelte Tillmann, aufbauend auf den Grundbegriffen biblischer Theologie, eine neue systematische Darstellung der Moraltheologie als eine Lehre von der „Nachfolge Christi“. In den von ihm verfassten drei Bänden stellte er in neuer Weise das theologische Anliegen der christlichen Sittenlehre heraus und ließ seine Schüler in dem sechsbändigen Werk die philosophische und psychologische Grundlegung dafür bearbeiten. In der von ihm initiierten Reihe „Abhandlungen aus Ethik und Moral“ schuf Tillmann eine Veröffentlichungsmöglichkeit für moraltheologische Monographien. Noch heute zählt Fritz Tillmann zu den Wegbereitern einer neuen Moraltheologie und somit zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Moraltheologen des 20. Jahrhunderts. Denn in seiner Konzeption des „Handbuchs der katholischen Sittenlehre“ hat er deutlich gemacht, dass eine zeitgemäße Moraltheologie auf mehrere Bezugswissenschaften angewiesen ist, an deren erster Stelle zwar die philosophische Ethik steht, die aber in Gestalt der heutigen Humanwissenschaften den Bezug auf den Menschen und seine Lebenswelt absichern. Tillmann hat damit der Moraltheologie ein wissenschaftliches Profil gegeben, hinter dem man vernünftigerweise nicht mehr zurück kann. Zurecht hat daher Kardinal Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. (Pontifikat 2005-2013) das „Handbuch der katholischen Sittenlehre“ als bahnbrechend bezeichnet.
Neben seiner erfolgreichen wissenschaftlichen Tätigkeit erlangte Fritz Tillmann durch sein Wirken als Rektor der Universität und Förderer der Bonner Studierenden große Bedeutung in der Nachkriegszeit nach dem Ersten Weltkrieg. Er übernahm während der Rheinlandbesetzung (1918-1926) in einer für Stadt und Universität politisch wie sozial und wirtschaftlich schweren Zeit für die Jahre 1919 bis 1921 das Rektorat der Universität. Zuvor war er bereits zwei Jahre Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät gewesen. Während seiner Amtszeit setzte sich der Moraltheologe für einen respektvollen Umgang zwischen Universität und Besatzern ein. Die in jener Zeit mehrfach drohende Schließung der Universität durch die englische und ab 1920 französische Besatzung konnte Tillmann durch seine versöhnliche, aber bestimmte Art verhindern. Ebenfalls erreichte er in seiner Amtszeit die Freigabe aller noch besetzten Räumlichkeiten und sorgte damit für die Wiederherstellung eines geregelten universitären Betriebs. Bei der preußischen Regierung erbat sich Rektor Tillmann größere Selbstständigkeit, um auf die Besonderheiten der politischen Lage besser reagieren zu können, was sich ebenfalls positiv auf die Aufrechterhaltung des universitären Betriebs auswirkte. Den aus dem Krieg zurückgekehrten und durch den unerwarteten Kriegsausgang desorientierten Studierenden vermochte Rektor Tillmann in seinen Reden an die Studentenschaft Halt und Orientierung zu geben. Neben seiner Arbeit als Rektor in der hiesigen akademischen Selbstverwaltung war Tillmann einer der aktivsten Professoren hinsichtlich Aufbau und Vernetzung der allgemeinen akademischen Selbstverwaltungen in Deutschland. So gehörte er zu den Mitgliedern des Hauptausschusses der 1920 gegründeten Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (Vorgängerorganisation der Deutschen Forschungsgemeinschaft) und war Mitbegründer des ebenfalls 1920 geschaffenen Verbandes der Deutschen Hochschulen, in welchem er von 1929 bis 1933 den Vorsitz führte.
Als sein besonderes Verdienst wird auch heute noch sein Engagement für die Studierenden angesehen. Bereits als Repetent am Collegium Albertinum wirkte er als Studentenseelsorger. Während seiner Amtszeit als Rektor förderte er die studentische Selbstverwaltung tatkräftig. Besonders in der schwierigen Phase der Inflationszeit, als über zwei Drittel der Bonner Studierenden unter dem Existenzminimum lebten, tat sich Tillmann als großer Unterstützer der notleidenden Studierenden hervor, indem er den Vorsitz des finanziell schwer angeschlagenen Vereins Studentenwohl e.V. übernahm. Der Verein - von den Kriegsstudenten als Selbsthilfeeinrichtung ins Leben gerufen – entwickelte sich bereits kurz nach seiner Gründung im September 1919 zur wichtigsten Stütze der Studierenden. Zu den Angeboten des Vereins zählten neben Zimmer- und Nebenerwerbsvermittlung die mensa academica, die aufgrund starker Frequentierung räumlich wie auch finanziell schnell an ihre Grenzen stieß. Als weiteres Hindernis erwies sich die unkonstante Führung des Vereins, da diese lediglich ehrenamtlich durch engagierte Studierende erfolgte. Man entschloss sich 1921 den Verein umzugestalten und den Studierenden mit Amtsgerichtsrat Ludwig Clostermann einen erfahrenen Vorsitzenden zur Seite zu stellen. Aufgrund gesundheitlicher Probleme Clostermanns übernahm Fritz Tillmann die Aufgaben des geschäftsführenden Vorsitzenden im Jahr 1923. Unter Tillmanns Leitung wurden die Abteilungen des Vereins straffer zusammengefasst und die studentische Wirtschaftshilfe weiter ausgebaut. Im Vordergrund seiner Bemühungen stand die Schaffung eines eigenen Wirtschaftsgebäudes für den Verein Studentenwohl, da die provisorischen Räumlichkeiten der Mensa im Hauptgebäude schon lange nicht mehr in der Lage waren, den Bedürfnissen nachzukommen. Trotz der schlechten Wirtschaftslage nahm Tillmann die konkreten Planungen bereits im Inflationsjahr 1923 auf. Von Rückschlägen ließ sich Tillmann von seinem Projekt, das ihm eine Herzensangelegenheit geworden war, nicht abbringen. Es gelang ihm bei Treffen mit Vertretern der Reichsregierung, die zuständigen staatlichen Stellen von der Notwendigkeit der Unternehmung zu überzeugen. Auch gewann er wohlhabende Freunde zur finanziellen Unterstützung des Projektes. Besonders sein freundschaftliches Verhältnis zum Großindustriellen und Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität Bonn (Geffrub) Carl Duisberg förderte das Vorhaben und führten schließlich zur Verwirklichung des Hausbaus. Bereits im Oktober 1924 konnte die Bauarbeiten abgeschlossen werden. Als Anerkennung für die Leistung Tillmanns wurde das Studentenhaus, welches der erste Neubau einer solchen Einrichtung in ganz Deutschland war, als „Tillmanneanum“ feierlich im Oktober 1924 eröffnet.
In seiner Funktion als geschäftsführender Vorsitzender blieb der Theologe dem Verein Studentenwohl bis 1933 erhalten und wirkte über seine Amtsgeschäfte hinaus in erster Linie als Berater und väterlicher Freund der Studierenden. Als sich das „Tillmanneaum“ aufgrund der starken Frequentierung als zu klein erwies, setzte Tillmann bei staatlichen Stellen einen Erweiterungsbau durch, der wiederum hauptsächlich durch die Freunde und Förderer der Universität ermöglicht wurde. Dieser Bau konnte 1932 fertig gestellt werden und umfasste nun auch ein kleines Studentenwohnheim.
Tillmanns erfolgreiche Tätigkeit für die Bonner Studierenden führte ihn schließlich zu gesamtdeutschen Aufgaben auf dem Gebiet der Studentenfürsorge. 1928 wurde er in den Vorstand der Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft (Vorgänger des Deutschen Studentenwerks) und 1931 zum Vorsitzenden des Deutschen Studentenwerks gewählt. Für seine Verdienste bekam er von Reichspräsident Paul von Hindenburg (Amtszeit 1925-1934) die Goethe-Medaille und von der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn die Ehrenpromotion verliehen.
Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten 1933 gab Tillmann seine Ämter auf. Er beschränkte sich während der nationalsozialistischen Herrschaft bis zur Emeritierung 1939 auf seine Lehrtätigkeit und zog sich aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurück. Für das Sommersemester 1935 übernahm er abermals das Dekanat der Katholisch-Theologischen Fakultät. Seinen Ruhestand verbrachte Tillmann, mittlerweile gesundheitlich angeschlagen, in Rhöndorf (Stadt Bad Honnef).
1943 musste er die Zerstörung seines „Tillmanneanum“ durch Kriegseinwirkung miterleben. Dem nach Kriegsende wiedererrichteten Studentenhaus wurde 1952 ein Wohnheim angegliedert, das zu Ehren des langjährigen Freundes der Studentenschaft „Tillmannhaus“ heißt.
Der bedeutende Förderer der Studierenden starb am 24.3. 1953 in seinem Haus in Rhöndorf. An seiner Beisetzung auf dem Waldfriedhof bei Rhöndorf nahmen neben Kardinal Frings und Bundeskanzler Adenauer viele Persönlichkeiten aus Kirche, Wissenschaft und Politik sowie Abordnungen der Bonner Studenten teil.
Quellen
Universitätsarchiv Bonn, Personalakte Fritz Tillmann im (UAB: PA 9786).
Werke und Herausgeberschaft (Auswahl)
Der Menschensohn. Jesu Selbstzeugnis für seine messianische Würde. Eine biblisch-theologische Untersuchung, Freiburg i. Br. 1907. (Dissertation)
Die Wiederkunft Christi nach den paulinischen Briefen, Freiburg i. Br. 1909. (Habilitation)
Jesus und das Papsttum. Eine Antwort auf die Frage: Hat Jesus das Papsttum gestiftet?, Köln 1910.
Das Selbstbewusstsein des Gottessohnes. Aufgrund der synoptischen Evangelien, Münster 1911, 3. Auflage 1921.
Die Quellen des Lebens Jesu, ihre Entstehung und ihr Wert, in: Esser, Gerhard/Mausbach, Joseph (Hg.), Religion, Christentum, Kirche. Eine Apologetik für wissenschaftlich Gebildete 2, München 1913, 5. Auflage 1923, S. 1–122.
Das Johannesevangelium, übersetzt und erklärt (Die Heilige Schrift des Neuen Testamentes 3), Bonn 1914, 1931.
Der Philipperbrief, übersetzt und erklärt, in: Meinertz, Max/Tillmann, Fritz (Hg.), Die Gefangenschaftsbriefe des Hl. Paulus, Bonn 1917, 1931.
Die Idee der Nachfolge Christi, Handbuch der Katholischen Sittenlehre III, Düsseldorf 1934, 1953.
Die Verwirklichung der Nachfolge Christi. Die Pflichten gegen Gott, Handbuch der Katholischen Sittenlehre IV/1, Düsseldorf 1935, 1950.
Die Verwirklichung der Nachfolge Christi. Die Pflichten gegen sich selbst und gegen den Nächsten, Handbuch der Katholischen Sittenlehre IV/2, Düsseldorf 1936, 1950.
Um eine katholische Sittenlehre, in: Heinen, Wilhelm/Höffner, Josef (Hg.), Menschenkunde im Dienste der Seelsorge und Erziehung, Festschrift Theodor Müncker, Trier 1948, S. 9–19.
Der Meister ruft. Eine Laienmoral für gläubige Christen, Düsseldorf 1937, 1948.
[Zusammen mit] Wilhelm Schweer: Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge: Wissenschaftliche Vierteljahresschrift für Theologie und praktische Seelsorge für den Klerus (1924-1931).
Testamentum novum: Die heilige Schrift des neuen Testamentes, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Fritz Tillmann, o.J.
Literatur (Auswahl)
Archiv der Universität Bonn (Hg.), In memoriam Fritz Tillmann, Bonn 1953.
Broer, Ingo, Gebremste Exegese. Katholische Neutestamentler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Breytenbach, Cilliers/Hoppe, Rudolf (Hg.), Neutestamentliche Wissenschaft nach 1945. Hauptvertreter der deutschsprachigen Exegese in der Darstellung ihrer Schüler, Neukirchen-Vluyn 2008, S. 59-112.
Grill, Rupert, Wegbereiter einer erneuerten Moraltheologie. Impulse aus der deutschen Moraltheologie zwischen 1900 und dem II. Vatikanischen Konzil, Fribourg/Freiburg 2008.
Höver, Gerhard/Schaeffer, Andrea, Fritz Tillmann (1874-1953), in: Hilpert, Konrad (Hg.), Christliche Ethik im Porträt. Leben und Werk bedeutender Moraltheologen, Freiburg i. Br. 2012, 5S. 99-624.
Holz, Michael, Die Bonner Studierendenschaft in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, Bonn 2009 [unveröffentlichte Magisterarbeit].
Piront, Emil, Fritz Tillmann (1874-1953) und sein Beitrag zur Erneuerung der Moraltheologie im 20. Jahrhundert, Diss. Mainz 1996.
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Holz, Michael, Fritz Tillmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/fritz-tillmann/DE-2086/lido/57c93f101b0b53.70478680 (abgerufen am 05.12.2024)