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„Eine klare und Raum schaffende Architektur ist das Besondere, sozusagen der Stil ihrer Entwürfe,“ hieß es im „Neuen Rheinland“ im Juli 1973 über die Wuppertaler Bühnenbildnerin Hanna Jordan. Nahezu fünf Jahrzehnte lang arbeitete sie für die Städtischen Bühnen ihrer Heimatstadt. Auch bundesweit war Hanna Jordan in der Ausstattung von Schauspielen und Opern und nicht zuletzt beim Fernsehen gefragt und erfolgreich.
Hanna Jordan kam am 3.4.1921 im elterlichen Haus in der Wotanstraße 15 im Wuppertaler Zooviertel zur Welt. Ihre Eltern waren der protestantische Unternehmer Franz Jordan, Inhaber einer Matratzenfabrik, und seine Ehefrau Henriette, geborene Daniels, die aus einer jüdischen Familie stammte. Die Tochter eines Textilhändlers aus Oberhausen betätigte sich in Wuppertal als ehrenamtliche Sozialarbeiterin. Im Alter von drei Jahren wurde Hanna Jordan protestantisch getauft, nicht aus religiöser Überzeugung der Eltern, die Freidenker und Pazifisten waren und sich schließlich den Quäkern anschlossen, sondern damit sie irgendwo dazu gehören sollte.
Ihre liberal und kosmopolitisch eingestellten Eltern führten in der Wotanstraße ein offenes Haus, in dem die Bildenden Künste, Musik und Literatur einen hohen Stellenwert besaßen. Hanna Jordan erhielt schon früh Klavierunterricht. Wann immer sich die Pianistin Lubka Kolessa (1902-1997), Klavierbegleiterin des Geigers Jehudi Menuhin (1916-1999), sich in der Region aufhielt, wurde sie vom Ehepaar Jordan beherbergt. So zeigte sich Hanna Jordans umfassendes künstlerisches Talent schon im Kindesalter. Mit elf Jahren bestritt sie ihre erste Ausstellung in einer Bücherstube in Darmstadt, der Heimatstadt ihres Vaters. Sie besuchte die Evangelische Volksschule in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) und im Anschluss daran die Frauenoberschule in Vohwinkel (heute Stadt Wuppertal).
1935 beschlossen Henriette und Franz Jordan, ihre Tochter, die nun nach der „Rassenlehre“ der Nationalsozialistin „Halbjüdin“ war, zur weiteren Ausbildung nach Holland zu schicken. Hier war in Schloss Eerde bei Ommen eine „Internationale Quäker-Schule“ eröffnet worden, an der Hanna Jordan 1939 ihr Abitur ablegte. Die Schule verfolgte einen koedukativen, lebensreformerisch geprägten Ansatz mit der breiten Förderung handwerklicher und künstlerischer Fähigkeiten, dem Gartenbau zur Selbstversorgung und nicht zuletzt der Schülermitverwaltung. In Eerde verbrachte Hanna Jordan die vielleicht schönsten Jahre ihres Lebens. Und hier entstanden ihre ersten Bühnenbilder für die Aufführungen der Theatergruppe.
1939 kehrte Hanna Jordan nach Wuppertal zurück. Ihr Plan, zusammen mit der Mutter nach England zu emigrieren, wurde durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs vereitelt. Stattdessen besuchte sie zwei Semester lang die Wuppertaler Kunstgewerbeschule. Da sie sich jedoch entschlossen hatte, Bühnenbildnerin zu werden, wechselte sie an die Kunstakademie in Düsseldorf. Sie bestand die Aufnahmeprüfung mit Bravour, wurde dann jedoch als „Mischling ersten Grades“ nach drei Monaten des Instituts verwiesen. Sie bewarb sich in der Bühnenbildklasse der Folkwangschule in Essen und blieb dort bis zu deren Schließung im Jahre 1942. Im Anschluss daran arbeitete sie als Technische Zeichnerin in einem Unternehmen in Barmen (Stadt Wuppertal), das Gaskessel herstellte. Dort sei sie von Kollegen vor Nachstellungen der SA im Betrieb beschützt worden.
Im September 1944 wurde ihr Vater in seiner Fabrik durch einen anonymen Anruf von der bevorstehenden Deportation Wuppertaler Juden informiert, er solle seine Frau in Sicherheit bringen. Die Familie beschloss unterzutauchen. Henriette und Hanna Jordan überlebten das NS-Regime in Verstecken bei befreundeten Quäkern. Henriette Jordan wurde von Auguste Fuchs (1887-1971) und ihrem Mann Fritz Fuchs (1881-1972), dem späteren Stellvertretenden Oberbürgermeister der Stadt Köln, in deren Haus in Bergisch Gladbach-Biese aufgenommen, wo sie bis Kriegsende bleiben konnte. Hanna Jordan schlug sich durch, indem sie zunächst vier Tage in Duisburg bei der Apothekerin Annemarie Möller (gestorben 1978) in deren Apotheke versteckt wurde. Zusammen mit ihrem Vater kam sie dann für neun Wochen in der Wohnung von Friedel und Ernst Lusebrink in Elberfeld unter. Nachdem die Situation in der hellhörigen Wohnung zu gefährlich wurde, ging Hanna Jordan um die Wende 1944/1945 zu Resi und Günter Ebert (1919-1976) nach Düsseldorf-Wittlaer. Hier erlebte sie die Befreiung am 21.4.1945.
Hanna Jordan kehrte in ihre Heimatstadt zurück, betätigte sich als Dolmetscherin für die Heilsarmee und gründete zusammen mit ihrer Mutter das Wuppertaler Nachbarschaftsheim e. V. 1947 heiratete sie den Juristen Walter Kraft, am 14.7.1948 wurde Tochter Tilla geboren. Im Oktober 1958 ereilte sie ein Schicksalsschlag, als diese - ihr einziges Kind - infolge einer Grippe starb.
Hanna Jordans Karriere als Bühnenbildnerin startete 1945 als Mitarbeiterin des Düsseldorfer Kabaretts „Die Wäscheleine“, dem Vorläufer des Kom(m)ödchens. Ihre Zusammenarbeit mit dem Theater Wuppertal begann am 28.4.1946 mit dem Bühnenbild für die Komödie „Die Heirat“ von Nicolai Gogol (1809-1852). 1947 erhielt sie eine Festanstellung. In den folgenden drei Spielzeiten stattete sie annähernd 30 Stücke aus. Ihre frühen Arbeiten bewertete Hanna Jordan aus der Rückschau als eher konventionell, ehe sie Anfang der 1950er Jahre in eine Phase der Abstraktion und radikalen Vereinfachung des Bühnenbildentwurfs eintrat.
Hanna Jordan blieb Wuppertal zeit ihres Lebens und trotz großer Erfolge auf deutschen Bühnen eng verbunden, beruflich wie privat. Während meiner langen ‚Wanderjahre‘ habe ich mich immer auf ‚zu Hause‘ gefreut, auf ‚mein‘ Theater in Wuppertal, von dem ich mich nie wirklich getrennt habe. So manchem, der hier zum ersten Mal hereingeschaut hat, mag es vorgekommen sein, als sei er in einen Tante-Emma-Laden geraten. Es fehlt hier an Einrichtungen, die fast überall anderswo selbstverständlich sind. […] Aber nirgendwo habe ich mich so ungehindert von bürokratischen Bremsmanövern bewegen können, wie hier. Die Zusammenarbeit ist hervorragend. Dafür nimmt man viel in Kauf. Worüber sie sich in Anbetracht ihrer Karriere am meisten wunderte, war die Tatsache, dass ihr diese als halber Autodidaktin gelang: Und wie ich die kompliziertesten technischen Dinge geschafft habe, ist mir heute auch schleierhaft, ich war doch gar nicht richtig ausgebildet. In den 1960er Jahren wurde Hanna Jordan von zahlreichen deutschsprachigen Bühnen zur Zusammenarbeit eingeladen. Auf der langen Liste standen unter anderem die Theater in Essen, Köln, Düsseldorf, Bonn, Recklinghausen, Hamburg, Hannover, Frankfurt am Main, Darmstadt, Mannheim, Stuttgart, München, Graz und Wien. Hier arbeitete sie unter anderem mit den Regisseuren Helmut Henrichs (1907-1975), Imo Moszkowicz (1925-2011), Wolfgang Liebeneiner (1905-1987) und Rudolf Noelte (1921-2002).
Insbesondere die Zusammenarbeit mit Rudolf Noelte erwies sich als außerordentlich fruchtbar: „Mit Rudolf Noelte als Regisseur hat Hanna Jordan Theatergeschichte geschrieben: Die beiden Tschechow-Inszenierungen ‚Drei Schwestern‘ [am Staatsschauspiel] in Stuttgart 1965 und ‚Kirschgarten‘ in München [am Residenztheater] 1970 waren herausragend in der deutschen Theaterlandschaft und wurden beide zum Berliner Theatertreffen eingeladen.“[1] Beeindruckend war die Drei-Räume-Perspektive, die Jordan für die Stuttgarter Inszenierung von „Drei Schwestern“ schuf: „Durch diese trickreiche Architektur gewinnen Darsteller an Größe, zusätzlich angehoben durch den schräg ansteigenden Boden, der Mensch tritt in den Mittelpunkt. Die drei hintereinander liegenden, sich verengenden Räume machen einen Umbau überflüssig, lassen verschiedene Situationen plausibel erscheinen, trennen die Schauspieler voneinander, lassen Simultanes glaubwürdig zu.“[2] Und dies, ohne dass die Bühnenarchitektur sich in den Vordergrund drängte. Hier werden zwei Grundeinstellungen Hanna Jordans sichtbar. Der Kritiker Hellmut Karasek (1934-2015) hat sie anlässlich der Verleihung des Von-der-Heydt-Preises an Hanna Jordan 1965 in der folgenden Weise umrissen: „Frau Jordan baut dem Stück eine Szenerie, sie schmückt es nicht, putzt es nicht auf. Sie hat in aller Deutlichkeit immer wieder betont, dass die Bühne kein Ort sei, wo sich malerischer Ehrgeiz auszuleben habe, das Bühnenbild mehr eine Sache der Architektur, als der angewandten modernen Kunst sei.“[3] Und dass „Modernität“ sich nicht zwangsläufig einstelle, wenn sie „willkürlich mit modischer Entschlossenheit über das Stück verhängt“ werde.
1958 begann Hanna Jordans Zusammenarbeit mit dem Regisseur Imo Moszkowicz anlässlich der Inszenierung und deutschen Erstaufführung des Musicals „Kiss me, Kate“ von Cole Porter (1891-1964). Moskowicz, der seine Karriere als Regieassistent von Gustaf Gründgens (1899-1963) in Düsseldorf begonnen hatte, holte sie auch nach Gründgens‘ Wechsel ans Deutsche Schauspielhaus nach Hamburg, um dort einige Inszenierungen auszustatten.
Und Moszkowicz war es, der Hanna Jordan in den späten 1950er Jahren zum neuen Medium Fernsehen brachte, das zu diesem Zeitpunkt noch produktionstechnisch in den Kinderschuhen steckte. Für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) realisierte sie zusammen mit Moszkowicz die Produktion „Kiss me, Kate“, die 1961 live aus dem Apollo-Theater in Düsseldorf mit dem Kölner Rundfunksinfonieorchester übertragen wurde. Abgesehen davon arbeitete das Tandem Moszkowicz / Jordan auch für das Fernsehspiel des WDR, etwa bei der Produktion der Komödie „Sie werden sterben, Sire!“ von Leopold Ahlsen (1927-2018), ausgestrahlt am 3.12.1964. Da es dem WDR zu diesem Zeitpunkt noch an ausreichender Produktionskapazität fehlte, war Improvisieren angesagt, wo wie in einem angemieteten Tanzsaal in Köln-Rath-Heumar: „Eine Kneipe mit einem riesengroßen Saal. Hanna Jordan baute dort die Häuserfronten [für „Die Träume von Schale und Kern“ von 1960] ‚wie eine Kette‘ rechts und links auf. Um eine tiefe, in der Ferne verschwindende Perspektive zu bekommen, suchte sie nach weiteren Möglichkeiten. Sie sah am Ende des Kneipensaales eine Tür, machte sie auf und war im ‚stillen Örtchen‘. Dort stellte man auf den Klodeckel eine Kamera – und hatte damit zwei Meter Länge gewonnen.“[4]
Dass Hanna Jordan um die Wende zu den 1970er Jahren den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Ausstattung von Opern verlegte, hatte nicht zuletzt mit ihrem gebrochenen Verhältnis zu den „68ern“ zu tun und möglicherweise auch mit einem handfesten Streit mit dem Regisseur Peter Palitzsch (1918-2004), der die von Hanna Jordan aus optischen Gründen als notwendig vertretene Bühnenschräge rigoros ablehnte. So äußerte sie später: Mit meinen roten Genossen kam ich ja auch nicht zurecht, zumal sie etwas gegen Perspektive und Schrägen hatten. An den Opernbühnen sei es einfach konservativer zugegangen, was ihr allein aus handwerklich-technischen Gründen besser behagte. Ihre Biographin Anne Linsel schreibt: „Hanna Jordan erinnert sich mit Schrecken an diese Zeit.“[5]
Zwar verortete sie sich selbst politisch in der linken Ecke und hatte ein reformpädagogisches Internat besucht, wo es aber mitnichten anti-autoritär zugegangen sei, erinnerte sie sich. Es habe auch kein Gemähre gegeben wie in den sechziger Jahren im deutschen Theater. Experimente zur Mitbestimmung, bei denen alle im Theater beschäftigten Personen, von der Putzkolonne bis zur Intendanz, über den Spielplan mitentscheiden sollten, hielt sie für _absoluten Blödsinn […] Wenn irgendeiner, der von der Sache keine Ahnung hat (und gar nicht haben kann) mit- und dazwischen redet, dann ist das für mich keine Demokratie. _Gleichberechtigung bei der Bezahlung für gleiche Leistung sei selbstverständlich, nicht jedoch gleichberechtigte Mitsprache in jedweden Fragen.
Sie betrachtete sich selbst als Antifaschistin, umriss ihre Haltung jedoch in einer Rede vom 30.1.1993 im Wuppertaler Opernhaus wie folgt: Ich verstehe Antifaschismus grundsätzlich und im weitesten Sinne als einen geistigen Kampf gegen jede Art von Gewalttätigkeit, von wo auch immer sie uns bedroht.
1964 kam Kurt Horres (geboren 1932) als Operndirektor an die Wuppertaler Bühnen. Es war der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit, nicht nur bei zahlreichen Ur- und Erstaufführungen von Werken zeitgenössischer Komponisten wie Giselher Klebe (1925-2009), Krzysztof Penderecki (1933-2020) oder Boris Blacher (1903-1975), sondern auch bei der Inszenierung von Richard Wagners (1813-1883) „Tannhäuser“ unter der Regie von Horres an der Deutschen Oper Berlin (Premiere: 18.6.1978) beziehungsweise der Inszenierung „König Lear“ von Aribert Reimann (geboren 1936) im Nationaltheater Mannheim (Premiere: 8.6.1982).
Das Bühnenbild zu Blachers „Yvonne“ – die Premiere fand am 15.9.1973 statt - betrachtete Hanna Jordan als eine ihrer besten Arbeiten. Die Inszenierung wurde ein großer Erfolg, nicht zuletzt aufgrund der Mitwirkung der Tänzerin und Choreografin Pina Bausch (1940-2009) in der stummen Titelrolle. Die beiden Frauen schätzten und respektierten einander. Einige von Bauschs Stücken fand Hanna Jordan einfach wunderbar. Zu einer Zusammenarbeit kam es nicht, der künstlerische Funke wollte zwischen den beiden Frauen nicht überspringen.
Auf Kurt Horres als Operndirektor folgte 1977 Friedrich Meyer-Oertel (1936-2021). Dieser bescheinigte Hanna Jordan nicht allein, „unglaublich musikalisch“ zu sein, sondern er war zudem der Meinung, sie sei gewiss auch eine „grandiose Architektin“ geworden.[6] Beispiele ihrer Zusammenarbeit waren die Inszenierungen „Moses und Aaron“ von Arnold Schönberg (1874-1951), Premiere am 5.6.1984, und „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) mit der Premiere am 5.7.1986, beides Aufführungen am Nationaltheater Mannheim.
1995 zog sich Hanna Jordan vom Theater zurück. 2001 wurde sie zum Ehrenmitglied der Wuppertaler Bühnen ernannt. Bereits 1965 war sie mit dem Von-der-Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal geehrt worden, 1994 mit dem Ehrenring der Stadt.
Sie starb am 26.1.2014 in ihrer Heimatstadt Wuppertal. Seit dem 28.1.2019 erinnert eine Gedenktafel an ihrem Geburtshaus in Wuppertal, Wotanstraße 15, an Hanna Jordan.
Literatur
Linsel, Anne, Weltentwürfe. Die Bühnenbildnerin Hanna Jordan, Essen 2006.
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Bernard, Birgit, Hanna Jordan, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hanna-jordan/DE-2086/lido/63e11499b856f9.58224761 (abgerufen am 05.12.2024)